Der erste Tag meiner Reise war wettermäßig eher mäßig. Heute war es leider nicht besser. Der Morgen im fränkischen Münchberg war kalt, neblig und feucht. Aber ok, ich bin halt mal losgefahren.

Die Tour

Zuerst ging es ein Stück durch einen schönen Wald:

1

Weniger schön war der Weg dort. Nicht wirklich geeignet zum Radfahren:

2

Es wurde aber besser und die Landschaft war schön. Ich hab auch die Saale wieder getroffen. Meandernde Flüsse sind nicht nur hübsch, sie bieten auch Gelegenheit, über jede Menge Wissenschaft zu reden. Aber das hab ich schon früher gemacht:

3

In Förbau war die Saale dann schon richtig groß:

4

Heute ist ja der erste Mai. Und ich war in Bayern. Ich hab eigentlich damit gerechnt, dass in jedem Dorf durch das ich fahre, ne Maibaumparty stattfindet; mit Blasmusik, Bier, Bratwurst und Grillhähnchen. Ich hab mich schon auf ein bisschen Action gefreut – aber leider war nirgendwo irgendwas los:

5

Tja, es gibt halt doch keinen besseren Ort für den 1. Mai als Wien. Da wars immer toll; im Prater war jede Menge los und man konnte den ganzen Tag Konzerte hören, Party machen oder einfach nur in der Wiese liegen und Bier trinken.

In Franken wars eher trostlos und kalt. Die Temperaturen blieben unter der 10-Grad-Grenze, der Nebel blieb neblig und die Luft feucht. Da half auch die nette Brücke in Schwarzenbach an der Saale nichts.

6

Und auch der Oberkotzauer Bibelweg war kein echter Trost:

8

Schließlich bin ich in Hof angekommen. Das ist immerhin ne halbwegs große Stadt, da sollte es doch ein Maibaumfest geben. Ein warmes Grillhähnchen wäre jetzt ideal. Oder irgendwas anderes, hauptsache warm. Oder wenigstens Alkohol. Aber nix – die Stadt war tot.

9

Auf die Sternwarte und die Jugendherberge hatte ich auch keine Lust.

10

Ich habe mich dann entschieden, das Radeln für heute sein zu lassen. Hinter Hof beginnt der stark hügelige Teil des Saaleradwegs und ich hatte noch 60 Kilometer vor mir, bis zum geplanten Etappenziel in Saalburg. Aber ich hatte absolut keine Lust, diese 60 Kilometer bei 7 Grad, Nebel und Nieselregen zu absolvieren; vor allem, weil ich immer noch erkältet bin. Ich hatte eigentlich vor, mich auf der Radtour zu erholen und nicht frierend durch eine Nebelsuppe zu radeln. Als Brillenträger macht das noch weniger Sinn; bei Dauerregen Radfahren ist nervig. Da kann ich mich genauso gut unter die Dusche stellen und mit den Beinen strampeln, das kommt aufs Gleiche raus. Außer Wassertropfen sieht man nicht viel…

Also bin ich in Hof in den Zug gestiegen und hab den ganzen hügeligen Abschnitt des Radwegs einfach übersprungen! Ich bin direkt nach Thüringen gefahren, in der Hoffnung, das hier das Wetter besser ist als in Bayern. Mein Ziel für heute wurde also Saalfeld:

11

Da war es zwar immer noch etwas kühl, aber immerhin hatte es 14 Grad und keine 7 Grad mehr. Und wenn auch die Sonne nicht schien, konnte ich mein Bier wenigstens im Trockenen trinken:

13

Die heutige Tour war also etwas enttäuschend. Aber zumindestens nicht uninteressant.

Die Frage

Heute habe ich etwas wirklich schönes entdeckt. Das hier:

7

Ja, ich weiß. Nur ne Hochspannungsleitung. Die ist nicht wirklich das, was man normalerweise als “schön” bezeichnet. Aber ein Ziel meiner Reise ist es ja, Dinge zu finden, an denen man normalerweise einfach vorbei fahren würde und zu zeigen, dass sie durchaus spannend und interessant sein können. Das trifft auf diese Hochspannungsleitung absolut zu. Sie mag zwar einfach nur in der Gegend hängen. Aber genau darum geht es: Warum hängt sie so herum, wie sie es tut? Beziehungsweise: Warum hängt sie genau so da, wie sie da hängt?
In Saalfeld kann man sich das ganze natürlich auch ansehen. Da habe ich diese hängende Kette gesehen:

12

Natürlich ist auch das nichts Außergewöhnliches. Ketten, Absperrbänder, Schnüre, Leitungen: Andauernd hängt irgendwo irgendwas. Aber wenn man genauer darüber nachdenkt, warum die Dinge hängen, kann man einiges über das Universum lernen.

Mathematisch wird die Form so einer hängenden Kette (wenig überraschend) als Kettenlinie bezeichnet. Man kann ihre Form mathematisch exakt beschreiben; die entsprechende Ableitung möchte ich hier jetzt aber nicht präsentieren – mit ein wenig physikalisch-mathematischen Grundlagendwissen kann man das aber auch selbst machen. Am Ende zeigt sich, dass die Kettenlinie durch den Kosinus Hyperbolicus (cosh) beschrieben wird. Wer es genau wissen will – so sieht die Formel aus:

kettenlinie

Historisch gesehen haben sich erstaunlich viele berühmte Mathematiker mit dem Thema beschäftigt. Galileo Galilei glaubte, die Kurve wäre eine Parabel; im 17. Jahrhundert zeigte aber Joachim Jungius dass dies nicht korrekt war. Robin Hooke, Gottfried Leibnitz und Christian Huygens beschäftigten sich damit und fanden schließlich die Formel, die die Kettenlinie beschreibt, nachdem Jakob Bernoulli dazu aufgerufen hatte, das Problem endlich zu lösen.

Im 18. Jahrhundert war es dann schließlich der große Leonard Euler, der das zeigte, was ich an dieser Kurve so beeindruckend finde. Rotiert man die Kettenlinie um die x-Achse, erhält man eine Form, die man Katenoide nennt. Und Euler zeigte, dass es sich dabei um eine Minimalfläche handelt, also eine Fläche, die unter vorgegebenen Rahmenbedingungen den geringst möglichen Flächeninhalt einnimmt.

Das ist auch irgendwie logisch, denn die Kette hängt ja einfach nur passiv zwischen zwei Pfosten. Dabei nimmt sie natürlich auch automatisch den Zustand geringst möglicher Energie ein. Wollte man, dass die Kette zum Beispiel in der Mitte nicht nach unten, sondern nach oben zeigt, dann müsste man auf die eine oder andere Art Energie reinstecken (sie zum Beispiel schwingen). Und wenn die Energie wieder weg ist, dann hängt die Kette wieder durch. In diesem Zustand hat sie die geringste potentielle Energie. Aus dem gleichen Grund fließt auch Wasser immer nach unten. Um Wasser (oder sonst irgendwas) nach oben zu heben, braucht man Energie. Wasser weiter oben hat also mehr potentielle Energie als Wasser weiter unten. Also fließt es, sich selbst überlassen, immer nach unten, in den Zustand geringster Energie. Aus dem gleichen Grund ist die Wasseroberfläche (wenn wir mal von Dingen wie Oberflächenspannung absehen) immer eben. Ein Buckel im Wasser hätte eine höhere potentielle Energie und gleicht das aus, in dem er zerfließt.

Und ebenfalls aus dem gleichen Grund, sind Sterne und Planeten rund. Die Kugel ist die Form, die bei vorgegebenen Volumen die kleinste Oberfläche hat. Die Oberfläche einer Kugel ist also, so wie die Katenoide, ebenfalls eine Minimalfläche. Bei einer Kugel sind alle Punkte gleich weit vom Mittelpunkt entfernt, überall wirkt die gleiche gravitative Anziehungskraft. Wäre es anders, wäre die potentielle Energie nicht minimal und solche Zustände mag das Universum nicht. Das ist der Grund, warum Himmelskörper wie die Sonne oder die Erde rund sind: unter ihrer eigenen Gravitationskraft nehmen sie den Zustand ein, der die größte Gravitationsbindungsenergie hat. Das bedeutet, die Kugel ist die Form, bei der man am meisten Energie aufwenden muss, um sie zu verformen und damit auch die Form, die von selbst entsteht, wenn man von außen keine Energie reinsteckt (Natürlich ist die Erde keine exakte Kugel, weil hier noch andere Faktoren eine kleinere Rolle spielen; aber in erster Näherung ist sie eine sehr exakte Kugel mit minimalen Abweichungen).

Die herumhängenden Stromleitungen und Ketten zeigen uns also quasi die fundamentale Faulheit des Universums und seinen Wunsch, immer den energetisch günstigsten Zustand einzunehmen. Die Leitung hängt aus dem gleichen Grund genau so in der Gegend herum, aus dem auch die Erde rund ist!

So gehts weiter

Eigentlich wäre der morgige Tag für eine Tour über die Thüringer Stauseen reserviert gewesen. Aber diesen Teil habe ich ja nun schon übersprungen und vermutlich hätten mir die Seen bei dem Mistwetter eh keinen Spaß gemacht. Wenn schon See, dann mit Sonne und der Möglichkeit irgendwo gemütlich am Seeufer Pause machen zu können. Die nächste Etappe wird mich nun also von Saalfeld an der Saale entlang nach Jena führen. Dort werde ich zuhause einen Ruhetag einlegen und erstens auf besseres Wetter hoffen und zweitens darauf, dass meine Erkältung endlich verschwindet. Ich bin nach meiner Krankheit letzte Woche doch nicht so fit wie ich dachte und das Radfahren strengt mich doch mehr als, als es das sonst tut. Vor allem bei diesem Mistwetter! Wenn sich das nicht ändert, werde ich die Tour vielleicht auch komplett unterbrechen. Ich hab keine Lust, mich bei Kälte und Regen auf dem Fahrrad abzuquälen. Mal sehen, wie das Wetter morgen wird. Wenn es wieder mies ist, dann fahr ich vielleicht gleich mit dem Zug weiter nach Jena und hoffe auf wärmere Temperaturen, wenn ich am Wochenende weiter Saaleabwärts radle. Zu entdecken gibt es sicher auch vom Zug aus etwas!

Kommentare (25)

  1. #1 Tante Jay
    1. Mai 2013

    Ne Kette mathematisch beschreiben. Auf DIE Idee muss man erstmal kommen Oo

  2. #2 mafl
    1. Mai 2013

    Ich bin wie die Kette und das Universum: hänge einfach faul rum 🙂
    (Naja, ich habe auch schon etwas Unkraut gerupft.)
    Hier in Hannover ist das Wetter besser. Hoffe es wird auf deinem Weg auch wieder schöner!

  3. #3 mafl
    1. Mai 2013

    Mich hat Dein Text an das hier erinnert:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Antoni_Gaud%C3%AD#Konstruktionsprinzip_und_Statik

    Der Architekt Gaudi hat die hängende Kette auch genutzt.

  4. #4 rolak
    1. Mai 2013

    Zu jeder Etappe das passende Bier, schick – da wird es doch wohl hoffentlich keinen stören, wenn ich mir jetzt auch eines genehmige…

    Weiterhin gute, na ja, ab jetzt bessere Fahrt!

  5. #5 bikerdet
    1. Mai 2013

    Hallo FF
    Ich möchte gerne nochmal auf das Wegweiserbild in Hof zurückkommen. Ist Dir aufgefallen, das von unten nach oben eine ‘aufsteigende Linie’ zu erkennen ist ?
    Nach Klinikum und Jugendherberge (obwohl ich dort meist sehr interessante Menschen kennengelernt habe) zu Sternwarte und ‘Untreusee’ . Besonders vom See hätte ich doch gerne einen Erfahrungsbericht gelesen …

  6. #6 Sabine
    1. Mai 2013

    Ahoi,
    wenn man derzeit an irgendwelchen Flüssen entlangradeln will, ist definitiv die Oder zu empfehlen. Da (norden, osten) ist in den kommenden Tagen noch am wahrscheinlichsten mit schönem Wetter zu rechnen. Weswegen ich genau das tun werde: der Sonne entgegen die Oder herab radeln… Bier soll es ja auch in Brandenburg geben. Und Polen ist nahe, was Florian die Gelegenheit zu Artikeln über polnische Astronomen
    gäbe…

  7. #7 eumenes
    1. Mai 2013

    Kettenlinie geht auch über e-Funktionen, e^x + e^-x ist zwar identisch, wirkt dann etwas vertrauter.

  8. #8 asd
    1. Mai 2013

    erkälltung geht aufs herz, da soll man sich an sich ü-nicht anstrengen, auch sauna ist tabu.
    am besten eine angenehme temperatur halten, fishermans friend kleinbröckeln, viel essen und saufen

  9. #9 Olaf aus HH
    Hamburg, D, Europa, Erde...
    1. Mai 2013

    Ein witziger Bericht, zumal das Universum einen auch für den Menschen idealen, jedenfalls nicht schädlichen Zustand der fundamentalen offenbar optimierten Faulheit bevorzugt. Wir sollten aus der Physik für das Leben lernen. 😉
    Ihnen wünsche ich jedenfalls deutlich besseres Wetter und knusprige Grillhähnchen für die weitere Reise !

  10. #10 Alexander
    1. Mai 2013

    Was die Maibaumfeiern angeht bist du glatt einem Vorurteil aufgesessen: du warst kulturell gesehen in FRANKEN nicht in BAYERN. In Franken gibt es Kerwabäume, keine Maibäume. Und die werden bei der Kerwa (Kirchweih) aufgestellt, an den verschiedensten Tagen von April bis Oktober, jeder Ort hat da seinen eigenen Termin. Daher gibt es am 1. Mai höchstens eine SPD- oder DGB-Veranstaltung, und die stehen aber auch nicht gerade im Ruf besonderer Gaudi und/oder Gemütlichkeit.
    Also wiede retwas dazugelernt, auf der Wissensreise 😉

  11. #11 simop
    2. Mai 2013

    @Alexander:
    Nicht ganz. Es stimmt zwar, dass in Franken meist eher Kerwabäume aufgestellt werden, aber:
    Gerade im Hofer Gebiet ist eher die Maibaumtradition verbreitet. Wie ich das behaupten kann?
    Ganz einfach-als Jugendliche war am 30.4. Eine Tour durch den (bei mir und meinen Freundinnen) nördlichen Landkreis angesagt, von Maibaumwache zu Maibaumwache. Nicht, dass das gute Stück doch noch geklaut wird… 🙂 und überall war was los, war mehr oder weniger Party.
    Was Florian richtig gemerkt hat ist, dass es in der Stadt in diese Richtung wenig los ist, da muss man aufs Land. Auch am ersten Mai.

  12. #12 Florian Freistetter
    2. Mai 2013

    @simop: “Was Florian richtig gemerkt hat ist, dass es in der Stadt in diese Richtung wenig los ist, da muss man aufs Land”

    Naja, ich wäre ja eigentlich durch alle Dörfer zwischen Münchberg und Hof gefahren – da war nix los…

  13. #13 Dietmar
    2. Mai 2013

    So feiern die crazy Franken eben!

    😉

  14. #14 simop
    2. Mai 2013

    Florian, meist erst wenn es dunkel wird… 😉 denn dann trauen sich erst so richtig die Nachbarn aus den Löchern, um die Bäume zu klauen…

    Aber es kann sich natürlich in den Jahren, in denen ich weg bin, hinsichtlich der Feierfreudigkeit was geändert haben. Und wir waren immer nördlich von Hof unterwegs, Münchberg kann seinddass die gar keinen Maibaum aufstellen – weil, ist ja schon”Stadt”…

  15. #15 Rüdiger Kuhnke
    München
    2. Mai 2013

    Die Kettengleichung ist mir schon mal begegnet, aber umfangreiche Energiebetrachtungen dazu und die Katenoide sind neu für mich. Danke!
    Ansonsten spüre ich geradezu die Ungemütlichkeit, paßt zum gerade hier herrschenden Wetter.

  16. #16 werner
    2. Mai 2013

    Zum Thema “Faulheit des Universums”:
    Auch das Dach des Münchner Olympiastadions wurde als Drahtgerüstmodell mit Seifenblasen “optimiert”, also energetisch auf ein Minimum gebracht (siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Frei_Otto)

  17. #17 Wolf
    2. Mai 2013

    Was ich jetzt interessant finde: Warum heißt der “Untreusee” so wie er heißt?

    Wurden dort die Untreuen hineingestoßen, auf das sie ersäuften?

  18. #18 Alderamin
    2. Mai 2013

    @Wolf

    Mal schauen, was die Wikipedia darüber weiß:

    Der Untreusee (im Jargon auch U-See genannt) ist ein Stausee im Süden der Stadt Hof in Bayern. […] Seinen Namen hat der Untreusee von dem Untreubach, der ihn speist.

    Der See wurde ab 1976 angelegt.

    Spricht also eher gegen Deine These 😉

    Fragt sich nun noch, warum der Untreubach so heißt, den die Wikipedia nicht kennt.

  19. #19 Der Optimierer
    2. Mai 2013

    Der Untreusee hat zudem einen tollen Kletterpark mit der möglichkeit direkt über den See zu gleiten aus 10 Metern höhe wenn dann noch schönes Wetter ist kann man sich direkt daneben in den Biergarten am See setzen. Kann ich nur empfehlen!!!

  20. […] entlang der Saale und der Elbe habe ich schon einiges erlebt und gesehen: Juveniles Wasser, ein faules Universum, seltsames Wasser, potentielle Extradimensionen und keinen intelligenten Designer. Heute konnte ich […]

  21. […] entlang der Saale und der Elbe habe ich schon einiges erlebt und gesehen: Juveniles Wasser, ein faules Universum, seltsames Wasser, potentielle Extradimensionen, keinen intelligenten Designer und unsichtbare […]

  22. #22 rambaldi
    6. Mai 2013

    Franken und Bayern, ich glaube ich rede Florian jetzt als Astrologe an 🙂

  23. […] Phänomen gesucht. Und ich habe viel gefunden. Zum Beispiel Juveniles Wasser, ein faules Universum, seltsames Wasser, potentielle Extradimensionen, keinen intelligenten Designer, unsichtbare […]

  24. […] Tag 2: Von Münchdorf bis Hof/Saalfeld. Die Hochspannungsleitungen entlang der Strecke zeigen, dass das Universum fundamental faul ist. […]

  25. […] einmal kurz hinter die Grenze nach Oberfranken fahren. Dort war ich ja dieses Jahr schon mal kurz während meiner Wissensreise; habe damals aber von der Stadt Hof nicht mehr als den Bahnhof gesehen. Diesmal bin ich länger da […]