Künstlerische Darstellung des transneptunischen Objekts Sedna. Über Sednas Aussehen weiß man nicht mehr, als dass sie rötlich wirkt. Bild: NASA/JPL-Caltech/R. Hurt (SSC-Caltech), gemeinfrei.

In der verbotenen Zone

Jenseits der Neptunbahn (30 AE) liegt der Kuiper-Gürtel, eine Zone von großen eisigen Asteroiden, transneptunische Objekte (TNOs) oder Kuiper-Gürtel-Objekte (Kuiper Belt Objects, KBOs) genannt, zu denen unter anderem der Zwergplanet Pluto und seine Monde, sowie die annähernd gleich große Eris gehören. Bei 50 AE ist der Kuiper-Gürtel zu Ende und dahinter sollte bis zur Oortschen Wolke im Bereich zwischen 10.000-50.000 AE eigentlich nichts mehr kommen. Dort treiben sich allerdings ein paar TNOs auf seltsam synchronen Bahnen herum, die so recht nicht zu erklären sind. Das erste Objekt dieser Familie war die 2003 von @plutokiller Mike Brown (ja, genau der Mann, der maßgeblich dafür gesorgt hat, dass Pluto der Planetenstatus aberkannt wurde), Chad Trujillo und David Rabinotwitz entdeckte Sedna, ein Objekt von 1000 km Durchmesser, immerhin von der Größe des größten Hauptgürtel-Asteroiden Ceres. Sedna bewegt sich auf einer exzentrischen, um 11° gegen die Ebene der Planetenbahnen verkippten Bahn zwischen 76 und ca. 900 AE Abstand von der Sonne – fast doppelt so weit von der Sonne entfernt, wie der Pluto, wenn sie wie derzeit der Sonne am nächsten ist. Pluto umkreist die Sonne in 248 Jahren. Sedna benötigt 11.400!

In dieser Entfernung von der Sonne sollte nichts sein – da ist kein Kuiper-Gürtel mehr und noch lange keine Oortsche Wolke. Auch ist keiner der 8 Planeten nahe genug, um einen Asteroiden dorthin zu befördern und seine Bahnebene derart zu verkippen. Anfangs lautete die von Brown und anderen vertretene Hypothese, dass eine enge Begegnung mit einem anderen Stern in der Frühzeit des Sonnensystems Sedna aus der inneren Oortschen Wolke in größere Sonnennähe gebracht haben könnte. Oder dass sie gar von dem anderen Stern herüber gewechselt sei.

Aber Sedna blieb nicht lange alleine. 2012 entdeckten Chad Trujillo und Scott Sheppard ein zweites, halb so großes Objekt, genannt 2012 VP113, das sich zwischen ca. 80 und 430 AE um die Sonne bewegt. Zwei weitere Kandidaten mit mehr als 50 AE Periheldistanz wurden bis 2018 gefunden, die in die gleiche Klasse fallen könnten (Bestätigung steht noch aus). Die Klasse der Objekte mit mehr als 50 AE Periheldistanz und über 150 AE großer Bahnhalbachse wird manchmal inoffiziell als Sednoide bezeichnet.

Außerdem fand man eine weitere 14 Objekte, deren Perihelia zwar noch im Kuipergürtel liegen, die sich aber ähnlich weit wie die Sednoiden von der Sonne entfernen. 12 der Objekte (einschließlich Sedna) haben ähnliche Ausrichtungen der Perihelia ihrer Bahnen und 6 zeigen ähnliche Ausrichtungen der Knotenlinie, d.h. der Schnittlinie ihrer Bahn mit der Ebene der Planetenbahnen. Durch Zufall kann so etwas nicht entstehen und schon gar nicht dauerhaft stabil bleiben. Da muss irgendeine Kraft am Werke sein, die die TNO-Bahnen fortwährend ausrichtet.

 

Planet Neun, verzweifelt gesucht

Mike Brown und Konstatin Batygin schlugen 2016 vor, dass ein großer, neunter Planet in einer mittleren Entfernung von der Sonne von 700 AE, dessen Perihel ungefähr in der Gegenrichtung der Perihelia der genannten TNOs ausgerichtet sei und eine ähnliche Bahnneigung wie diese habe, ihre Bahnen stabilisieren und hervorgebracht haben könne. Dies folgerten sie aus zahlreichen Simulationen, mit denen sie die Konfiguration der Sednoiden und der anderen auffälligen Objekte reproduzieren konnten. Der mutmaßliche Planet solle das Zehnfache der Erdmasse haben, also eine Supererde sein, der in der Frühzeit des Sonnensystems von Jupiter während dessen Wanderung ins äußere Sonnensystem katapultiert wurde. Supererden sind der häufigste Planetentyp, den man aus der Untersuchung von Exoplaneten, also Planeten anderer Sterne als der Sonne kennt, nur seltsamerweise gibt es keinen bekannten Vertreter im Sonnensystem. Seit 2016 suchen Brown und andere nach “Planet Neun”, der vielleicht längst auf irgendeiner Teleskopaufnahme seiner Entdeckung harrt, aber bisher noch nicht als bewegtes Objekt erkannt wurde. Gaia dürfte ihn wohl nicht finden, er ist wahrscheinlich nicht hell genug.

 

Unheimliche Begegnung der stellaren Art

Susanne Pfalzner, Asmita Bhandare (jetzt: MPIA Heidelberg) und Kirsten Vincke vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn sowie Pedro Lacerda von der Queen’s University in Belfast haben nun neue Simulationen vorgestellt, die wiederum die ursprüngliche These eines engen Vorbeiflugs stützen. Ihr Ausgangspunkt war neben der Existenz der Sednoiden1 die relativ abrupt jenseits von 30-35 AE Sonnenabstand um den Faktor 1000 abnehmende Massendichte der Reste der ehemaligen protoplanetaren Scheibe, aus der das Sonnensystem entstand. Betrachtet man nämlich die Scheiben anderer, noch in der Entstehung befindlicher Planetensysteme anderer Sterne, findet man gewöhnlich Scheiben von 150 AE Radius und mehr. Die zu überprüfende Hypothese war: kann die nahe Passage eines Sterns einerseits eine ausgedehnte zirkumstellare (bzw. -solare) Scheibe verkleinern und andererseits Orbits wie die der Sednoiden hervorbringen? Um die Antwort gleich vorweg zu nehmen: Ja, kann sie.

Pfalzner et al. analysierten in ihren Simulationen verschiedene Sternmassen des Störers (0,1 – 50 Sonnenmassen), verschiedene Periastron-Distanzen (nächste Entfernungen, 30-1000 AE), Neigungen der Bahn gegen die Scheibenebene (0°-180°) und Periastron-Winkel2 (0°, 45°, 90°) für eine parabolische Bahn; eine solche ergibt sich, wenn Sonne und der andere Stern aus anfänglicher relativer Ruhe aneinander vorbei fallen, wie das in einem Sternhaufen, in dem die Sterne gemeinsam entstanden sind, zu erwarten ist. Zur Simulation der Scheibe wurden 10.000 masselose Partikel in einer ideal flachen zirkumsolaren Scheibe mit 150 AE Radius und auf kreisförmigen Bahnen um die Sonne (Exzentrizität 0) modelliert. Die Partikelanzahl nahm mit dem Radius linear nach außen ab (proportional zu 1/r). Jede Simulation wurde für verschiedene zufällige Anfangsverteilungen der Partikel 20mal wiederholt. Um die Zahl der Simulationen nicht explodieren zu lassen (es gab alleine 5643 Parameterkombinationen) beschränkte man sich auf solche Kombinationen, bei denen die Masse des Störers und die Periastron-Distanz gemäß einer Schätzformel die zirkumsolare Scheibe bei 30-35 AE kappen sollten.

Hier exemplarisch drei Passagen von Sternen mit 0,5, einer und 5 Sonnenmassen:

Diagramm dreier parabolischer Passagen von Sternen mit (a) 0,5, (b) 1 und (c) 5 Sonnenmassen. Die obere Reihe zeigt die Verteilung der mittleren Orte der Scheibenpartikel und die Exzentrizitäten ihrer Bahnen farbig codiert gemäß der Skala rechts (0=kreisförmige Bahn, 1=parabelförmige Bahn, zwischen 0 und 1 von blau zu grün schmaler werdende Ellipsenbahnen). Die untere Reihe zeigt die Ursprungsorte der Partikel und farbcodiert die Exzentrizitäten, auf denen sie nach der Passage enden. Graue Partikel werden aus der Scheibe abgeräumt. Bild: [1] mit korrigierter Skala (Fehler im arXiv-Preprint).

Diagramm dreier parabolischer Passagen von Sternen mit (a) 0,5, (b) 1 und (c) 5 Sonnenmassen mit 60° Inklination (Verkippung) und 0° Periastronwinkel; die Knotenlinie verläuft also parallel zur x-Achse von links nach rechts durch die Bildmitte, und um diese Linie ist die Bahn um 60° gegen die Scheibe verkippt. Die obere Reihe zeigt die Verteilung der mittleren Orte der Scheibenpartikel sowie die Exzentrizitäten ihrer Bahnen nach der Passage farbig codiert gemäß der Skala rechts (0=kreisförmige Bahn, 1=parabelförmige Bahn, zwischen 0 und 1 von blau zu grün länglicher werdende Ellipsenbahnen). Die untere Reihe zeigt die Ursprungsorte der Partikel vor der Passage und farbcodiert die Exzentrizitäten, auf denen sie nach der Passage enden. Graue Zonen werden aus der Scheibe abgeräumt. Die dunkelgrünen Zonen entsprechen den entstehenden Sednoiden, die blaue Zone der Planetenbahnen wird kaum gestört. Bild: [1] (mit korrigierter Skala: Fehler im arXiv-Preprint).

Wie man an den Bildern sieht, werden die inneren 30-35 AE kaum gestört (blau). Große Teile der Scheibe (grau) werden durch die Passage auf Bahnen mit einer Exzentrizität ≥ 1, also auf Parabel- und Hyperbelbahnen abgelenkt, die die Scheibe verlassen (nur Werte < 1 ergeben geschlossene Ellipsenbahnen um die Sonne). Einige Objekte aus kleinen Zonen innerhalb der Scheibe enden auf Sednoiden-Bahnen mit Exzentrizitäten dicht unter 1 (untere Reihe, dunkelgrün), die sie weit nach außen tragen. Wenn der Stern massiver ist (Spalte c), ist die verbleibende Scheibe kleiner (obere Reihe) als für Sterne geringerer Masse. Die Autoren geben an, dass die Situation im Sonnensystem eher durch Passagen von Sternen mit 0,5-1 Sonnenmassen reproduziert wird. Eine sehr gute Übereinstimmung fanden sie für einen Stern von 0,5 Sonnenmassen, 60° Inklination und 90° Periastronwinkel:

Passage, die das heutige Sonnensystem am besten reproduziert: die Knotenlinie verläuft hier von oben nach unten durch die Bildmitte der beiden linken Grafiken (man beachte die subtile Vertauschung von x- und y-Achse gegenüber den Bildern zuvor), die nicht abgebildete Bahn des Sterns denke man sich von links unten über Mitte rechts (Periastron) nach links oben. Der innere Teil der Scheibe wird wieder kaum gestört, und in einem Bereich jenseits des Kuiper-Gürtels nimmt die Teilchendichte stark ab. Die rote Population mäßiger Exzentrizität verteilt sich weiter als in den anderen Bildern und entstammt einer größeren Zone der Scheibe, etwa gegenüber dem Periastronpunkt (der sich hier der Scheibe weniger annähert). Ganz rechts sieht man das Verhältnis der Bahnhalbmesser nach der Passage (y-Achse) über der ursprünglichen Entfernung (x-Achse). Bei großen Halbachsen werden die Teilchen eher nach innen gelenkt, vor allem solche mit kleinen Exzentrizitäten (hier rot). Bild: [1]

Passage, die das heutige Sonnensystem sehr gut reproduziert: die Knotenlinie verläuft hier von oben nach unten durch die Bildmitte der beiden linken Grafiken (man beachte die subtile Vertauschung von x- und y-Achse gegenüber den Bildern zuvor), die nicht abgebildete Bahn des Sterns denke man sich von links unten über Mitte rechts (Periastron) nach links oben. Der Vorbeiflug erfolgt mit 100 AE Mindestabstand von der Sonne. Der innere Teil der Scheibe, wo auch die Planeten kreisen, wird wieder kaum gestört, und in einem Bereich jenseits des Kuiper-Gürtels nimmt die Teilchendichte stark ab. Die rote Population mäßiger Exzentrizität verteilt sich weiter als in den anderen Bildern und entstammt einer größeren Zone der Scheibe, etwa gegenüber dem Periastronpunkt (der sich hier der Scheibe weniger annähert). Ganz rechts sieht man das Verhältnis der Bahnhalbmesser nach der Passage (y-Achse) gegenüber der ursprünglichen Entfernung (x-Achse). Bei großen Halbachsen werden die Teilchen eher nach innen gelenkt, vor allem solche mit kleinen Exzentrizitäten (hier rot). Bild: [1]

Ist das relevant?

In früheren Arbeiten anderer Wissenschaftler war es nicht gelungen, durch stellare Passagen Sednoide hervorzubringen und die roten “kühlen” Bahnen (geringe Anregung = Exzentrizität) fehlten ganz. Wie man sieht, stammen die Sednoiden aus relativ schmalen Bereichen der Scheibe ziemlich weit außen. Die früheren Arbeiten hatten eine geringere Zahl von Partikeln betrachtet (geringere Auflösung) und gingen von kleineren Scheiben aus. Somit wurden Sednoide und kühle Bahnen nicht gefunden, wie sie im Sonnensystem beobachtet werden.

Die Autoren betonen, dass die oben gezeigte Passage nicht notwendigerweise die optimale Parameterwahl wiedergibt, um die Verhältnisse im Sonnensystem bestmöglich zu reproduzieren, dazu wurden nicht genügend ähnliche Parameterkombinationen getestet und die weitere Entwicklung der Objekte nicht weiter verfolgt. Sie geben einen vermuteten Bereich von 0,3 bis einer Sonnenmasse für einen Stern an, der unser Sonnensystem mit einer ursprünglichen zirkumsolaren Scheibe von mindesten 100-120 AE Halbmesser in 50 bis 150 AE Periastrondistanz mit 50°-70° Inklination und 60°-120° Periastronwinkel passiert haben könnte.

Das nächste Bild soll darlegen, dass die oben modellierte Passage die tatsächlichen Verhältnisse im Sonnensystem hinreichend gut reproduziert. Die kleinen schwarzen Punkte geben Zonen hoher Materiedichte in der Simulation wieder, während Objekte des Sonnensystems mit andersfarbigen Symbolen dargestellt sind. Es werden nur solche Objekte dargestellt, die von Neptun (und anderen Planeten) unbeeinflusst sind. Außerdem werden nur Partikel mit weniger als ca. 80 AE Periheldistanz abgebildet, weil im Sonnensystem weiter entfernte Objekte wegen ihrer geringen Helligkeit schwer auffindbar und mutmaßlich noch unentdeckt sind.

Vergleich der simulierten Partikel (schwarze Punkte) mit Objekten im Sonnensystem (alle anderen Symbole). Oben: Bahnneigungen über der Bahnhalbachse, (Inklinationen), Mitte: Bahnexzentrizitäten über der Bahnhalbachse, unten: Exzentrizitäten über den Periheldistanzen (schräge Geraden: Bahnhalbachsen).

Vergleich der simulierten Partikel (schwarze Punkte) mit Objekten im Sonnensystem (alle anderen Symbole). Oben: Bahnneigungen (Inklinationen) über der Bahnhalbachse, Mitte: Bahnexzentrizitäten über der Bahnhalbachse, unten: Exzentrizitäten über den Periheldistanzen (schräge Geraden: konstante Bahnhalbachsen).

Die simulierten Punkte passen ganz gut zu den beobachteten Objekten, bis auf einen Bereich mit großen Halbachsen zwischen 100 und 200 AE und geringen Inklinationen (siehe Bild (a), Mitte unten) und hohen Exzentrizitäten (Bild (b), bei 150 AE), die keine Entsprechungen im Sonnensystem haben. Die Autoren wollen zukünftig untersuchen, ob diese Population stets auftritt oder ein Artefakt ihrer speziellen Parameterwahl ist.

Schließlich ergaben die Simulationen, dass die Passage Material in der Scheibe nach innen verschiebt, in den Bereich der Umlaufbahn des Neptun (30 AE  Sonnenabstand) (Bild unten).

 

Wanderung des Scheibenmaterials durch die Passage in der Simulation. Links: minimaler Sonnenabstand nach der Passage über dem vor der Passage aufgetragen. Die Häufung zeigt an, dass viel Material aus entfernteren Zonenvon 50-160 AEauf 35-40 AE verschoben wird. Rechts: Dichteverteilung in der Scheibe vor (blau) und nach der Passage; andere Darstellung, gleicher Trend. Bild: [1]

Wanderung des Scheibenmaterials durch die Passage in der Simulation. Links: minimaler Sonnenabstand nach der Passage über dem vor der Passage aufgetragen. Die Häufung zeigt an, dass viel Material aus entfernteren Zonenvon 50-160 AEauf 35-40 AE verschoben wird. Rechts: Dichteverteilung in der Scheibe vor (blau) und nach der Passage; andere Darstellung, gleicher Trend. Bild: [1].

Nicht nur kleckern…

Damit könne man, so die Autoren, erklären, warum Neptun (30 AE Sonnenabstand) mit 17 Erdmassen schwerer sei als Uranus (20 AE) mit 13, obwohl in der Scheibe weiter innen eigentlich mehr Materie sein sollte, und sogar das Große Bombardement (engl. Late Heavy Bombardment) ließe sich so begründen. Im bisher favorisierten Nizza-Modell (benannt nach der Stadt an der Côte d’Azur, wo das Modell entwickelt wurde) und den aktuellen daraus abgeleiteten Varianten nimmt man an, dass die Planeten in Wechselwirkung mit dem Scheibenmaterial wanderten, wobei Jupiter und Saturn ein wenig nach innen und Uranus und Neptun weit nach außen wanderten. Der ursprünglich weiter innen befindliche Neptun passierte den weiter außen liegenden Uranus und wurde zum äußersten Planeten. Die großen Gasplaneten sendeten eine Menge Material nach innen Richtung Sonne und bombardierten so die inneren Planeten mit Asteroiden, die unter anderem dem Mond sein pockennarbiges Gesicht verpassten und auch die Erde malträtierten, auf der die Geologie die meisten Spuren jedoch längst wieder getilgt hat.

Den Autoren gemäß könnte der passierende Stern das Late Heavy Bombardment ausgelöst haben und durch die Verdichtung der Scheibe bei 30-40 AE den Neptun größer werden haben lassen, als es in einer ungestörten Scheibe zu erwarten gewesen wäre.

 

Wie sieht’s mit der Plausibilität aus?

Wäre nun eine solche Passage ein seltenes Ereignis? Eine Passage innerhalb von 100 AE ist heutzutage ein eher seltenes Ereignis. Die Situation stellt sich vollkommen anders dar, wenn man in die Frühzeit des Sonnensystems zurück schaut, als die Sonne in einem Sternhaufen mit zahlreichen Geschwistern entstand. Die Wahrscheinlichkeit von Sternbegegnungen, die die Scheibe bei 30-50 AE beschneiden würden, hätte in einem Sternhaufen ähnlich demjenigen im Orionnebel in den ersten 100.000 Jahren über 10% pro Million Jahre betragen und wäre innerhalb der ersten Million Jahre auf 1% gefallen (Bild unten). Bei 2 Millionen Jahren hätten die OB-Sterne begonnen, das verbliebene Gas wegzublasen, somit die Masse und damit Gravitation des Sternhaufens vermindert und die Sterne sich demgemäß voneinander entfernt, wodurch die Begegnungsrate noch einmal um den Faktor 10 gefallen und danach weitgehend konstant geblieben wäre.

Wahrscheinlichkeit für eine enge Begegnung wie in der vorgestellten Arbeit innerhalb eines Sternhaufens wie dem im Orionnebel über die Zeit geplottet. Die Einheit an der y-Achse zeigt die erwartete Häufigkeit für eine Begegnung je 1 Million Jahre an. Die gestrichelte Linie bei 2 Millionen Jahren markiert den Zeitpunkt, wenn blaue Riesen das Gas des Sternhaufens wegzublasen beginnen. Bild: [1].

Wahrscheinlichkeit für eine enge Begegnung (wie in der vorgestellten Arbeit betrachtet) innerhalb eines Sternhaufens wie demjenigen im Orionnebel über die Zeit geplottet. Die Einheit an der y-Achse zeigt die erwartete Häufigkeit für eine Begegnung je 1 Million Jahre an. Die gestrichelte Linie bei 2 Millionen Jahren markiert den Zeitpunkt, wenn blaue Riesen das Gas des Sternhaufens wegzublasen beginnen. Bild: [1].

Damit wäre eine enge Begegnung in der ersten Million Jahre mit nur 3%-5% zu erwarten, innerhalb der ersten 10 Millionen Jahre mit 5%-7%. Das Problem ist allerdings, dass ein Objekt wie Sedna möglicherweise um die 5 Millionen Jahre zur Entstehung benötigt (so genau weiß man es nicht), dann sinkt die Wahrscheinlichkeit für eine Begegnung in den folgenden 5 Millionen Jahren drastisch. Da die Häufigkeit pro Million Jahren nach 10 Millionen Jahren aber weitgehend stagniert, wird sie über lange Zeiträume von 1 Milliarde Jahre dann doch wieder signifikant mit 20%-30%. Das Late Heavy Bombardment soll etwa 600 Millionen Jahre nach der Entstehung des Sonnensystems stattgefunden haben.

 

Und was ist jetzt mit Planet Neun?

Das Passagemodell soll also das Nizza-Modell überflüssig machen, das Late Heavy Bombardment erklären und überdies noch die Bahnen der TNOs, die Batygin und Brown auf die Rechnung von Planet 9 schreiben. Eine starke Behauptung. Ist Planet 9 damit Geschichte?

Die Autoren schreiben selbst, dass ein Planet in der Gegend von 50-70 AE auf einer kreisförmigen Bahn entstanden und durch die Passage auf eine elliptische Bahn mit großer Sonnenferne geraten sein könne. Bei 50-70 AE Anfangsentfernung erwartet man aber eher die Entstehung eines Planeten von 1-2 Erdmassen statt 10, wie Brown und Batygin ihm zuschreiben. Er könnte die Sednoiden dann nicht auf ihre Bahn gebracht haben, diese aber stabilisieren und synchronisieren. Denn dazu bedarf es immer noch eines Planeten; die Bahnen der bei der Passage entstandenen Sednoiden hätten sich längst gegeneinander verdreht, wenn sie nicht bis heute noch synchronisiert würden.

Im Gegensatz zur Urform (1984) produzieren aktuelle Varianten des Nizza-Modells die Bahnen der transneptunischen Objekte auf “kalten” und “heißen” Bahnen mindestens gut wie das Passagenmodell, und sie sind besser untersucht. Die Sednoiden erklärt der ohnehin unerlässliche Planet 9. Daher bedarf es wohl weiterer Belege, um das Passagenmodell attraktiv zu machen. Außergewöhnliche Behauptungen bedürfen halt außergewöhnlicher Belege.

 

Referenzen

[1] Susanne Pfalzner, Asmita Bhandare, Kirsten Vincke, Pedro Lacerda, “Outer solar system possibly shaped by a stellar fly-by“, The Astrophysical Journal Volume 863, Number 1, 09.08.2018. Draft: arXiv:1807.02960.

[2] Pressemeldung, “Auswirkung eines stellaren Eindringlings auf unser Sonnensystem“, Max-Planck-Institut für Radioastronomie Bonn, 09.08.2018.

 

 

1 Die Autoren fassen alle TNOs mit großen Aphelia (sonnenfernste Bahnpunkte) > 150 AE und Perihelia > 30 AE in diese Klasse, nicht nur die mit Perihelia jenseits 70 AE, wie dies üblich ist; Objekte mit Perihelia von 30 AE sind aber noch im Bereich des Neptun (30 AE Bahnhalbmesser) und könnten von ihm auf ihre Bahnen gebracht worden sein.

2 Der Periastron-Winkel gibt an, wie die Richtung des Periastrons in der Bahnebene des Sterns liegt. Man denke sich die Scheibenebene und schräg verkippt diese schneidend die Ebene, in der sich der Stern bewegt; die Schnittlinie der Ebenen ist die Knotenlinie. In der Bahnebene des Sterns denke man sich eine Parabel oder Hyperbel gezeichnet. Der Periastron-Punkt ist da, wo Parabel bzw. Hyperbel die stärkste Krümmung haben, wo sie am stärksten die Richtung ändern. Bei einem Periastron-Winkel von 0° (oder 180°) weißt diese Richtung genau entlang der Knotenlinie. Bei 90° (oder 270°) weißt sie senkrecht zur Knotenlinie. Siehe auch Wikipedia (der Periastronwinkel ist mit ω bezeichnet, die Knotenlinie verläuft zwischen absteigendem ☋ und aufsteigendem Knoten ☊).

Kommentare (24)

  1. #1 Talstein
    Berlin
    22. August 2018

    Wieso kann man nicht, ähnlich wie damals bei Neptun, die Bahn und somit Position eines möglichen Planeten Neun berechnet?

  2. #2 Jens
    22. August 2018

    Kann man den Stern der das Sonnensystem evtl. passiert hat heute in der Nähe der Sonne noch nachweisen?

  3. #3 Alderamin
    22. August 2018

    @Talstein

    Man versucht das ja, aber es ist ungleich schwieriger als bei Neptun.

    Vor der Entdeckung Neptuns hatte man Uranus (1781 entdeckt) schon über einen halben Umlauf (Umlaufzeit 86 Jahre) beobachtet und seine Bahn genau vermessen. Zufälligerweise überholte ca. 1820 der Uranus den Neptun gerade innen auf seiner Bahn, was den Uranus zuerst beschleunigte und dann verlangsamte, wie man 1821 erstmals bemerkte. Daraus konnte man rückschließen, wo ungefähr die Gravitationsquelle sein musste, die die Bahn beeinflusste und dann die Gegend am Himmel absuchen. 1846 wurde Neptun dann gefunden; er ist schon in einem gewöhnlichen Fernglas zu sehen (allerdings gab’s damals noch keine Fotoplatten, die man hätte vergleichen können, man musste mit Sternkarten und dem bloßen Auge suchen).

    Beim vermuteten Planet 9 hat man eine grobe Idee der Bahn aufgrund der Simulationen, mit denen sich die Bahnen der synchronisierten TNOs reproduzieren lassen. Die Umlaufzeit beträgt demnach in der Größenordnung von 20.000 Jahren und er befindet sich vermutlich in der Nähe seiner größten Sonnenentfernung, denn wäre er nahe, hätten ihn automatische Überwachungssysteme schon aufspüren müssen. Unglücklicherweise befindet sich diese Gegend mitten vor der Milchstraße. Planet 9 ist wahrscheinlich zu dunkel für Gaia, und Gaia sieht bereits knapp 2 Milliarden Sterne. Daraus kann man vielleicht ermessen, dass die Suche nach Planet 9 ungleich schwieriger ist als die nach Neptun. Trotz all der Technik, die wir heute haben.

    Aber ja, man versucht den Suchbereich durch Bahnberechnungen einzuschränken und sucht gezielt gewisse Gebiete ab.

  4. #4 Alderamin
    22. August 2018

    Nein, da das ganze vor Milliarden Jahren stattgefunden hat, keine Chance. Es ist nicht einmal ein einziger Stern bekannt, der mit der Sonne damals zusammen im gleichen Sternhaufen entstanden ist. Die Milchstraße hat sich seitdem schon 20mal gedreht und die Sterne wurden weit verstreut und können jetzt überall in der Milchstraße verteilt sein. Mithilfe von Gaia können wir nur die nächsten und kürzlich zurückliegenden Begegnungen während eines zeitraums von ein paar Millionen Jahren bestimmen, und diese sind fast 1000mal weiter (gewesen) als die hier angenommene Passage.

  5. #5 Dampier
    22. August 2018

    Sehr schöner Artikel. Hab ihn gestern Nacht noch als Bettlektüre genossen.

    Es ist nicht einmal ein einziger Stern bekannt, der mit der Sonne damals zusammen im gleichen Sternhaufen entstanden ist.

    Ich erinnere mich, gelesen zu haben, dass man “Geschwister der Sonne” gefunden hätte. Unter dem Suchbegriff findet man einiges von 2014. HD 162826 … ?

  6. #6 Dampier
    22. August 2018

    Das schöne ist, dass man deinen Artikeln, auch wenn sie wissenschaftlicher sind als zB. die von Florian, trotzdem gut folgen kann, auch wenn man nicht jede Grafik bis ins Detail versteht. Auch ne Kunst :))

  7. #7 roel
    22. August 2018

    @Alderamin

    Erstmal sehr schöner ausführlicher Artikel. Ich hatte den in 2 Teilen gelesen. Zwischendurch war er offline, hatst du da etwas geändert?

    “Es ist nicht einmal ein einziger Stern bekannt, der mit der Sonne damals zusammen im gleichen Sternhaufen entstanden ist.”

    Wie kann man solche Sterne erkennen, die im gleichen Sternenhaufen entstanden sind? Das ist vielleicht auch eine Frage zu “Schreib’ doch mal was zu…”

  8. #8 Alderamin
    22. August 2018

    @Dampier

    Hab ihn gestern Nacht noch als Bettlektüre genossen.

    🙂 Ach, Du bist das… 😉

    Frage mich manchmal, wer noch später als ich ins Bett geht und meine in der Nacht fertiggestellten Artikel noch liest. Ich kann in der Statistik die Zahl der Klicks abrufen, es kommen um 1:00 in der Nacht problemlos mehr als 50 in einer halben Stunde zusammen. Und nicht etwa aus Übersee, sondern aus D-A-CH. Gibt anscheind viele Nachtschichtler, die mitlesen.

    Kleines Sorry wegen der ganzen Tippfehler, die noch drinsteckten. Zum in Ruhe Korrekturlesen fehlt mir nachts die Zeit, aber ich möchte den Artikel, den ich am Abend geschrieben habe dann endlich einstellen. Am nächsten Morgen springen mich die Fehler dann an, dann korrigiere ich nach, was ich noch finde.

    Ich erinnere mich, gelesen zu haben, dass man “Geschwister der Sonne” gefunden hätte. Unter dem Suchbegriff findet man einiges von 2014. HD 162826 … ?

    Dass man nach Geschwistern der Sonne gesucht hat, habe ich auch mal gelesen, aber die Evidenz ist bei den wenigen Kandidaten doch sehr vage.

  9. #9 Alderamin
    22. August 2018

    @roel

    Zwischendurch war er offline, hatst du da etwas geändert?

    Geändert ja, s.o., aber richtig offline genommen habe ich ihn nicht, nur upgedatet. Anscheinend kann man während des kurzen Updates (dauert kaum länger als einen Kommentar einzustellen) nicht auf den Artikel zugreifen. Einfach nochmal versuchen.

    Wie kann man solche Sterne erkennen, die im gleichen Sternenhaufen entstanden sind? Das ist vielleicht auch eine Frage zu “Schreib’ doch mal was zu…”

    Gemeinsame Bewegung im Raum, gleiches Alter, gleicher Metallgehalt, gleiche Isotopenzusammensetzung. Letzteres ist wohl auf die Ferne schwer feststellbar(?), bei Meteoriten ist das der Köngisweg. Ja, wäre auch ein Thema.

  10. #10 Gustav
    22. August 2018

    Naja, so vage ist das auch nicht. Gleiche Metallizität und eine Bahn, die einen gleichen Ursprung vermuten lässt.
    https://arxiv.org/abs/1405.1723

    Es gilt als zumindest wahrscheinlich, dass sich Sonne und HD 162826 gemeinsam in einem offenen Sternhaufen befanden, so sdw, https://www.spektrum.de/news/ursprung-der-sonne/1285567

    Die Kollegen von der University of Texas at Austin spricht von “almost certainly”. https://www.natureworldnews.com/articles/6974/20140509/astronomers-find-suns-sibling-called-hd-162826.htm

  11. #11 Alderamin
    22. August 2018

    @Gustav

    Danke!

  12. #12 ralfkannenberg
    Zürich
    23. August 2018

    Hallo Alderamin,

    eine Korrektur und eine Frage: 2012 VP113 hat eine grosse Halbachse von ~256 AU, nicht ein Aphel in dieser Distanz. Zudem ist da noch ein Zahlendreher, also 256 AU statt 265 AU (siehe Datenbank des MPC). Zum anderen: Du schreibst, dass bis 2018 zwei weitere TNO mit Perihelia über 85 AU gefunden worden seien. Wie kommst Du darauf: beziehst Du Dich auf den Artikel im Sky&Teleskope, bei dem offensichtlich eine Verwechslung bei V774104 vorliegt, oder beziehst Du Dich auf die TNO-Konferenz im März, in der Scott Sheppard geschrieben hat: “trying to cover more sky to make a survey that is more uniform in longitude of perihelion. 97 discoveries at d > 50 au (only track these ones). New TNO with 3-year arc, q = 65 au, d=83 au, Q ~ 2000 au, long-term stable orbit” ?

    Freundliche Grüsse, Ralf

  13. #13 Alderamin
    23. August 2018

    @ralf kannenberg

    2012 VP113: Ja, große Halbachse und Aphel habe ich hier verwechselt. Die englische Wikipedia gibt aber 265,8 AE gr. Halbachse an, nicht 256. Daher stammt die Zahl.

    Ich schaue gleich auf der MPC-Seite von 2012 VP113 nach, sie antwortet im Moment anscheinend nicht.

    Du schreibst, dass bis 2018 zwei weitere TNO mit Perihelia über 85 AU gefunden worden seien. Wie kommst Du darauf:

    Ich beziehe mich auf diese Liste hier, mit V774104 und dem 4. dort gelisteteten, unbenannten Sednoiden, der anscheinend schon 2015 entdeckt, aber erst im März 2018 von Sheppard bekannt gegeben wurde.

  14. #14 ralfkannenberg
    Zürich
    23. August 2018

    “Ich beziehe mich auf diese Liste hier”

    ja, und diese Liste habe ich geschrieben … – man kann das auf der WP im “Talk” alles nachlesen. Ich habe einmal Meg Schwamp (Entdeckerin des drittgrössten bekannten TNO (225088) 2007OR10) angemailt, sie wusste aber auch nichts genaueres. Und was V774104 anbelangt, so vermute ich, dass der kein Sednoid ist, sonst wäre das nach 3 Jahren Beobachtungszeit längst kommuniziert worden. Nicht-Sednoiden sind aber derzeit nicht sonderlich “interessant”; kommt hinzu, dass von den 26 grösseren TNO (H kleiner 5.2mag) lediglich zwei ein Perihel über 60 AU haben und zwei weitere 4:1-Resonanzkörper der “Buffy-Gruppen” sind, deren Aphelia knapp jenseits der 100 AU-Marke liegen und die also auch keine “extremen” Umlaufbahnen mit a über 150 AU aufweisen. Die übrigen 22 TNO sind gewöhnliche KBO mit Perihelia kleiner 40 AU, also “Eris-artige” KBO, von denen einige wenige grosse Aphelia haben.

  15. #15 ralfkannenberg
    23. August 2018

    “die nun alle als Sednoide bezeichnet werden”

    Hallo Alderamin,

    was soll ich nun hierzu sagen ? Grundsätzlich gebe ich Dir recht, doch wird diese Wortwahl in der Wissenschaft so nicht verwendet. Statt uns hier nun in Bürokratie zu verlieren macht es mehr Sinn, sich zu überlegen, was denn die Idee dahinter ist, denn diese ist sehr einfach: man versucht TNOs zu betrachten, die sich “möglichst” weit ausserhalb des Einflusses der grossen Planeten befinden. Idealerweise also haben die ein hohes Perihel weit jenseits des “Kuiper-Cliffs” bei 47 AU. Doch leider sind sie auch weit weg – die Helligkeit eines reflektierten Körpers nimmt zum Abstand in der 4. (!!) Potenz ab, d.h. sie sind entsprechend schwer zu finden. Kommt hinzu, dass sie sich auch nur sehr langsam vor dem Sternenhintergrund bewegen – das war ja schon ein Problem bei der Entdeckung der Eris. Man kann aber auch Aussagen gewinnen mit TNO, die “die meiste Zeit” weit weg von den grossen Planeten sind und das sind eben diese “extremen TNO”, also je nach Autor solche mit Grosser Halbachse grösser 150 AU oder mit Grosser Halbachse grösser 250 AU.

    Auch die Niku- und Drac-artigen sind durchaus geeignet für solche Untersuchungen; zwar liegen ihre Perihelia in der Nähe des Uranus, sie sind also genau genommen Zentauren, doch sind sie fast senkrecht zur Ekliptik und somit ebenfalls die meiste Zeit weit entfernt von den grossen Planeten.

    Zurück zu den “Sednoiden”: von denen kennt man zu wenige, als dass man von Clustering der Bahnelemente sprechen könnte. Aber die “extremen” TNO, also solche mit Grossen Halbachsen über 150 AU und Perihelia wenigstens “ein bisschen” weiter vom Neptun entfernt, zeigen auch dieses Clustering einiger Bahnelemente, und diese werden dann oftmals auch als “Sednoiden” bezeichnet, obgleich sie tiefe Perihelia sogar noch innerhalb des Kuiper-Cliff haben und entsprechend keine Sednoiden sind.

    Es gibt dann noch die Buffy-Gruppe: auch diese sind in der Nähe bzw. ausserhalb des Kuiper-Cliff, weisen aber eine stabile 3:1 oder eine 4:1 Umlaufbahnresonanz zum Neptun auf oder eine etwas ungünstigere Umlaufbahnresonanz ~ 5:2, letztere mit einer Bahnneigung über 40°. Diese haben stabile Umlaufbahnen, alles ist erklärbar, d.h. sie sind interesant, haben hohe Perihelia, geben aber keine Auskunft über einschneidende Ereignisse in der Vergangenheit des Sonnensystems.

    Freundliche Grüsse, Ralf

  16. #16 Alderamin
    23. August 2018

    @ralfkannenberg

    Der Begriff “Sednoide” wurde von den Autoren des hier behandelten Papiers verwendet, allerdings für ca. 20 Objekte, die auch Perihelia bis hinunter zu 30 AE haben (Fußnote 2). Ich habe mich daher im zweiten Teil der Arbeit an diese Nomenklatur gehalten, im ersten aber an die laut Wikipedia, worunter Objekte weit außerhalb des Kuipergürtels und mit 10°-30° Inklination gefasst sind; diese befinden sich unzweifelhaft in einer Zone, in die sie keiner der bekannten Planeten gebracht haben kann, deswegen stellte ich diese voran. Außerdem gab es diesen “Sednoiden”-Wikipedia-Eintrag.

    Ich bin kein Wissenschaftler und halte mich einfach an die Bezeichnungen laut Quellen.

  17. #17 ralfkannenberg
    23. August 2018

    Hallo Alderamin,

    ich weiss, allerdings wird im WP-Artikel über die Sednoiden als Kriterium auch ein hohes Perihel von über 50 AU genannt. Heikel, weil die Inner Oort Cloud-Planetoiden der inneren Gruppe fast bis an diese 50 AU heranreichen. Vermutlich wäre es besser, den Senoiden-Begriff zu streichen und durch verschiedene Gruppen von Inner Oort Cloud-Planetoiden zu ersetzen. – Der von Scott Sheppard genannte aber noch nicht beim MPC geführte “3.Sednoid” ist übrigens ein bisschen ein Zwitter, denn gemäss der Arbeit “The Radial Distribution of the Kuiper Belt (Chadwick A. Trujillo and Michael E. Brown”), siehe: https://iopscience.iop.org/article/10.1086/320917/meta, werden dort eigentlich keine TNO erwartet. Allerdings ist diese Arbeit schon ziemlich alt noch aus der Vor-Sedna-Ära und wird wohl kaum mehr wirklich aktuell sein.

    Freundliche Grüsse, Ralf

  18. #18 Alderamin
    24. August 2018

    @ralfkannenberg

    Ich habe es ein wenig umformuliert und den Begriff vorsichtiger definiert. Ganz streichen will ich ihn aber nicht, weil er im Paper so verwendet wird (wobei ich ja in der Fußnote sage, dass die Autoren ihn wieder anders verwenden als die Wikipedia ihn definiert). Jetzt noch diverse Klassen einführen, die im Paper gar nicht erwähnt werden, halte ich für wenig hilfreich.

    Wenn Du magst, kannst Du gerne mal einen Gastartikel über die verschiedenen TNO-Klassen schreiben, scheinst Dich ja sehr gut auszukennen. Nur als Vorschlag.

  19. #19 ralfkannenberg
    24. August 2018

    Hallo Alderamin,

    danke für Deinen Vorschlag, aber das ist viel zu zeitaufwändig. Insofern bewundere ich die grosse Arbeit, die Du hier geleistet hast. Schon das Ergänzen – und ich spreche noch nicht vom Erstellen ! – eines Wikipedia-Artikels dauert üblicherweise mehrere Stunden. Ich muss mich also darauf beschränken, Fragen zu stellen und bestenfalls zusätzlichen Input geben zu können.

    So habe ich gesehen, dass Du geschrieben hast, dass Susanne Pfalzner, Asmita Bhandare, Kirsten Vincke et al. noch einen weiteren Ausgangspunkt neben den Sednoiden verwenden, nämlich diese rasche Massenabnahme jenseits der Neptunbahn. Die Autoren nutzen auch noch einen 3.”Ausgangspunkt”, und das sind die hohen Bahnneigungen und Exzentrizitäten, die die meisten KBO aufweisen. Gerade das mit den Bahnneigungen ist sehr interessant, denn beispielsweise haben die regulären Monde der Planeten, die sich ja auch aus eine zirkumplanetaren Scheibe gebildet haben dürften, durchwegs sehr kleine Bahnneigungen gegen die Äquatorialebene ihres Mutterplaneten, also völlig andersartige Umlaufbahnen als die KBO.

    Freundliche Grüsse, Ralf

  20. #20 UMa
    4. Oktober 2018

    Hallo Alderamin,
    ein dritter Sednoide wurde bekannt gegeben. 2015 TG387 mit einem Perihel von 65 AE.
    https://arxiv.org/abs/1810.00013

  21. #21 Alderamin
    4. Oktober 2018

    @UMa

    Hab’ ich gestern Abend gesehen. Aphel 5300 AE oder so. Krass.

  22. #22 UMa
    5. Oktober 2018

    @Alderamin:
    Ist das ein weiteres Objekt?
    Oder eine ältere Angabe?
    Im Paper ist für 2015 TG387 a=1190+-70 AE, also Aphel bei ca. 2400AE, nach MPC Aphel bei 2123 AE.
    https://www.minorplanetcenter.net/db_search/show_object?object_id=2015+TG387&commit=Show

    Dann gibt es noch 4 mit einem größeren Aphel, aber deutlich kleinerem Perihel.
    2017 MB7 q=4.4 AE, Q=7094 AE
    2012 DR30 q=14.6 AE, Q=3199 AE
    2014 FE72 q=36.3 AE, Q=2995 AE
    2016 FL59 q=20.6 AE, Q=2454 AE
    dann kommt 2015 TG387.

  23. #23 Alderamin
    5. Oktober 2018

    @UMa

    Nein, ich meinte “The Goblin”, 2015 TG387. Ok, waren doch nur 2300 AE, falsch erinnert.

  24. […] Sonne entfernt wie Pluto und gehört damit zu den Transneptunischen Objekten (TNOs), über die ich kürzlich schon schrieb. Da diese sich aufgrund der dort draußen nur noch geringen Schwerkraft der Sonne nur sehr langsam […]