Das ist ein Repost von meinem alten Blog vom 23.09.2008. Ich habe am Ende noch einen neuen Punkt angefügt, der dann auch für all diejenigen interessant ist, die den Artikel schon mal gelesen haben.


Arabidopsis thaliana Acker Schmalwand Kreuzblütengewächse Cruciferae Brassicaceae 07.jpg

Ja, das ist tatsächlich eine Frage, die ich mir leider recht oft anhören muss. Zum Beispiel von Technikern, die uns im Gewächshaus besuchen. Wenn die uns dann sehen, wie wir unsere Pflanzen – wir arbeiten mit Arabidopsis thaliana, der Ackerschmalwand – vorsichtig von Mücken und Blattläusen befreien, wie wir sie einzeln in Plastikröhren einpacken, um Fremdbestäubungen zu vermeiden, oder wie wir uns freuen wenn ein Versuch geklappt hat bzw. fluchen wenn die letzte Kreuzung wieder nix war, dann kommt üblicherweise diese Frage, in der einen oder anderen Form: “Das ist doch ein Unkraut, oder? Was machen sie denn damit?”
Und sie haben in gewisser Weise recht, denn für den Landwirt und Gärtner ist die Ackerschmalwand ein Unkraut. Doch das ist nur eine Sichtweise! Denn was für den Gärtner ein Nachteil, ist für uns Wissenschaftler ein enormer Vorteil. Wie kam es also, dass ein Unkraut ohne wirtschaftlichen Nutzen zum wichtigsten botanischen Modellorganismus wurde? Dafür gibt es bei Arabidopsis jede Menge Gründe.

Größe: Jede Pflanze nimmt Platz weg, und je mehr Individuen man pro Quadratmeter unterbringt, desto mehr Versuche kann man machen. Und die Ackerschmalwand ist nun mal eher klein, sie wächst vor allem nicht sehr in die Breite.

Schnelles Wachstum: Wie Gregor Mendel schon vor ca. 150 Jahren gezeigt hat, gibt es Regeln in der Vererbung von Merkmalen. Will ich nun so ein Merkmal untersuchen, dann braucht das seine Zeit. Vom Kreuzen von zwei Linien bis zu homozygoten (“reinerbigen” nach Mendels Sprache) Nachkommen vergehen mindestens zwei Generationen. Dann ist das schon eher doof für nen Doktoranden, wenn er ein oder sogar mehrere Jahre pro Generation warten muss! Dann doch lieber die Arabidopsis mit einer Generationszeit (Keimung bis fertige Samen) von 6 bis 8 Wochen.

Viele Nachkommen: Ich arbeite routinemäßig mit hunderten von einzelnen Pflänzchen, die bei mir dann aber nicht älter als ein paar Wochen werden, und in der Zeit dann beispielsweise mit Mutagenen malträtiert werden. Da kann ich dann schon froh sein, dass eine einzelne Arabidopsis-Pflanze bis zu 1000 Samen produziert! Noch ein Vorteil der Samen ist, dass sie über Jahre hinweg aufbewahrt werden können. Wenn man also Linien hat, die man nur selten braucht ist das auch kein Problem, die kann man bequem in der Schublade vom Schreibtisch lagern.

Unempfindlich gegen äußere Bedingungen: Die Ackerschmalwand braucht ein wenig Licht und Wasser, ist aber nicht sehr wählerisch bei den Mengen. Und auch andere Einflüsse wie Temperatur oder Krankheiten stören sie nicht so sehr wie viele andere Pflanzen. Das vereinfacht natürlich die Handhabung.

Selbstbestäubung: Um die Ackerschmalwand zu vermehren muss ich nicht jedes Mal zwei Individuen miteinander kreuzen. Ich kann einfach einen Samen in die Erde tun und 8 Wochen warten, schon hab ich jede Menge Nachkommen! Denn Arabidopsis ist eine selbstbestäubende Art, das passiert hier schon noch bevor sich die Blüten überhaupt öffnen. Das ist natürlich sehr praktisch wenn man im Gewächshaus verschiedene Mutantenlinien nebeneinander stehen hat. Eine gegenseitige Bestäubung ist da eher unwahrscheinlich. Um den Fall trotzdem zu vermeiden werden die Pflanzen sicherheitshalber noch in Plastikröhren eingepackt.

Das waren jetzt alles Vorteile für den Forscher, die auf die Lebensweise der Ackerschmalwand als “Unkraut” zurückzuführen sind. Doch es gibt noch weitere Gründe!

Kleines Genom: Mit nur ca. 125 Millionen Basenpaaren ist das Genom von Arabidopsis relativ klein. Das menschliche kommt beispielsweise auf ca. 3 Milliarden Basenpaare. Im Pflanzenreich gibt es aber auch jede Menge Genomriesen, auch unter den Nutzpflanzen: Mais liegt mit 2,4 Gigabasen nahe beim Menschen, Weizen hat dagegen mit 16 Gigabasen mehr als die fünffache Genomgröße des Menschen! Und allgemein gilt: Unabhängig von der Genomgröße haben diese Organismen alle ungefähr die gleiche Anzahl von Genen (das sog. c-value paradox). Bei Arabidopsis muss man also nicht so sehr nach ihnen suchen.

Geringe Chromosomenzahl: Geht in eine ähnliche Richtung wie das kleine Genom. Die Anzahl der Chromosomen kann zwischen den Arten beträchtlich schwanken, und gibt keine Aussage über die Komplexität des Organismus oder die Anzahl der Gene. Weniger Chromosomen erleichtern aber die Arbeit, was bei Arabidopsis mit nur 5 Chromosomen der Fall ist. Ein leicht verständliches Beispiel wäre die mikroskopische Analyse der Chromosomen. Da kann man an wenigen großen Chromosomen einfach mehr erkennen als an vielen kleinen, die dann wohl noch übereinander liegen.

Vollständig sequenziertes Genom: Seit 2000 ist das Genom von Arabidopsis sequenziert, und die Daten liegen frei zugänglich im Internet (z.B. bei TAIR). Das hilft natürlich ungemein, wenn man z.B. einzelne Gene ausschalten will, um deren Funktion zu untersuchen. Aber es muss nicht immer um Gene gehen. Viele Forscher interessieren beispielsweise “egoistische” DNA-Elemente wie Transposons und ihre Evolution.

Genetische Manipulationen: Es gibt jede Menge Techniken, um z.B. Mutanten von Arabidopsis zu erzeugen, oder um neue Gene in Arabidopsis einzubringen und zu untersuchen. Das ist keineswegs in allen Arten der Fall, viele wehren sich regelrecht gegen diese Versuche.

Viele Mutanten erhältlich: Für Arabidopsis wurden von mehreren Gruppen Mutanten erzeugt, in denen jeweils ein Gen ausgeschaltet wurde. Die lagern als Samen in Centern und können problemlos übers Internet gesucht und für wenig Geld bestellt werden.

Das waren doch schon viele Gründe, die für die Verwendung von Arabidopsis als Modellorganismus sprechen. Ein möglicher Einwand habe ich trotzdem noch nicht angesprochen: Wieso soll man an einem Unkraut forschen? Auch wenn es an Nutzpflanzen schwerer geht, sind doch die wirtschaftlichen und sozialen Vorteile gewichtiger, oder? Oder um es ein wenig überspitzter zu formulieren: Machen sich diese Forscher nicht ihre Arbeit zu leicht, und ignorieren im Elfenbeinturm die wirklich drängenden Probleme der Menschheit?
Aber auch dagegen gibt es natürlich ein gutes Argument! Aus Erkenntnissen aus der Arabidopsis-Forschung kann man genausogut auf alle Pflanzen verallgemeinern, wie die Forschung an Bakterien, Hefen oder der Fruchtfliege Drosophila melanogaster zu Erfolgen in der Medizin des Menschen geführt hat. Und es gibt noch eine direktere Rolle. Arabidopsis ist in der Familie der Brassicaceae (Kreuzblütler) eng verwandt mit einer ganzen Reihe von Nutzpflanzen, darunter alle Kohlarten und Raps. Hier sind die Ergebnisse noch unmittelbarer anwendbar.

Man sieht, es zahlt sich aus an Arabidopsis zu forschen, auch wenn sie “nur ein Unkraut” ist. Doch auch in der pflanzlichen Seite der Forschung geht es mit großen Schritten weiter. Seit ein paar Jahren haben sich weitere Arten als Modellorganismen etabliert, darunter Reis (der Grundnahrungsmittel für einen großen Teil der Menschheit darstellt), das Blasenmützenmoos Physcomitrella patens für den einfacheren Bau der Moose, oder die einzellige Grünalge Chlamydomonas reinhardtii. Mittlerweile gibt es von allen diesen Arten zumindest vorläufige Genomsequenzen. Ebenfalls intensiv geforscht wird am Mais (wichtige Nutzpflanze in den USA) und an der Westlichen Balsam-Pappel Populus trichocarpa (als Baum-Vertreter). Und diese größer werdende Zahl von Pflanzen, an denen geforscht wird ermöglicht die Vergleiche zwischen den Arten – was ist allgemein, was ist individuell, was kam wann? Oder kurz gesagt: Es bleibt spannend!

Wer mehr wissen möchte, der sei auf TAIR (The Arabidopsis Information Resource) verwiesen. Dort gibt es nicht nur jede Menge Daten und Tools, die man als Wissenschaftler für die Arbeit mit Arabidopsis so braucht, sondern auch viele Informationen zur Pflanze, ihrem Genom und der Geschichte ihrer Erforschung für Nicht-Wissenschaftler.

Update: Seit dem Verfassen dieses Beitrags bin ich auf ein weiteres sehr spannendes Projekt mit Arabidopsis aufmerksam geworden. Im Rahmen des 1001 Genomes Project sollen von insgesamt 1001 verschiedene Linien, hauptsächlich Ökotypen, von Arabidopsis die Genomsequenzen mit Hilfe der modernen Sequenziermethoden bestimmt werden. Dies hilft nicht nur enorm bei populationsgenetischen Fragestellungen dank der Kenntnis der genetischen Grundlage der phänotypischen Unterschiede innerhalb einer Art. Sogar die Humangenetik, bei der solche Versuche nicht ohne weiteres möglich sind, wird von diesen Daten profitieren können!
Bisher sind 14 Linien fertig sequenziert, die Daten von 3 davon sind bereits veröffentlicht. Und nur dieser kleine Ausschnitt gibt uns bereits tolle Einblicke in den fließenden Bau eines Genoms. Diese drei Linien unterscheiden sich nämlich in zahlreichen Polymorphismen voneinander; nicht nur einzelne verschiedene Basen (SNPs), sondern auch Insertionen und Deletionen – und dabei handelt es sich immer noch um eine Art, Arabidopsis thaliana!

Bildquelle: botanik-fotos.de/

Kommentare (1)

  1. #1 Patrick
    April 11, 2009

    Übrigens gibt es gar kein “Unkraut”. 😉