In den letzten beiden Teilen dieser Serie habe ich erklärt, wie man prinzipell die Parameter einer Simulation auswählt und wie man die Simulation der Bewegung der Himmelskörper selbst durchführt. Angenommen, alles hat gut geklappt – wie finde ich nun heraus, in welchen Bereichen in einem Planetensystem geordnete Bewegung möglich ist und wo chaotische Bahnen vorherrschen und demnach keine Himmelskörper zu finden sein werden?


Zu viele Daten

Im Prinzip sollte es ganz einfach sein. Wir haben ja für viele
verschiedene Testkörper an vielen verschiedenen Positionen berechnet,
wie sich deren Bahnelemente im Laufe der Zeit ändern. Wenn diese
Änderungen schön periodisch sind und nie über gewisse Grenzen
hinausgehen, dann sehen wir eine reguläre Bewegung und können davon
ausgehen, dass sich der Testkörper in einem Bereich des Sonnensystems
befindet, in dem “Ordnung” herrscht. Als Beispiel sei hier die
Veränderung der Exzentrizität der Bahnen von Erde und Venus gezeigt, die
über Millionen Jahre hinweg streng periodisch und geordnet verläuft:

i-02008d26375e0585df16e9315cea77d0-lnp.jpg

Sind die Änderungen allerdings nicht periodisch, dann bewegt sich
der Testkörper höchstwahrscheinlich in einem chaotischen Bereich, wie
man es z.B. an der Änderung der großen Halbachse zweier Asteroiden
sehen kann:

i-f75bc799f267ef1010379c23a99cbc86-neasdiff.jpg

Man muss sich also nur die Daten ansehen und entscheidet dann, ob
sie ordentlich oder chaotisch sind. Leider klappt das nur, wenn man
wenig Daten hat. Eine typische Simulation liefert als Resultat aber oft
die Bahnen von einigen Zehntausend Testkörper. Hier hat man keine
Chance mehr, einfach nur durch Ansehen der Daten seine Ergebnise zu
bekommen. Da sind andere, automatische Methoden nötig.

Solche automatisierten Verfahren braucht man außerdem, um das
dynamische Verhalten eines Testkörpers schon frühzeitig erkennen zu
können. Denn meistens hat man nicht die Zeit, die Simulation so lange
laufen zu lassen, bis sichergestellt ist, dass jeder Körper der sich in
einer chaotischen Region befindet, dies auch tatsächlich in der
Veränderung seiner Bahnelemente zeigt (Das kann unter Umständen kann
schön lange dauern – genaugenommen beliebig lange! Aber über diese
sticky orbits” werde ich ein anderes Mal mehr erzählen).

Das Chaos messen

Was man hier braucht, sind sg. “Chaosindikatoren”. Ein
Chaosindikator ist im Prinzip eine Zahl, deren Wert angibt, ob bzw. wie
stark chaotisch ein bestimmter dynamischer Prozeß abläuft. Im Laufe der
Zeit wurden von Mathematikern, Physikern und Astronomen eine Vielzahl
an Chaosindikatoren entwickelt (ich selbst habe in meiner Diplomarbeit
gezeigt, dass man fraktale Dimensionen als Chaosindikatoren verwenden kann).

Am bekanntesten ist aber sicherlich der Liapunov-Exponent und
seine vielen Abarten. Der Liapunov-Exponent basiert auf einer einfachen
Idee: Wenn ich z.B. wissen will, ob ein Testkörper in einer bestimmten
Region chaotisches oder reguläres Verhalten zeigt, dann betrachte ich
nicht nur seine dynamische Entwicklung sondern auch die eines
benachtbarten Testkörpers. “Benachtbart” heisst hier, dass die beiden
Körper beliebig nahe aneinander liegen können (für die Fachleute:
innerhalb einer epsilon-Umgebung). Nun schaut man, wie sich der Abstand
dieser beiden Testkörper im Laufe der Zeit ändert. Befindet man sich in
einem regulären Bereich, dann werden sich die beiden Himmelskörper nur
langsam voneinander entfernen; im Laufe der zeit wird ihr Abstand nur
linear anwachsen. Ist man allerdings in einer chaotischen Region, dann
kommt der sg. “Schmetterlingseffekt” zum Tragen: schon kleinste
Änderungen in den Anfangswerten können zu überproportional großen
Änderungen im Laufe der Zeit führen. Der Abstand der beiden Testkörper
vergrößert sich also viel schneller und wächst exponentiell an.

Der eigentlich Liapunov-Exponent ist ein eher mathematisches
Konstrukt und lässt sich in der Praxis selten anwenden (z.B. muß man
für seine Berechnung einen unendlich langen Zeitraum berücksichtigen
was sich nur in Ausnahmefällen durchführen lässt). Deswegen existieren
eine Reihe “Annäherungen” an den Liapunov-Exponent, die aber alle sehr
gut funktionieren. Es gibt z.B. Fast Liapunov Indicators (FLIs) oder Relative Liapunov Indicators (RLIs).
Dann existieren noch eine Reihe von anderen Chaosindikatoren die auf
anderen Eigenschaften chaotischer Systeme basieren, wie z.B. Recurrence
Plots
, Rotation Angles, GALI (Generalized Alignement Index), etc.

Je weniger rund, desto chaotischer

In der Himmelsmechanik verwendet man aber oft eine ganz spezielle
Methode, die manchmal “MEM – Maximum Eccentricity Method” genannt wird.
Hinter diesem großen Namen steckt eine äußerst simple Idee. Man
betrachtet die zeitliche Änderung der Exzentrizität eines Testkörpers
und bestimmt den größten Wert, den die Exzentrizität während der
Simulation angenommen hat. Diese Zahl ist der Chaosindikator.

Das diese simple Idee Sinn macht, lässt sich leicht erklären. Die
Exzentrizität beschreibt, wie stark die Bahn eines Himmelskörpers von
der Kreisbahn abweicht. Je exzentrischer die Bahn ist, desto
langgestreckter ist sie auch. Je langgestreckter die Bahn ist, desto
größer ist auch die Chance, dass der Körper in den Einflußbereich eines
anderen Objekts gerät bzw. dass sich zwei Bahnen überkreuzen. Und da
das chaotische Verhalten von Himmelskörpern unter genau solchen
Umständen auftritt, kann man die Exzentrizität gut als Chaosindikator
verwenden. Beim Vergleich mit anderen Methoden zeigt sich, dass die MEM
qualitativ die selben Ergebnisse liefert:

i-02a213ae3e6e02e20f3e5e8808dd5ada-mem-entropy-thumb-500x194.jpg

Hier sieht man die stabilen (blau/grün) und chaotischen (rot/gelb) Bereiche im Planetensystem des Sterns HD 4208. Auf der x-Achse ist die anfängliche große Halbachse der Testkörper aufgetragen, auf der y-Achse der Anfangswert der Exzentrizität. Das linke Bild zeigt das Ergebnis, das man mit der MEM erhält, das rechte Bild die Ergebnisse, diesmal bei Messung des Chaos mit der sg. Rényi-Entropie (die Bilder stammen aus diesem Artikel, dort gibts auch noch Details zu den Methoden).

Zum Thema Chaosindikatoren gäbe es noch viel zu sagen – und
vielleicht mache ich das auch mal in einem eigenen Artikel – aber für
unsere Überlegungen hier reicht das bisher gesagte aus. Man ist nun
also in der Lage, herauszufinden, wo in einem extrasolaren
Planetensystem geordnete Bewegung möglich ist und wo man mit
chaotischen, instabilen Bahnen zu rechnen hat.

Diese Informationen können durchaus wertvoll sein. So können sich
beispielsweise Beobachter viel Arbeit sparen, wenn sie nur dort nach
neuen Planeten suchen, wo auch stabile Bahnen möglich sind. Man kann
gezielt diejenigen Parameter bestimmen, die möglichst gute dynamische
Bedingungen für Planeten schaffen und Beobachtungsprogramme und
Satellitenmissionen darauf abstimmen. Im letzten Teil der Serie werde
ich ein konkretes Beispiel für so ein Analyse eines Planetensystem
vorstellen, komplett mit echten Ergebnissen 😉


Ähnliche Artikel: Ordnung und Chaos in extrasolaren Planetensystemen Teil 1: Probleme mit den Parametern, Ordnung und Chaos in extrasolaren Planetensystemen Teil 2: Wie man simuliert, Resonanzen und

Frequenzen, Wie beschreibt man die Bahn eines Himmelskörpers?, Chaos im Sonnensystem,

Wenn Planeten

unpünktlich sind…, Trojaner am Himmel, Erdnahe

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Kommentare (4)

  1. #1 cimddwc
    24. April 2009

    Die Änderung der großen Halbachse zweier Asteroiden namens DEC und Athlon? Da hast du im Eifer des Gefechts wohl deine eigene alte Grafik falsch gedeutet, denn damals waren’s noch zwei unterschiedlich rechnende Computer. 🙂

  2. #2 Florian Freistetter
    24. April 2009

    @cimddwc: Naja – es sind schon 2 Asteroiden. Also eigentlich ist es der selbe; aber auf den unterschiedlichen Computern werden (wie damals erklärt) ganz leicht unterschiedliche Anfangsbedingungen erzeugt – also sind es genaugenommen 2 verschiedene Objekte 😉

  3. #3 Eddy
    24. April 2009

    Das erklärt vielleicht auch, warum die Bahnen der Planeten stabiler sind als man annehmen könnte. Eben weil sie sich genau da befinden wo stabile Bahnen möglich sind … 😉

  4. #4 Bullet
    3. Februar 2010

    Ah. Das planetropische Prinzip, sozusagen. 🙂