Im letzten Teil meiner Serie über Keplers “Astronomia Nova” waren wir an der Stelle stehengeblieben, an der Kepler in der Einleitung begründet, warum sich die Erde um die Sonne bewegen muss und nicht umgekehrt.

Im weiteren Verlauf beschäftigt er sich nun mit der eigentlichen Kraft, die für den Umlauf der Himmelskörper verantwortlich ist und kommt dabei den Ideen, die erst Jahrzehnte später von Newton geäußert werden, sehr nahe. Außerdem widerlegt er diejenigen, die behaupten, die Bibel würde seiner Lehrer widersprechen und zeigt, dass es sinnlos ist, die Bibel wörtlich zu interpretieren. Und schließlich findet er für die Leute, die lieber der Religion vertrauen anstatt der Vernunft, deutliche – fast schon modern klingende – Worte.

Zunächst aber macht sich Kepler über die Schwerkraft Gedanken. Er schreibt:

Die wahre Lehre von der Schwere stützt sich nun auf folgende Axiome: Jede körperliche Substanz ist, insoferne sie körperlich ist, von Natur aus dazu geneigt, an jedem Ort zu ruhen, an dem sie sich alleine befindet, außerhalb des Kraftbereichs eines verwandten Körpers.
Die Schwere besteht in dem gegenseitigen körperlichen Bestreben zwischen verwandten Körpern nach Vereinigung oder Verbindung (von dieser Ordnung ist auch die magnetische Kraft), so daß die Erde viel mehr den Stein anzieht; als der Stein nach der Erde strebt.

Die erste Aussage entspricht mehr oder weniger dem ersten Axiom von Newton (das eigentlich erst knapp 30 Jahre nach Erscheinen der Astronomia Nova von Galileo Galileo formuliert wurde). Und die zweite Aussage erinnert ebenfalls an Newtons (erst viel später veröffentlichte) Gedanken über die Schwerkraft.

Kepler schreibt weiter:

Wäre die Erde nicht rund, so würde das Schwere nicht überall geradlinig auf den Mittelpunkt der Erde zu, sondern von verschiedenen Seiten aus nach verschiedenen Punkten hingetrieben.

.Nun beschäftigt sich Kepler ausgiebig mit dem Problem von Ebbe und Flut und erkennt richtig, dass dafür die Anziehungskraft des Mondes verantwortlich ist. Daraus schließt er

Wenn nämlich die anziehende Kraft des Mondes sich bis zur Erde erstreckt, so folgt daraus, daß sich um so mehr die anziehende Kraft der Erde bis zum Mond und noch viel höher erstreckt und daß sich weiterhin keines der Dinge, die irgend wie aus irdischem Stoff bestehen und in die Höhe gehoben werden, den so starken Armen dieser Anziehungskraft entziehen kann.

Kepler schreibt also richtigerweise, dass die Schwerkraft sich bis in den Weltall hinein erstreckt und auf alle massiven Körper wirkt. Er spezifiziert weiter, wie sich die Stärke der Kraft mit dem Abstand zur Erde ändert:

Wenn sich aber auch die Anziehungskraft der Erde, wie gesagt, sehr weit nach oben erstreckt, so ist es doch wahr, daß ein Stein, der um eine im Vergleich zum Erddurchmesser merkliche Strecke entfernt wäre, nicht ganz nachkommen würde, falls sich die Erde bewegt. Er würde vielmehr seine Widerstandskräfte mit den Anziehungskräften der Erde vermischen und sich so von jenem Zug der Erde etwas frei machen, ebenso wie eine gewaltsame Bewegung die Geschosse etwas loslöst von dem Zug der Erde (…)

Man erkennt also, dass sich Kepler intesive Gedanken über die Natur der Schwerkraft gemacht hat. Er war kurz davor, die Formel zu finden, mit der einige Jahrzehnte später Isaac Newton berühmt wurde. Die Gravitationsgleichung hätte sich sogar direkt aus den Keplerschen Gesetzen ableiten lassen…

In den letzten 10 Seiten der Einleitung beschäftigt Kepler sich nun mit den Einwänden, die von religiöser Seite zu seinem Buch kommen könnten.

Viel größer ist jedoch die Zahl derer, die sich durch Frömmigkeit davon abhalten lassen, COPERNICUS beizupflichten, da sie fürchten, es würde dem in der Schrift redenden Hl. Geist eine Lüge vorgeworfen, wenn man behauptet, daß sich die Erde bewegt und die Sonne stillsteht.

.Hier bezieht sich Kepler auf das Buch Josua in der Bibel, wo in Kapitel 10, Vers 12-13 steht:

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