In den letzten Wochen habe ich viel über das Chaos geschrieben und ein paar meiner Meinung nach sehr interessante Phänomene aus der Chaosforschung vorgestellt (seltsame Attraktoren, Periodenverdoppelung, chaotische Universalität, die Mandelbrot-Menge und Fraktale). Dabei ging es aber vor allem um abstrakte Phänomen (kein Wunder, die Chaostheorie ist ja eigentlich auch ein Spezialgebiet der Mathematik) und weniger um konkrete Anwendungen. Es ist daher an der Zeit, sich einmal anzusehen, wie das Chaos sich in unserer Welt ganz real auswirkt. Passenderweise haben italienische Astronomen kürzlich eine interessante Arbeit publiziert, in der es um genau solche Auswirkungen geht: Die chaotische Beeinflussung der Bahnen von Navigationssatelliten durch den Mond (“Chaos in navigation satellite orbits caused by the perturbed motion of the Moon”).

Konfiguration von Galileo-Navigationssatelliten (Bild: Lukas Rohr, CC-BY-SA 3.0)

Konfiguration von Galileo-Navigationssatelliten (Bild: Lukas Rohr, CC-BY-SA 3.0)

Dass die Bewegung der Himmelskörper in unserem Sonnensystem von einer chaotischen Dynamik bestimmt wird, ist keine neue Erkenntnis. Spätestens seit Henri Poincaré im 19. Jahrhundert nachgewiesen hat (siehe dazu auch hier), dass es mathematisch unmöglich ist, die Bewegung der Planeten für alle Zeiten vorherzusagen, wissen wir, dass das Chaos eine wichtige Rolle spielt. Die Verteilung der Asteroiden im Sonnensystem wird durch chaotische Effekte bestimmt, genau so wie die Struktur der Saturnringe, die Rotation von Monden um ihre Achse oder die Bewegung der Planeten. All diese Phänomene und ihre Auswirkungen werden seit Jahrzehnten intensiv untersucht. Aber die Naturgesetze gelten für die künstlichen Himmelskörper genau so wie für die natürlichen Objekte. Und das Chaos muss auch berücksichtigt werden, wenn es um die Steuerung von Satelliten in einer Bahn um die Erde geht. Genau das haben Aaron Rosengren vom Institut für angewandte Physik in Florenz und seine Kollegen getan.

Es ging den Forschern dabei vor allem die Frage des Weltraummülls beziehungsweise um dessen Vermeidung. Denn immer zahlreicher werdenden Schrott im All irgendwie “einzusammeln” ist zu teuer und zu ineffektiv um als realistische Option zu gelten (im wesentlich müsste man für jedes einzelne Schrottteil eine eigene Räummission ins All starten und würde dabei zwangsweise mehr Müll erzeugen, als man einsammeln kann). Man muss sich vor allem darum kümmern, das kein neuer Schrott mehr entsteht – also ausgediente Satelliten gezielt zum Absturz bringen oder auf “Parkorbits” verfrachten, wo sie ein paar Jahrhunderte oder Jahrtausende lang niemanden stören. Aber was, wenn dieser “Satellitenfriedhof” nicht so stabil ist, wie man denkt? Wenn chaotische Effekte die Bahnen der geparkten Satelliten stören und sie wieder näher an die Erde bringen? Und andererseits: Könnte man alte Satelliten nicht auch gezielt in instabile Regionen steuern, so dass das Chaos für ihren Absturz und damit ihre Entsorgung sorgt? Um all das beantworten zu können, muss man zuerst einmal genau wissen, wo sich die chaotischen Regionen befinden, welche Bahnen davon betroffen und wie stark die Auswirkung des Chaos sind. Hier besteht bei den künstlichen Himmelskörpern noch Nachholbedarf und darum haben sich Rosengren und seine Kollege die Sache mal ein wenig genauer angesehen.

Das Chaos wird hier – so wie auch bei den natürlichen Objekten – durch sogenannte Resonanzen verursacht. Ich habe das Thema früher schon mal sehr ausführlich erklärt, darum jetzt nur so viel: Von einer Resonanz spricht man, wenn die Bewegung von zwei Objekten in einem ganzzahligen Verhältnis zueinander steht. Zum Beispiel, wenn ein Asteroid zwei Runden um die Sonne genau in der gleichen Zeit absolviert in der Jupiter eine Runde schafft. Dann können die gravtitiven Störungen zwischen Jupiter und dem Asteroid periodisch wirksam werden und sich immer weiter aufschaukeln. Die Bahn des Asteroiden wird dadurch verändert und instabil – das heißt, sie wird immer stärker elliptisch und kreuzt dadurch die Bahnen anderen Himmelskörper. Am Ende kommt es dann zu einer Kollision und der Asteroid wird zerstört (oder er fliegt aus dem Sonnensystem raus). Darum findet man ja im Asteroidengürtel (oder den Saturnringen) an bestimmten Positionen Lücken; das sind die Orte, an denen Resonanzen wirken.

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Kommentare (7)

  1. #1 Alderamin
    12. März 2015

    @Florian

    Wo Du das Beispiel der Jupitermonde für die Resonanzen bringst: interessant, dass diese Resonanz (wie auch die von Pluto mit Neptun) anscheinend stabil ist und eben nicht dazu führt, dass einer der Monde aus der Bahn geworfen wird, oder ist dies längerfristig zu erwarten? Wenn nicht, was macht gerade diese Konfiguration stabil?

    Und nun zu etwas völlig anderem:

    Rosengren und seine Kollegen haben sich bei ihrer Analyse auf die Navigationssatelliten konzentriert. Die befinden sich einige zehntausend Kilometer von der Erde entfernt und haben unterschiedlich stark geneigte Umlaufbahnen, um die gesamte Erde im Blickfeld haben zu können.

    Was GPS betrifft, die sind alle auf Bahnen mit 55° Inklination (nur die Knotenlinien der Bahnen sind versetzt), und GLONASS alle auf 64,8°. (BeiDou kannte ich gar nicht, da gibt’s tatsächlich ein paar Satelliten auf 1°-2° und der Rest auf 55°-57°; Galileo wird 56° verwenden). Vermutlich meinst Du aber hier die Länge des aufsteigenden Knotens, der später im Text erscheint.

    Dann verstehe ich allerdings die Graphiken nicht so ganz, die bei Exzentrizität von 0 die unterschiedlichsten Inklinationen haben. Haben die Autoren einfach mal verschiedene Inklinationen in ihren Berechnungen ausprobiert, die mit den tatsächlichen nicht unbedingt übereinstimmen?

  2. #2 Florian Freistetter
    12. März 2015

    Bin gerade auf der Buchmesse. Ausführlich antworten kann ich erst später. Aber zumindest das mit den Resonanzen findest du sicher auch selbst raus 😉

  3. #3 Ludger
    12. März 2015

    Als Störgröße kommen noch Strahlungsdruck und Sonnenwind dazu, weshalb manche Satellitenbahnen von Technikern der Bodenstationen alle paar Tage nachjustiert werden müssen.

  4. #4 tes
    der mond ist schuld
    12. März 2015

    sag ich doch schon immer 🙂

  5. #5 Artur57
    Mannheim
    12. März 2015

    @Alderamin

    In der Tat, da kann man ja weiter denken. Ist diese 1:2:4 Resonanz der Monde etwa zufällig entstanden? Wohl kaum, es ist ja denkbar, dass dieser Zustand der stabile Attraktor des Systems ist und dass sich die Monde in diesem Zustand gegenseitig stabilisieren. Erstaunlicherweise bewegen sich alle drei auf fast perfekten Kreisbahnen ohne nennenswerte Exzentrität.

    Was man sich ja vorstellen kann: die Monde kehren nach ihrem Rendezvous nicht einfach auf ihre bisherige Bahn zurück, sondern sie pendeln wohl noch etwas um diese. Bei einer erneuten Annäherung kann dies nun aufschaukelnd wirken oder dämpfend. Letzteres wohl, denn sonst wäre das System schon längst – nun ja – ins Chaotische mutiert.

    Jetzt haben wir noch ein Problem: wenn dieser Zustand durch gegenseitige Beeinflussung der Monde herbeigeführt wurde, dann hieße das, dass die Monde in der Lage sind, Drehimpuls zwischen sich auszutauschen. In der Tat: die Wirkung der Monde ist bei Annäherung und Auseinandergehen nicht symmetrisch, wegen der Massenträgheit. Aus diesem Grund kann dabei Drehimpuls übertragen werden.

  6. #6 Yeti
    16. März 2015

    “einige zehntausend Kilometer” wäre ja fast schon Geostationär.
    Ich konnte in der Wikipedia nix genaues finden, weiß jemand, wie hoch die wirklich fliegen?

  7. #7 Alderamin
    16. März 2015