Himmelsmechanik ist cool! Sich mit der Bewegung von Himmelskörpern zu beschäftigen, kann äußerst interessant sein. Und damit meine ich nicht unbedingt die eher sci-fi-artigen Arbeiten über Planeten in schwarzen Löchern. Schon die klassische Himmelsmechanik bietet genug Potential für überraschende Phänomene. Sobald man über das Zweikörperproblem hinaus geht, tut sich einiges. Zum Beispiel gibt es Objekte, die sich auf Hufeisen- oder Kaulquappenbahnen bewegen – und das auch noch in unmittelbarer Nachbarschaft der Erde!

Um zu erklären, was hier vorgeht muss man ein spezielles Modell verwenden, dass den Namen eingeschränktes Dreikörperproblem trägt. Das bedeutet, man betrachtet zwei große Objekte und ein kleines. Das können zum Beispiel die Sonne, ein Planet und ein Asteroid sein. Das kleine Objekt muss dabei wirklich klein sein denn man geht im Modell davon aus, dass zwar die beiden großen Objekte sich gegenseitig und das kleine Objekte gravitativ beeinflussen; die Masse des kleinen Objekts allerdings so gering ist, dass sie keinen Einfluss auf die beiden großen Brocken hat und daher vernachlässigt werden kann.

Mit diesem Modell lässt es sich mathematisch wesentlich einfacher arbeiten als wenn man die kompletten wechselseitigen gravitativen Kräfte berücksichtigen würde. Außerdem ist es hinreichend genau, wenn man z.B. die Dynamik von bestimmten Asteroidengruppen untersuchen will. Die Trojaner-Asteroiden, die sich in der Nähe des Jupiter befinden lassen sich mit dem eingeschränkten Dreikörperproblem wunderbar beschreiben. Diese Asteroiden befinden sich auf der gleichen bzw. sehr ähnlichen Bahnen wie die des Jupiter und dort in der Nähe der sogenannten Lagrangepunkte:

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Der gelbe Punkt in diesem Bild stellt die Sonne dar, der blaue den Jupiter. Im eingeschränkten Dreikörperproblem gibt es dann genau 5 spezielle Punkte in denen sich die Gravitationskraft von Sonne und Jupiter und die Zentrifugalkraft der Bewegung genau aufheben. Die Lagrangepunkte L4 und L5 stellen dabei stabile Gleichgewichtspunkte dar: ein Objekt das sich in ihrer Nähe befindet, wird auch für sehr lange Zeiten immer in der Nähe bleiben. Dort können sich also kleinere Objekte aufhalten und genau das beobachten wir im Sonnensystem. Jupiter wird auf seiner Bahn von jeder Menge Asteroiden begleitet: den Trojanern.

Um die Dynamik solcher Objekte im eingeschränkten Dreikörperproblem zu untersuchen, verwendet man normalerweise ein spezielles Koordinatensystem. Man betrachtet kein fixes, auf die Sonne zentriertes Koordinatensystem sondern benutzt eines, das mit dem Planeten mitrotiert! In so einem rotierenden Koordinatensystem stehen Sonne und Jupiter still – da der kleine Asteroid die beiden großen Körper ja nicht beeinflusst ändert sich die Bahn des Jupiter ja nicht sondern ist durch die entsprechende Ellipse die sich aus dem ersten Keplerschen Gesetz ergibt vorgegeben. In diesem Koordinatensystem bewegt sich also nur der Asteroid und seine Bahn sieht dann zum Beispiel so aus:

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Das ist die Bewegung von typischen Trojanern im mitrotierenden Koordinatensystem um den Lagrangepunkt L4. Die grüne Bahn zeigt einen Trojaner der sich sehr nahe am Lagrangepunkt befindet, die blaue Bahn zeigt einen, der weiter entfernt ist. Solche Bahnen werden “tadpole-orbits” genannt, also “Kaulquappenbahnen” weil angeblich ihre Form der einer Kaulquappe ähnelt. Man erkennt deutlich, dass die Bahn umso größer wird, je weiter entfernt der Asteroid vom Lagrangepunkt startet. Die Stabilitätsregion um L4 und L5 ist allerdings nicht beliebig groß und auch die Kaulquappenbahnen können nicht beliebig groß werden. Befindet sich der Asteroid zu weit vom Lagrangepunkt entfernt, dann ist er nicht mehr in einer Trojaner-Konfiguration und es wird auch keine Kaulquappenbahnen mehr geben. Man beobachtet dann solche Bahnen:

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Der Asteroid bewegt sich nun nicht mehr nur um L4 oder L5 sondern um beide Lagrangepunkt (und auch um L3). Diese Bahn nennt man “horseshoe-orbit” bzw. Hufeisenbahn (die Ähnlichkeit ist hier deutlicher zu sehen). Bahnen dieser Art sind nicht so stabil wie die tadpole-orbits der Trojaner. Objekte auf Hufeisenbahnen bleiben dort normalweise nur einige tausend Jahren bevor sie sich auf gänzlich unabhängige Orbits bewegen. Eine Ausnahme ist gerade das Objekt, dass die oben im Bild gezeigte Bahn hat. Das ist der Asteroid 2010 SO16 und seine Hufeisenbahn zieht er nicht in der Nähe des Jupiters sondern gleich bei uns um die Ecke: er ist ein Begleiter der Erde!

Man kennt mittlerweile einige Asteroiden, die die Erde auf Hufeisenbahnen begleiten. Dazu gehören 2002 AA29, 2001 GO2, 54509 YORP und 3753 Cruithne (bei letzterem ist allerdings nicht ganz klar, ob er wirklich in einer echten Hufeisenbahn ist). 2010 SO16 wurde im September 2010 vom Weltraumobservatorium WISE entdeckt und Apostolos Christou und David Asher vom Armagh Observatory in Nordirland haben seine Dynamik untersucht und herausgefunden, dass er sich auf einer sehr langlebigen Hufeisenbahn befindet. Im Gegensatz zu den bisher bekannten Erdbegleitern beträgt die Lebensdauer seiner Hufeisenbahn mehr als hunderttausend Jahre.

Aber warum macht das Ding überhaupt so eine komische Bahn? Das ist mit ein paar grundlegenden Kenntnissen der Himmelsmechanik leicht zu verstehen. Erstmal gilt das dritte Keplersche Gesetz: ein Objekt das sich näher an der Sonne befindet umrundet sie schneller als eines das sich weiter entfernt befindet. Gehen wir also mal davon aus, dass 2010 SO16 sich innerhalb der Erdbahn befindet. Er wird die Sonne also ein klein wenig schneller umkreisen als die Erde und sie daher irgendwann einholen. Wenn er sich der Erde nähert, wird allerdings auch die Anziehungskraft stärker. Bei Punkt 1 im obigen Diagramm sorgt diese Anziehungskraft und die dadurch entstehende Beschleunigung des Asteroiden dafür dass sich der Asteroid ein wenig von der Sonne entfernt. Er kreuzt die Erdbahn, wird aber immer noch weiter beschleunigt. Irgendwann befindet er sich auf einer neuen Bahn, außerhalb der Erdbahn, die Beschleunigung lässt nach und der Asteroid bewegt sich nun langsamer um die Sonne als die Erde (er ist ja jetzt weiter von der Sonne entfernt als sie). Er fällt also immer weiter zurück bis er sich irgendwann ihr irgendwann von der anderen Seite nähert und das ganze Spiel in umgekehrter Reihenfolge von vorn beginnt. Diesmal bremst die Erde den Asteroiden, er fällt auf eine engere Bahn und bewegt sich nun wieder schneller um die Sonne als die Erde.

Hier ist noch ein Video, dass diesen Vorgang als Animation zeigt:

Ich sags ja: Himmelsmechanik ist cool!


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Kommentare (8)

  1. #1 noch'n Flo
    19. April 2011

    (Ironie-Modus an)

    Hey, wäre das nicht eine “Erklärung” für das Nibiru-Problem? Der eiert immer schön hinter der Sonne herum, so dass wir ihn nie sehen können, lugt nur mal kurz an der Korona vorbei, wenn wieder ein paar Esos den Himmel fotografieren, und im Dezember 2012 macht er – schwuppdiwupp – einfach einen Bocksprung über die Sonne und landet direkt in meinem Vorgarten.

    (Ironie-Modus aus)

  2. #2 SCHWAR_A
    19. April 2011

    @FF: Sehr interessantes Phänomen!
    Auch der Mond ist mal innen und mal außen und dadurch mal schneller und mal langsamer als die Erde. Aber er bleibt nie soweit zurück bzw. eilt nie derart vor, daß er losgelöst ist von der Erde. Wo liegt der Unterschied genau? Ist es der minimale Abstand?

  3. #3 Florian Freistetter
    19. April 2011

    @SCHWAR_A: Naja, die Bahn des Mondes ist dann doch zu verschieden von der der Erde. Und der Mond ist ja auch recht groß; das macht auch Schwierigkeiten bei dieser Art von Bahn.

  4. #4 Findelkind
    19. April 2011

    @Florian

    Diese Lagrangepunkt-Geschichte hat mich bisher nur selten interessiert. Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wie sehr mich dieser Artikel inspiriert hat. Bitte mehr davon…

    Leider bin ich gleich feierabendbedingt offline. Bis morgen formuliere ich eine Frage, die hier her passen könnte…

  5. #5 nihil jie
    19. April 2011

    also vorhin habe ich mir die ersten sätze durchgelesen, dann gleich das video geschaat. dann dachte ich mir “was ist das denn schon wieder… solche bahnen gibt es doch gar nicht ?” 🙂 dann musste ich weg. eben gerade hatte ich auch zeit mir den kompletten artikel durch zu lesen… jetzt weiss ich dass diese “bahnen” dadurch entstehen, weil das system so idealisiert wurde und, dass das koordinatensystem mitrotiert 🙂

  6. #6 Onkel Jörg
    20. April 2011

    Danke lieber Florian!

    Das ging ja doch ganz fix.

    LG O.J.

  7. #7 Wolfgang Graßmann
    23. April 2011

    Sie hätten auch mal die Hillschen Grenzflächen erwähnen können!

  8. #8 Florian Freistetter
    23. April 2011

    @Wolfgang Graßmann: Hätte ich, wollte ich aber nicht. Man muss nicht zuviel in nen Artikel packen.