Gestern habe ich über die Nutzung asteroseismologischer Daten bei der Suche nach Gravitationswellen geschrieben. Heute möchte ich ein bisschen näher auf die eigentliche Arbeit der Asteroseismologie eingehen. In dem man misst, wie und welchen Perioden Sterne schwingen, lassen sich jede Menge wichtige Parameter der Himmelskörper bestimmen. Und wie wichtig es ist, hier genaue Daten zu bekommen zeigt ein kürzlich veröffentlichter Artikel von Astronomen aus Göttingen. Martin Nielsen und seine Kollegen haben sich mit der Frage beschäftigt, wie schnell Sterne rotieren und was das für Auswirkungen auf die Altersbestimmung zu tun hat (“Constraining differential rotation of Sun-like stars from asteroseismic and starspot rotation periods”).

Die Sonne! Voll mit heißem Plasma. Und Informationen (Bild: NASA)

Die Sonne! Voll mit heißem Plasma. Und Informationen (Bild: NASA)

Auf der Erde ist es egal, wo man sich befindet: Eine Rotation um ihre Achse dauert immer 24 Stunden. Die Sonne ist allerdings kein Festkörper sondern eine große Kugel aus Gas. Hier existiert etwas, das man differentielle Rotation nennt. Das heißt, das unterschiedliche Bereiche unterschiedlich schnell rotieren. In der Nähe des Äquators dauert eine Umdrehung um ihre Achse knapp 25 Tage; an den Polen der Sonne sind es dagegen 34 Tage. Um so etwas herauszufinden existieren zwei hauptsächliche Methoden. Man kann zum Beispiel die Sonnenflecken betrachten. Das geht schon mit recht kleinen Teleskopen und wird daher auch schon seit dem 19. Jahrhundert kontinuierlich gemacht. Die Bewegung der Flecken lässt sich aufzeichnen und daraus kann man leicht bestimmen, wie schnell sich die Sonne in verschiedenen Bereichen um ihre Achse dreht. Eine andere Methode ist die Asteroseismologie. Wie schon gestern (oder hier) erklärt untersucht man hier die Art und Weise, wie die Sonne schwingt. All die Prozesse, die im Inneren unseres Sterns ablaufen bringen das Material zum Schwingen. Wie das genau passiert hängt von ihrem inneren Aufbau ab, vom Material aus dem sie besteht, von der Temperatur und noch einigen anderen Parametern, die man mit der Asteroseismologie dann auch bestimmen kann. Die Rotation der Sonne ist eine dieser Größen und wieder spielt die Tatsache eine Rolle, dass sie kein Festkörper ist. Es kann nämlich nicht nur einen Unterschied machen, ob man sich in der Nähe des Äquators befindet oder in der Nähe der Pole, sondern auch ob man die äußeren oder inneren Bereich der Sonne betrachtet. Material kann in verschieden tief gelegenen Bereichen mit verschiedenen Geschwindigkeiten rotieren und die beiden Methoden spiegeln das wider, denn Sonnenflecke und Sternschwingungen werden in unterschiedlichen Tiefen hervorgerufen.

Das ist praktisch, wenn man mehr über die Struktur der Sonne herausfinden will. Es liefert aber auch Informationen über andere Sterne: Der Unterschied in den Resultaten der beiden Methoden gibt direkt die Stärke der jeweiligen differentiellen Rotation wieder. Bei unserer Sonne ist der Unterschied nur gering und wenn das bei anderen Sternen auch so ist, könnte man die eine Methode nutzen um die andere zu kalibrieren. Was aber nur klappt, wenn beide Methoden annähernd die gleichen Ergebnisse liefern. Und ob das der Fall ist oder nicht, haben Nielsen und seine Kollegen an einigen konkreten Beispielen untersucht.

Große Sterne haben auch große Flecken. So wie HD 12545. Bild: K.Strassmeier, Vienna, NOAO/AURA/NSF

Große Sterne haben auch große Flecken. So wie HD 12545. Bild: K.Strassmeier, Vienna, NOAO/AURA/NSF

Und zwar fünf Sternen, die vom Kepler-Weltraumteleskop beobachtet worden sind. Das ist ja gerade dazu da, möglichst genau Helligkeitsmessungen anzustellen weil man eigentlich auf der Suche nach Planeten ist. Wenn die einen Stern umkreisen und dabei einen Teil seines Lichts verdecken, kommt es zu Schwankungen in der Intensität durch die man ihn identifizieren kann. Aber auch die Astronomen die nicht an Planeten interessiert sind, können mit den Daten etwas anfangen. Die Helligkeitsschwankungen erlauben die Bestimmung der Sternschwingungen; sie machen es unter Umständen aber auch möglich, auf die Existenz und die Bewegung von Sternflecken zu schließen. Sternflecke sind kühler als ihre Umgebung und auch die Menge an Licht die von dort abgegeben wird unterscheidet sich von der vom Rest des Sterns. Je nachdem wie die Flecken über die Sternoberfläche verteilt sind, kriegt man also unterschiedlich viel Licht aus unterschiedlichen Regionen und das ändert sich dann periodisch mit der Rotation des Sterns. Bei den fünf Sternen, die Nielsen und seine Kollegen untersucht haben, konnten beide Phänomene beobachtet werden, also Sternschwingungen und Sternflecken und es war daher auch möglich die Rotation der Sterne mit beiden Methoden zu berechnen.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Unterschiede zwischen beiden Methoden tatsächlich nicht allzu groß sind und typischerweise im Bereich von ungefähr einem Tag liegen. Die mit der Asteroseismologie bestimmten Werte sind dabei systematisch kleiner als die, die man von der Analyse der Sternflecken erhalten hat. Interessant wird es dann aber, wenn die sogenannte Gyrochronologie ins Spiel kommt. So bezeichnet man den Zusammenhang, der zwischen der Rotationsperiode eines Sterns und seinem Alter bestimmt. Das Sternalter lässt sich ja nicht direkt messen sondern muss immer über indirekte Methoden bestimmt werden. Eine davon hängt mit seiner Rotation zusammen, die bei bestimmten Klassen von Sternen im Alter nachlässt. Das hängt mit der Wechselwirkung des Magnetfeldes des Sterns und der geladenen Materie die er in Form des Sternwinds ins All hinaus schleudert zusammen. Und die Stärke des Magnetfeldes wird wiederum von den Vorgängen im Inneren bestimmt, zum Beispiel von der Art und Weise, wie dort Material durch Konvektion aus tieferen Bereichen in höhere Bereiche transportiert wird. Und diese Vorgänge ändern sich im Laufe der Zeit, was am Ende zu einem Zusammenhang zwischen Rotation und Alter führt. Da man dafür aber einige Annahmen machen muss, die nur aus theoretischen Modellen der Sternentwicklung stammen, sind die gyrochronologischen Beziehungen nicht exakt und es existieren verschiedene Näherungsformeln. Manche hängen zum Beispiel stark von der Masse des Sterns ab; manche weniger stark oder gar nicht. Andere inkludieren andere Effekte – aber eigentlich sollten alle Formeln zu mehr oder weniger dem gleichen Ergebnis kommen.

Und diese Ergebnisse sollten dann nach Möglichkeit auch mit anderen Methoden zur Altersbestimmung übereinstimmen, denn die Gyrochronologie ist natürlich nicht der einzige Weg mit dem man das Alter eines Sterns bestimmen kann. Die Asteroseismologie liefert (wieder unter Berücksichtigung theoretischer Modelle) zum Beispiel ebenfalls einen Wert für das Sternalter. Nielsen und seine Kollegen haben nun das Sternalter, das direkt aus der Asteroseismologie folgt mit dem verglichen, das man aus der Gyrochronologie erhält. Und festgestellt: Das passt nicht wirklich gut zusammen!

Das Diagramm zeigt das recht gut. Man sieht hier den Unterschied zwischen den beiden Methoden der Altersbestimmung für die fünf Sterne und für drei verschiedene Varianten gyrochronologischer Beziehungen. Nur beim Stern KIC006933899 sind die Werte zumindest innerhalb der Fehlergrenzen identisch, bei allen anderen weichen sie teilweise um mehrere Milliarden Jahre voneinander ab.

Die Arbeit von Nielsen und seinen Kollegen zeigt also einerseits, dass man die Rotationsperiode eines Sterns sowohl durch Asteroseismologie als auch durch eine Analyse von Sternflecken bestimmen kann und beide Methode keine statistisch signifikant unterschiedlichen Werte liefern. Andererseits zeigt sich aber auch, dass die Bestimmung des Sternalters sehr wohl sehr unterschiedlich ausfällt, je nachdem ob man asteroseismologische Daten nutzt oder es mittels Rotation und gyrochronologischen Beziehungen berechnet. Wenn man also keine Asteroseismologie betreibt oder bei manchen Sternen nicht betreiben kann und nur die mit anderen Methoden bestimmte Rotationsperiode für die Altersbestimmung nutzt, stehen die Chancen gut, dass man dabei einen großen Fehler macht!

Was tun? Das, was man in der Wissenschaft immer tun muss: Mehr Daten sammeln und die Dinger besser verstehen! Wenn neue Teleskope – wie zum Beispiel PLATO (wird 2024 ins All geschickt) – mehr und genauerer Informationen zu den Helligkeitsschwankungen der Sterne gewinnen, dann verstehen wir hoffentlich auch die Vorgänge in ihrem Inneren besser und können auch bessere Modelle und bessere gyrochronologische Zusammenhänge aufstellen.

Kommentare (4)

  1. #1 David
    30. August 2015

    Hallo Florian, darf ich fragen wie lange du in etwa an so einem Blog-Eintrag schreibst? Sind das Sachen die du im wesentlichen aus deinem Gedächtnis runterschreiben kannst und noch etwas mit Quellen belegst oder für die du dir extra neues Wissen aneignen und recherchieren musst?

  2. #2 Florian Freistetter
    30. August 2015

    @David: “Sind das Sachen die du im wesentlichen aus deinem Gedächtnis runterschreiben kannst und noch etwas mit Quellen belegst oder für die du dir extra neues Wissen aneignen und recherchieren musst?”

    Sowohl als auch. Als Astronom hab ich natürlich ne gewisse grundlegende Ahnung von den Dingen; es fällt mir also vermutlich leichter als den meisten anderen, die Facharbeiten zu verstehen. Aber WIRKLICH auskennen tu ich mich natürlich auch nur in meinem eigenen Spezialgebiet (=Himmelsmechanik). D.h. bei Arbeiten wie dieser muss ich ein bisschen länger nachdenken, bis ich verstanden habe, worum es geht und das entsprechend für mein Blog zusammenfassen kann. Typischerweise brauche ich für das Verfassen eines Artikels aber ~ 1-2 Stunden…

  3. #3 Hans
    31. August 2015

    Hallo Florian, deine Artikel lese ich immer gerne, aber manchmal habe ich grundsätzliche Fragen wie in diesem Artikel die differentielle Rotation der Sonne. Wie kommt dieser Geschwindigkeitsunterschied zustande? Müssten die Gasteilchen nicht durch die innere Reibung und bei fehlender äußerer Reibung überall die gleiche Winkelgeschwindigkeit annehmen, oder gibt es eine Kraft, die Teile der Sonne beschleunigt und dadurch schneller rotieren lässt?

  4. #4 Wizzy
    31. August 2015

    @Hans #3

    Wikipedia sagt hierzu:
    “Bei der Sonne und den Gasplaneten weisen die äquatorialen Regionen eine kürzere Rotationsperiode als die Pole auf. Die Ursache ist vermutlich, dass […] Materie, die sich auf Grund thermischer Bewegungen überdurchschnittlich schnell in Umlaufrichtung bewegt, durch die gleichzeitig höheren Fliehkräfte nach außen drängt.”

    Zu beachten ist allerdings, dass die englische Wikipedia weniger konkret von Drehimpulstransport via Konvektion spricht, und für mich die obige Erklärung Fragen aufwirft: Hohe Temperatur müsste ebenso schnellere Bewegung _entgegen_ der allgemeinen Rotationsrichtung bedeuten; damit wäre die Diff. Rot. nur im Fall starker räumlicher Trennung jedes Elementes aufgeheizten Gases in verschiedene Bestandteile wie oben ausgeführt erklärbar. Eine solche Trennung halte ich wegen der vermutlich im Vergleich zur Konvektionszeit häufigen Stöße für fragwürdig.