Die entsprechenden Statistiken besagen, dass von 10.000 getesteten weißen männlichen heterosexuellen Amerikanern die keine Drogen nehmen im Durchschnitt eine Person mit HIV infiziert ist. Die falsch-negativ-Rate des Tests ist quasi gleich null; d.h. es kommt nicht vor, dass jemand übersehen wird, der tatsächlich HIV-positiv ist. Der Test wird bei den 10.000 Personen also auf jeden Fall ein positives Resultat liefern das auf die tatsächliche Infektion der eine Person zurückzuführen ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Test ein positives Resultat liefert obwohl die Person nicht infiziert ist, also die falsch-positiv-Rate liegt aber bei den vom Doktor erwähnten 0,01 Prozent (1 falsches Ergebnis von 1000). Bei den 10.000 getesteten Menschen sind das also 10, die ein positives Resultat erhalten obwohl sie nicht infiziert sind. Insgesamt sind es 11 Leute von 10.000 die ein positives Testresultat erhalten obwohl nur einer davon tatsächlich infiziert ist. Wenn man zu dieser Gruppe gehört, dann besteht eine Chance von 10 zu 11, also mehr als 90 Prozent, dass man nicht infiziert ist, obwohl der Test ein positives Resultat geliefert hat!
Der Doktor hätte Mlodinow also sagen müssen, dass er mit einer Wahrscheinlichkeit von 90 Prozent nicht HIV-positiv anstatt ihm zu erzählen, dass er mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,9 Prozent infiziert ist. Der Unterschied liegt im Bayesschen Theorem und den zusätzliche Informationen. Die Statistiken sagen nämlich auch, dass bei 10.000 Menschen aus der Risikogruppe im Durchschnitt 100 tatsächlich infiziert sind (und nicht nur einer wie in der Nicht-Risikogruppe zu der Mlodinow gehört). Es gibt nun also 100 richtig-positive Fälle und weiterhin 10 falsch-positive Fälle. Bekommt man ein positives Resultat besteht nun eine Chance von 10 zu 11 das man tatsächlich infiziert ist, wenn man ein positives Resultat bekommen hat.
Die bedingten Wahrscheinlichkeiten sind tatsächlich ziemlich hinterhältig und wenn man sie vernachlässigt, kann das schnell dramatische Folgen haben. Das fängt dubiosen Statistiken in Esoterik und Pseudowissenschaften, wo man nur die richtig-positiven Fälle betrachtet (“Mein Horoskop hat das Erdbeben korrekt vorhergesagt”), aber die falsch-positiven Fälle (Erdbeben wurden nicht vorhergesagt und haben nicht stattgefunden) genauso ignoriert wie die richtig-negativen Fälle (Erdbeben wurden vorhergesagt und haben nicht stattgefunden) und die falsch-negativen (All die Erdbeben die stattgefunden haben ohne vorhergesagt zu werden). Ich habe das früher schon mal ausführlich erklärt und festgestellt, dass es enorm einfach ist, eine scheinbar unfehlbare Methode für was auch immer zu entwickeln. Einen HIV-Test mit 100 prozentiger richtig-positiv-Rate zu entwerfen, ist simpel. Man muss einfach nur bei jeder Person behaupten, dass sie infiziert ist. Damit ist sicher gestellt, dass JEDE Person, die infiziert ist, von diesem Test auch erkannt wird. Aber man produziert eben auch eine gigantische falsch-positiv-Rate die den “Test” völlig wertlos macht.
Bayes’ Theorem ist seit dem 18. Jahrhundert bekannt, hat sich aber immer noch nicht im Bewusstsein der Menschen durchgesetzt. Mlodinow berichtet von einer Studie, bei der Ärzte vor folgendes Problem gestellt wurden:
Wie wahrscheinlich ist es, dass eine Frau zwischen 40 und 50 Jahren die keine spezifischen Symptome zeigt an Brustkrebs leidet, wenn sie ein positives Mammographie-Resultat erhält? 7 Prozent der Mammographien zeigen Krebs an, obwohl keiner vorhanden ist. Die Statistik zeigt, dass 0,8 Prozent der 40 bis 50jährigen Frauen ohne spezifische Symptome tatsächlich an Brustkrebs leiden. Die falsch-negativ-Rate des Tests beträgt 10 Prozent.
Mit Bayes’ Theorem läst sich die gesuchte Wahrscheinlichkeit genau ausrechnen und sie beträgt in diesem Fall 9 Prozent. Nur 9 Prozent der 40 bis 50jährigen Frauen ohne Symptome haben (in diesem Beispiel) tatsächlich Brustkrebs wenn die Mammographie Brustkrebs anzeigt. Ein Drittel der befragten Ärzte in Deutschland war allerdings der Meinung, es wären 90 Prozent und im Durchschnitt lagen die Antworten bei 70 Prozent. Dieser Unterschied zwischen dem, was wir intuitiv für die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses schätzen und der realen Wahrscheinlichkeit zeigt sich hier besonders dramatisch. Es macht einen enormen Unterschied, ob man nach einem Besuch beim Arzt erfährt, dass man zu 90 Prozent an Krebs leidet oder nur zu 9 Prozent!
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