Betrug in der Wissenschaft. Sowas sollte eigentlich nicht passieren können. Denn um zu betrügen, braucht man zuerst jemand, der einem glaubt und dessen Vertrauen man ausnutzen kann. Und Wissenschaft hat eigentlich nichts mit Glauben zu tun. Wissenschaftliche Ergebnisse glaubt man nicht, man überprüft sie und dann stellen sie sich entweder als richtig heraus oder als falsch. In der Wissenschaft zu betrügen ist sinnlos, weil man damit nicht durch kommt. Zumindest wäre das in einer idealen Welt so. Die Realität sieht anders aus. In der realen Welt leben reale Menschen, mit all ihren Fehlern. Und darum gibt es immer wieder auch Betrug in der Wissenschaft.

Die Würzburger Lügensteine, gefälschte Fossilien aus dem 18. Jahrhundert (Bild: Public Domain)

Zur Verteidigung der Wissenschaft muss man sagen: Wer bei wirklich wichtigen Sachen betrügt, fliegt trotzdem zwangsläufig auf. Man kann sich nicht einfach irgendein tolles und bahnbrechendes Resultat ausdenken, und damit durchkommen. Je spektakulärer das Ergebnis, desto mehr Leute werden es überprüfen; desto mehr werden darüber Bescheid wissen und auf dem selben Gebiet arbeiten wollen. Und dann zwangsläufig merken, dass da irgendwas faul ist.

Aber in kleinerem Rahmen ist wissenschaftlicher Betrug viel schwerer aufzudecken. Wer überprüft schon jeden Satz in jeder Arbeit auf Plagiate? Wer checkt jedes wissenschaftliche Diagramm oder rechnet jede Formel nach? Die Wissenschaft besteht ja nicht nur aus großen Revolutionen sondern auch aus viel Handwerk und nicht ganz so dramatischer Alltagsarbeit. Und wenn man da ein wenig an den Daten rumschraubt, damit die Plots ein bisschen schöner aussehen oder die Messergebnisse besser zu den Hypothesen passen: Wer macht sich schon die Mühe das nachzuprüfen, wenn es sich nur um einen von tausenden 0815-Artikel handelt, die jeden Tag irgendwo publiziert werden? Wie oft wird ein Wissenschaftler als Ko-Autor einer Arbeit angeführt, obwohl er oder sie nichts zu ihrer Entstehung beigetragen haben? Eigentlich sind solche Gefälligkeiten nicht erlaubt, aber wenn der Chef der Arbeitsgruppe meint, er müsse auch als Autor erwähnt werden – wer traut sich da schon abzulehnen?

Wie oft genau ein wenig geschummelt wird ist schwer zu sagen. Aber es wäre absurd anzunehmen, dass es nicht passiert. Wissenschaftler sind Menschen und überall wo Menschen arbeiten, gibt es auch Betrüger.

Was Wissenschaftler dazu motiviert zu betrügen, ist Thema des Buches “Ein tiefer Fall” von Bernhard Kegel. Ich habe schon sein Buch “Der Rote” rezensiert und toll gefunden. Der Biologe Hermann Pauli, der dort die Hauptrolle spielt, ist auch die Hauptfigur in “Ein tiefer Fall”. Nach seinen Abenteuern in Neuseeland ist Pauli wieder an die Universität Kiel zurück gekehrt. Er hat einen neuen Kollegen bekommen: Professor Frank Moebus, der neue Star in der Welt der Biologie. Er hat in der Tiefsee die “Moebus-Zellen” entdeckt; uralte Organismen die nicht auf DNA sondern RNA basieren und eine ganz eigene und unabhängige Welt des Lebens darstellen. Nur blöd, dass plötzlich zwei Tote in Moebus’ Labor liegen…

Ich will von der Handlung gar nicht zu viel verraten. Das Buch ist spannend, lesenswert und ich habe es in einem Rutsch durchgelesen. So wie in “Der Rote” stellt Kegel auch hier wieder die Welt der Wissenschaft ziemlich korrekt und anschaulich dar. Diesmal sind es die Arbeitsbedingungen in der Spitzenforschung die im Mittelpunkt stehen: der ständige Drang, besser als die anderen zu sein, die Aufopferung, die langen Tage und Nächte im Labor, die nötig sind um beim “Publish or Perish”-Spiel nicht zu verlieren. Und genau dieser Zwang, immer spektakulärere Ergebnisse zu produzieren ist es, der am Ende zum Betrug führt. Lest das Buch, es lohnt sich! (Eine kurze Rezension gibts auch bei Markus Dahlem von den SciLogs)

“Ein tiefer Fall” ist ein Roman. Wer wissen möchte, wie der dort beschriebene Betrug im echten Leben abläuft, dem kann ich die Lektüre von “Plastic Fantastic: How the Biggest Fraud in Physics Shook the Scientific World” von Eugenie Samuel Reich empfehlen. Da wird der reale Betrugsfall um den deutschen Physiker Jan Hendrik Schön beschrieben. Ende der 1990er Jahre passierte an den Bell Laboratories in den USA ziemlich genau das, was in Kegels Roman passiert. Ein junger Wissenschaftler glänzt mit immer neuen und immer beeindruckenderen Ergebnissen. Schön behauptet, einen komplett neuartigen Hochtemperatursupraleiter entwickelt zu haben. Und einen Transistor, der nur aus einem einzigen Molekül besteht. Die Ergebnisse sind so dramatisch, dass sich alle mitreißen lassen und offensichtlich niemand mehr mitdenkt. Schön wird als Nobelpreiskandidat gehandelt und steht kurz davor, zum jüngsten Direktor eines Max-Planck-Instituts ernannt zu werden. Und niemand findet es seltsam, wenn Schön im Jahr 2001 durchschnittlich fast jede Woche einen Fachartikel veröffentlicht, ganze 17 davon in den Top-Journals Nature und Science. Und Nature & Science selbst wollen sich die revolutionären Erkenntnisse nicht von anderen Zeitschriften nehmen lassen und prüfen die Behauptungen von Schön nicht so, wie sie eigentlich geprüft werden müssen. Erst als eine Reproduktion von Schöns Ergebnissen wiederholt scheitert und Schön selbst immer wieder ablenkt, wenn es darum geht, den Leuten Einblick in seine Methoden zu gewähren, fliegt die Sache irgendwann auf. Ende 2002 müssen Nature und Science 15 Publikationen von Schön zurückziehen, weil die Daten allesamt gefälscht fahren. Der Rechtsstreit um die Aberkennung von Schöns Doktortitel dauerte bis zum September 2011 – Schön verlor und arbeitet jetzt in einer Chemiefirma.

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Kommentare (7)

  1. #1 badhofer
    steyr
    6. Februar 2013

    – Folgende Aussage von dir wird von der Allgemeinheit total unterschätzt: “Die Wissenschaft besteht ja nicht nur aus großen Revolutionen sondern auch aus viel Handwerk und nicht ganz so dramatischer Alltagsarbeit.”

  2. #2 Jan
    6. Februar 2013

    Und ich hatte unter der Überschrift einen Kommentar zum “Fall Schavan” erwartet. “Der Rote” hab ich vor einiger Zeit gelesen und fand das Buch damals auch gut. Danke also für den Hinweis auf das neue.

  3. #3 Abe
    6. Februar 2013

    Ich finde Ihre Beschreibung des Wissenschaftsbetrieb durchaus treffend, aber im Urteil zu optimistisch – es sind doch nicht die angeblich wenigen schwarzen Schafe, die man dann auch noch mit den systemimmanenten Methoden der Wissenschaft entlarven könne – ja zwangsläufig zur Entlarvung führen müssen. Die ganze Struktur des Wissenschaftsbetriebes führt doch geradezu zur Täuschung. Die Anhäufung von positiver Einzelfaktizität (d.i. Paper 9999 in Fachjournal 999 bei immer weiter sich atomisierenden Bindestrich-Sub-Fachbereichen von Fachbereichen) ignoriert vollkommen, wann und in welcher Gesellschaft und zu welchen Zwecken diese Erkenntnisse gewonnen werden. Das Modell funktioniert noch einigermaßen in den Naturwissenschaften, weil sich da zwangsläufig falsche Erkenntnisse vor der Realität blamieren müssen, aber selbst hier setzt doch die Gesellschaft die Zwecke und Art der Forschung (Militär als der Fortschritts- und innovationsmotor, um nur mal das abgeschmackteste Beispiel zu bedienen) – und sie setzt diese Zwecke mehr unbewusst und irrational.

  4. #4 Pete
    6. Februar 2013

    Ich finde in dem Zusammenhang diesen Blog lesenswert:
    https://www.forschungsmafia.de/blog/

    Manchmal wuensche ich mir, der Autor wuerde mal widerlegt werden, einfach so als Zeichen, dass es doch nicht so schlimm wie geschildert ist…

    Pete

  5. #5 Hans
    7. Februar 2013

    Ich hatte unter der Überschrift jetzt eigentlich auch was zum “Fall Schavan” erwartet und mich dann, als schliesslich das Buch genannt wurde, um das es eigentlich geht gefragt, ob ich die weitere Lektüre des Artikels abbrechen soll? (Hab mich schliesslich doch dagegen entschieden.) Als das Cover des Buches so langsam ins Bild rückte, bin ich auch erst noch davon ausgegangen, es würde sich um ein Sachbuch handeln, welches das Phänomen beschreibt. – Nun ja, da bin ich ja nicht der Einzige, der hier auf’s Glatteis geführt wurde. Ich bezweifel allerdings, ob die Art der Verarbeitung als Krimi kurzfristig was an der Misere im derzeitigen Wissenschaftsbetrieb ändern wird. Mittel bis Langfristig vielleicht, aber da wird sich die Betrachtung wohl über Generationen hin ziehen, um nicht den Begriff von den “geologischen Zeiträumen” zu strapazieren. Aber bis sich herum spricht, (und auch geglaubt wird) dass die Szenarien, so wie sie dort geschildert werden nicht der Phantasie des Autors, sondern der Realität entsprungen sind, wird es wahrscheinlich auch eine Weile dauern, zumal Krimis ja auch nicht jedermanns Sache sind. Ob es einen Unterschied machen würde, wenn die Geschichte im Science Fiction Gewand daher käme, mag ich allerdings auch nicht beurteilen. Vermutlich würde es dann aber eher noch länger dauern, bis sich am allgemeinen Bewusstsein in dieser Hinsicht was ändert. Aber man soll die Hoffnung ja nie aufgeben.

  6. #6 Florian Freistetter
    7. Februar 2013

    @Hans: “ch hatte unter der Überschrift jetzt eigentlich auch was zum “Fall Schavan” erwartet und mich dann, als schliesslich das Buch genannt wurde, um das es eigentlich geht gefragt, ob ich die weitere Lektüre des Artikels abbrechen soll? “

    Hu – welch Dramatik! Die Lektüre abbrechen, weils NICHT um Schavan geht… Über die Frau kannst du eh überall genug lesen. Weisst du, ich bin gerade unterwegs und mache so etwas ähnliches wie Urlaub. Die Artikel dieser Woche habe ich alle letzte Woche geschrieben; die werden automatisch veröffentlicht. Das dieser hier gleichzeitig mit Schavans Theater veröffentlicht wurde, ist Zufall.

    “Nun ja, da bin ich ja nicht der Einzige, der hier auf’s Glatteis geführt wurde. “

    ??? Ich habe eine Rezension über ein Buch geschrieben. Zwei Bücher eigentlich; einen Roman und ein Sachbuch. Ich habe hier überhaupt niemanden “aufs Glatteis geführt”. Wenn ich nicht den Artikel geschrieben habe, den du lesen wolltest, tut es mir leid.

    “ch bezweifel allerdings, ob die Art der Verarbeitung als Krimi kurzfristig was an der Misere im derzeitigen Wissenschaftsbetrieb ändern wird.”

    Ich bezweifle, ob das Sinn des Buches war.

  7. #7 Hans
    7. Februar 2013

    @Florian: Na dann ist das wirklich ein sehr dummer Zufall, das der Artikel passend zu Frau Schavans Theater publiziert wurde. Aber die Überschrift weckt im Augenblick nun mal diese Assoziation, – bei mir zumindest. Aber ansonsten ist es schon richtig, das man zu dem Theater von Frau Schavan überall sonst genug zu lesen bekommt.

    Und was ich lesen will, sind interessante Beiträge, wobei ich mich auch gern überraschen lasse.

    Über den Sinn von Literatur kann man natürlich unterschiedliche Ansichten vertreten. Und ich vermute halt, das es auch eine Intension des Autors war, den Wissenschaftsbetrieb auf dieser Weise einem Publikum vorzustellen, das damit ansonsten nichts zu tun hat. Wenn ich damit falsch liege, ist es auch kein Drama.