Dieser Artikel gehört zu meiner Serie “Tatort-Wissenschaft”. Wer damit nichts anfangen kann findet hier eine Erklärung. Es geht in diesem Artikel nicht um eine wissenschaftliche Erklärung der Tatort-Handlung sondern darum zu zeigen, dass Wissenschaft tatsächlich überall ist. Egal was wir (oder die Tatort-Kommissare) machen, es steckt Wissenschaft dahinter. Wir erleben die Welt aber meistens getrennt. Da gibt es “Wissenschaft” – und dann gibt es “alles andere”. Zum Beispiel Krimis wie den Tatort. Es mag konstruiert erscheinen, den Tatort mit wissenschaftlichen Phänomenen und Erklärungen in Verbindung zu bringen. Die Wissenschaft war aber schon die ganze Zeit da. Unsere gedankliche Trennung zwischen Krimi und Wissenschaft ist konstruiert. Ach ja, und wenn ihr nicht wissen wollt, wer der Mörder war, dann lest am besten nicht bis zum Ende…
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Tatort-Folge Nummer 880 spielt in Berlin. Es geht um Gewalt und Daten. Es geht um Suche und Datenauswertung. Es geht um sinnlosen Tod und die fundamentale Quantenphysik.

Normalerweise wird man als Zuschauer beim Tatort ja möglichst lange im Unklaren darüber gelassen, wer der Mörder ist. Bei “Gegen den Kopf” ist das aber schon von Anfang an klar: Zwei Jugendliche machen Ärger in einer Berliner U-Bahn, ein Mann zeigt Zivilcourage, greift ein und wird deswegen brutal zusammengeschlagen bis er schließlich stirbt. Die Kommissare Ritter und Stark müssen nun möglichst schnell die Identität der Schläger herausfinden da die Boulevard-Medien natürlich eine Riesensache aus dem Vorfall machen. Ein Lagezentrum wird eingerichtet; Computerspezialisten werden die Daten von Überwachungskameras aus, überprüfen Handys, Zeugenaussagen und Unmengen an anderen Daten. Der ganze Tatort ist eine Demonstration von Datenauswertung und besonders die Smartphones der Beteiligten spielen eine wichtige Rolle.

Ein Handyfoto, das dass Opfer von den Tätern gemacht hat, war der Auslöser des Streits und der Schlägerei. Handyfotos von koreanischen Touristen werden zur Aufklärung herangezogen. Bei all den Handykameras, die überall herumgetragen und benutzt werden, bräuchte man eigentlich gar keine Überwachungskameras mehr; es wird ja auch so überall alles aufgezeichnet. Die Berliner Technikexperten der Polizei haben jedenfalls genug Daten für ihr Auswertung und die wissenschaftlichen Grundlagen für die die ganzen modernen Handyfotos stammt von einem anderen berühmten Berliner: Albert Einstein. Ok, der kam wurde eigentlich in Schwaben geboren und die Arbeiten für die er heute berühmt ist, hat er während seiner Zeit in der Schweiz verfasst. Da hat er am 30. Juni 1905 nicht nur die spezielle Relativitätstheorie veröffentlicht, sondern schon am 17. März 1905 eine Arbeit mit dem Titel “Über einen die Erzeugung und Verwandlung des Lichts betreffenden heuristischen Gesichtspunkt”. Für diese Arbeit bekam er 1921 den Nobelpreis für Physik und zu der Zeit lebte und arbeitete Einstein schon in Berlin. Und im Berliner Tatort erlauben es Einsteins Erkenntnisse den Ermittlern, sich um die Handyfotos zu kümmern.

Der beste Ermittler von allen: Albert Einstein!

Der beste Ermittler von allen: Albert Einstein!

Denn das, was Einstein da erforscht hat, ist der sogenannte “Photoelektrische Effekt” und der bildet die Grundlage der digitalen Fotografie. Die meisten modernen Handys enthalten einen sogenannte Active Pixel Sensoren, die den photoelektrischen Effekt ausnutzen, um Bilder machen zu können. Der Effekt ist eigentlich recht leicht zu erklären: Fällt Licht auf bestimmte Materialien, dann entsteht ein Strom. Das war schon seit 1839 bekannt, aber keiner konnte erklären, warum das so ist. Licht, davon war man damals überzeugt, ist eine Welle. Und wenn diese Welle auf das Material trifft, dann werden dadurch Elektronen herausgelöst, die den elektrischen Strom bilden. Aber diese Erklärung war problematisch. Wenn man die Intensität des Lichts erhöht, sollte eigentlich auch die kinetische Energie der freigesetzten Elektronen höher werden. Wurde sie aber nicht; die Intensität hing von der Farbe des Lichts ab. Erst Albert Einstein fand die Lösung: Er nutzte die wenige Jahre zuvor von Max Planck entwickelte Quantenmechanik um das Phänomen zu beschreiben. Licht ist keine Welle, sagte er, sondern aus einzelnen Lichtteilchen, den Photonen, zusammengesetzt. Diese einzelnen Photonen werden von den Elektronen absorbiert und je nachdem, wie viel Energie in den Photonen steckt (das entspricht ihrer Farbe) können sie den Elektronen mehr oder weniger kinetische Energie mitgeben. Man kann noch so viele Photonen auf das Material strahlen: Wenn ihre Energie nicht ausreicht um die Elektronen zu lösen, dann fließt kein Strom.

Einstein war also nicht nur der Begründer der Relativitätstheorie sondern auch einer der Pioniere der Quantenmechanik und seine Arbeit stellt den Beginn des auch heute noch verwirrenden “Welle-Teilchen-Dualismus” dar. Heute ist die Quantenmechanik für unseren Alltagsverstand zwar immer noch so seltsam wie zu Einsteins Zeiten. Aber mittlerweile sind die Phänomene gut genug verstanden, um jede Menge Sachen damit bauen zu können. Zum Beispiel eben die Kameras der Smartphones, die den photoelektrischen Effekt nutzen, um Licht in digitale Signale umzuwandeln.

Die Kommissare Ritter und Stark machen sich die seltsamen Effekte der Quantenmechanik bei ihren Ermittlungen zu nutze; müssen aber gleichzeitig gegen die seltsamen Effekte der menschlichen Wahrnehmung kämpfen. Die Zeugen der U-Bahn-Schlägerei machen widersprüchliche Aussagen. Die Mitarbeiter des Lagezentrums vergessen wichtige Ermittlungsschritte. Und die Überwachungskameras der U-Bahn-Station können leider genau die relevanten 33 Sekunden der Schlägerei nicht vernünftig sehen. Es muss also weiter nach Daten gesucht werden und die Daten müssen weiter ausgewertet werden. Bei all dem Tech-Talk in dieser Tatortfolge hat man manchmal das Gefühl, man würde CSI schauen oder Raumschiff Enterprise. Normalerweise stellt man sich die deutsche Polizei ja eher etwas hilflos vor, wenn es um moderne Technik und das Internet geht (ungefähr so wie hier). Aber in Berlin scheint das alles schon lange kein “Neuland” mehr zu sein…

Gefunden haben die Kommissare die Täter aber dann doch nicht. Einer der Jugendlichen hat sich selbst gestellt und seinen Freund belastet. Der wird geschnappt, meint aber, er wäre nicht schuld. Jeder behauptet, dass der andere für die tödlichen Tritte verantwortlich war. Und natürlich ist es das Schnöselkind aus reichem Haus, dem man eher zu glauben scheint als dem vorbestraften Berufsschüler… Den Durchbruch bei der Aufklärung des Falls liefert dann aber wieder die Welt der allerkleinsten Teilchen. Das Handy des Toten wird gefunden – aber leider ist es so kaputt, dass die Daten darauf nicht mehr auszulesen sind. Aber es gibt ja noch die “Cloud”. Die Bilder, die mit dem Handy gemacht wurden, sind automatisch via Internet auf den Heim-PC des Mordopfers hochgeladen worden und den haben die Kommissare beschlagnahmt und darauf eindeutige Bilder gefunden. Sie zeigen nicht die Ehefrau des Toten, sondern seine Geliebte…

Der erste Webserver steht heute im CERN-Museum (noch mit dem original "bitte nicht abschalten"-Zettel daran)

Der erste Webserver steht heute im CERN-Museum (noch mit dem original “bitte nicht abschalten”-Zettel daran)

Das Internet mag für manche heute tatsächlich noch “Neuland” sein. Und der Teil des Internets, den wir meistens meinen wenn wir “Internet” sagen ist verglichen mit anderer Technik tatsächlich noch recht jung. Das “World Wide Web” wurde erst 1989 erfunden und zwar nicht von Apple, IBM oder Microsoft, sondern von einem Teilchenphysiker am Europäischen Kernforschungszentrum CERN. Es ging damals weder um Pornografie, noch um Katzenbilder oder Onlineshopping, sondern um Forschungs. CERN ist ein internationales Projekt und die Forschungseinrichtungen liegen zum Teil in Frankreich und zum Teil in der Schweiz. Die beiden Länder hatten unterschiedliche Netzwerkstrukturen und es war schwierig, Daten von einem Land ins andere zu transferieren. Deswegen entwickelte der Physiker Tim Berners-Lee ein Protokoll, mit dem sich Daten überall auf der Welt einfach vernetzen lassen. Er schuf die HTML-Sprache, in der seit damals Internetseiten geschrieben werden; er schuf den ersten Webbrowser und er schuf das World Wide Web (das ursprünglich nicht “Web” sonder “Mesh” heißen sollte). Weil also vor knapp 30 Jahren Teilchenphysiker am CERN ihre wissenschaftlichen Daten leichter austauschen wollten, haben wir heute das große Internet mit all seinen Möglichkeiten (und dunklen Ecken).

Bei Tim Berners-Lee können sich auch Ritter und Stark bedanken, denn ohne sein www gäbe es auch keine “Cloud” in der das Mordopfer seine Fotos speichern hätte können. Bei Berners-Lee und bei Willy Müller, denn der hat den Anrufbeantworter erfunden und auf dem Anrufbeantworter der Geliebten fand sich dann schließlich eine Aufzeichnung des letzten Telefonats des Toten. Eine Aufzeichnung, die auch einen Audiomitschnitt der tödlichen Prügelei enthielt. Und natürlich war es dann doch der reiche Schnösel, der für den Tod des Mannes verantwortlich war (etwas anderes hätte mich bei diesem Tatort auch überrascht). Die Quantenmechanik kriegt sie am Ende alle!

Kommentare (6)

  1. #1 MartinB
    9. September 2013

    “Licht, das hatte der große Isaac Newton erklärt, ist eine Welle. ”
    Nope, Newton war ein Anhänger der Korpuskel-Theorie, der mit den Wellen war Huygens.

  2. #2 Florian Freistetter
    9. September 2013

    @MartinB: “Nope, Newton war ein Anhänger der Korpuskel-Theorie, der mit den Wellen war Huygens.”

    Argh, da hast du natürlich recht. Ich meinte den großen Maxwell. Ich lass jetzt die Namen am besten ganz weg.

    Hmm – Tatortschauen macht anscheinend dumm. Vielleicht sollte ich das nicht mehr tun.

  3. #3 MartinB
    9. September 2013

    Wär aber schade um die Serie hier…

  4. #4 Florian Freistetter
    9. September 2013

    @MartinB: “Wär aber schade um die Serie hier…”

    Ne, so ernst war das ja auch nicht gemeint. Der nächste Tatort kommt ja sogar aus Österreich, den muss ich auf jeden Fall noch beschreiben.

  5. #5 Alderamin
    9. September 2013

    Das Internet mag für manche heute tatsächlich noch “Neuland” sein. Und der Teil des Internets, den wir meistens meinen wenn wir “Internet” sagen ist verglichen mit anderer Technik tatsächlich noch recht jung.

    Kann mich noch daran erinnern, als ich Informatik-Assi an der Uni war, da hatte ein Diplomand von mir so ein komisches Programm, Mosaik oder so, laufen und schaute sich Bilder an, “World Wide Web” nannte er das. Da war für meinereiner noch Usenet mit seinen Newsgroups das größte.

    Per sci.astro- und sci-space-Newsgroups konnte man damals, als das Web noch klein war, auch schon einmal mit dem Leiter einer US-Raumfahrtmission reden. Spannende Zeiten. Heute gibt’s Twitter, da ginge das auch wieder, heißt es.

    Das Internet an sich wurde vom amerikanischen Militär (ARPA – Advanced Research Programs Agency, später DARPA – Defense Advanced…) bereits in den 60ern entwickelt. Auf seine Infrastruktur konnte dann die Forschung und schließlich das WWW zugreifen.

  6. #6 rolak
    9. September 2013

    ein komisches Programm, Mosaik

    hehehe Alderamin, ein paar Tage, bevor das verschärfte Interesse auch bei mir durchbrach (genau wg des folgenden Geschehens) und die schleichende Ablösung use→www mit sich brachte, kam ein Kollege von der Uni im Seminar bei mir vorbei und es entspann sich folgender klassischer Dialog:
     - Kennste Mosaic?
     - Schon wieder so’n blödes Spiel?

    so ernst war das ja auch nicht gemeint

    Dein Glück, Florian, sonst hätten wir alle aber mindestens gesteigerten Unmut in den Bart gegrummelt.