Naturwissenschafts-Begeisterte sind oft auch Fans von elektronischer Musik. Wer sich unter den Lesern angesprochen fühlt, für den habe ich ein paar Hörtipps, die mir auf Youtube über den Weg gelaufen sind.
Musik wie Vangelis
Zum einen Michael Daniels aus Irland, der mir durch seine hervorragenden Cover-Versionen von Vangelis, Jean-Michel Jarre und anderen Elektronikgrößen auf Youtube aufgefallen ist, die von den Originalen oft nicht zu unterscheiden sind. Das ist umso erstaunlicher weil er gar nicht die Instrumente der Meister zur Verfügung hat, und die betreffenden Synthesizer gibt es schon lange nicht mehr. Er hat die Sounds aber auch nicht gesampelt, sondern durch viel Experimentiererei nachgebastelt (wie er im folgenden Video erahnen lässt).
Sein Spiral-Cover klingt fast noch besser als das Original:
Musik perfekt imitieren ist die eine Sache – er macht aber auch eigene Musik, die er zunächst auf seinem Youtube-Channel mik300z veröffentlicht hatte, und im Januar 2013 auf zwei selbst produzierten Alben (“Atlantic Edge” und “Strange Shores“) veröffentlicht. Wegen der schweren Krankheit und dem Tod seiner Frau wurde es aus verständlichen Gründen eine Weile ruhiger auf seinem Kanal, aber 2016 und 2017 kamen neue Alben heraus, “Circuits of Stars” und “Themes & Dreams”.
Circuits of Stars
“Circuits of Stars” eröffnet mit “Stargate“, das enorm an Vangelis’ Original-Blade-Runner-Soundtrack erinnert und dessen Stimmung perfekt nachahmt. Das zweite Stück “Astrotwin” kommt flotter daher und erinnert an Stücke von Vangelis von “1492 – Conquest of Paradise” oder “Oceanic”. Stück Nr. 7, “4891” klingt, als ob es dem Soundtrack von John Carpenters “Klapperschlange” (im Original: “Escape from New York”) entstammt, nur etwas flotter. Nr. 8, “Synaethesia” kommt ein wenig auf Tangerine Dreams Album “Ricochet”. Das Album ist ingesamt professioneller produziert als die ersten beiden (insbesondere bei “Atlantic Edge” klingen einige Songs am Ende wie abgewürgt, was ein wenig die vorher aufgebaute Stimmung zerstört). Hier hatte er laut digitalem Album-Heftchen auch professionelle Unterstützung eines Studios in Kilkenny, was man hören kann.
Themes & Dreams
Auf “Themes & Dreams” von 2017 finden sich die besten Stücke von Daniels aus dem vorangegenen Jahrzehnt, darunter viele Cover-Versionen von Elektronik-Klassikern. Das Album eröffnet mit einem Mashup (Video) aus New Orders “Blue Monday” und The Alan Parsons Projects’ “Lucifer”, sehr gut gelungen, wie ich finde. Es folgt ein kurzes Cover von “Love is” von Jon & Vangelis, nur ohne den Gesang von Jon Anderson, aber Vangelis’ Synthesizer perfekt imitierend. Stück 5 ist ein wunderbares Cover von Tangerine Dreams Logos (Video). Überhaupt erst durch Daniels Cover (Video) habe ich das Stück “Stuntman” von Edgar Froese (TD-Kopf bis zu seinem Tod 2015) kennen gelernt – einer meiner Favoriten auf dem Album. Sogar Magic Fly (Video) von Space ist mit dabei (wer kennt das Stück von 1977 noch? War damals äußerst spacig) und eine Club-Version (!) von Vangelis’ “Bounty” (die näher am Original befindliche Version gibt’s auf Youtube).
Ein paar Eigenkompositionen sind natürlich auch mit dabei, und die sind nicht die schlechtesten. Colours of the Orient (Video) ist ein Song, der keinem mir bekannten Künstler ähnelt und hält, was der Titelname verspricht. Sundog (Video) ist ein fröhlicher Song im Stil des 80er Synthpop, während man mit Lost Horizon (im Stil von Vangelis’ Bounty-Opener) einen Thriller untermalen könnte.
Alle Alben kann man auf Bandcamp komplett kostenlos anhören und zum Download kaufen – für 7€-10€ das Stück oder freiwillig mehr, wenn man möchte – was absolut verdient wäre – die Studioaufnahmen werden wohl nicht kostenlos gewesen sein. Man kann auch gleich alle 4 Alben und den jüngsten, seiner Frau gewidmeten Song Iolaire für 19,53€ herunterladen. Ein echtes Schnäppchen für so viel gute Musik.
Space Ambient von der anderen Insel
State Azure ist ein Musiker aus Southhampton, UK, der Space-Ambient-Musik macht – sehr ruhige, melodische Instrumentalmusik, die man am besten im Dunklen mit Kopfhörern hört und seine Gedanken treiben lässt. Oder als Untermalung zur BR Space Night oder NASA-Videos von den Sonden Voyager oder Cassini. Sie eignet sich aber auch perfekt als Hintergrund bei der Arbeit, beim Lesen oder beim Autofahren. Sie lenkt nicht ab, stört niemals und erzeugt eine beruhigende Stimmung. Ein paar Stücke vom Briten finden sich auf seinem Youtube Channel, aber die volle Sammlung gibt’s wieder auf Bandcamp, wo man alles kostenlos anhören kann.
Und kaufen. Was ich zuerst gar nicht wahrhaben wollte ist, dass State Azure seine gesamte Discographie – 10 Alben, ein 30-Minuten-Stück – für nur £5,40 GBP geradezu verramscht – das sind gerade mal 6,34 Euro nach aktuellen Kurs! Viele Alben kann man ab 0 € downloaden.
Ich habe deutlich mehr bezahlt und es tut mir leid, dass ich ihm nicht noch viel mehr für die 12h50 wundervoller atmosphärischer Musik gezahlt habe, durch die ich mich jetzt durchhören darf. Besonders gut gefällt mir sein Auftaktalbum “Outlines” von 2011, darauf zum Beispiel Converging oder Time Invariant, das stark von Schiller inspiriert erscheint. An zweiter Stelle folgt bei mir das Album Phantoms von 2016, das noch mehr Ambient-betont ist. Der Opener Empyrean unterstreicht das sofort. Stealth hat einen wunderbaren Tiefbass, den man mit großen Boxen oder Kopfhörern genießen sollte. Das Titelstück Phantoms hat einen flotten, fast tropischen Percussion-Rhythmus.
Richtig spacig wird es auf dem neuesten Album Modular Works II von 2019, auf dem einige Titel nach Saturnmonden benannt sind. Rhea, bei dem die Spannung teilweise buchstäblich knistert, wäre die perfekte Untermalung für ein Cassini-Video, das einen Vorbeiflug am Mond vor dem Planeten im Hintergrund zeigt. Oder für einen Science-Fiction-Film. Auch hier ist der Tiefbass klasse.
In den 70ern und 80ern war elektronische Musik sehr angesagt, und sie gefällt mir heute noch wie eh und je. Außer Schiller kommt aber heutzutage nicht mehr viel nach. Die neuen Stücke von Jean-Michel-Jarre gefallen mir nicht so und Tangerine Dream hat schon lange ihre große Zeit hinter sich (jetzt unter Thorsten Quaeschning, aber das war auch schon länger so unter Froese) und die Band spielt heute am besten ihre eigenen Cover aus früheren Zeiten. Vangelis produziert nur noch alle Jubeljahre mal was Neues, er ist ja nun auch schon 76 (!) und hat seinen Ruhestand wohl verdient – da freut es mich, dass es neben Schiller noch ein paar Perlen im Internet gibt, die diese Musik weiterleben lassen. Und nein, ich kriege nix dafür und habe keinerlei persönliche Beziehung zu den Musikern (na ja, mit Daniels hatte ich mal einen kurzen Mailaustausch, um mich persönlich bei ihm für die Musik zu bedanken, aber das ist schon ein paar Jahre her). Ich finde die beiden Künstler nur so toll, dass ich sie Euch einmal vorstellen wollte – sie werden ja nicht von irgendeiner Plattenfirma promotet. Vielleicht gefällt ihre Musik der einen oder dem anderen von Euch ja ebenso wie mir.
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