bartusiakSchwarze Löcher gehören zu den faszinierendsten Objekten im Universum. Lange Zeit galten sie nur als mathematische Kuriosität; heute wissen wir, dass sie überall im Kosmos zu finden sind und großen Einfluss auf seine Entwicklung haben. Über schwarze Löcher gibt es viel zu erzählen und über sie existieren viele falsche Vorstellungen. Ich wollte schon seit längerer Zeit eine ausführliche Serie über schwarze Löcher schreiben. Und da Marcia Bartusiak kürzlich ein tolles Buch* zu diesem Thema veröffentlicht hat, nehme ich das als Anlass, um diese Serie endlich zu schreiben. Alle Teile der Serie findet ihr hier.
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Wie kommt man eigentlich auf die Idee, das so etwas absurdes wie ein schwarzes Loch existieren könnte? Die moderne Theorie der schwarzen Löcher entstand erst vor ein paar Jahrzehnten. Aber schon im 18. Jahrhundert hat sich ein englischer Naturforscher Gedanken gemacht, aus denen ein Konzept entstand, das einem schwarzen Loch sehr ähnlich sieht.

Der Forscher hieß John Michell und ist angesichts seiner vielfältigen Arbeit eigentlich viel zu wenig bekannt. Er beschäftigte sich zum Beispiel intensiv mit Geologie und untersuchte, wie sich Erdbebenwellen unterirdisch ausbreiten. Genauer gesagt: Die Idee, dass es so etwas wie “Erdbebenwellen” überhaupt gibt, die sich ausbreiten können, geht auf Michell zurück. Mit dieser Hypothese konnte er dann zum Beispiel auch genau ausrechnen, wo der Erdbebenherd des großen Bebens in Lissabon im Jahr 1755 war. Michell beschäftigte sich aber auch mit der Gravitation und erfand die Drehwaage, ein Instrument mit dem sich die Gravitationskonstante messen ließ, die in Newtons berühmten Gleichungen auftaucht. Er starb allerdings, bevor er das Experiment durchführen konnte und darum ist es heute nach dem Mann benannt, der Michells Arbeit weiterführte: das Cavendish-Experiment.

Und dann war Michell auch noch ein sehr interessierter Astronom. Und zwar einer, der sich – was für die damalige Zeit durchaus unüblich war – mit Sternen beschäftigte. Im 18. Jahrhundert war man eher an den Planeten, ihren Monden und ihrer Bewegung am Himmel interessiert. Die Sterne waren im wesentlichen ein nützlicher Hintergrund um genaue Positionsangaben machen zu können. Aber es gab ja damals auch wenig, was man mit ihnen anstellen konnte. Keiner wusste wirklich, woraus so ein Stern besteht, wie weit er entfernt ist, wie er funktioniert, und so weiter. Die ganze moderne Wissenschaft der Astrophysik würde erst im 20. Jahrhundert entstehen. Michell aber wandte als einer der ersten statistische Methoden auf die Beobachtung der Sterne an und diese Arbeit sollte ihn zu den ominösen schwarzen Löchern führen.

Michell stellte fest, dass die Sterne am Himmel überdurchschnittlich oft in Paaren oder Gruppen zu sehen sind. Mehr, als man erwarten dürfte, wenn sie einfach alle zufällig am Himmel verteilt wären. Daraus schloss er, dass einige dieser Sternpaare tatsächlich auch zusammen gehören, also durch ihre gegenseitige Gravitationskraft aneinander gebunden sind. Zu diesem Thema veröffentlichte Mitchell im Jahr 1784 eine wissenschaftliche Arbeit mit einem wunderbar langen Titel: “On the Means of Discovering the Distance, Magnitude, &c. of the Fixed Stars, in Consequence of the Diminution of the Velocity of Their Light, in Case Such a Diminution Should be Found to Take Place in any of Them, and Such Other Data Should be Procured from Observations, as Would be Farther Necessary for That Purpose. By the Rev. John Michell, B. D. F. R. S. In a Letter to Henry Cavendish, Esq. F. R. S. and A. S.”

Darin beschäftigte er sich vor allem mit den Auswirkungen der Gravitation der Sterne auf das Licht, das sie aussenden. Licht betrachtete man im 18. Jahrhundert so, wie es der große Gelehrte Isaac Newton im vorherigen Jahrhundert erklärt hatte: Nicht als Welle oder “Lichtstrahl”, sondern als kleine Lichtteilchen, die Korpuskel. Und diese Teilchen müssen selbstverständlich auch durch die Gravitation beeinflusst werden. Gerade das war ja Newtons große Erkenntnis: Die Gravitation ist universell. Sie wirkt auf der Erde so wie am Himmel; zwischen Planeten und Sternen genau so wie zwischen Äpfeln und der Erde. Alles unterliegt der Gravitation und wenn das Licht aus Teilchen besteht, dann eben auch das Licht. Daraus schloss Michell, dass ein Stern sein Licht abbremsen müsste und zwar um so stärker, je massereicher und dichter er ist. In seiner Arbeit rechnet er genau vor, wie sich die Masse eines Sterns auf seine Helligkeit auswirken würde. Und schreibt schließlich auch diesen Satz:

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“If there should really exist in nature any bodies, whose density is not less than that of the sun, and whose diameters are more than 500 times the diameter of the sun, since their light could not arrive at us; or if there should exist any other bodies of a somewhat smaller size, which are not naturally luminous; of the existence of bodies under either of these circumstances, we could have no information from sight; yet, if any other luminous bodies should happen to revolve about them we might still perhaps from the motions of these revolving bodies infer the existence of the central ones with some degree of probability, as this might afford a clue to some of the apparent irregularities of the revolving bodies, which would not be easily explicable on any other hypothesis; but as the consequences of such a supposition are very obvious, and the consideration of them somewhat beside my present purpose, I shall not prosecute them any further.”

Frei übersetzt sagt er damit so viel wie: Wenn es einen Stern gibt, der so dicht ist wie die Sonne aber 500 Mal größer, dann würde er das von ihm ausgesandte Licht so stark anziehen, dass es wieder auf den Stern “zurückfallen” würde. Der Sterne wäre damit unsichtbar (“We could have no information from sight”)! Ein Stern also, von dem kein Licht entkommen kann – genau das, was wir heute als “schwarzes Loch” bezeichnen.

Natürlich wissen wir mittlerweile, dass der Mechanismus den Michell sich vorgestellt hat, so nicht funktioniert. Nach Newton kam Einstein und auch der hatte seine großen Erkenntnisse. Eine davon lautet: Nichts bewegt sich schneller als Licht und Licht bewegt sich im Vakuum immer mit exakt der gleichen Geschwindigkeit! Ein Stern kann also mit seiner Schwerkraft das Licht nicht langsamer machen (obwohl sie andere Auswirkungen hat, aber dazu dann mehr in späteren Teilen dieser Serie). Und auch die Vorstellung von Licht als “Teilchen” ist heute dank der Erkenntnisse nicht mehr aktuell. Aber Michell hat in seiner Arbeit noch einen weiteren sehr klugen Gedanken gehabt. Er schreibt, dass man so einen dunklen Stern zwar nicht sehen könnte, aber wenn er zusammen mit einem normalen, leuchtenden Stern ein Doppelsternsystem bildet, dann würde dieser leuchtende Stern eine Möglichkeit bilden, das “schwarze Loch” zu entdecken. Denn die Gravitationskraft des unsichtbaren Objekts würde die Bahn des hellen Sterns beeinflussen und ihn zum Wackeln bringen.

Und damit hatte er vollkommen recht! Mit dieser Methode hat man in den Jahrzehnten und Jahrhunderten nach Michell tatsächlich viele nicht (leicht) sichtbare Begleiter heller Sterne entdeckt. Friedrich Bessel beobachtete im 19. Jahrhundert den Stern Sirius und maß, wie sich dessen Position am Himmel im Lauf der Zeit verändert. Dabei stellte er fest, dass Sirius wackelt, genau so als würde er von einem anderen Stern beeinflusst, den man aber nicht sehen kann. “Dass zahllose Sterne sichtbar sind, beweiset offenbar nichts gegen das Dasein zahlloser unsichtbarer”, sagte Bessel damals. Tatsächlich aber stellte sich 1862 heraus, dass
man den Begleiter von Sirius doch sehen konnte: Es war der erste weiße Zwerg, den man entdeckte. Später probierte man mit dieser Methode Planeten bei anderen Sternen zu finden und war damit nach langer Suche im 20. Jahrhundert endlich auch erfolgreich.

Künstlerische Darstellung des Doppelsternsystems Cygnus X1 mit Stern und schwarzem Loch (NASA, ESA, Martin Kornmesser (ESA/Hubble))

Künstlerische Darstellung des Doppelsternsystems Cygnus X1 mit Stern und schwarzem Loch (NASA, ESA, Martin Kornmesser (ESA/Hubble))

Und schließlich fand man mit genau der von Michell postulierten Methode auch echte schwarze Löcher. Cygnus X1 zum Beispiel, ein Doppelstern im Sternbild Schwan und etwa 6000 Lichtjahre von der Erde entfernt. Ein großer blauer Riesenstern mit etwa der 40fachen Sonnenmasse kreist hier gemeinsam mit einem schwarzen Loch, das etwa 15 Mal so schwer wie die Sonne ist. Vermutet hatte man die Existenz dieses schwarzen Lochs schon länger, da von Cygnus X1 starke Röntgenstrahlung ausgeht. Aber erst 1971 konnte man das Wackeln des blauen Riesens genau genug vermessen, um sicher zu sein, dass da wirklich noch ein unsichtbarer Begleiter ist. Die beiden Objekte sind sich enorm nahe: Der Abstand zwischen Stern und schwarzen Loch ist in etwa so groß wie der Stern selbst! Ein großer und heißer Stern wie ein blauer Riese hat auch einen starken Sternwind bläst also jede Menge Material seiner Atmosphäre ins All hinaus. Dort wartet dann schon das schwarze Loch um all das wieder einzusammeln, was der blaue Riese verliert. Das Gas des Sterns wirbelt in einer Scheibe um das Loch herum und wird dabei stark aufgeheizt. So entsteht die starke Röntgenstrahlung, die die Astronomen erstmals auf die Existenz dieses Objekts aufmerksam gemacht hat.

Michell hatte jede Menge gute Ideen und viele seiner Ideen hatte er lange, bevor die Zeit dafür reif war. Die “schwarzen Löcher” gehörten dazu. Es sollte noch fast 200 Jahren dauern, bevor das Konzept, das er damals aufgestellt hatte, von den Wissenschaftlern ernst genommen werden würde. Aber dazu dann mehr in den nächsten Teilen dieser Serie!
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Kommentare (7)

  1. #1 phunc
    6. Mai 2015

    Beim letzten Artikel über Schwarze Löcher wollte ich schon nach Literatur fragen. Wie sehr geht Bartusiaks Buch denn auf den aktuellen Stand der Forschung ein? Welche anderen Bücher sind da außerdem noch zu empfehlen? Ich suche etwas, dass sich konkret mit Schwarzen Löchern befasst und eben möglichst aktuelle Erkenntnisse miteinbezieht – im Stil von Brian Greene oder anderen Autoren.

    Eine Alternative wäre natürlich Paper zu lesen, aber dafür reicht mein Fachwissen bisher nicht aus und es ist auch eher mühsam abends noch Publikationen zu lesen.

  2. #2 Thomas N.
    6. Mai 2015

    In der Überschrift steht Mitchell mit t, im Gegensatz zum restlichen Text. Florian, kannst du das falsche t entfernen?

  3. #3 Ridikuli
    6. Mai 2015

    Mich würde dieselbe Frage interessieren, die “phunc” schon stellte: gibt’s populärwissenschaftliche Bücher, die sich primär mit schwarzen Löchern beschäftigen und möglichst aktuelle Ergebnisse beinhalten, aber mindestens 38% unterhaltsamer und 57% leichter verständlich sind als Paper?

  4. #4 Paul
    6. Mai 2015

    @phunc, @Ridikuli:

    Ich fand

    Verbotenes Universum: Die Zeit der Schwarzen Löcher

    von Silke Britzen sehr lesenswert. Gibt’s als Kindle-Version für 9,99 €.

  5. #5 Artur57
    6. Mai 2015

    “Ein Stern kann also mit seiner Schwerkraft das Licht nicht langsamer machen”

    Na ja, eigentlich schon, und das wurde auch schon beobachtet:

    https://de.wikipedia.org/wiki/Shapiro-Verz%C3%B6gerung

    Es ist demnach ein Lichtstrahl in Sonnennähe etwas langsamer. Erste Begründung wäre die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, denn die ART fordert: jeder Beobachter misst c. Die Uhr eines Beobachters in Sonnennähe geht nun etwas langsamer und damit auch er genau c misst, muss das Licht sich ebenso etwas langsamer bewegen. Theorie gerettet. Allerdings nur in diesem lokalen Inertialsystem, denn dieser Shapiro war ja in der Lage, eine Lichtgeschwindigkeit <c zu messen.

    Nicht einverstanden bin ich übrigens mit der Wikipedia-Meinung, dass es sich um einen Brechungseffekt handelt. Denn dieser ist frequenzabhängig, die Lichtbeugung und -verlangsamung im Vakuum sind es nicht.

  6. #6 Florian Freistetter
    6. Mai 2015

    @phunc, Ridikuli: Naja, das Buch ich das ich gerade lese und hier in den nächsten Tagen beschreibe, gehört sicher dazu. Aber gerade zu schwarzen Löchern gibts mehr populärwissenschaftliche Literatur als auf den meisten anderen Gebieten der Astronomie. Was richtig überzeugend gutes und verständliches hab ich aber noch nicht gelesen (mit dem Bartusiak-Buch hab ich ja gerade erst angefangen, da kann ich noch nicht viel sagen).

  7. #7 Florian Freistetter
    6. Mai 2015

    @Artur57: P.S. Und die Shapiro-Verzögerung hat nichts mit dem zu tun, was Michell geschrieben hat.