Unter dem Begriff “Open Access” werden verschiedene Bestrebungen zusammengefasst, die Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeit allen Interessierten frei zugänglich zu machen. Der Grundgedanke ist einfach: Der überwiegende Teil von Wissenschaft wird von der Gesellschaft bereits über Steuern finanziert. Es ist demnach falsch, dass man ein zweites Mal bezahlen muss, um die Ergebnisse dieser Forschungen betrachten zu dürfen.
Paper lesen kostet Geld, und nicht wenig: Ein einzelner Artikel in der Regel 30 bis 50 Dollar, Abos für Fachzeitschriften sind auch nicht wirklich billig. Die Universitätsbibliothek der Uni Karlsruhe hat beispielsweise eine Liste mit ihren zehn teuersten Zeitschriftenabos zusammengestellt, davon kommt das teuerste (Biochimica et biophysica acta) auf den stolzen Preis von über 17000 Euro! Solche Preise haben in den letzten Jahren dazu geführt, dass immer mehr Bibliotheken Abos kündigen mussten, der Zugang zu wissenschaftlichen Informationen wurde dadurch erschwert.
Die Strategie des Open Access dreht das Bezahlmodell um: Die Autoren müssen (mehr) Geld bezahlen, um einen Artikel in einer Zeitschrift veröffentlichen zu können, dafür ist dann der Artikel nach der Veröffentlichung frei für alle einsehbar. Der Verlag sollte so idealerweise die Einnahmen einfach vor statt nach der Veröffentlichung machen, und auch aus Sicht des Steuerzahlers ist es erstmal egal, wann für die Publikation gezahlt wird. Der Vorteil dieses Modells ist aber, dass nach der Publikation die Informationen für jeden Interessierten zugänglich sind. Dies fördert den Austausch von Wissen, besonders in den ärmeren Ländern.
Verständlicherweise stehen Open Access und die so publizierenden Verlage unter dem Beschuss der alteingesessenen (closed-access) Verlage, die ihre reichen Geldquellen in Gefahr sehen. Doch nun scheint sich ein weiteres Problem für die Open Access Bewegung zu offenbaren: Da die Verlage mit diesem Modell weniger verdienen, sind sie anfälliger für die aktuelle Wirtschaftskrise.

Dies wird an einem aktuellen Beispiel deutlich. Der Journal of Visualized Experiments (JoVE) war ein Liebling der Open Access-Befürworter. Wissenschaftler können bei dieser Online-“Zeitschrift” Videos über ihre Methoden publizieren. Diese können dann ähnlich wie bei YouTube in bester Web 2.0 Manier von Jedem angesehen und kommentiert werden, auch ein Einbinden der Videos auf anderen Webseiten war vorgesehen. Anders als bei YouTube handelt es sich aber bei JoVE um eine wissenschaftliche Zeitschrift, die vor der Publikation der Videos ein Peer Review durchführt. Das bedeutet für die Autoren, dass sie eine Veröffentlichung bei JoVE in ihre Publikationsliste aufnehmen können. Ein solches Modell fand verständlicherweise in der Open Access-Gemeinde viele Freunde und Förderer, die kostenlos Werbung für JoVE machten. Dazu zähle wohl auch ich – jedenfalls hatte ich auf meinem alten Blog begonnen, schöne Videos von JoVE vorzustellen.

Dies hat sich aber (ausgerechnet am) 1. April schlagartig geändert. JoVE ist ohne die Nutzer, Autoren und sogar Editoren zu informieren auf ein restriktives Closed Access-Modell umgestiegen. Diese Tatsache wurde überhaupt nur durch Zufall aufgedeckt: Einer der Associate Editors von JoVE fragte nachmittags in FriedFeed, wieso ein Kollege von ihm ein bestimmtes Video nicht betrachten konnte, sondern mit einem Login begrüßt wurde – und der Aufforderung, besser gleich mehrere tausend Dollar für eine institutionelle Lizenz auszugeben. Viele, die bei FriendFeed antworteten, hielten das zunächst für einen schlechten Aprilscherz. Doch dann schaltete sich der CTO von JoVE, Nikita Bernstein, in die Diskussion ein und bestätigte den Wechsel zu Closed Access. Er begründet diesen Schritt mit den hohen Produktionskosten der qualitativ hochwertigen Videos, den viel zu geringen Einnahmen und der allgemein schlechten Wirtschaftslage zur Zeit.
Natürlich ist es das gute Recht von JoVE, alles mögliche zu versuchen, um nicht bankrott zu gehen. Doch die Art und Weise, wie das in diesem Fall geschehen ist, kommt nicht nur mir komisch vor: Ein Unternehmen, das intensiv auf Web 2.0 und die Mitarbeit der Benutzer setzt, kann heute einfach nicht mehr solche Entscheidungen hinter verschlossenen Türen treffen. Man hätte die Nutzer vorab über die Probleme informieren, sie sogar eventuell in die Suche nach Lösungen einbinden können. Stattdessen mussten sogar die Editoren über den Kurswechsel von Außen erfahren.

Ich halte es auch für sehr bedenklich, wie bei JoVE wohl mit dem Begriff Open Access umgegangen wird. Nachdem sich mehrere Leute auf der Friendfeed-Seite beschwert hatten, dass auch die Videos, die vor Monaten unter Open Access frei publiziert wurden, nun nur noch nach Bezahlung anzusehen sind, behauptete der CTO Nikita Bernstein, JoVE hätte nie unter Open Access publiziert. Vielmehr wären die Videos “nur” kostenfrei und für alle zugänglich online gestellt worden. Genau!?!
Nachdem ein FriendFeed-Nutzer dann ein wenig im Internet Archive gestöbert hatte, fand er doch direkte Aussage dazu auf der Webseite von JoVE:

@Nikita, you say that the journal was just “freely available” and never “open access”. But when I go to the Internet Archive and look at the 25 January 2008 version of your About JoVE page, it reads: “With participation of scientists from leading research institutions, the Journal of Visualized Experiments (JoVE) was established as a new, open access tool in life science publication and communication.” – Lars Juhl Jensen

Der Herr Bernstein antwortet darauf, dass sie erst kurze Zeit später verstanden hätten, was Open Access denn alles bedeutet, und darauf sei diese Formulierung entfernt worden.
Eine weitere Suche im Internet Archive fördert dann dieses hier zutage:

The Official JoVE Blog, 16 November 2008: “….Finally, JoVE is an example of an Open Access journal with some Web2.0 capabilities, like the ability to leave comments and label them as agreeing or disagreeing with the authors. The final article can now also serve as a location for continuing the scientific conversation”. – Lars Juhl Jensen

Bei JoVE scheint man also gerade bemüht zu sein, die Vergangenheit so umzuschreiben, dass sie möglichst wenig mit dem neuen Geschäftsmodell kollidiert. Nachdem man sich einen guten Namen durch die kostenlose Werbung von Open Access-Befürwortern gemacht hat, will man nun also nichts mehr damit zu tun haben. Die Frage ist nun, wie viele Leute nach so einem Verhalten überhaupt noch bei JoVE publizieren möchten – vor allem wenn wahrscheinlich niemand das Geld fürs Ansehen der Videos aufbringen will.

Denn das ist ein weiterer Punkt, den ich nicht verstehen kann: JoVE ist ein reiner Methodenjournal, dazu noch ein wenig ein Experiment. Welche Bibliothek wird gewillt sein, dafür mehrere tausend Dollar pro Jahr zu bezahlen? Bei momentan etwa hundert kurzen Beiträgen pro Jahr. Was eine offene Diskussion der Probleme gebracht hätte, zeigt auch die FriendFeed-Seite: Dort werden gleich mehrere gute Vorschläge gemacht, wie JoVE seine Videos frei zugänglich lassen könnte, gleichzeitig aber ein wenig mehr Geld erwirtschaften. Der Zug ist nun wohl aber leider abgefahren.
Alternativen zu JoVE gibt es bisher aber nur halbe. SciVee ist so eine Art YouTube für wissenschaftliche Videos. Dort kann aber jeder reinstellen was er will, ganz ohne Peer Review. Keine Publikationen für den Lebenslauf eines Wissenschaftlers also. Es wäre auch zumindest denkbar, dass ein etablierter Methodenjournal wie BioTechniques in die Bresche springt. Dort wird schon seit Jahren kostenlos publiziert – wenn man die viele Werbung in Kauf nimmt. Eine Multimedia-Sektion ist dort bereits vorhanden, aber bisher fast nicht ausgebaut.

Ich glaube aber fest daran, dass die ursprüngliche Idee von JoVE – Methoden zeigen mit Videos – so gut ist, dass sie überleben wird. Egal was letztlich aus JoVE wird.

weiterführende Links:
JoVE – Journal of Visualized Experiments
FriendFeed Seite mit Diskussion über JoVE
Nothing’s shocking – JoVE goes closed access
Bench Marks – JOVE ends open access


Man merkt es an den wenigen Posts hier in den letzten Tagen: Ich habe zur Zeit mit der Arbeit so viel zu tun, dass letztlich kein Platz mehr bleibt für andere Dinge – leider auch das Bloggen. Das ist schade, weil ich ein paar spannende Themen zum Schreiben hätte, aber einfach nicht die Zeit dazu finde. Ich will deshalb zum Auflockern in den nächsten Tagen noch ein paar Posts von meinem alten Blog einstellen. Danach kommen dann aber wieder neue Posts!

Kommentare (4)

  1. #1 UMa
    April 3, 2009

    Ich denke die Autoren, die bisher dort publizierten wurden geschädigt. Sie haben (mehr) Geld für ihre Veröffentlichung bezahlt, und erhalten nun keine Gegenleistung mehr, da der Open Access auch rückwirkend rückgängig gemacht wurde. Sollten sie nicht versuchen, u.U. auch auf dem Rechtswege, entweder das Geld zurück zu bekommen oder die Veröffentlichungen vor dem 1. April wieder als Open Access frei zugänglich zu bekommen?

  2. #2 Thilo
    April 3, 2009

    Eine Randbemerkung zur Liste der 10 teuersten Zeitschriftenabos im 1. Absatz:
    es fällt auf, daß alle 10 zum selben Verlag gehören …

  3. #3 Martin
    April 3, 2009

    …wobei fairerweise dazugesagt werden muss, dass Biochimica et Biophysica Acta ein Megajournal mit 100 Issues über neun Fachgebiete und 13.000 Seiten im letzten Jahr ist (laut Wikipedia).

  4. #4 Alexander
    April 3, 2009

    @UMa:
    Glücklicherweise scheint zumindest dieses Problem gelöst zu sein. Während am 1. April noch alle Videos hinter einer Paywall waren, sind die älteren jetzt wieder zugänglich (jedenfalls die schonmal von mir verlinkten, die habe ich vorhin getestet). Ich glaube, das ist auch den Protesten auf FriendFeed zu verdanken. Eine juristische Möglichkeit halte ich dagegen für nicht sehr aussichtsreich – die Leute von JoVE haben ja mehrmals klargemacht, dass sie die ganze Zeit nur “Open Access” gesagt, aber in Wirklichkeit “kostenlos schauen, aber wir behalten die Rechte” gemeint haben.

    @Thilo:
    Das ist mir auch aufgefallen 😉

    @Martin:
    Ich habe nichts gegen BBA, ich lese auch regelmäßig Artikel daraus. Hätte die Unibibliothek dieses Abo nicht, wäre das nicht möglich für mich. Aber das war auch nur das Beispiel, um den Leuten eine Preisvorstellung zu geben. Man muss ja bedenken, dass nicht nur diese zehn, sondern hunderte solcher Zeitschriftenabos (wenn auch nicht alle so teuer) auf jede Unibibliothek kommen!