Die aktuellen Meldungen zeigen, dass uns das Thema Kindesmissbrauch noch eine Weile beschäftigen wird. Durch neue Berichte werden weitere Opfer ermutigt, über ihre Erfahrungen zu berichten – und das ist gut so. Auf diese Weise werden wir anhand vieler Einzelfälle vielleicht irgendwann die Mechanismen verstehen, nach denen Autorität und krankhafte Neigung zu Abhängigkeit und Gewalt werden.

Ich selbst bin weit davon entfernt, eine gesicherte Vorstellung davon zu haben, wie sich ein Phänomen wie der Kindesmissbrauch in einer Gesellschaft entwickelt, unter welchen Bedingungen es sich verstärkt und wie es eingedämmt werden kann. Aber ein Blog kann auch zum Gedankenaustausch und zur Meinungsbildung beitragen. Deshalb möchte ich die Diskussion, die ich vor einigen Tagen geschlossen habe um eine persönliche Auseinandersetzung zwischen zwei Kommentatoren zu beenden, hier erneut ermöglichen. Auch dem Anliegen eines anderen Kommentators möchte ich damit wieder Raum zur offenen Diskussion geben.

Was mich bei diesem Thema besonders bewegt ist die Frage, ob die Veränderung des Zeitgeistes in den letzten Jahrzehnten tatsächlich zur Auflösung von Tabus geführt hat. Konkret gefragt: Hat unsere Befreiung von der spießigen und verkrampften Sexualmoral der Nachkriegszeit vielleicht tatsächlich dazu beigetragen, dass Tabus, die verhindern dass Menschen all ihre durch Sozialisation unterdrückten Triebe ausleben, sich lockern und damit auch die Zahl der Gewalttaten, im besonders schlimmen Fall eben sexuelle Gewalttaten gegenüber Kindern, ansteigen?

Und wenn das so ist: Wie sollen wir damit umgehen? Zurück zur alten Zeit will wohl kaum jemand. Zu fragen ist also: Ist eine Gesellschaft denkbar, die frei in ihrer Moral ist und trotzdem wirksame Tabus gegen Gewalt hat? Oder ist die Gewalt, die durch Strafandrohung wohl kaum einzudämmen ist, der Preis, den wir für unsere Freiheit zahlen?

Kommentare (42)

  1. #1 Carsten
    März 6, 2010

    Wäre es nicht auch denkbar, dass die zunehmende Enttabuisierung des Sexuellen nicht zu mehr derartigen Taten geführt hat, sondern nur dazu, dass es den Opfern leichter fällt, darüber zu sprechen?
    Noch heute sind Opfer sexuellen Missbrauches stigmatisiert, zumindest fühlen sich viele so. Läge es nicht nahe zu vermuten, dass dies früher noch stärker der Fall war und es somit eine noch höhere Dunkelziffer gab?

  2. #2 Lioman
    März 6, 2010

    Ich glaube auch, dass die relativen Vergewaltigungs- und Missbrauchszahlenzahlen nicht gestiegen sind. Es wird wohl immer einen bestimmten Prozentsatz von Menschen geben bei denen die “Sicherung durchgebrannt” ist. Offenere Sexualmoral und das wegfallen von abstrakten Ehrbegriffen führen wohl doch eher nur zu einer höheren Aufklärungsquote. Früher hat man den “Onkel” einfach nicht angeklagt, weil dies ja irgendwie auf einen zurückfallen könnte und der Familie Schande bringen.

  3. #3 Violine
    März 6, 2010

    Lese gerade das Buch “Die Narben der Gewalt” von Judith Herman. Ein Grundlagenbuch über Traumatisierung. Bin erst am Anfang, aber soviel habe ich gelesen, dass Freud auf massenweisen sex. Missbrauch in den Familien stiess (jede vierte Frau, und das sind auch heutige Zahlen), er sich das aber nicht vorstellen konnte, dass das in jeder Schicht ausnahmslos vorkam. Deswegen hat er dann davon Abstand genommen und immer abstrusere Ideen entwickelt.
    Was Jungs betrifft habe ich in einschlägiger Literatur gelesen, dass es jeder siebte Junge sein soll (welches Buch das war, weiss ich leider nicht mehr).
    Die Tätertypen werden in dem Buch “Tatort Kinderseele” beschrieben.

  4. #4 S.S.T.
    März 7, 2010

    @Jörg Friedrich

    Ist eine Gesellschaft denkbar, die frei in ihrer Moral ist und trotzdem wirksame Tabus gegen Gewalt hat? Oder ist die Gewalt, die durch Strafandrohung wohl kaum einzudämmen ist, der Preis, den wir für unsere Freiheit zahlen?

    Nein, das ist nicht die Frage. In jeder Gesellschaft wird es Leute geben, die nicht sozialisiert sind und die nicht sozialisierbar sind. Es ist noch nicht einmal die Frage des Geldes. Bei speziell diesen Leuten hat die Strafandrohung gegen Null Wirkung, ebensowenig wie moralische Appelle bzw. die gerade gültige Moral. Die Frage ist, wie geht man mit solchen Leuten (nett ausgedrückt, nicht wahr?) um. Ob man soweit geht, wie in einigen US-Staaten: Three strikes and You are out oder aber rel. zurückhaltend, wie in Dt. mit der Erweiterung der Sicherungsverwahrung, das ist der eigentliche Kern des Pudels.

  5. #5 Webbaer
    März 7, 2010

    Es ist grundsätzlich so, dass ein Mehr an Freiheit höhere Strafmaße bedingt, da sich ansonsten Kooperationsbrüche (bzw. in diesem Fall Verbrechen) lohnen, und es ist abwegig zu glauben, dass Strafe Fehlverhalten unkonditioniert lassen würde; ganz erstaunlich, dass sich eine diesbezügliche Behauptung aus der 68er-Zeit sich sogar hier in diesem Artikel hat festsetzen können.

    Zudem ist in diesem spezifischen Kontext nicht ganz klar, ob sich die Zahl der Missbrauchsfälle tatsächlich erhöht hat. Die Mixa-Theorie ist mit Vorsicht zu geniessen (obwohl sie selbstverständlich legitimerweise vorgetragen worden ist).

    Dazu noch – “Ist eine Gesellschaft denkbar, die frei in ihrer Moral ist und trotzdem wirksame Tabus gegen Gewalt hat?”:
    Jede Gesellschaft hat zwingend eine Moral oder Ethik. Selbst bspw. der zynischste Nihilist und der abgefeimteste Punk haben ausgeprägte und oft mühsam erarbeitete Wertemengen.
    Sie ist also nicht denkbar, Gesellschaft ist Moral, so zu sagen.

    MFG
    WB

  6. #6 itz
    März 7, 2010

    Was Gewalt gegen Kinder an sich betrifft:
    Ein weiteres Erbe der 68er ist aber ein neues Tabu: Gewalt gegen Kinder! Was wir im Jahr 2010 als Kindesmissbrauch bezeichnen war bis in die späten 70er anerkannte Erziehungsmethode: physische und psychische Gewalt.
    Kinder haben Rechte! Dieser Zeitgeist spukte hinter den religiösen Schulmauern anscheinend weniger.

    Was die sexuellen Tabus betrifft: Pornos sind gut für uns!
    „What does correlate highly with sex offense is a strict, repressive religious upbringing.”

  7. #7 S.S.T.
    März 7, 2010

    @Jörg Friedrich

    Was mich bei diesem Thema besonders bewegt ist die Frage, ob die Veränderung des Zeitgeistes in den letzten Jahrzehnten tatsächlich zur Auflösung von Tabus geführt hat.

    Ja, hat der Zeitgeist. Als Beispiel kann die Aufhebung des § 175 dienen, inklusive der Legalisierung des ‘einvernehmlichen’ Geschlechtsverkehrs mit Tieren.

    Problematischer ist es im SM-Bereich, der in vielen Facetten von z.T. massiver Gewaltausübung begleitet ist. Aber auch hier hat der BGH entschieden, dass deratige Köperverletzungen legal sind, sofern ein Einverständnis zwischen den Sexualpartnern (consensual, siehe auch sss) vorliegt.

    Kindersex ist grundsätzlich nicht einvernehmlich und daher aus gutem Grund weiterhin strafbewährt.

    Mit dem Zeitgeist bestehen auch für viele ‘Extrem-Perverse’ zahlreiche Möglichkeiten sich Wichsvorlagen aus dem www herunter zu laden, d.h. sie können ihre Fantasie im Hirn und nicht in der Realität ausleben. (Vielleicht könnte es sogar helfen, wenn man Kinderfickern entsprechende Zeichnungen zur Verfügung stellen würde.)

    Meine Kritik richtet sich nicht, zum x.-male, nicht gegen die RKK, denn Verbrechen sind mit dem Menschen so verbunden, wie ein Haufen Sch… mit Fliegen. Aber gegen alle Versuche Verbrechen schön zu reden oder auch nur zu relativieren, wehre ich mich mit Händen und Füßen. Deshalb ist Mixa, mit Verlaub, ein Arschloch.

  8. #8 Anne
    März 7, 2010

    Ich halte die gezogenen Schlüsse für falsch. Kindesmissbrauch hat es immer gegeben. Wenn die 68´etwas bewirkt haben dann am ehesten das sich heute Menschen trauen offen darüber zu reden und ihre Peiniger anklagen. Ich sehe noch eine positive Wirkung dieser Entwicklung: Pädophile finden inzwischen zunehmend weniger Nischen in denen sie ihren Obsessionen nachgehen können.

  9. #9 YeRainbow
    März 7, 2010

    “Kindesmißbrauch hat es immer gegeben” – ach ja?

    Kindesmißhandlung hat es in der zivilisierten Welt immer gegeben. Dieser Aussage kann ich zustimmen.
    Weitere Verallgemeinerungen (auf die Menschheit als solches) bleiben Behauptungen.

    Unsere Kultur ist eine Beschiß- (und Macht-) Kultur.
    Da mag es irgendwie normal sein, daß der eine oder andere die Macht eben nutzt, unter anderem eben auch, um sich an Kindern auszutoben.

    die STrukturen begünstigen es nicht nur, sondern befördern es.

    Andere Strukturen würden andere Interessen und Handlungsweise befördern, und andere Möglichkeiten bieten. Welche, muß erst mal hypothetisch bleiben.

    Es ist wahr, die Forschung hat relativ stabile Quoten für Kindesmißhandlungen (mit und ohne sexuellen Anteilen) für die letzten 100 Jahre postuliert.
    Der Umgang mit den dunkelziffern ist aber recht schwierig.

    Und es sagt nichts aus über hypothetische Zustände in hypothetischen Strukturen, man darf aber vermuten, daß es auch anders ginge….
    Ich erinnere mich dunkel, über einen Missionar gelesen zu haben, der sich in seinen SChriften drüber beklagt hat, daß die in Kalifornien ansässigen Wilden sich strikt weigerten, Schläge und andere Gewalt gegen ihre Kinder anzuwenden.
    er hat darüber gebarmt, wie man ihre Kinder dann zu echten Christen erziehen können soll… Da doch Züchtigung eine der wichtigsten Grundlagen sei…

  10. #10 YeRainbow
    März 7, 2010

    Ach so, wer sich näher damit beschäftigen will: Deegener/Körner: Kindesmißhandlung und Vernachlässigung.

    und die 68er waren es wohl eher nicht, sondern die Frauenbewegung (jaja, Alice Schwarzer und Co), die da was bewegt haben.
    Die 68er schwafelten doch eher von der “natürlichen Sexualität des Kindes”, die man nicht hemmen darf. Das war doch wohl eher Teufel mit Beeelzebub austreiben…

  11. #11 Geoman
    März 7, 2010

    Vor einigen Jahren habe ich von einem guten alten Freund das Buch “Knabenliebe und Tiergeschenke – Ihre Bedeutung im päderastischen Erziehungssystem Athens” von Gundel Koch-Harnack geschenkt bekommen. Es handelt sich bei dem Buch um eine Disseration, die im Fachbereich Kulturkunde der Universität Hammburg 1981 angenommen wurde. Koch-Harnck hat ihr Buch “Dem Andendeken meines Manners und zur Freude meiner Kinder gewidmet”.

    Auf der Einbandrückseite heißt es:

    “Altertumswissenschaftler, Etnologen und Psychologen, aber auch Verhaltensforscher werden aus diesem grundlegenden Buch ebenso Nutzen ziehen wie es dem allgemeinen Lesepublikum verläßliche historische Aufschlüsse – mit zahlreichen Quellenbelegen in Wort und Bild – über die griechische Knabenliebe und ihre gesellschaftlich-moralische Bedeutung gewährt. Tiergeschenke als pädagogische Liebesgaben, aber auch Entgelt für erotische Dienste, von Männern an Knaben gegben: diese Interpretaion erklärt Sinn und Funktion der päderastischen Bildszenen auf attischen Vasen und wirft Licht auf antike Schenkgewohnheiten.

    Die temperamentvoll und anschaulich geschriebene Untersuchung wird neue Denkanstöße geben, aber auch Widerspruch herausfordern und damit die Diskussion kräftig anregen.(…)

    Die Autorin bricht mit großer Offenheit Tabus und nimmt der griechischen Knabenliebe ihren sensationallen Charkter, indem sie anhand der historischen Zeugnisse diese Alltagserscheinung verständlich macht.”

    Daran anknüpfend möchte ich hier die Frage aufwerfen, ob man über Knaben-, Kindes- oder Jungenmissbrauch diskutieren kann, ohne auch deren historische Dimension zu beleuchten?

  12. #12 YeRainbow
    März 7, 2010

    ist schon länger her – aber gehört noch dazu.
    allerdings ist es auch ne Definitionsfrage.
    handelte es sich bei den griechischen Knaben um Minderjährige (die aufgrund ihrer Entwickllungsstufe nicht wissentlich in sexuelle handlungen einwilligen können – selbst wenn sie es formal tun, es aber nicht abschätzen können) oder handelt es sich um junge Erwachsene?
    Wurden sie mit Tricks oder direktem Druck dazu gebracht, oder nicht?
    und so weiter.

    Man darf auch nicht vergessen, daß die ollen Griechen auch schon Sklavenhalter waren. Da sind die Konventionen und Deutungen ganz anders.

    Was es für Opfer nicht besser macht, das nicht.

  13. #13 Andrea N.D.
    März 7, 2010

    @Jörg Friedrich:
    “Deshalb möchte ich die Diskussion, die ich vor einigen Tagen geschlossen habe um eine persönliche Auseinandersetzung zwischen zwei Kommentatoren zu beenden…”

    Diesen Satz kann ich nicht nachvollziehen. Wenn Sie den Kommentar, nach dem Sie den Thread geschlossen haben, lesen, ist es lediglich ein weiterer Angriff unter der Gürtellinie von Webbaer gegen mich, sonst nichts. Und während ich mich in der von Ihnen viel gepriesenen Ignoranz geübt habe (von einer Auseinandersetzung kann also kaum die Rede sein), haben Sie den Thread geschlossen.

    Warum haben Sie ihn geschlossen?
    Weil Sie neben der unseligen Verteidigung des Verhaltens von Mixta und Co. eben diese Sätze losgelassen haben:

    “Die Frage, ob ein Verdachtsfall zur Anzeige kommen soll, ist vor allem vom Opfer zu beantworten. Wenn sich ein Betroffener statt an die Polizei an einen Kirchenverteter wendet, wird er dazu einen Grund haben.”

    Wenn ich ein nur das Mindestmaß an Verständnis für ein Opfer aufbringen kann, dann ist das Letzte, was ich äußern würde, dass dieses “einen Grund dazu habe”, wieder zu seinem Peiniger zu laufen. Ye Rainbow hätte hier bestimmt das Fachwissen, um die Abhängigkeit der Opfer vom Täter hier zu erklären und warum diese Sätze von Ihnen an Zynismus nicht zu überbieten sind. Ich habe hierfür leider nur meinen gesunden Menschenverstand und kann mich über Ihre Ignoranz in diesem Fall nur wundern.

    Ich werde Ihnen jetzt nicht die Recherchearbeit abnehmen; aber ein kleiner Blick in die Polizeistatistiken zum Thema “Kindesmissbrauch” hätte genügt um festzustellen, dass die Zahlen kontinuierlich sinken – und dass obwohl die Gesellschaft viel mehr sensibilisiert wurde (deshalb auch die hohe Medienpräsenz) und mehr Fälle zur Anzeige gebracht werden. Damit hätten Sie den Artikel gar nicht schreiben müssen: der von Ihnen genannte nebulöse “Zeitgeist” der sexuellen Befreiung in den Sechzigern kann wohl bei sinkenden Zahlen kaum einen Steigerungseffekt erzielt haben. Davon ausnehmen würde ich jedoch die (katholischen) Kirchenvertreter: die hingen schließlich immer noch an ihrem Zölibat und ihrer kruden gestrigen Moral.

  14. #14 Geoman
    März 8, 2010

    Ich frage nochmal deutlicher, gab es in Griechenland damals ein staatlich verordnetes ‘Zölibat’? Oder zeigt uns die Geschichte mit der griechischen Knabenliebe, dass diese hitzige Diskussion um das Zölibat hier zwar das ein andere empörte Mütchen kühlt, aber ansonsten viel zu kurz greift.

  15. #15 Dagmar Behrendt
    März 8, 2010

    Daran anknüpfend möchte ich hier die Frage aufwerfen, ob man über Knaben-, Kindes- oder Jungenmissbrauch diskutieren kann, ohne auch deren historische Dimension zu beleuchten?

    Der Blick zurück hilft natürlich, die Gegenwart zu verstehen, aber in diesem Fall erscheint mir das überflüssig, zumindest dann, wenn heute jemand leidet. Einem missbrauchten Schüler dürfte es egal sein, ob das, was er erlebt hat, im alten Griechenland akzeptiertes Verhalten war. Und selbst wenn es so war, dann wissen wir immer noch nicht, ob das Kind vor über zweitausend Jahren nicht auch gelitten hat.

  16. #16 Geoman
    März 8, 2010

    Wenn den Opfern schlussendlich doch noch Gerechtigkeit (und den Tätern Strafe) zu Teil wird, ist dies sicherlich für viele hilfreich, um den Missbrauch zu verarbeiten. Für andere vielleicht auch nicht, die ihn längst vergessen oder vedrängt hatten. Was mir auffällt und mich irritiert, ist die inflationäre Verwendung des Begriffes Trauma, der zudem fast einer Heiligsprechung gleichkommt.

  17. #17 YeRainbow
    März 8, 2010

    Die dußlige nachfrage nach den alten Griechen und dem Zölibat erscheint mir jedenfalls unpassend.

    Eine Sklavenhalter-Gesellschaft ist völlig anders organisiert – und ganz sicher nicht humaner..

    Das Zölibat ist sicherlich nicht die alleinige Ursache für sexuelle Übergriffe auf Kinder.
    Es wirkt allerdings dort mit, wo die persönliche Auswahl für eine Laufbahn getroffen wird.

    letztlich ist es aber einigermaßen verrückt, Versuche zu unternehmen, die Täter und ihre Taten reinzuwaschen oder zu relativieren, indem man auf irgendwas zeigt….

    Fakt ist, wo Machtstrukturen vorherrschen, und wo geringe oder keine Kontrolle vorhanden ist, wo es auch persönliche Gründe geben mag, sich an Unterlegenen auszutoben – da ist die Vorkommenswahrscheinlichkeit höher.
    Das betrifft nicht nur kirchliche Machtstrukturen, es ist ja auch aus der Kernfamilie bekannt. auch aus Internatsschulen ohne Priester im Kollegium…

    Nun wird nicht aus jedem Menschen ein Täter. Solche Leute wie Fritzel oder irgendwelche Patres oder Direktoren haben also auch noch einen inneren Antrieb. Der kann nur eben unter solchen Strukturen leichter umgesetzt werden.

    Dieser innere Antrieb zeigt aber eben auch, daß da jemand nicht zu einer vollständigen Persönlichkeit ausgereift ist. Die wenigsten Gewalttäter “denken sich das einfach so” aus. die meisten haben selbst Gewalt oder Vernachlässigung erlebt – und dazu zähle ich “Wohlstandsverwahrlosung” und Liebesentzug als Erziehungsmittel, aber auch Größenwahn durch fehlen von Grenzen eindeutig hinzu.

    Warum sich ein mißhandeltes Kind wieder an seinen Peiniger wendet?
    Das ist meistens ein Konglomerat aus verschiedenen Ursachen.
    1. will ihm sonst keiner zuhören (und es wird auch noch als Lügner dargestellt, weil sich der angsprochene ERwachsene das entweder nicht vorstellen kann, oder Angst hat, hineingezogen zu werden)
    2. Furcht-Angst-Bindung (viele Leute verwechseln das mit “echter Liebe”, oft schon im Pflegekinderbereich von Gutmenschen gehört, die da meinten, “aber man sieht doch, daß diese Kinder ihre Eltern sehr lieben”, jaja, mehr als andere Kinder ihre Eltern lieben – sie haben mal irgendwnan kapiert, daß sie riskieren, ihr Leben zu verlieren, wenn sie die Täter bloßstellen… macher Täter sagt es dem Kind sogar direkt! Das hat riesige Auswirkungen)

    3. weil man es ihnen gesagt hat, sie sollten sich an bestimmte Leute wenden.
    In meiner Ausbildung (bin nicht Therapeut!!!) hat man mir erklärt, in bestimmten Fällen sollte man den Hilfesuchenden zu einem Priester/Pfarrer schicken, denn die unterlägen dem Beichtgeheimnis, während ein Psychologe diesen Vorteil nicht hat. Ihn kann man zwingen, vor Gericht auszusagen und Dinge aufzudecken.

    Nun ist es oft aber so, daß eine gerichtliche Aufdeckung nicht hilfreich für das Opfer ist, Publicity ist das letzte, was es brauchen kann – zumindest in einem frühen Stadium.

    4. weil man zum Chef dessen geht, um sich über einen zu beschweren. Daß der Chef seine Leute deckt, kann ein Kind sich noch nicht vorstellen. Menschen müssen das gekonnte Lügen erst lernen…

    Man darf zu alldem auch nciht vergessen, daß noch in den 70ern (noch gar nicht lange her) ein sexuell mißhandelter Mensch einfach moralisch verdorben war. Der hat nämlcih eingeladen.
    noch heute gibts solche Sprüchlein, ich erinnere mich an einen Stiefvater einer 17jährigen, der mir unverfroren erklärte, “die will das doch, dieses Luder, die zieht sich extra so an!” als ich ihn dann fragte, wenn da ein Auto steht, mit laufendem Motor und steckendem SChlüssel, ob der Besitzer dann auch WILL, daß ER einsteigen möge und damti davonfahren, guckte der Mann mich komisch an…

    Es gibt auch Leute, die tragen ein Portemonnaie mit sich herum. Und zeigen es an der Kasse irgendwie auch noch. Die WOLLEN sicher auch beklaut werden…

    Ihr seht, das Problem ist vielschichtig.
    Übrigens sticht es mir immer ins Herz, wenn ich lese “Mißbrauch”.
    alkohol kann man mißbrauchen.
    Bei einem Menschen ist das eigentlich immer ne Mißhandlung. Mit oder ohne sexuelle anteile.
    Um macht über einen anderen Menschen geht es jedoch IMMER.
    Sexuelle Mittel sind halt nur besonders MÄCHTIG.

  18. #18 YeRainbow
    März 8, 2010

    Hi, Geoman – man merkt, Du hast keinerlei eigene Erfahrung mit gewalttätigen Übergriffen.

    Falls Du welche wünschst, ich kann Dir dazu verhelfen.
    Die Innenschau, sich selbst als völlig unterworfen, als ausgeliefert und als wertlos zu erleben, kann einen durchaus weiterbringen.
    Traumatisch ist es allerdings in jedem Falle, was Du dann verstehen wirst.
    Trauma bedeutet nichts anderes, als daß sich wie nach einem Knochenbruch oder einer verheilten narbe in Deiner Gefühls- und GEdankenwelten Gräben aufgetan haben, die nicht spurlos verschwinden können.
    Im Schlimmsten Falle kann ein Opfer die Augen nicht mehr schließen, ohne daß das Entsetzliche (was auch immer es war) vor seinem inneren Auge abläuft und sich absolut echt anfühlt.

    diejenigen, die die Dissoziationstechnik lernen, um es zu überstehen (Wegdrücken, Abspalten des Vorfalles) sind langfristig auch nicht besser dran, ihnen ist der Kontakt zur Realität verloren gegangen, und das macht das Leben in Anforderungen des Alltags ziemlich schwer.

    Aber es ist wahr, Trauma ist nur so ein abstraktes Ettikett, für Sachen, die man sich gar nicht gerne auch nur ansatzweise vorstellen will…

  19. #19 YeRainbow
    März 8, 2010

    Noch eins.

    Das sit dummes Gerede, daß den Opfern “schllußendlich noch Gerechtigkeit” widerfährt, und die Bestrafung des Täters bringt nur kurzfristig Erleichterung.

    Das Problem ist ein ganz anderes, und das ist damit ganz und gar nicht gelöst.
    Das Opfer muß einfach irgendwie lernen, damit zurechtzukommen und damit zu leben.

    Das ist nicht ganz unproblematisch, viele mißhandelte Kinder sind später nicht in der Lage, mit ihren eigenen Kindern unvorbelastet umzugehen.
    Das bedeutet nicht zwingend, daß sie sie auch mißhandeln, aber sagen wir mal, es gibt die verschiedensten Reibungspunkte, die für beide Seiten nur schwer zu ertragen sind.

    diejenigen, die sich dem nicht stellen und beim Begriff “Schuld” klebenbleiben, kriegen es meistens nicht gebacken.
    Kinder machen einen haufen Unsinn, und die sind dann schuld. Und müssen bestraft werden. Man rate, wie…
    Nicht sanft jedenfalls…

    Dieses Problem muß an der Wurzel ausgetrocknet werden, sonst vererbt es sich qualvoll immer weiter fort.

  20. #20 Andrea N.D.
    März 8, 2010

    @Geoman:
    Deine unqualifizierte Bemerkung über das Zölibat und Griechenland verstehe ich nicht. Dir ist schon klar, dass zwischen Jesus und der griechischen Knabenliebe ein paar Jahrhunderte liegen?

    @YeRainbow:
    Vielen Dank für die ausführliche Erläuterung über die Abhängigkeit der Opfer von den Tätern. Wie ich im anderen Thread bereits schrieb, würde ich als zusätzlichen Faktor hier aber noch die Prävention sehen. Täter, die nicht angezeigt werden, finden neue Opfer.

  21. #21 Geoman
    März 8, 2010

    @ YeRainbow

    Wenn es Ihnen bei dem Wort ‘Mißbrauch’ ins Herz sticht, sollte Sie doch auch das Wort ‘Opfer’ stören, oder?

    @ Andrea N. D.

    Haben wir im Eifer des Gefechts wieder die kleinen Anführungsstrichelchen übersehen?

  22. #22 Andrea N.D.
    März 8, 2010

    @Geoman:
    Oh, das tut mir leid. Das war also bloß eine Stichelei, kein ernsthafter Beitrag.

  23. #23 Jörg Friedrich
    März 8, 2010

    Vielen Dank an alle für die Beiträge, die in ihrer Gesamtheit die Vielschichtigkeit des Themas zeigen. Sie haben meinem eigenen Nachdenken alle sehr geholfen und auch Impulse für Gespräche außerhalb des Blogs gegeben.

    Für die weitere Diskussion wünsche ich mir nur eins: Bitte unterlassen Sie persönliche Angriffe und Vermutungen über andere Kommentatoren. Jede noch so kleine Herabsetzung des anderen kann die Atmosphäre im Ganzen stören und das wäre bei eine so emotional besetzten Thema besonders fatal. Respekt für die Meinung des Anderen ist hier wichtiger als er ohnehin schon ist. Und wer sich angegriffen fühlt, übe sich bitte in Gelassenheit!

    Ich selbst werde erst in den nächsten Tagen dazu kommen, meine gedanken zum Thema zu ordnen. Die täglichen Meldungen tun ihr Übriges.

  24. #24 Andrea N.D.
    März 8, 2010

    @Jörg Friedrich:
    Ihr Artikel enthält Anspielungen auf den anderen Thread, die, vorausgesetzt, dass ich Sie richtig verstanden habe (leider haben Sie sich dazu nicht geäußert), Vermutungen und versteckte Angriffe gegen Kommentatoren enthalten. Ihre Bitten wirken viel glaubwürdiger, wenn Sie sich selbst an Ihre Vorgaben halten würden und sich als Autor nicht ein Sonderrecht herausnehmen.

  25. #25 Geoman
    März 8, 2010

     Andrea N.D.· 08.03.10 · 11:33 Uhr schrieb:
    @Geoman:
    Oh, das tut mir leid. Das war also bloß eine Stichelei, kein ernsthafter Beitrag.

    Was hat die Verwendung von Satzzeichen mit der Ernsthaftigkeit eines Beitrages zu tun?

    Ferner kann ich mir nicht die Bemerkung verkneifen, dass das was Sie sich gegenüber Herrn Friedrich erlauben, mindestens grenzwertig ist und dass nun schon seit Monaten.

    Mir dreht sich der Magen um, wenn ich lese wie Sie hier auftreten.

  26. #26 Jörg Friedrich
    März 8, 2010

    Um die Diskussion wieder auf die Sache selbst zurückzulenken möchte ich zwei Aspekte hervorheben, die sich für mich aus dem bisher gesagten ergeben:

    Ich halte es für sehr hilfreich, nach Vergleichen in der Geschichte zu suchen um Ursachen und Wirkmechanismen der sexuellen Gewalt gegen Kinder zu verstehen. Leider weiß ich wenig über das Leben im alten Griechenland – der Aspekt, dass es dort auch Sklaven gab, erhellt aber m.E. wenig. Die freien Griechen haben sehr genau unterschieden zwischen den Sklaven und ihresgleichen – sie konnten die Sklaven wie Nicht-menschen behandeln und gleichzeitig glühende Demokraten sein – auch wenn das aus heutiger Perspektive fast unvorstellbar ist.

    Interessant – und für meine ursprüngliche Sorge erfreulich – ist der Aspekt des neuen Tabus, das Gewalt gegenüber Kindern überhaupt betrifft. Tatsächlich hat sich unsere Gesellschaft parallel zur sexuellen befreiung und damit dem Zerfall unsinnig gewordener Tabus ganz neue geschaffen: Eben die Tabuisierung von gewalt gegen Kinder in Familie und Schule. Dieses Tabu schützt wahrscheinlich sogar stärker auch vor sexueller Gewalt als die vorherigen sexuellen Tabus es taten.

    Könnte man also sagen, dass eine Gesellschaft sich bei der Auflösung alter, unsinnig gewordener tabus immer neue, notwendige Tabus schafft und schaffen muss?

  27. #27 Andrea N.D.
    März 8, 2010

    @geoman:
    Also war es doch ernst gemeint? Ich bin jetzt wirklich verwirrt. Wenn es ernst gemeint war, dann war doch meine Bemerkung richtig, dass die griechische Gesellschaft damals das Zölibat nicht kannte. Wenn es nicht ernst gemeint war, war es lediglich eine Stichelei, aber was soll dann Deine letzte Bemerkung? Bin ratlos.

    @Jörg Friedrich:
    Schade, dass Sie den Bezug der Auseinandersetzung in Ihrem Artikel nicht endlich klären. So kann ich nur davon ausgehen, dass Sie in diesem Fall die Existenz von Auseinandersetzungen behauptet haben, die nicht stattgefunden haben, um einen Vorwand zu finden, den Thread zu schließen, weil es Ihnen unangenehm geworden war, dass Sie so forsch für Mixta und Co eingetreten waren und Sie offensichtlich endlich Ihre Meinung dazu geändert haben. Gut so!

    Ich halte den Vergleich mit der damaligen Gesellschaft in Griechenland für sehr unglücklich und weit hergeholt. In dieser Gesellschaft wurde auch das Aussetzen von Säuglingen als Geburtenkontrolle praktiziert – ich denke nicht, dass wir hier einen geschichtlichen Vergleich haben, anhand dessen Ursachen und Wirkmechanismen der sexuellen Gewalt gegen Kinder heute verstanden werden kann.

    “Könnte man also sagen, dass eine Gesellschaft sich bei der Auflösung alter, unsinnig gewordener tabus immer neue, notwendige Tabus schafft und schaffen muss?”
    Spannend. Daran anschließen würde ich die Frage, “könnte man also sagen, dass, wenn Teile der Gesellschaft die sture Beibehaltung alter, unsinnig gewordener Tabus weiter praktizieren und die Akzeptierung von neu geschaffenen, notwendigen Tabus, konstant ablehnen, dass diese Teile der Gesellschaft dann verstärkt dazu neigen, die neuen Tabus zu brechen?

  28. #28 YeRainbow
    März 8, 2010

    Auf die Frage hin – nein, das wort “Opfer” sticht mich nicht ins Herz.
    Es hilft einem Opfer zwar nicht wirklich weiter, sich als Opfer benannt zu sehen. Aber die Anerkennung – auch sozial – daß Unrecht geschehen ist, erleichtert die Aufarbeitung bzw macht sie überhaupt in verschiedenen Fällen erst möglich.
    Aufarbeitung im Sinne von Überwinden…

    auch das Wort Täter sticht mich nicht.
    Roß und Reiter zu benennen ist der erste SChritt in die richtige Richtung.

    Und die Dinge so bezeichnen, wie sie wirklich sind, nicht als Verniedlichung oder Euphemismus.
    Verniedlichungen sind immer Täterschutz, wenn man genau hinguckt.

    Ich halte auch nichts von Tabus. Tabu in dem Sinne, man darf nicht drüber sprechen – nicht gut.
    Tabu im Sinne von direkten VERboten (und konkreten Strafen als Folgen), meintwegen.
    Das Problem ist jedoch, daß Tabus eher die Diskussion über die Vorgänge abwürgen als einen sinnvollen Umgang zu ermöglichen.

    Die unschönen Dinge beim unschönen Namen nennen ist eigentlich der einzige Weg, und die Gesellschaft hat sich lange genug gesträubt, ihn zu gehen….

  29. #29 Webbaer
    März 8, 2010

    Könnte man also sagen, dass eine Gesellschaft sich bei der Auflösung alter, unsinnig gewordener tabus immer neue, notwendige Tabus schafft und schaffen muss?

    Sischer.
    Wobei die alten Tabus aber oft nicht unsinnig waren, sondern sinnvoll. Aber eben veralteten und durch neue ersetzt wurden bzw. zu ersetzen sind.
    Dasselbe gilt auch für die Werte, hier müssen neue Basen geschaffen werden; der Ökologismus bspw. setzt hier an oder dieser merkwürdige Humanismus oft linker Sportsfreunde.

    Schlauer wäre es natürlich bestimmte Werte als sinnvoll zu erkennen [1], dann könnte man sich das Brimborium sparen. Für diejenigen, die das nicht tun, gibt es weiterhin den Glauben, wenn auch nicht in offensichtlich rel. Form.

    Richtig ist aber auch, dass mit reinen Antihaltungen (z.B. Atheismuis, Antireligionismus, Nihilismus, Relativismus) kein Ersatz gefunden werden kann. Es mag sein, dass Mixa in diese Richtung dachte.

    zu Andreas Frage: ja

    MFG
    WB

    [1] wobei das Erkennen natürlich letztlich auch zum Glauben führt, aber auf höherem Niveau – die Wissenschaften können als Glauben auf hohem Niveau verstanden werden, jedenfalls wenn sie nicht nur (oder “nur”), wie bspw. die Mathematik, Tautologien bearbeiten

  30. #30 S.S.T.
    März 8, 2010

    Mag sein, dass bei den ollen Griechen Kinderficken in war. Und?? Ich kann mir unmöglich vostellen, dass eine Vergewaltigung vor 10.000 Jahren lustiger war als heute. Was soll also dieser Blick in die Geschichte? Was soll damit bewiesen werden? Irgendetwas ala Goethe?

    Was ihr den Geist der Zeiten heißt,
    Das ist im Grund der Herren eigner Geist,
    In dem die Zeiten sich bespiegeln.

    Und ich kann mir genauso unmöglich vorstellen, dass es vor 10.000 Jahren keine Kriminellen (egal, was das jeweils aktuelle Strafgesetzbuch gesagt hatte) gegeben hat. Diese Kriminellen wird es auch noch lange nach uns allen geben, das wirkliche Verbrechen geschieht dann, wenn die Taten nicht verfolgt sondern geduldet werden.

  31. #31 Geoman
    März 9, 2010

    @YeRainbow schrieb:

    “Die dußlige Nachfrage nach den alten Griechen und dem Zölibat erscheint mir jedenfalls unpassend. Eine Sklavenhalter-Gesellschaft ist völlig anders organisiert – und ganz sicher nicht humaner”

    Die griechische Päderasten-Liebe ist nicht als Sklavengesellschaft organisiert gewesen, sonst würde es wohl kaum Sinn machen, dass die älteren Herrn (Erastes) um ihre angebeteten Knaben (Eromenos) mit symbolbehafteten Tiergeschenken buhlen würden. Soweit ich das dem angeführten Buch entnehmen kann, führten die Erastes ansonsten ein normales Eheleben mit einer Frau.

    Die Knaben schienen der sexuellen Begierde der älteren Herrn weitgehend indifferent gegenüberzustehen, d. h. sie wirken auf den Abbildungen außer bei der Übergabe der Geschenke wenig engagiert. Die Päderastie war im Rahmen eines privaten Erziehungssytems organisiert, d. h. die Knaben wurden den älteren Herrn übergeben, um aus ihnen ordentliche Krieger zu machen, was für Athen von existenzieller Bedeutung (Perserkriege) war.

    Deine fortlaufende vereinahmende Psychologisierung von Täter und Opfer täuscht darüber hinweg, dass es vielleicht auch ein Neigung zu päderasten Verhalten (die Menschheitsgeschichte kann ein Indiz dafür enthalten) ohne vorherigen Missbrauch in der Kindheit (des Täters) gibt. Kurz ein Trieb, den eine Gesellschaft zum Schutz der un- oder weniger mündigen Zielsubjekte dieses Triebe durch Verbote, Tabus etc. kanalisieren muss.

    Dass Dir der Begriff “Opfer” nicht suspekt ist, erstaunt mich. Opfer oder Opferhandlungen kennen wir auch aus kirchlichen Ritualen oder sie sind so gar religionsbegründend (‘Jesus hat sich für uns am Kreuz geopfert’). Opfer hat also immer auch eine sinngebende Komponente. Durch die Verwendung des Begriffs bei Missbrauchshandlungen läuft man also Gefahr, die Subjekte dieser Übergriffe sinngebend zu instrumentalisieren. Dessen sollte man sich zumindestens bewusst sein.

  32. #32 Stefan W.
    März 10, 2010

    Ich empfehle über die Entstehung von Tabus, das Wesen von Tabus etwas länger nachzudenken, um nicht mit sehr einfachen Lagerbekundungen “Ich bin gegen Tabus” die Diskussion vorzeitig zu verflachen.

    Nie gab es mehr Tabus als heute, und ein Tabu äußert sich nicht in einem absoluten Schweigegebot, sondern in einem komplexen, informellen Regelwerk, welches bestimmt, wer sich wann wie zur Sache äußern kann und darf.

    Der Tod ist ein Tabu, wieviel Geld Du im Portemonaie hast, welche Krankheit man hat, und alles, was die Sexualität betrifft.

    Je nach dem mit wem man in welcher Situation zusammen ist, ist ein Thema tabu, aber die Strenge des Tabus variiert natürlich, und manchmal hat man es in der Macht die Situation so zu ändern, daß man das Tabu brechen kann, und eben doch über das Thema spricht – in dem man den richtigen Rahmen schafft.

    Man nimmt den Freund zur Seite, und fragt, ob er mit einem Schein aushelfen kann, weil man gerade nicht flüssig ist – man entschuldigt sich vorab, daß man das Gespräch auf das Thema Krankheit oder Tod bringt, usw.

    Bezüglich der Sexualität gibt es heute andere, aber wohl kaum weniger Tabus. Nur weil Vera am Mittag über Schwanzlutschen spricht kann nicht jeder überall darüber sprechen. Das Tabu im Nachmittags-TV darüber zu sprechen ist verletzt worden – ob das eine Entwicklung zum Guten ist, und in wiefern sei mal dahingestellt – mit “Na, Du alter Schwanzlutscher!” wird man in der Bank als Kunde sicher nicht begrüßt.

    Es ist seit den 60ern möglich geworden über vieles zu sprechen, gerade im Freizeit- und Privatbereich, aber es gibt gleichwohl Normen, was geht, und was nicht geht (Kinder und Tiere geht nicht), und es wird natürlich gelogen und geprotzt – keinen Verkehr zu haben ist ein gewisses Tabu.

    Essen ist zum Beispiel auch ein Tabu. I.d. Regel zieht man sich zum Essen in spezielle Taburäume zurück (Speisesaal, Eßzimmer, Restaurant, Kantine, Mensa, …) – auch wenn es Döner und Pommesbuden gibt, Eis am Stil und Koffii Togo. Das ist kein sehr strenges Tabu, aber wer schonmal sehr hungrig anderen Menschen beim Essen zugesehen hat, der weiß, wie schwierig es sein kann, dann die eigenen Gelüste zu verbergen, und es ist in unserer Kultur schicklich Gefühle überhaupt zu verbergen. Man isst nicht öffentlich, um andere nicht in Verlegenheit zu bringen, und jugendliche Paare die sich auf U-Bahntreppen abknutschen merken durchaus, daß das eigentlich ein Tabu ist, aber das Gefühl von Freiheit und Jugend setzt sich nun gerne darüber hinweg.
    In einem speziellen Ambiente (“Karneval in Köln”) sind Berührungen und öffentliche Liebkosungen dagegen in Ordnung.

    Daß die Opfer sexueller Belästigung und sexuellen Mißbrauchs heute eher Ansprechpartner finden können, die sie nicht verurteilen, ist ein Fortschritt, der eine Verlagerung des Tabus, eine Änderung, aber nicht das Verschwinden des Tabus beschreibt.

    Wenn von kirchlicher Seite angeführt wird, daß Kindesmißbrauch eine Folge des Sündenpfuhls ist, der mit der Verlotterung der Sitten und den Tabubrüchen der 60er Jahre einhergeht, und daß deren freiere Liebe zum Fall der Tabus, und die Priester zu Kindesmißbrauch getrieben habe, so ist das eine sehr gewagte Argumentation, die mit dem Trick arbeitet – Tabu des Kindesmißbrauchs hier – allgemeines Sextabu dort – schnell ein paar Handbewegungen – husch, husch – wo ist das Kaninchen?

    Der freiere Umgang mit Sex wurde möglich dank der Pille, er fiel nicht so vom Himmel wie das Manna i.d. Bibel, sondern hatte praktische Ursachen. Da man für Kindesmißbrauch an Jungs aber keine Pille braucht ist es unwahrscheinlich, daß die Pille auch die Pastoren enthemmt hätte. Die Kirche, die immer predigt, daß die extatische Lust nur Legitimation i.d. Fortpflanzung findet, im Versuch mehr Seelen für den Himmel zu schaffen – was anderes ist das ja nicht – die versucht hier wieder von den Fakten abzulenken, wenn sie vom Tabu im Allgemeinen schwafelt.

    Ich durfte heute beim reinzappen bei Maischberger wieder so einen Vertreter erleben, der von den Verletzungen der Kirche sprach – ah, die Kirche ist das wahre Opfer? – daß man bei den Protestanten mal nachkucken sollte – als hätte jemand bösartigerweise gezielt bei den Katholiken ermittelt – und der die armen Geistlichen bedauerte, die im Internet der Kinderpornographie in die Falle gingen.

    Das glaubt der wirklich, daß da ein Teufel Kinderpornos ins Netz stellt, und wahrscheinlich auch jugendliche Knaben in die Internate zu den armen Mönchen schickt – der Satan will nur Gottes Garde auf die Probe stellen!

    Die gehören doch weggesperrt … – sorry, ich kam vom Thema ab. 🙂

    Den Namen will ich nicht unterschlagen: Weihbischof Andreas Laun – er hat auch so ein Dauergrinsen im Gesicht gehabt, das fast unbeweglich demonstrieren sollte “Ich bin erleuchtet – Ihr könnt mir gar nix”. Kam jedenfalls so an. Als selbstverliebte, arrogante und ignorante Milde, gepaart mit Senilität.

  33. #33 BreitSide
    April 2, 2010

    @ WB: “der Ökologismus bspw. setzt hier an oder dieser merkwürdige Humanismus oft linker Sportsfreunde.”

    Was für ein reaktionärer Rundumschlag. Passt genau in Deine früheren unseligen (!) Einlassungen.

    “Richtig ist aber auch, dass mit reinen Antihaltungen (z.B. Atheismuis, Antireligionismus, Nihilismus, Relativismus) kein Ersatz gefunden werden kann. Es mag sein, dass Mixa in diese Richtung dachte.”

    Au weia, Atheismus eine Antihaltung?

    “…kein Ersatz gefunden werden kann.”

    Na wenn das nicht das Wort zum Freitag war. Amen.

    Erwache!

    Jetzt ist schon ein Fred wegen Dir geschlossen worden, und Du schwurbelst grad so weiter.

  34. #34 BreitSide
    April 2, 2010

    @ Leoman:

    Die Knaben schienen der sexuellen Begierde der älteren Herrn weitgehend indifferent gegenüberzustehen, d. h. sie wirken auf den Abbildungen außer bei der Übergabe der Geschenke wenig engagiert.

    Wusste gar nicht, dass Du ein so toller Psychologe bist. Wie hätten sie denn Deiner Meinung nach aussehen sollen? Aufgerissene Augen? Gequältes Grinsen? Mann, mir wird übel.

    Die Päderastie war im Rahmen eines privaten Erziehungssytems organisiert, d. h. die Knaben wurden den älteren Herrn übergeben, um aus ihnen ordentliche Krieger zu machen, was für Athen von existenzieller Bedeutung (Perserkriege) war.

    Selten so einen Stuss gehört. Vom Lustknaben zum Krieger. Wo hast Du denn das her?

  35. #35 BreitSide
    April 2, 2010

    Schade, dass ich das nicht mehr in den eigentlichen MixaFred stellen kann, da dieser (aus Feigheit vor dem Feind?) geschlossen wurde: https://www.tagesschau.de/inland/missbrauch144.html, selbst in Verdacht (aber ich glaube “nur” wegen “ein paar Watschen”), entschuldigt sich.

    Wenigstens einer redet Klartext: “der Mainzer Bischof Kardinal Karl Lehmann verurteilte Kinderschänder: “Sie schwächen und verraten das Evangelium Jesu Christi, der gerade die Kinder in die Mitte stellte””

    Der war mir von der ganzen Riege eh der Liebste, wenn man das so ausdrücken kann. Jedenfalls hab ich vor dem weitaus den meisten Respekt.

  36. #36 georg
    April 5, 2010

    @BreitSide
    Der MixaFred wird schon fast mit jedem Tag peinlicher. Inzwischen hat selbst Deutschlands Oberkatholik das Offensichtliche eingeräumt, nämlich dass nicht der von Mixa heraufbeschworene “Zeitgeist” für die Vertuschung verantwortlich ist.
    Aus Spiegel online:

    Freiburg – Deutliche Worte des Freiburger Erzbischofs Robert Zollitsch: Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz hat Fehler der katholischen Kirche im Missbrauchsskandal eingeräumt – und die Motive genannt. “Durch die Enttäuschung über das schmerzliche Versagen der Täter und aus falsch verstandener Sorge um das Ansehen der Kirche” sei “der helfende Blick für die Opfer” in der Vergangenheit nicht genügend gegeben gewesen, gestand Zollitsch ein. Dies werde der Kirche heute bewusst.

    mfg georg

  37. #37 georg
    April 21, 2010

    Hier gibt es einen lesenswerten Text zu dem Thema, wer in Wirklichkeit für die Vertuschung der Misssbrauchsfälle verantwortlich ist. Das klingt ganz anders, als bei den scheinheiligen Moralpredigern Mixa, Lütz und Co.

  38. #38 Wb
    April 21, 2010

    Zu fragen ist also: Ist eine Gesellschaft denkbar, die frei in ihrer Moral ist und trotzdem wirksame Tabus gegen Gewalt hat?

    Erst einmal, der Artikel ist angebracht, auch wenn sich Zusammenhänge (zwischen der gesellschaftlichen Entwicklung und dem hier betrachteten Missbrauch), und hier scheinen viele diese Meinung zu teilen, sehr schwer zu erkennen sind.

    Diese (zitierte) Fragestellung jedoch scheint vom Weg wegzuführen, niemand strebt eine moralfreie Gesellschaft an, weder konservative Kräfte (hierzu zählen wir einmal die Katholische Kirche) noch progressive (Reformpädagogen, Humanisten, Atheisten etc.), zudem: Eine Gesellschaft ohne Moral hat keine Tabus.

    Die jeweilige gesellschaftliche Moral ist der gesellschaftlichen Entwicklung geschuldet und grundsätzlich auch eher positiv zu sehen, warum denn nicht?
    Es geht also gerade nicht in Richtung “Gesellschaft ohne Moral”.

    Ansonsten, hier wird der Webbaer einmal ein wenig femistisch und polemisch: Der Kindes- und Frauenmissbrauch scheint irgendwie im Mann drin zu stecken, Wertesysteme können als soziale/zivilisatorische Errungenschaft angesehen werden, die den möglichen Missbrauch unterbinden, je besser das Wertesystem (inkl. Rechtssystem :-), desto weniger Missbrauch.

    MFG
    Wb

  39. #39 Ronny
    April 21, 2010

    Es tut mir Leid, ich kann mir nicht vorstellen was im kranken Hirn eines Kinderschänders vorgeht. Wir klein und unbedeutend muss dessen Selbstwertgefühl sein, welche Minderwertigkeitskomplexe müssen diese Kreatur plagen, wie weit muss sich dieses Individuum von jeglicher Menschlichkeit entfernt haben, dass es seine Gelüste an hilflosen Menschen auslebt und ihr Leben zerstört.

    Bei Diskussionen nie recht bekommen, bei Streitigkeiten mit Gleichgesinnten den Schwanz einziehen, aber bei Hilflosen können wir den Macho raushängen lassen. Erbärmlich. Widerwärtig.

    Alle Versuche dies irgendwie schönzureden sind pathetisch. Der einzige Kommentar den ich von religiöser Seite gelten lasse würde ist: Auch in der Kirche gibt es Arschlöcher wie überall und wir haben sie viel zu lange gedeckt.

    Die einzige Möglichkeit etwas dagegen zu tun sehe ich in Aufklärung und Zivilcourage. Nicht zuzusehen wenn man sowas weiß. Insofern schließe ich mich der Meinung vieler Vorposter an, dass es sehr wichtig ist offen über Sexualität und deren Probleme zu diskutieren als sich hinter Moral zu verstecken. Denn eine von oben verordnete Moral erzeugt wieder Abhängigkeitsverhältnisse.

    Kindesmißbrauch ist Fakt, sprechen wir es an und zeigen den Tätern, dass wir nicht damit einverstanden sind. Mich nervts wenn dann ein Täteranwalt meint: Mein armer Klient hat halt ein gesteigertes sexuelles Bedürfnis nach Kindern. Was solls, ich hab ein gesteigertes Bedürfnis solche Leute einen Kopf (oder vielleicht einen passenderen Körperteil) kürzer zu machen. Ich kann mich beherrschen …

    Sorry für die Wortwahl, aber bei solchen Menschen endet mein üblicher Pazifismus und meine Versuche sachlich zu bleiben, obwohl ich weder Opfer noch Täter bin.

    Es bringt auch IMO nichts die Strafen zu erhöhen, denn das würde nur zur Folge haben, dass die Mordrate steigt.

    Zu fragen ist also: Ist eine Gesellschaft denkbar, die frei in ihrer Moral ist und trotzdem wirksame Tabus gegen Gewalt hat?

    Ich denke schon, nämlich dann, wenn sich die Gesellschaft (metaphorisch gesprochen ) vor das Kind stellt. Wenn jemand der in diese Richtung denkt/agiert sofort in seiner näheren Umgebung aneckt, wenn diesen Menschen (?) keine Möglichkeit zur Ausbreitung gegeben wird und klar gesagt wird:
    Was zwei (oder mehrere) Menschen in vollem EInverständnis miteinander machen geht NIEMANDEN etwas an, aber sobald du dich an einem Kind vergreifst ist die ganze Welt gegen dich.

  40. #40 Beate
    Mai 10, 2010

    Hallo, die Enttabuisierung hat m.E. nicht viel mit dem Missbrauch zu tun, denn insbesondere in den durch Prüderie geprägten 1950er Jahren war der Missbrauch an Kindern besonders hoch. Dazu gibt es Daten. Ich sehe einen engen Zusammenhang zu den Religionen und den Heilslehren, die sie verbreiten. Wenn das Christentum schon allein durch die Symbolik des blutenden Christus am Kreuz buchstäblich die kindliche Opferbereitschaft idealisiert, braucht man sich nicht zu wundern. Die Mehrheit der Menschen ist zudem unbewusst mit dem Täter identifiziert. Wer Heilslehren verbreitet, hält die Menschen in Abhängigkeit und die Herrscher-Sklaven-Struktur bleibt erhalten. Auch die so genannte Emanzipation kann etwas mit der Neigung zu tun haben, sich an Kindern zu vergreifen, ohne jetzt die Errungenschaften der Frauenbewegung schmälern zu wollen. Ich stelle aber fest, dass viele Männer Angst vor autonomen Frauen haben, ihnen nicht auf Augenhöhe begegnen können, weil sie insgeheim eine devote Frau wollen. Unterwürfige Frauen gibt es aber zum Glück immer weniger (?) und möglicherweise hat das zur Folge, dass sich Männer, die Angst vor erwachsenen Frauen haben, an kleine Mädchen ranmachen. Tja, das Thema ist so komplex wie die Abgründe der menschlichen Seele. Auf jeden Fall ist es wichtig, dass die Opfer zur Sprache kommen und die Täter sich nicht aus ihrer Verantwortung stehlen können!

  41. #41 Ockham
    August 23, 2010

    Je selbstverständlicher die öffentliche Diskussion und der private Erfahrungsaustausch ist, desto weniger sexuelle Gewalt, sei es gegen Kinder oder Erwachsene, findet statt.

  42. #42 perk
    August 23, 2010

    Je selbstverständlicher die öffentliche Diskussion und der private Erfahrungsaustausch ist, desto weniger sexuelle Gewalt, sei es gegen Kinder oder Erwachsene, findet statt.

    so ist es.. hoffentlich kommt das noch irgendwann in der mehrheit der bevölkerung an..