Im Januar 2011 habe ich mit großer Begeisterung von einer Methode berichtet, mit der Astronomen die Existenz von Galaxien nachweisen wollen, die eigentlich nicht zu sehen sind. Es ging dabei um kleine Zwerggalaxien die aus großen Mengen dunkler Materie bestehen und daher naturgemäß schwer beobachtbar sind. Dunkle Materie leuchtet ja nicht, sondern macht sich nur durch ihre Gravitationskraft bemerkbar. Den gängigen kosmologischen Theorien zufolge spielt die dunkle Materie bei der Entstehung von Galaxien eine große Rolle; sie bilden sich dort, wo sich zuvor schon riesige Wolken dunkler Materie versammelt haben. Die Theorie sagt aber auch voraus, das Galaxien wie unsere Milchstraße von vielen kleineren Satellitengalaxien umgeben sein sollte. Solche Zwerggalaxien kennen wir – die prominenten Magellanschen Wolken des Südhimmels gehören beispielsweise dazu. Aber es sollte eigentlich mehr geben, als wir bisher beobachten. Die fehlenden Zwerggalaxien könnten allerdings auch so klein und lichtschwach sein, dass wir sie bis jetzt immer übersehen haben. Bis jetzt – denn die oben erwähnte neue Methode könnte jetzt erfolgreich gewesen sein!

Die große und die kleine Magellansche Wolke; Begleiter unserer Milchstraße (Bild: ESO/S. Brunier)

Die große und die kleine Magellansche Wolke; Begleiter unserer Milchstraße (Bild: ESO/S. Brunier)

Bei der von Sukanya Chakrabarti und ihren Kollegen entwickelten Methode geht es um den Einfluss, den Galaxien aufeinander haben können. Kommen sich zwei Galaxien nahe, dann können die Gravitationskräfte dafür sorgen, dass das interstellare Gas gestört wird. So eine Ansammlung von Sternen wie unsere Milchstraße besteht ja eben nicht nur aus Sternen, sondern auch aus jeder Menge Gaswolken dazwischen. Diese Wolken reagieren auf gravitative Störungen sehr sensibel und Chakrabarti konnte nachweisen, dass man aus der Beobachtung der Störungen die Bewegung und Eigenschaften der störenden Galaxien rekonstruieren kann. Wie damals beschrieben, hat sie die Methode erfolgreich an anderen Galaxien getestet und benutzt, um die Existenz einer kleinen, dunklen Begleitgalaxie der Milchstraße vorherzusagen. Und so wie es aussieht, konnte sie mit ihren Kollegen diese vor einigen Jahren vorhergesagte “Galaxie X” tatsächlich entdecken!

In ihrer Arbeit (“Clustered Cepheid Variables 90 kiloparsec from the Galactic Center”) beschreiben Chakrabarti und ihre Kollegen, wie sie Archivdaten des VISTA-Teleskops der Europäischen Südsternwarte ausgewertet haben. Dabei fanden sie vier enorm weit entfernte Cepheiden. So nennt man eine ganz spezielle Art von veränderlichen Sterne, die in der Geschichte der Astronomie eine wichtige Rolle gespielt haben und immer noch spiele. Cepheiden verändern ihre Helligkeit auf eine ganz bestimmte Art und Weise, die von ihrer absoluten Helligkeit abhängt. Der Helligkeit also, die ein Stern wirklich hat und nicht die scheinbare Helligkeit, mit der uns auf der Erde aufgrund seiner Entfernung erscheint. Kennt man die absolute Helligkeit und die scheinbare Helligkeit kann man daraus problemlos den Abstand berechnen; etwas, was bei anderen Sternen nicht immer so problemlos geht.

Die vier entdeckten Cepheiden und die beobachtete Veränderung ihrer Helligkeit (Chakrabarti et al, 2015)

Die vier entdeckten Cepheiden und die beobachtete Veränderung ihrer Helligkeit (Chakrabarti et al, 2015)

Die vier von Chakrabarti und ihren Kollegen gefundenen Cepheiden waren alle ungefähr 300.000 Lichtjahre weit weg. Damit müssen sie außerhalb unserer Milchstraße liegen, die ja nur knapp 100.000 Lichtjahre durchmisst. 300.000 Lichtjahre Entfernung war aber auch genau die Distanz, die von den Astronomen damals als Abstand für die hypothetische dunkle Begleitgalaxie der Milchstraße vorhergesagt worden ist! Natürlich könnte es sich bei den Cepheiden auch um Teile sogenannter “Sternströme” handeln. Die entstehen, wenn eine Satellitengalaxie der Milchstraße zu nahe kommt und durch die Gezeitenkräfte quasi auseinander gerissen wird. Die Sterne verteilen sich dann über die ganze Gegend, bevor sie irgendwann mit der Milchstraße verschmelzen. In der fraglichen Region sind allerdings keine Sternströme bekannt. Und die Analyse von Chakrabarti zeigte auch, dass es äußerst unwahrscheinlich wäre, wenn die vier Cepheiden nicht Teil einer eigenen Galaxie werden. Sie befinden sich alle im gleichen Bereich des Himmels und diese Konzentration kann eigentlich nur durch die Anwesenheit einer kleinen und dunklen Galaxie erklärt werden.

Es wird jetzt weitere gezielte Beobachtungen mit guten Instrumenten brauchen, um die Ausmaße der Begleitgalaxie zu vermessen und ihre Eigenschaften zu bestimmen. Aber es ist immer schön zu sehen, wenn die Vorhersage von Wissenschaftlern tatsächlich bestätigt wird. Und in diesem Fall waren es ja sogar zwei Vorhersagen! Man hat nicht nur die Existenz der “Galaxie X” bestätigt, sondern auch weitere Belege für die Gültigkeit der kosmologischen Theorien gesammelt, die das Vorhandensein der kleinen Begleitgalaxien vorhergesagt haben. Was will man mehr…

Kommentare (18)

  1. #1 Dietmar
    10. Februar 2015

    Wäre Dein Blog nicht, würde das wahrscheinlich viele Jahre an mir vorbei gehen.

    Ich kann nur “Danke!” sagen.

  2. #2 Florian Freistetter
    10. Februar 2015

    Bitte sehr!

  3. #3 Rainer Marczinowski
    Oldenburg
    10. Februar 2015

    Können die von Chakrabarti und ihren Kollegen dargestellten Ergebnisse auch als weiterer Beleg für oder zumindest Hinweis auf die Existenz dunkler Materie (und gegen z.B. MOND) interpretiert werden?

  4. #4 Florian Freistetter
    10. Februar 2015

    @Rainer: Ja, das habe ich ja auch am Ende nochmal erwähnt. Die kosmologischen Theorie, die die dunkle Materie inkludieren, sagen die Existenz genau solcher Galaxien voraus.

  5. #5 Oliver Müller
    Basel
    10. Februar 2015

    @Rainer und Florian
    Dies widerlegt nicht MOND, da MOND ja nicht voraussagt, dass es keine solche Galaxien gibt. Die kosmologischen Theorien (CDM) sagen auch sehr viele helle Zwerggalaxien voraus, die man unmöglich übersehen kann und dennoch nicht vorhanden sind. Die Diskrepanz bleibt selbst mit einem neu gefundenen Zwerg viel zu gross, um LCDM als erwiesen zu sehen.

  6. #6 DasKleineTeilchen
    10. Februar 2015

    this is extremly weird. thnx.

  7. #7 maunz
    16:55
    10. Februar 2015

    Danke für den Artikel, das Thema ist wirklich neu für mich.
    Werde mir den arxiv.org pdf aus dem link runterladen.

  8. #8 Jens
    10. Februar 2015

    Ist es möglich solche dunklen, Zwerggalaxien mit Hilfe des Gravitationslinsen-Effekts zu untersuchen bzw. nachzuweisen?

  9. #9 meregalli
    10. Februar 2015

    1994 Tirana by night: nur 15 % aller Straßenlaternen leuchteten.

  10. #10 Carsten
    10. Februar 2015

    Jens, mir stellt sich eine ähnliche Frage. Nämlich: Wenn diese dunklen Sterne und Galaxien einen Gravitationseffekt auf Licht bewirken, können wir eigentlich alle unsere Sternkarten in die Tonne kloppen weil wir nun nicht mehr wissen, wie weit die eine oder andere Galaxie von uns tatsächlich entfernt ist. Photonen wechselwirken ja dann auch mit dem Gravitationsfeld dunkler Materie von der wir keine Ahnung haben, wo sie sich befindet erstmal. Oder habe ich da einen Denkfehler?

  11. #11 Dvoreth
    11. Februar 2015

    Wow, gerade auf golem.de davon gelesen und erfreut die Autorzuordnung gesehen! Als sonst stiller Besucher dieses Blogs sage ich herzlichen Glückwunsch!

  12. #12 krypto
    11. Februar 2015

    @Carsten: Das würde eine eher kleine, lokale Korrektur bedeuten, die obendrein noch so winzig wäre, dass es nicht weiter ins Gewicht fiele.

  13. #13 Florian Freistetter
    11. Februar 2015

    @Dvoreth: ” Als sonst stiller Besucher dieses Blogs sage ich herzlichen Glückwunsch!”

    Danke! Aber Golem hat schon sehr oft Artikel von mir übernommen (und ich hab ein paar extra für Golem geschrieben). Nicht, dass ich überheblich klingen will oder so. Aber ich verdiene als freier Autor/Journalist meinen Lebensunterhalt. Das Texte von mir in anderen Medien erscheinen, ist jetzt nicht so außergewöhnlich. Das passiert mehrmals im Monat…

  14. #14 Dvoreth
    Berlin
    14. Februar 2015

    Florian, vielen Dank für die Erläuterung! Dann ändere ich das lieber wie folgt ab: Es freut mich immer wieder zu sehen, dass auch Golem weiterhin durch deine Artikel bereichert wird!

  15. #15 Thomas
    Dresden
    19. Februar 2015

    Was will man mehr?

    Was? Naja…ein paar Sachen fallen mir da schon ein:
    für den Anfang wäre ich mal daran interessiert, diese indirekt beobachteten Objekte mal “sichtbar” zu machen. Auch wenn dunkle Materie sich nunmal gerne vor uns versteckt, müsste deren offenbar bestätigte gravitative Wirkung auch zu sogenannten Gravitationslinsen führen.
    Auch ist mir noch nicht so klar, wieso diese Objekte Galxien-artig sein sollten.
    Ein schwarzes Loch – vielleicht aus der Frühzeit des Universums, das mutmaßlich seine Materie drumherum bereits vollständig absorbiert hat, könnte diese gravitative Wirkung meiner Ansicht nach ebenso erbringen.
    Plötzlich bräuchte man die Dunkle Materie als solche gar nicht mehr…

  16. #16 Florian Freistetter
    20. Februar 2015

    @Thomas: “Ein schwarzes Loch – vielleicht aus der Frühzeit des Universums, das mutmaßlich seine Materie drumherum bereits vollständig absorbiert hat, könnte diese gravitative Wirkung meiner Ansicht nach ebenso erbringen.”

    Und du hast das sicher auch schon ordentlich durchgerechnet, oder?

    ” müsste deren offenbar bestätigte gravitative Wirkung auch zu sogenannten Gravitationslinsen führen.”

    Tut sie auch. Auf genau diese Weise hat man schon jede Menge Beobachtungen gemacht (siehe zB den Bullet-Cluster)

  17. #17 bikerdet
    20. Februar 2015

    @ Thomas :
    Für einen einzelnen Bereich mag durchaus auch ein SchwarzesLoch in Betracht kommen. Ohne das jetzt nachgerechnet zu haben. Aber wenn wir die DunkeleMaterie ablehnen, müssten wir für alle Effekte der DM wieder ein SL annehmen. Spätestens wenn es um den Zusammenhalt von Galaxien, den zu hohen Geschwindigkeiten der Sterne in den Außenbezirken der Galaxien oder den Zusammenhalt von Galaxiengruppen geht, stoßen wir damit auf Probleme. So viele SL mit den benötigten Eigenschaften kann es nicht geben. Insbesondere da diese SL in den Galaxienhaufen ja auch das dort vorhandene Gas ‘verschlucken’ würden. Dies ist aber nicht der Fall.

    Die DM ist evtl. ja nicht der ‘Weißheit letzter Schluß’ , aber sie beschreibt unser Universum genauer als alle anderen Theorien. Und selbstverständlich muss sie bei jeder neuen Erkenntniss auf den Prüfstand. Sobald wir Hinweise finden, das es bessere Erklärungen als die DM gibt um unser Universum zu beschreiben, so wird die DM durch die dann ‘beste Theorie’ abgelöst. Bislang ist das aber nicht der Fall.

  18. #18 Thomas
    22. Februar 2015

    @Florian: Sorry! Ich bin sicher nur ein interessierter Laie. Zu dem Stichwort “Bullet-Cluster” werde ich mich jetzt gerne belesen. Danke!
    Es scheint mir aber offensichtlich: Wir haben in unseren Beobachtungen des Weltraums nur sehr begrenzte Möglichkeiten. Im Grunde muss alles aus elektromagnetischen Wellen, die uns erreichen heraus berechnet oder gedeutet werden. Wenn dann Objekte ihre Tarnkappe aufsetzen und uns bloß noch die gravitative Wirkung von ihnen auffällt, kann ich (als Laie) den Unterschied zu einem (supermassiven) schwarzen Loch kaum mehr erkennen.
    @bikerdet: evtl. bin ich da einfach zu unbelesen. In den populärwissenschaftlichen Medien (ich zähle alles, was z.B. prof. lesch dazugibt mal dazu) wird hier z.B. gar nicht weiter analysiert, welche Interaktion der DM mit umgebenden Gaswolken entdeckt vs. zu erwartet wird. Interessant wäre hierzu auch mal eine Simulation, die das für Hobby-Kosmologen veranschaulicht.
    Euch aber Danke für etwas merh Erkenntnis meinerseits!