Von 1. bis 20. April bin ich auf Reisen, halte Vorträge in der Pfalz und in Baden-Württemberg und mache auch ein wenig Urlaub. Für die Zeit meiner Abwesenheit habe ich eine Artikelserie über wissenschaftliche Paradoxien vorbereitet. Links zu allen Artikeln der Serie findet ihr hier.
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Heutzutage hat man ja jede Menge Freunde. Oder besser gesagt “Freunde”, denn zu all den Menschen, die man bei Facebook und anderen sozialen Netzwerken diesen Status verleiht, kann man eigentlich keine klassische Freundschaftsbeziehung aufbauen. Aber egal wie man “Freunde” nun definieren möchte: Ein seltsames Phänomen tritt dabei immer wieder auf. Alle Freunde scheinen mehr Freunde zu haben als man selbst.

Einer für alle und alle für einen! (Bild: public domain)

Einer für alle und alle für einen! (Bild: public domain)

Dieses “Freundschaftsparadox” wurde schon 1991 vom Soziologen Scott Feld identifiziert. Und es ist eigentlich auch kein Paradox, sondern ein reales Phänomen. Die Mathematik dahinter ist kompliziert, aber es läuft auf folgendes hinaus: Greift man aus einem Netzwerk von Personen eine Person heraus und fragt sie nach dem Namen eines Freundes, dann wird dieser Freund seinerseits mehr Freunde haben als die Ausgangsperson.

Intuitiv verstehen kann man das Phänomen über die Popularität von Personen. Bei Menschen, die sehr populär sind und leichter Freundschaften schließen, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie auch meine Freunde sind. Und ob ihrer Popularität ist es auch wahrscheinlicher, dass ich genau diese Personen zum Vergleich auswähle. Das Freundschaftsparadox basiert also unter anderem auf einer Variante des Auswahl-Bias, also einer nicht völlig zufälligen Stichprobe.

Überlegungen dieser Art haben übrigens durchaus auch konkrete und sinnvolle Anwendungen. 2010 haben Wissenschaftler herausgefunden, dass Menschen, die viele Freunde in sozialen Netzwerken haben, auch mit größerer Wahrscheinlichkeit die Grippe bekommen als andere. Um das nachzuweisen, haben sie unter anderem die Erkenntnisse aus der Analyse des Freundschaftsparadox verwendet. In Zukunft sollen Studien dieser Art helfen, die Ausbreitung von Epidemien besser zu verstehen.

Wenn ihr also das Gefühl habt, bei Facebook zu wenig “Freunde” zu haben, dann tröstet euch zumindest damit, dass ihr nicht ganz so oft krank werdet, wie die populäreren Leute 😉

Kommentare (8)

  1. #1 Silava
    14. April 2015

    Hm, ich habe bei Facebook nur ganz wenige ‘Freunde’. Das liegt aber daran dass es nur ein Fake-Profil ist. Und die Grippe bekomme ich nicht, weil ich dagegen geimpft bin. Vielleicht liegt ja eher eine Korrelation vor: Wer nicht bei Facebook ist lässt sich eher impfen?

  2. #2 noch'n Flo
    Schoggiland
    14. April 2015

    @ Silava:

    Wer nicht bei Facebook ist lässt sich eher impfen?

    Ach, deshalb habe ich eine natürliche Abneigung gegen soziale Netzwerke… 😉

  3. #3 derKris
    14. April 2015

    Also wem es bei Freunden um die Quantität statt der Qualität geht, hat definitiv eine sonderbare Auffassung von Freundschaft ^^”

  4. #4 sax
    14. April 2015

    Das wäre durchaus auch für Diktatoren interresant, so könnten Sie ermitteln wer verschwinden muss um das aufkeimen einer revolutionäreren Stimmung in der Bevölkerung schon im Keim zu unterdrücken.

  5. #5 Zyfdnug
    Under cover ;-)
    14. April 2015

    sax #4: Wäre?

    Da bin ich pessimistischer. Hab’ ich nicht letztens irgendwo einen Artikel gelesen dass Geheimdienste ähnliche Ansätze verfolgen um die Bildung von kritischen Gruppen zu torpedieren?

    Nach dem was wir über Möglichkeiten und Ambitionen von sog. Sicherheitsbehörden und -Organisationen wissen würde ich solcherlei Spekulationen durchaus ernst nehmen…

  6. #6 Wolfgang
    14. April 2015

    Die Staatssicherheit in der DDR hat tatsächlich den Ansatz verfolgt, nicht regimetreue Personen mit vielen Freunden zu diskretitieren. Es wurden bewusst berufliche Mißerfolge herbeigeführt, oder es wurden Affairen eingefädelt. Besonders perfide: Es wurde dann solchen Personen, obwohl sie eben nicht regimetreu waren, Vergünstigungen gewährt (z.B. frühzeitige Zuteilung einer Wohnung, Reiseerleichterungen), um damit den Verdacht zu erwecken, diese Person wäre Informant der Staatssicherheit.

  7. #7 Artur57
    Mannheim
    14. April 2015

    Eigentlich ist die Mathematik dahinter ja gar nicht so kompliziert und sie lässt sich auch gut veranschaulichen.

    Ein Balkendiagramm, bei dem die x-Achse die Zahl der Freunde angibt und die y-Achse die Zahl der User, die so viele Freunde hat, dann wird sich ja wohl die übliche Gauss-Kurve ergeben, mit einem Maximum bei sagen wir fünf (rate ich als Nicht-Facebooker). Jetzt multiplizieren wir dies Säulen mit ihrem x-Wert, also der Zahl der Freundschaften und erhalten eine neue Balkenserie, deren Maximum weiter rechts liegen wird, sagen wir bei sieben. Die Siebener-Säule sagt dann aus, wieviel Freudschaften insgesant diejenigen haben, die sieben Freunde haben.

    Jetzt zeichnen wir die Freundschaften mit einer Linie ein, also wenn ein Fünfer mit einem Siebener eine Freundschaft hat, eine Linie von der Fünfer-Säule zur Siebener-Säule. Beim durchschnittlichen Fünfer werden dann wesentlich mehr Linien nach rechts gehen als nach links, einfach, weil sonst dieser Kurvenverlauf nicht zustande käme.

    Ja also die Komplexität war doch eine reduzierbare, würde ich sagen.

  8. […] Freistetter ist auf Reisen, hat uns aber einige Artikel vorproduziert, und einer beschäftigt sich mit Freunden und warum wir glauben, andere hätten mehr Freunde als […]