Mit dem Wein und dem Hundefutter ist es wie mit der Kunst: Um darüber urteilen zu können, braucht man Geschmack. Ob man Geschmack lernen kann, darüber gehen die Meinungen weit auseinander, und wie dieses Lernen vonstatten gehen soll, ob man ästhetisches Urteilen auf die gleiche Weise lernen kann wie z.B. logisches Urteilen, oder ob die Begründung eines ästhetischen Urteils ganz anders erfolgt als die Begründung einer wissenschaftlichen These, auch darüber „streiten die Philosophen”.

Eine umfangreiche Diskussion gab es zu diesem Thema schon in den 1960er Jahren vor allem unter amerikanischen Philosophen. Diese Diskussion wurde durch den Aufsatz “Ästhetische Begriffe” von Frank Sibley ausgelöst.

Ästhetische Begriffe

Sibley interessiert sich zunächst für Termini, mit denen Kunstwerke beschrieben werden, und er unterscheidet solche, deren Überprüfung jedem „der normale Augen, Ohren und Intelligenz hat” zugänglich sind von denen, die „Geschmack, Wahrnehmungsvermögen oder Sensibilität erfordern”. Sibley demonstriert das tatsächliche Vorkommen dieser Termini in Urteilen an verschiedensten Beispielen, er vergleicht die praktische Verwendung von Worten wie „anmutig, zart, fein, stattlich, hübsch, elegant, grell” mit solchen wie „rot, lärmend, salzig, klamm, quadratisch, gelehrig” und anderen und untersucht diese Verwendung insbesondere in Hinblick darauf, wie Zuschreibungen solcher Termini zu Objekten (Urteile) gestützt werden.

“Anmutig” lässt sich nicht auf “Gebogen” reduzieren.

Im Laufe seiner Untersuchungen kommt Sibley zu dem Schluss, dass Urteile, in denen ästhetische Termini verwendet werden, sich in der Weise, wie sie gestützt oder begründet werden, von allen anderen Arten von Urteilen unterscheiden. Zuschreibungen ästhetischer Termini hängen zwar von nicht-ästhetischen Eigenschaften ab, so kann z.B. ein Bild anmutig sein wegen der gebogenen Linien, es kann einen zarten Eindruck machen wegen der Verwendung von Pastell-Farbtönen. Es ist aber nach Sibley niemals möglich, aus dem Vorhandensein solcher nicht-ästhetischer Eigenschaften sicher auf das Vorhandensein einer ästhetischen Eigenschaft zu schließen. Es ist möglich, dass ein Bild nur aus Pastelltönen und gebogenen Linien besteht, ohne dass es zart oder anmutig ist, stattdessen kann es fad und langweilig oder kraftlos wirken.

Die Aufgabe des Kritikers

Wenn die ästhetischen Begriffe nicht logisch von nicht-ästhetischen Eigenschaften abhängen, dann kann das ästhetische Urteil nicht gelernt werden, indem der Schüler vom Lehrer sozusagen in der Anwendung eines Regelwerkes unterwiesen wird. Im Gegenteil, Sibley bestreitet diese Möglichkeit ausdrücklich. Jemand, der „das Wesen von ästhetischen Begriffen nicht versteht” kann sich zwar „einige Regeln und Verallgemeinerungen verschaffen” und „kann dann häufig das richtige sagen”. Aber das wäre kein ästhetisches Urteilen, er „könnte ebenso richtig wie falsch getippt haben”.

Ästhetische Eigenschaften sind von nicht-ästhetischen „gemacht”

Kann man also ästhetisches Urteilen nicht lernen? Sibley ist der Ansicht, dass dies trotzdem möglich ist, und er weist dafür dem Kritiker eine besondere Rolle zu. Ob die Bezeichnung „Kritiker” für diejenigen, die die geforderte Funktion ausfüllen, geschickt gewählt ist, kann dahingestellt bleiben, wichtig ist, welche Tätigkeiten der Kritiker erbringen soll, um den Menschen beim Erlernen der ästhetischen Urteilskraft Unterstützung zu bieten.

Die Methode des Kritikers basiert darauf, dass die ästhetischen Eigenschaften zwar nicht logisch von den nicht-ästhetischen abhängen, aber doch durch sie „gemacht” sind, dass sie für die ästhetischen Eigenschaften doch „verantwortlich” sind. Deshalb kann der Kritiker den Betrachter auf nicht-ästhetische Eigenschaften hinweisen, die zwar nicht allgemein, aber im konkreten Fall für die ästhetischen Eigenschaften des Werkes verantwortlich sind. Er kann dabei die ästhetischen Eigenschaften nennen, er kann auch ästhetische Eigenschaften, die vielleicht bereits vom Betrachter erkannt sind, mit den noch nicht erkannten in Beziehung setzen. Auf diese Weise wird der Kritiker dem Betrachter helfen, die ästhetischen Eigenschaften eines Werkes zu entdecken. Wenn ihm dies nicht gelingt, wird der Kritiker den Betrachter bitten, sich zunächst andere Werke anzusehen und dann zu diesem zurück zu kehren.

Deutlich wird hier, dass der Betrachter das Sehen der ästhetischen Eigenschaften nicht allgemein aufgrund von Regeln lernen kann, sondern nur immer konkret am jeweiligen einzelnen Werk. Wenn dieses Entdecken bei einem Werk jedoch gelungen ist, wird es dem Betrachter auch möglich sein, ästhetische Eigenschaften anderer, ähnlicher Werke zu entdecken.

Kommentare (7)

  1. #1 Webbär
    August 7, 2009

    Ästhethk, hmm, Einfachheit ist ästhetisch, gelerntes ästhetisches Verstehen ist Sozialverhalten, man lernt beispielsweise, dass Günter Grass, hmm, nun, ästhetische Werke verfasst.
    Was Ästhethik also genau ist, weiss keiner, semantisch gibt das Wort eben einiges her, dünnes, glattes Eis so zu sagen.
    “Kritiker” als Vorschmecker des wahrhaft Ästhetischen?
    Wie dem auch sei, Kunst ist jedenfalls Sozialverhalten, oft staatlich gelenkt.

  2. #2 Webbär
    August 7, 2009

    Ästhetische Eigenschaften sind von nicht-ästhetischen „gemacht”

    Ja, es gibt solche Theorien, das Ästhetische wird mit der Methode des Ausschlusses ermittelt. Würde ich die Finger von lassen.
    Interessanter schon die Theorie, dass der Durchschnitt(!) als ästhetisch empfunden wird, also bspw. das durchschnittlich aussehende Gesicht oder Kunstwerk.
    Das träfe dann auch des Webbären Sinn für Humor.

  3. #3 Florian W.
    August 7, 2009

    Mein Weg das Ästhek-Empfinden zu trainieren, geht so: Einfach ein Jpg-Bild eines großen Künstlers nehmen, als Bildschirmhintergrund setzen und den Computer normal weiter benutzen – ohne bewußt auf das Bild zu achten. Irgendwann passiert es dann.

  4. #4 Jörg Friedrich
    August 8, 2009

    @Webbär: Du verwendest das Attribut “ästhetisch” bereits wertend, d.h., du beschäftigst dich mit der Frage, welches Ding “ästhetisch” im Sinne von “schön”, “angenehm” usw. ist. Das problem des ästhetischen Urteils ist aber, wie solche Zuschreibungen überhaupt zustande kommen und wie sie gestützt, gerechtfertigt werden. Dabei ist die wertende Beurteilung “Dieses Bild ist schön” oder “Jene Musik ist grausam” oder “dieser Wein ist lecker” noch einmal zu unterscheiden von Beurteilungen wie “Diese Darstellung ist dynamisch”, “Diese Musik ist kraftvoll” oder “Dieser Wein ist wie eine Staffelei aus Seidentüchern”. Im engeren Sinne geht es Sibley nur um Urteile der letzten Art.

    @Florian W.: Tolle Methode. Würde mich im Detail interessieren. Interessant wäre ja, ob bei der Auswahl des Bildes schon unbewusst bestimmte Eigenschaften des Bildes berücksichtigt werden. Und: Wenn es “dann irgendwann passiert” – kann man es dann erklären oder wenigstens durch Hinweisen auf bestimmte Bildelemente verdeutlichen?

  5. #5 Webbär
    August 8, 2009

    Das problem des ästhetischen Urteils ist aber, wie solche Zuschreibungen überhaupt zustande kommen und wie sie gestützt, gerechtfertigt werden.

    Hmja, das folgt dem Sozialverhalten der Masse?

  6. #6 Jörg Friedrich
    August 10, 2009

    Dem Sozialverhalten der Masse? Wohl kaum. Die Masse bestimmt weder, was ein großer Wein, noch, was ein großer Film oder ein großer Roman ist. Das wird im Allgmeinen durch das ästheitsche Urteil der Experten bestimmt. Mein Text beschäftigt sich mit der Frage, wie sie dieses Urteil begründen und wie sie es schaffen, den interessierten Laien von der Wahrheit dieses Urteils zu überzeugen. Beides gelingt durch das Verweisen auf die nicht-ästhetischen Eigenschaften des Objektes, die für seine ästhetischen Eigenschaften letztlich die Grundlage bilden.

  7. #7 Webbär
    August 10, 2009

    Die Masse bestimmt weder, was ein großer Wein, noch, was ein großer Film oder ein großer Roman ist.

    Das machen dann wohl Einzelpersonen.

    Das wird im Allgmeinen durch das ästheitsche Urteil der Experten bestimmt.

    Hmm.

    Mein Text beschäftigt sich mit der Frage, wie sie dieses Urteil begründen und wie sie es schaffen, den interessierten Laien von der Wahrheit dieses Urteils zu überzeugen.

    Es gibt für alle Landidaten der “grossen Sachen” Experten, die deren Grösse erkennen und multiplizieren. Allerdings kommen nur einige Experten mit ihrer Sache durch, d.h. deren Sache wird nur dann wirklich gross, wenn der Geschmack der Zeit und der Massen getroffen wird.

    Aber anscheinend scheint der werte Blogbetreiber hier anderer Meinung zu sein. Der Webbär lehnt Ästhetik als Brimborium ab, es sei denn es wird die Einfachheit referenziert oder eine bes. Botschaft.