Sie scheinen entschlossen zu ignorieren, dass öffentliche Investitionen in Forschung und Entwicklung Grundlage und Motivation für privatwirtschaftliche Investitionen sind. So hat in den USA mehr als die Hälfte des Wirtschaftswachstums seine Wurzeln in staatlich finanzierter Grundlagenforschung. Die Staaten der Europäischen Union haben in der Strategie von Lissabon das Ziel formuliert, mindestens 3% des Bruttoinlandsproduktes in Forschung und Entwicklung zu investieren. Die politisch Verantwortlichen mancher Länder hoffen unrealistischerweise, dass der Privatsektor dieses Ziel alleine verwirklicht, während der Staat hierfür immer weniger Geld zur Verfügung stellt. Dies steht in scharfem Kontrast zu ihrer wirtschaftlichen Situation: die Zahl der besonders innovativen Unternehmen ist teilweise gesunken, während gleichzeitig unter den klein- und mittelständischen Unternehmen Familienbetriebe mit oft geringem Innovationspotential dominieren.

Sie scheinen entschlossen zu ignorieren, wieviel Zeit und Ressourcen die Ausbildung hochqualifizierter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kostet. Statt dessen wurden, unter dem Eindruck europäischer Vorgaben zum Personalabbau im öffentlichen Dienst, auch Haushaltmittel für Forschungseinrichtungen und Universitäten massiv gekürzt. Dies führt zu einem Exodus hochqualifizierter Wissenschafter aus dem Süden Europas in den Norden und in Länder außerhalb Europas. Verstärkt wird diese Entwicklung noch durch Personalabbau und fehlende Jobs in der Industrie. Die Konsequenz ist ein weitgehender Verlust der bisherigen Investitionen in die Forschung. Gleichzeitig wird die Kluft zwischen den Forschungskapazitäten der einzelnen Mitgliedsstaaten immer breiter. Konfrontiert mit fehlenden Perspektiven und der Unsicherheit durch die immer neue Befristung ihrer Stelle, überlegen Forscherinnen und Forscher in vielen Ländern, die Wissenschaft aufzugeben. Dabei liegt es in der Natur der Foschungsdynamik, dass nach einer längeren “Pause” nur selten eine Rückkehr in die Wissenschaft stattfindet. Auch für die Industrie verringert diese Entwicklung den Pool an qualifizierten Forscherinnen und Forschern. Statt “das” Defizit zu verringern, entsteht so eine neue Art von Defizit: ein gesamteuropäisches Defizit in den Bereichen Technologie und Innovation.

Sie scheinen entschlossen zu ignorieren, dass auch anwendungsorientierte Forschung auf Grundlagenforschung beruht. Entgegen der Meinung mancher Politiker ist sie zudem mehr als bloße Produktforschung mit unmittelbarer Marktrelevanz. Dennoch gibt es auf nationaler und europäischer Ebene eine starke Tendenz, sich gerade darauf zu konzentrieren und zu beschränken. Dabei handelt es sich lediglich um die tiefhängenden Früchte der Forschung, die an einem verzweigten Baum der Erkenntnis reifen. Zwar kann auch anwendungsorientierte Forschung den Samen neuer Fragestellungen in sich tragen, doch ohne Grundlagenforschung werden die Wurzeln des Baums langsam vertrocknen.

Sie scheinen entschlossen zu ignorieren, wie Wissenschaft funktioniert. Forschung braucht Freiheit zu Versuch und Irrtum. Nicht jedes Experiment ist ein “Erfolg”. Herausragende Ergebnisse und Exzellenz sind dabei wie die sichtbare Spitze eines Eisberges, getragen von einer breiten Basis wissenschaftlicher Alltagsarbeit. Dennoch verlagert sich die finanzielle Förderung auf nationaler und europäischer Ebene auf eine geringe Zahl etablierter Forschergruppen. Dies beeinträchtigt die Vielfalt der Wissenschaft. Wir brauchen sie jedoch, um den gesellschaftlichen und technologischen Herausforderungen von morgen zu begegnen. Dieser Ansatz befördert zudem die Abwanderung von Wissenschaftlern, da eine geringe Zahl gut ausgestatteter Wissenschaftseinrichtungen systematisch die geförderten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler rekrutiert.

Sie scheinen entschlossen, die wichtige Wechselwirkung von Forschung und Lehre zu ignorieren. Statt dessen haben sie die Mittel für die öffentlichen Hochschulen massiv gekürzt. Dies beinträchtigt nicht nur die Qualität der Lehre, sondern gefährdet auch Ihre Schlüsselfunktion für die Umsetzung der Chancengleichheit.

Insbesondere scheinen sie entschlossen zu ignorieren, dass Wissenschaft nicht nur der Wirtschaftsförderung dient, sondern auch der Förderung von Wissen und sozialem Wohlstand für alle.

Sie ignorieren es, aber wir erinnern sie daran und treten für die Zukunft ein. Als Forschende und Bürgerinnen und Bürger bilden wir ein internationales Netzwerk zum Austausch von Informationen und Ideen. Wir engagieren uns in einer Reihe nationaler und europäischer Initiativen. Wir stellen uns einer systematischen Beschädigung nationaler Forschungskapazitäten in den Weg. Wir wollen zu einem gemeinschaftlichen Europa der Bürger beitragen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und alle Bürger rufen wir auf, sich daran zu beteiligen:
Wir sind es den kommenden Generationen schuldig.

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Kommentare (28)

  1. #1 Andreas P
    23. Oktober 2014

    kann man unterschreiben

  2. #2 Pilot Pirx
    23. Oktober 2014

    ist unterschrieben.

  3. #3 Nemesis
    Hel
    23. Oktober 2014

    “Immerhin bin ich Wissenschaftler und verdiene meinen Lebensunterhalt mit der Vermittlung von Wissenschaft. Aber wenn ich die Bedeutung der Wissenschaft so heraus stelle, dann sind das keine egoistischen Gründe…”

    In den USA vertraut man angesichts horrormässig leerer Kassen einfach mehr auf den lieben Gott, da sind inzwischen 50 – 60% Kreationisten, die brauchen keine Wissenschaft:

    https://tinyurl.com/ptzehjx

    Man könnte hierzulande vielleicht zunächst das Max-Planck Institut an Siemens verkaufen… oder so, das bringt Geld in die klamme Kasse (Deutschland ist immerhin mit mehr als 2 BILLIONEN verschuldet)… irgendwo muss ja die Kohle herkommen, so doof das ist, die fällt nicht vom Himmel…

  4. #4 Nemesis
    Hel
    23. Oktober 2014

    “… und alle Bürger rufen wir auf, sich daran zu beteiligen:
    Wir sind es den kommenden Generationen schuldig.”

    Das erinnert mich stark an die dramatischen Appelle der paritätischen Wohlfahrtsverbände und Arbeitslosenverbände in den letzten Jahren^^ Wer nach vorne schaut, der sollte in Suppenküchen investieren, das hat garantiert Zukunft, Suppenküchen sind die Wachstumsbranche, da brummt der Bär… 😎

  5. #5 Pilot Pirx
    23. Oktober 2014

    Nun mal nicht so feindlich-negativ! Alles ist gut! Wird dir jeder Politiker in Berlin oder Brüssel bestätigen.

  6. #6 Nemesis
    Hel
    23. Oktober 2014

    @Pilot Pirx

    Nun mal nicht so feindlich-negativ! Alles ist gut! Wird dir jeder Politiker in Berlin oder Brüssel bestätigen.

    Hoppla, klang mein Kommentar negativ? Tschulligung, das wollte ich nicht. Wobei…. der Beitrag von FF klingt auch nicht soooo positiv, wie ich es von visionären, mutigen, optimistischen Innovatoren der Wissenschaft erwarten würde… Nu ja, vertrauen wir einfach auf die Priester und die Politiker und die Wirtschaftsbosse:

    Alles wird gut. Im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes und der Deutschen Bank, Amen.

  7. #7 Pilot Pirx
    23. Oktober 2014

    Gut, ich bin wohl in den alten DDR-Jargon verfallen so von feindlich-negativ.
    Schließlich war da auch alles gut. Und wer das nicht glauben wollte…na ja…
    Aber lassen wir das, passt wohl eher nicht hierher.
    .

  8. #8 Nemesis
    Hel
    23. Oktober 2014

    @Pilot Pirx, #7

    Manche (von Optimismus geprägte) Systeme haben evt manches gemeinsam…:

    https://tinyurl.com/owwgosu

    https://tinyurl.com/lbbmano

  9. #9 Spritkopf
    23. Oktober 2014

    Genau. Optimismus ist überhaupt nicht mehr angesagt und ja sooowas von out. Lasset uns lieber ein schwermütiges Lied anstimmen:

    “Glaubt mir, Leute, dass ich’s weiß:
    Das Leben ist ein Batzen Scheiß!
    Alles ist so maßlos Kacke,
    dass ich’s kaum noch packe.
    Echt: alles ist so gnadenlos beschissen,
    man sollte eigentlich drauf p*ssen!”

    Und anschließend setzen wir uns alle in die Ecke und weinen. Vielleicht wirds ja davon besser.

  10. #10 Pilot Pirx
    23. Oktober 2014

    Nun ja, man könnte in dem Zusammenhang vieles sagen, z.B: über die Ideologisierung in einigen Bereichen der Wissenschaft.

  11. #11 Nemesis
    Hel
    23. Oktober 2014

    @Spritkopf, #9

    Also ich sehe diese Sache, die hier in diesem Thread von FF angesprochen wird, durchaus für mich persönlich nicht wirklich negativ/pessimistisch, ich bin allerdings auch kein davon betroffener Wissenschaftler, sondern Musiker 🙂

  12. #12 Nemesis
    Hel
    23. Oktober 2014

    @Pilot Pirx, #10

    Das könnte man wohl… allerdings bin ich nicht sicher, ob das in einem Wissenschaftsblog so gut ankommt, also halte ich mich lieber am allgemein geforderterten Optimismus (ich habe eh materiell kaum was zu verlieren):

    Es wird schon.

  13. #13 Alderamin
    23. Oktober 2014

    Signed.

  14. #14 Martin
    23. Oktober 2014

    ok wenn ihr alle so drauf seit dann lasset uns beten:

    Ich glaube an die Evolution
    Des Wissens und des Mitgefühls
    Der Weisheit und des Humors.
    Ich glaube an den Sieg
    Der Wahrheit über die Lüge
    Der Erkenntnis über die Unwissenheit
    Der Phantasie über die Engstirnigkeit
    Und des Mitleids über die Gewalt.
    Ich verschließe nicht die Augen
    Vor den Schrecken der Vergangenheit
    Dem Elend der Gegenwart
    Den Herausforderungen der Zukunft
    Aber ich glaube
    Das wir bessere Wege finden werden
    Um das Leid zu vermindern
    Die Freude zu vermehren
    Und das Leben zu bewahren.
    Ich glaube an den Menschen
    Der die Hoffnung der Erde ist
    Nicht in alle Ewigkeit
    Doch für Jahrmillionen
    (Amen).

    Signed.

  15. #15 Volker Birk
    https://blog.fdik.org
    23. Oktober 2014

    Das Problem mit Betriebswirten ist oft, dass manche über Wissenschaft nicht einmal wissen, ob man das essen kann. Danke für den Hinweis auf diesen wichtigen Brief! Ich hab das mal unterschrieben und weiter verbreitet.

  16. #16 Lercherl
    23. Oktober 2014

    Was bedeutet die lineare Transformation unten im Bild? Sonst ist alles recht klar: Fusionsreaktionen, Maxwellgleichungen, Schrödinger-Gleichung, Photosynthese und noch ein paar …

  17. #17 tom
    23. Oktober 2014

    Danke Florian!

    Weißt Du, die größte Ernüchterung meines Erwachsenwerdens war es, zu sehen, dass sich auch “erwachsene” Menschen zutiefst irrational verhalten können.
    Dies betrifft alle Probleme: Politik, Religion, Medizin. Rassismus usw. usf.
    Ich finde es immer wieder ermutigend wenn vernünftige, sympathische und empathische Menschen wie Du dieser alltägliche Idiotie entgegentreten.

    Also: noch einmal ein fettes DANKESCHÖN und ein noch fetteres WEITER SO!!!

  18. #18 Nemesis
    Takka Tukka Land
    24. Oktober 2014

    Weißt Du, die größte Ernüchterung meines Erwachsenwerdens war es, zu sehen, dass sich auch “erwachsene” Menschen zutiefst irrational verhalten können.”

    Das kommt mir irgendwie so saubekannt vor… diese Erfahrung hat mich damals so total verunsichert, dass ich seitdem bis auf den heutigen Tag nicht weiss, ob ich dem Weihnachtsmann, dem Nikolaus und dem Osterhasen noch trauen kann, oder nicht…

    Ich habe jedoch beschlossen, den Erwachsenen hier und anderswo einfach mal zu vertrauen, schliesslich ist alles nur eine Frage der Perspektive , will sagen, das Glas ist halbvoll, nicht halbleer:

    “https://www.pi-news.net/wp/uploads/2012/12/eu-wachstum.jpg

    Na denn Prost, “schlürf”… !

  19. #19 Nemesis
    Takka Tukka Land
    24. Oktober 2014

    Sorry, ich bin wohl schon ganz besoffen vor lauter Optimismus, schlürf, habe den link zum halbvollen Glas versemmelt, hier nochmal:

    https://www.pi-news.net/wp/uploads/2012/12/eu-wachstum.jpg

    Also, wir sind so ziemlich an dem Punkt, wo es doch nur noch besser werden kann ! Wir nennen es einfach Minus-Wachstum, in der Natur ist letztlich alles irgendwie Wachstum. Prost, “schlürf”…

  20. #20 Hans
    24. Oktober 2014

    @nemesis, #3 und #4:
    Also so langsam wirst Du mir mit Deinem Sarkasmus auch Suspekt! – Anstatt solchen sarkastischen Unfug zu schreiben, mach doch lieber konkrete Vorschläge. Das hab ich indirekt auch schon mal gefordert, als ich darum gebeten habe das Kind beim Namen zu nennen. Da ging es um die offizielle Arbeitslosenstatistik. Also lass mal einen vernünftigen Vorschlag zur Finanzierung der Forschung hören!

    Im übrigen: DAS Max-Planck-Institut gibt es auch nicht, sondern etwa 7 Dutzend mit unterschiedlichen Schwerpunkten.

  21. #21 Nemesis
    Hel
    24. Oktober 2014

    @Hans, #20

    Dass Du meine Kommentare als Sarkasmus empfindest, tut mir leid. Ich versuche, Vertrauen zu haben. Was die Finanzierung der Forschung betrifft, wird man wohl auf die Politik und die Wirtschaft vertrauen müssen. So jedenfalls hat man mir das beigebracht und so sagt man es auch in den Medien, wir sollten Vertrauen haben in das bestehende System. Öffentliche Forschungs- und Bildungeinrichtungen werden mit öffentlichen Geldern finanziert. Bei 2 Billionen € Staatsschulden ist das offenbar schwierig, den Forschungs- und Bildungsauftrag des Staates umzusetzen. In anderen Bereichen hat man das Problem halt gelöst, indem jene Bereiche privatisiert wurden. Ich könnte mir vorstellen, dass die Wirtschaft da ganz gerne einspringen würde. Was meine persönlichen Lösungen betrifft, so stimme ich natürlich voll und ganz mit Dir und FF überein und stimme insofern gerne in den flammenden Appell ein:

    Man sollte die (öffentlichen) Gelder anders, besser, sinnvoller, gerechter verteilen, YEAH.

    Sie scheinen entschlossen zu ignorieren !”, um es mit FFs Worten zu sagen… Oups, grad muss ich an die Mistgabeln denken, die Herr Hanauer so humorvoll beschrieben hat… o^_^o… Mann was soll ich sagen. Wenn man Kohle braucht, dann muss man da hingehn, wo noch Kohle ist, am besten dahin, wo die meiste Kohle ist… bei mir biste da ganz bestimmt verkehrt, Bruda 😎

  22. #22 volki
    24. Oktober 2014

    @lercherl:

    Ich bin mir nicht ganz sicher (da auch die Formel nicht ganz vollständig ist), aber ich glaube das soll ein iteriertes Funktionensystem sein. Diese erzeugen Fraktale und Farne sind ein Beispiel von Fraktalen .

  23. #23 Cart Rudo
    Nienburg/Weser
    24. Oktober 2014

    Ist unterzeichnet!

  24. #24 CM
    24. Oktober 2014

    Unterzeichnet! Lässt mich denken, was hier lokal in RLP einige Politiker für ein Denken haben … gruselig.

  25. #25 Gaius
    24. Oktober 2014

    “Forschung braucht Freiheit zu Versuch und Irrtum.”

    Unterzeichnet.

  26. #26 Stephan Fleischhauer
    26. Oktober 2014

    Bei mir kam nach dem Unterschreiben die Meldung “Thank you, Cyril for signing !”

    Ich hab aber nicht “Cyril” eingegeben.

  27. #27 rolak
    26. Oktober 2014

    nicht “Cyril”

    Da siehstema, wie sehr die um Deine Anonymität bemüht sind, Erwin.

  28. #28 marcello
    30. Oktober 2014

    fantastic!!!