Dieser Artikel gehört zu meiner Serie “Tatort-Wissenschaft”. Wer damit nichts anfangen kann findet hier eine Erklärung. Es geht in diesem Artikel nicht um eine wissenschaftliche Erklärung der Tatort-Handlung sondern darum zu zeigen, dass Wissenschaft tatsächlich überall ist. Egal was wir (oder die Tatort-Kommissare) machen, es steckt Wissenschaft dahinter. Wir erleben die Welt aber meistens getrennt. Da gibt es “Wissenschaft” – und dann gibt es “alles andere”. Zum Beispiel Krimis wie den Tatort. Es mag konstruiert erscheinen, den Tatort mit wissenschaftlichen Phänomenen und Erklärungen in Verbindung zu bringen. Die Wissenschaft war aber schon die ganze Zeit da. Nur die gedankliche Trennung zwischen Krimi und Wissenschaft ist konstruiert. Ach ja, und wenn ihr nicht wissen wollt, wer der Mörder war, dann lest am besten nicht bis zum Ende…
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Tatort-Folge Nummer 890 spielt in München. Es geht um das böse Internet und “lustige” Internetvideos. Es geht um Gott, den Teufel und Exorzismus. Und es geht um die Keplerschen Gesetze.

Der Münchner Tatort fängt diesmal vielversprechend an! Gleich in ihrer ersten Szene diskutieren die Kommissare Batic und Leitmayr diskutieren darüber, ob es bei Vollmond mehr Verbrechen gibt und Leitmayr stellt korrekt fest, dass das Unsinn ist. Und mit Unsinn geht es auch gleich weiter. Der “Entertainer” Albrecht A. Anast wird vermisst. Er macht “lustige” Videos im Internet, deren Konzept im wesentlichen daraus besteht, dass Menschen gegen ihren Willen gefilmt, verarscht und vorgeführt werden. Wie das halt so ist im Internet, dass im Tatort-Universum ja meistens die Inkarnation des Bösen ist und der Ort, an dem alles Schlechte auf dieser Welt wohnt (u.a. die bösen Raubkopierer die die “qualitativ hochwertige Arbeit” der Tatort-Drehbuchautoren bedrohen). Wie böse das böse Internet ist, merkt man ja auch schon am Namen des Vermissten: “Anast” ist ein Anagramm von “Satan” und das Logo seines Internetsenders besteht aus dem dreifachen Buchstaben “A” vor lodernen Flammen…

Selbst Google kann es nicht verheimlichen: Das Internet ist eine Erfindung des Teufels!!

Selbst Google kann es nicht verheimlichen: Das Internet ist eine Erfindung des Teufels!!

Der böse Internet-Satan ist jedenfalls verschwunden, nachdem wir ihn zu Beginn des Tatorts noch blutüberströmt im roten Rennwagen über bayrische Bergstrassen fahren sehen konnten. Die Münchner Kommissare Leitmayr und Batic machen sich auf zu seinem letzten Termin: Einer Frau, die als Messie lebt und von Anast in seinem erfolgreichsten Video vorgeführt wurde. Die Frau liegt aber mittlerweile erstochen in ihrer vermüllten Wohnung. Auf der Suche nach dem Täter landen die Kommissare beim Ex-Mann der Messiefrau. Und bei den Keplerschen Gesetzen. Denn auch wenn es nicht so aussieht, spielen sie eine wichtige Rolle in diesem Fall!

Das erste Keplersche Gesetz klingt enorm simpel: Alle Planeten bewegen sich auf einer elliptischen Bahn um die Sonne. Aber so simpel es klingt; so revolutionär ist es! Das liegt nicht daran, dass Kepler entdeckt hätte, dass sich die Erde um die Sonne dreht, auch wenn man das immer noch oft hört. Es gab schon im antiken Griechenland diverse kluge Leute, die vermuteten, dass es die Erde ist die sich bewegt und nicht die Sonne. Das moderne heliozentrische Weltbild war aber eine Gemeinschaftsleistung von Nikolaus Kopernikus, Galileo Galilei und Johannes Kepler. Kopernikus machte die Idee der sich um die Sonne bewegenden Erde zu Beginn der Neuzeit wieder bekannt. Galileo Galilei lieferte danach das erste Mal konkrete Beobachtungsdaten die zeigten, dass sich die Erde bewegt (er war der erste, der das damals gerade neu erfundene Teleskop für astronomische Zwecke einsetzte). Aber so elegant das heliozentrische Modell auch war: Es funktionierte nicht wesentlich besser als das alte geozentrische System. Mit der Sonne im Zentrum konnte man die Dinge zwar einfacher beschreiben und leichter berechnen. Die Genauigkeit der Ergebnisse war aber nicht dramatisch viel besser als beim alten Modell. Der Fehler zwischen Theorie und Beobachtung war immer noch groß. Das änderte erst Keplers erstes Gesetz. Denn er war der erste, der die Überzeugung aufgab, die Himmelskörper müssten sich auf kreisförmigen Bahnen bewegen. Er stellte die ihm vorliegenden Beobachtungsdaten über die vorherrschenden ästhetischen und religiösen Vorstellungen, demnach der Kreis die “perfekte” Form sei und alles am Himmel diesen perfekten Formen folgen müsse. Die Beobachtungsdaten die er jahrzehntelange mathematisch auswertete, passten viel besser zu elliptischen Bahnen. Also postulierte Kepler, dass die Planeten sich auf elliptischen Bahnen bewegen! Er konnte allerdings nicht begründen, warum sie sich auf solchen Bahnen bewegen. Das schaffte erst Isaac Newton ein paar Jahre später, als er seine Gravitationsgleichung formulierte. Die Keplerschen Gesetze sind nur eine andere Formulierung der Gravitationsgleichung und man kann sie direkt aus Newtons Gesetz ableiten. Und wenn Kepler noch ein klein wenig intensiver über die Sache nachgedacht hätte, dann hätte er es vermutlich auch geschafft, selbst auf das berühmte Gravitationsgesetz zu kommen.

Ellipsen sind überall! (Bild: Jacques Ozanam, 1699, Deutsche Fotothek)

Ellipsen sind überall! (Bild: Jacques Ozanam, 1699, Deutsche Fotothek)

Er war auf jeden Fall schon ganz knapp dran und auch wenn er am Ende “nur” seine drei Gesetze fand und nicht auch das Gravitationsgesetz, war es dank ihm nun doch das erste Mal möglich, die Bewegung der Himmelskörper mathematisch mit einer bisher nicht dagewesenen Exaktheit zu beschreiben. Und auch heute noch tauchen Keplers Gesetze überall auf. Egal ob man nun wissen will, wann ein Planet besonders gut zu beobachten ist, ob man eine Raumsonde zu einem anderen Himmelskörper schicken will oder einen Satelliten in eine Umlaufbahn um die Erde: Keplers Arbeit ist die Grundlage, anhand derer wir berechnen, wie sich das eine Ding um das andere bewegt.

Ohne Keplers Gesetze gäbe es keine GPS-Satelliten und ein Großteil der modernen Logistik auf der Erde würde nicht mehr funktionieren. Containerschiffe, LKWs, Lieferfirmen: Alle arbeiten bei ihrer Logistik mit GPS und ohne die Satelliten wären vermutlich auch die Bratwürste nicht angekommen, die der Ex-Mann der toten Messiefrau nun in seine Bratwurstbude schleppt. Früher hatte er mal ein ein richtiges Restaurant, aber wegen Anasts Video über seine Ex-Frau musste er es schließen (ich hab nicht wirklich verstanden, warum).

Auf jeden Fall finden sich noch mehr Opfer von Anasts “lustigen” Videos. Ein Ex-Nazi zum Beispiel, der sich in einer Berghütte versteckt und dort von Anast aufgestöbert wird. Und ein Pfarrer, dem von Anast ein Verhältnis mit seiner Haushälterin angedichtet wurde, was zu dessen Versetzung führte. Jede Menge Leute also, die Anast nicht leiden können und einer von ihnen hat ihn wohl abgemurkst. Denn die Leiche von Anast taucht nun schlimm misshandelt in den Bergen auf. Von München sieht man in dieser Tatort-Folge nicht viel; alles scheint sich entweder in Filmstudios oder idyllischen Bergen abzuspielen. Da haben die Kommissare Glück gehabt, dass es auch noch das zweite Keplersche Gesetz gibt, denn das kann uns erklären, wo die sonnigen Bergwiesen her kommen.

Das zweite Keplersche Gesetz klingt im Vergleich zum ersten Gesetz richtig kompliziert: Ein von der Sonne zum Planeten gezogener “Fahrstrahl” überstreicht in gleichen Zeiten gleich große Flächen. Aber das bedeutet nichts anderes, als dass sich der Planet um so schneller bewegt, je näher er auf seiner Bahn der Sonne kommt. Wäre der Planet auf einer Kreisbahn, dann wäre er immer genau gleich von der Sonne im Zentrum des Kreises weg. Aber dank Kepler wissen wir ja nun, dass sich der Planet auf einer elliptischen Bahn befindet und die Sonne nicht im Zentrum der Ellipse sondern in einem ihrer beiden “Brennpunkte”. Entlang der Bahn des Planeten gibt es nun einen Punkt, an dem er der Sonne am nächsten ist: Das sogenannte “Perihel”. Genau gegenüber liegt der Punkt, der von der Sonne am weitesten entfernt ist: Das “Aphel”. Die Bahn der Erde ist nur sehr leicht elliptisch und kaum von einem Kreis zu unterscheiden. Im Perihel (das die Erde Anfang Januar erreicht) steht sie der Sonne um 5 Millionen Kilometer näher als im Aphel. Andere Himmelskörper wie zum Beispiel Kometen haben viel langgestrecktere Bahnen und der Unterschied zwischen Perihel und Aphel kann viele Milliarden Kilometer ausmachen. Und Keplers zweites Gesetz sagt, dass sich die Geschwindigkeit eines Himmelskörpers erhöht, wenn er sich dem Perihel nähert und danach wieder kleiner wird. Im Perihel ist der Körper am schnellsten; im Aphel am langsamsten.

Bei der Erde ist der Unterschied gering, aber auf unseren Alltag hat diese variable Bahngeschwindigkeit durchaus einen Einfluss. Unsere Uhrzeit basiert auf der Drehung der Erde um ihre Achse und der scheinbaren Bahn, die die Sonne jeden Tag an unserem Himmel zieht. Da sich die Erde zu unterschiedlichen Zeiten im Jahr unterschiedlich schnell bewegt, ist auch die Bahn der Sonne an unserem Himmel nicht immer gleich (es gibt dafür aber noch andere Ursachen, siehe zum Beispiel hier oder hier). Die “wahre Sonnenzeit” weicht also von der von uns benutzten “mittleren Sonnenzeit” ab und das muss man entsprechend berücksichtigen wenn die Uhrzeit nicht aus dem Ruder laufen soll.

Ein Eiszeit-Tatort wäre vermutlich ein klein wenig öde... (Bild: Stephen Hudson, CC-BY-SA 3.0)

Ein Eiszeit-Tatort wäre vermutlich ein klein wenig öde… (Bild: Stephen Hudson, CC-BY-SA 3.0)

Aber auch langfristig gesehen beeinflusst das zweite Keplersche Gesetz unser Leben. Durch den Einfluss der anderen Planeten im Sonnensystem verändert sich die Bahnellipse der Erde im Laufe der Zeit. Sie wird unter anderem periodisch elliptischer und weniger elliptisch. Ist die Bahn deutlich elliptischer als aktuell, dann verbringt die Erde auch deutlich mehr Zeit entfernt von der Sonne (weil sie auf diesem Teil ihrer Bahn langsamer ist) und die Jahreszeiten verlaufen nicht mehr so symmetrisch wie heute. Winter und Sommer dauern unterschiedlich lang und das kann – in Verbindungen mit anderen Faktoren die ich hier erklärt habe – zu langen Eiszeiten führen. Wenn die Münchner Tatort-Kommissare also im Sonnenschein durch die Berge spazieren können ohne dabei über Eisberge klettern und gegen Säbelzahntiger kämpfen zu müssen, dann liegt das unter anderem an Keplers zweiten Gesetz.

Der Mörder von Anast lässt sich aber auch in den Bergen nicht finden. Es sieht vorerst so aus, als wäre es einer seiner Mitarbeiter gewesen. Denn genau so mies wie die Leute in seinen Filmen hat der böse Internet-Mensch wohl auch seine Kollegen behandelt. Batic und Leitmayr überraschen einen Kameramannn von Anast, als der gerade eine Aufnahme verschwinden lassen will. Sie zeigt, wie Anast für ein weiteres Video zur Messie-Frau zurück kehrt. Es kommt zum Streit, einem Unfall und plötzlich liegt die Frau scheinbar tot am Boden. Anast haut ab, zwingt den Kameramann ebenfalls zu verschwinden.

Oder war es vielleicht doch der Pfarrer? Gemeinsam mit seinem Pastor haust der in einem heruntergekommen Pfarrhaus und ärgert sich dort über den bösen Anast, der aus seiner Sicht offensichtlich tatsächlich der Satan ist. Und tatsächlich werden die Spuren immer kirchlicher – und wieder ist ein Keplersches Gesetz beteiligt.

Die ersten beiden Gesetze veröffentliche Kepler schon 1609 in seinem Werk “Astronomia Nova”. Für das dritte Gesetz ließ er sich ein wenig mehr Zeit; es wurde erst 1619 in “Harmonice Mundi” publiziert. Es klingt wieder schön kompliziert: Die Quadrate der Umlaufzeiten zweier Planeten verhalten sich wie die dritten Potenzen der großen Bahnhalbachsen.

Aber bei näherer Betrachtung ist es eigentlich ganz simpel. Die große Halbachse gibt an, wie groß die Ellipse einer Planetenbahn ist und entspricht dem mittleren Abstand des Himmelskörpers von der Sonne. Die große Halbachse der Erdbahn ist knapp 150 Millionen Kilometer lang beziehungsweise eine Astronomische Einheit (AE). Venus zum Beispiel ist näher an der Sonne und hat eine große Halbachse von 0,7 AE. Jupiter ist weiter entfernt und die große Halbachse seiner Bahn beträgt 5,2 AE. Neptun, der am weitesten von der Sonne entfernte Planet hat eine Bahn mit einer großen Halbachse von 30 AE. Keplers drittes Gesetz sagt nun nichts anderes, als das ein Umlauf um die Sonne um so länger dauert, je größer die große Halbachse ist. Die Erde braucht für eine Runde um die Sonne ja bekanntlich 365,25 Tage. Der ferne Neptun braucht dagegen 165 Jahre um seine Bahn einmal komplett zu durchlaufen. Der sonnennahe Merkur dagegen schafft es in 88 Tagen. Die 365,25 Tage der Erde sind ein wenig unpraktisch, wenn es darum geht einen vernünftigen Kalender zu basteln, aber wir befinden uns eben nun mal da wo wir uns befinden und Kepler lässt uns keine andere Wahl als uns mit dem überzähligen Vierteltag herumzuärgern.

Kepler sei Dank haben wir alle paar Jahre einen Schalttag (Bild: Public Domain)

Kepler sei Dank haben wir alle paar Jahre einen Schalttag (Bild: Public Domain)

Keplers drittes Gesetz ist ein mathematisch exakter Zusammenhang zwischen Umlaufzeit und Abstand der nicht nur für die Sonne und die Planeten gilt, sondern immer dann, wenn ein Himmelskörper einen anderen umläuft; also zum Beispiel auch für die Satelliten, die sich um die Erde bewegen. Je näher sie ihr sind, desto schneller sausen sie um sie herum (die ISS in nur knapp 300 Kilometer Höhe braucht zum Beispiel nur 90 Minuten für eine Runde; die geostationären Satelliten in 36000 Kilometer Höhe brauchen dagegen 24 Stunden). Aber auf für das Leben auf der Erde spielt das dritte Gesetz eine wichtige Rolle. Damit sich Leben auf einem Planeten entwickeln kann, muss es dort angenehme Temperaturen haben. Es darf nicht zu warm und nicht so kalt sein, denn nur wenn flüssiges Wasser vorhanden ist, kann Leben so wie wir es kennen existieren. Ist der Planet dem Stern zu fern, dann friert das Wasser; ist er zu nah, dann verdampft es. Wo sich dieser optimale Bereich befindet, hängt davon ab, wie stark der Stern strahlt. Bei schwach leuchtenden Sternen müssen die Planeten sehr nah heranrücken, damit lebensfreundliche Bedingungen herrschen. Je näher man dem Stern kommt, desto stärker werden aber die von ihm wirkenden Gezeitenkräfte, die die Rotation des Planeten bremsen (die “Gezeitenbremse” habe ich hier erklärt). Irgendwann dreht sich der Planet dann genau so schnell um seine Achse wie er sich um den Stern bewegt. Ein Tag dauert dann genau so lang wie ein Jahr und auf so einem Planeten ist eine Hälfte immer zum Stern gewandt, auf der anderen dagegen herrscht ewige Nacht. Die eine Seite wäre glühend heiß, die andere klirrend kalt und Leben ist kaum möglich.

Die Erde befindet sich aber zum Glück ausreichend weit von der Sonne entfernt. Keplers drittes Gesetz sagt uns, dass wir hier langsam genug um die Sonne laufen damit ihre Gezeitenkräfte uns nicht allzu sehr stören können. Der Planet ist voller Leben. Darunter auch Tatortkommissare, Olivenbäume und Zimtbäume. Zimt und Olivenöl findet der Pathologe nämlich auch an der Leiche und Leitmayr (oder wars Batic?) erinnert sich, dass Olivenöl und Zimt bei der letzten Ölung verwendet werden. Irgendwer hat also nicht nur Anast umgebracht, sondern ihm vorher noch das Sakrament der Krankensalbung verpasst. Und das kann ja wohl nur ein Pfarrer gewesen sein!

Am Ende war es dann aber nicht der Pfarrer, sondern sein etwas fundamentalistischer Pastor, der an Anast einen neuen, etwas extremeren Exorzismus ausprobieren wollte. Zum Abschluss wollte er dann noch das Fernsehstudio mitsamt der Mitarbeiter abbrennen, um das ganze böse Internetdingens komplett auszurotten. Das konnten die Kommissare aber noch verhindern und den mörderischen Pastoren festnehmen.

Am Ende war es also die Religion, die Anast zum Verhängnis wurde. Aber das passt ja auch gut zum Thema dieser Folge. Mit der Astronomie und der Vorstellung, dass sich die Erde um die Sonne bewegt hatte die Kirche ja auch schon immer so ihre Probleme. Gegen Johannes Kepler und seine revolutionären Erkenntnisse konnte sie aber zum Glück nichts ausrichten!