Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag zum ScienceBlogs Blog-Schreibwettbewerb 2015. Hinweise zum Ablauf des Bewerbs und wie ihr dabei Abstimmen könnt findet ihr hier. Informationen über die Autoren der Wettbewerbsbeiträge findet ihr jeweils am Ende der Artikel.
sb-wettbewerb
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Wie schon in einigen meiner früheren Blogeinträgen auf https://crownedshrew.blogspot.co.at erläutert, gehöre ich zu den wenigen Freaks, die ein sogenanntes Orchideenstudium, nämlich das Individuelle Diplomstudium Keltologie, inskribiert hatten und das auch trotz Abschaffung durchgezogen haben.
Das mit dem Durchziehen war jedoch nicht immer einfach, besonders die letzten Monate vor der gefürchteten Deadline – dem Todestag meines geliebten Studiums – haben sich als Erlebnis der besonderen Art herausgestellt.
Deswegen möchte ich euch meine Highlights während dem Diplomarbeit-Schreiben skizzieren. Aus Platzgründen setze ich sowohl die Ärgernisse beim richtigen Zitieren, dem Erstellen der Bibliographie und Formatieren, als auch den chronischen Sexentzug, unvorhersehbare emotionale Schwankungen und einen gereizten Gemütszustand als allgemein bekannt voraus.

Episode 1) Themensuche und Recherche

März – Oktober 2014:
Als sich die schmerzhafte Erkenntnis einstellte, dass mein Wunschthema für die Diplomarbeit unmöglich in nur einem Jahr abzuhandeln wäre, musste Ersatz her. Mein Prof gab mir also eine kleine Auswahl an Themen über mittelwalisische Literatur, die noch zu behandeln wären. Etwas enttäuscht wählte ich also “Die Geschichte der Sieben Weisen Meister aus Rom”, die im Mittelalter eine beliebte und weit verbreitete Lektüre war und deswegen unter anderem auch ins Mittelwalisische übersetzt wurde. Eine Geschichte über Sex, Macht, Verrat, Betrug und das Geschichtenerzählen. The real Game of Thrones. Ich kaufte zwei Bücher darüber, in denen ich im ersten Anflug an Motivation die wichtigsten Schlagwörter heraussuchte… und das war’s.

Geldverdienen stellte sich nämlich als irgendwie essentieller heraus, als für die Diplomarbeit zu recherchieren. Also machte ich in diesen Monaten insgesamt 3 Jobs und verdiente mir einen netten Vorrat an Geld, welcher in den Monaten September bis Oktober leider wieder flöten ging, da meine Katze eine teure OP und zig Tierarztbesuche brauchte.
“Scheiß Studentenleben. Wieso will ich dieses Studium überhaupt beenden? Ist ja eh alles unnötig und nervig. Will lieber Geld verdienen und mir mein bescheidenes Leben leisten können…”

Oktober 2014:
Am 30. April 2015 wird mein Studium abgeschafft. Eigentlich wäre es wirklich dämlich und schade, dieses nicht abzuschließen. Also habe ich mich überwunden und doch zu recherchieren begonnen. Ich reduzierte meine Arbeitszeiten wieder auf 16h pro Woche im Nagelstudio und machte mich ans Werk.
Zwischen “Oh, die Geschichte ist interessanter als gedacht!” und “Wow, da geht’s ja heftig zu!” regten sich erste Zweifel: Ist das Thema keltologisch bzw. wissenschaftlich genug? Kann ich überhaupt irgendeine Fragestellung erarbeiten und diese auch befriedigend beantworten? Wie gehe ich an diesen Haufen an Literatur überhaupt heran? Die Zeit wird knapp!
Mein Betreuer motivierte mich zwar weiter zu machen, aber war selber mit der Masse an Diplomanden die er zu betreuen hatte etwas überfordert, und ich wurde quasi mir selbst überlassen.

November 2014:
Ich fand ein äußerst interessantes Detail der Geschichte, worauf ich meine ganze Diplomarbeit aufhängen wollte und war entzückt! Dann fand ich heraus, dass dieses Detail genau auf die mittelwalisische Version NICHT zutrifft und mein Plan war zerstört. Frust.

Nachdem ich also die Sekundärliteratur gelesen hatte, fand ich endlich eine englische Übersetzung des mittelwalisischen Texts aus 1892 als Nachdruck und bestellte dieses Buch. Es stellte sich heraus, dass dieser Nachdruck durch diverse Scanvorgänge, Weißabgleiche und Kontrastverstärkungen fast unleserlich geworden war. Die kleinen Bögen von n, m, und r waren kaum noch zu erkennen und i-Punkte genauso wenig. Ich beschloss also in mühevoller Kleinstarbeit den Text, der auf den ersten Blick nur aus senkrechten Stricherln bestehen zu schien, zu rekonstruieren und abzutippen, fühlte mich dabei schon fast, als würde ich ein originales mittelalterliches Manuskript transkribieren.

Foto meiner DA mit Abbildung einer Seite aus der Mittelwalisischen Handschrift

Foto meiner DA: mit Abbildung einer Seite aus der Mittelwalisischen Handschrift

Vorteil: während des Lesens und Abtippens, bekam ich immer mehr Ideen, wie ich dieses Thema in meiner Diplomarbeit bearbeiten wollte.
Nebenbei stellte sich heraus, dass mir noch ein kleines Wahlfach fehlte und so setzte ich mich zusätzlich in die letzte Vorlesung meines Lebens – auf der Germanistik.

Dezember 2014:
Unser Betreuungsprofessor wollte bis spätestens 17.12. unsere Diplomarbeiten zugeschickt bekommen, damit er über die Weihnachtsferien schon mal die ersten Teile korrigieren konnte.
Ich brach in Panik aus, da ich de facto noch NICHTS hatte. Also biss ich mir in den Allerwertesten und quälte mich durch die Rezeptionsgeschichte, Aufbau und Formales und schickte ihm meine glorreichen ersten 30 Seiten zum gewünschten Termin. Gleichzeitig fragte ich, wann und wie ich eigentlich mein Thema einreichen soll (keine Antwort erhalten).

Der restliche Dezember lässt sich so zusammenfassen:
Keine Weihnachtsfeiern. Mehr Bücher, mehr Referenzen! Arbeiten gehen, schreiben. Kein Punschtrinken. Kollegin 3 Wochen krank: noch mehr arbeiten! Kein Weihnachten mit der Familie. Keine schönen Feiertage. Kein Silvester. Diplomarbeit schreiben.

Jänner 2015:
Die Nervosität und die Anspannung stiegen bereits rapide an. Man hörte ja ständig Horrorgeschichten über Leute, die beim Schreiben ihrer Bachelor- oder Diplomarbeit völlig ins Klo griffen und alles neu machen mussten. So etwas durfte mir nicht passieren! Zu meinen 30 Seiten hatte ich noch immer kein Feedback bekommen und meine Arbeit war inzwischen 90 Seiten lang. Zusätzlich waren die ersten 30 Seiten bereits überarbeitet. Ich hatte tolle Bilder gefunden, mit denen ich meine Arbeit auflockerte. Also schickte ich meinem Betreuer die neue Version, mit Bitte die alte zu verwerfen. Endlich kam er dazu, sich meine Arbeit durchzusehen, und ich starb fast an Selbstzweifeln. Hoffentlich passte alles, weil alles komplett umändern war unmöglich!

Episode 2) Passierschein A 38

Eines Mittwoch-Morgens kam ein panisches E-Mail von meinem Prof, dass ich mein Diplomarbeitsthema ja noch nicht eingereicht habe! Ich müsste das schnellstmöglich erledigen, er hätte das Formular bereits bei der Sekretärin hinterlegt. Verschlafen, im Pyjama und mit dem obligatorischen Kaffeehäferl in der Hand checkte ich also die Sprechstunden dieser Sekretärin. Mittwoch ab 10Uhr. Was tut man also in so einem Moment? Man springt auf, macht sich fertig und stürmt zur Uni, wo man bei der Sekretärin anklopft, um sein Formular abzuholen.
Na mehr hab’ ich nicht ‘braucht.
Die Dame, außer sich vor Wut, erklärte mir zuerst lautstark, wie unhöflich es sei, ihre laufende Sprechstunde zu stören, gefolgt von Belehrungen, dass man sich gefälligst über ihr Doodle zur Sprechstunde anmelden sollte, und einigen Rügen über meine verspätete Erkenntnis mein Thema einreichen zu wollen. Mit einem geschickten Handgriff öffnete sie ihre Schublade und drückte mir mein Formular in die Hand. Schließlich erklärte sie mir eindringlich, dass ich das Formular so schnell wie möglich ausgefüllt zum Studien-Service-Center (SSC) am Campus bringen sollte. Eine Aktion von 5 Sekunden wurde durch ihren Gefühlsausbruch also auf 5 Minuten hinausgezögert.
Als ich eine halbe Stunde später mein Formular beim SSC abgab, betrachtete die Dame dort zuerst mein Formular, dann mich, dann wieder das Formular und fragte ganz verblüfft: “Du weißt aber schon, dass dein Studium am 30. April abläuft?”
JA. Danke für die Info.

Dann wurde ich mit gefühlten 100 Formularen überhäuft, auf denen ich immer den gleichen Scheiß ausfüllen musste:
Name, Matrikelnummer, persönliche Daten, Thema der DA, Name des Betreuers
Irgendwie unterschieden sich immer nur die Überschriften. Man bekam Leitfäden, Infobroschüren, war plötzlich offiziell ein Diplomand, obwohl man sich schon seit Monaten den Arsch dafür aufriss. Ich schrieb TO-DO Listen, um durch den Dschungel an Formularen durchzublicken, die man alle von unterschiedlichen Leuten unterschreiben, abstempeln und bewilligen lassen musste. Warum das in Zeiten der elektronischen Datenerfassung überhaupt noch nötig war, ist mir bis heute ein Rätsel.

Endlich durfte ich zu meinem Prof, um meine 90 Seiten Diplomarbeit zu besprechen. Zu meiner großen Verblüffung hatte er inhaltlich nichts auszusetzen sondern gab mir nur noch ein paar Tipps zu zusätzlicher Literatur, die ich hier und dort noch zitieren sollte. Sein größter Kritikpunkt betraf meine Beistrich Fehler, aber damit konnte ich leben. Mit einem seltsamen, unbekannten Gefühl von Befreiung, Bestätigung und Stolz arbeitete ich also weiter meine Diplomarbeit aus.

Ende Jänner kam der Montag meiner letzten Prüfung. Das kleine Wahlfach auf der Germanistik, bei dem ich mitten im Semester eingestiegen war, es am letzten Vorlesungstag vor der Prüfung irgendwie schaffte von einem Kollegen eine vollständige Mitschrift meiner verpassten Sitzungen zu organisieren, und für die ich brav das ganze Wochenende gelernt und mir alte Mittelalterfilme reingezogen hatte. Am Abend war die Prüfung, zu Mittag kam mir schleichend die Idee, dass ich mich vermutlich online zu dieser Prüfung hätte anmelden sollen, wie es mittlerweile ja überall gängig war – außer auf der Keltologie, wo man einfach zur Prüfung kam und sich per Hand ins Protokoll eintrug. Die Onlineanmeldung war natürlich schon gesperrt. Nach einer kleinen Panikattacke und der Angst, meinen 2. Studienabschnitt (und folglich das ganze Studium) nur wegen meiner eigenen Blödheit nicht abschließen zu können, beschloss ich, trotzdem zur Prüfung zu gehen und im Notfall einen hysterischen Heulkrampf zu bekommen, sollte der Prof mich nicht zur Prüfung antreten lassen wollen. Mit nervös bedingten Bauchschmerzen wartete ich also gut vorbereitet auf Einlass in den Hörsaal. Als ich den Prof schließlich fragte, ob ich die Prüfung schreiben dürfte, ohne online angemeldet zu sein, und das Schlimmste befürchtete, antwortete er: “Aber natürlich!” Zum Glück liefen die Dinge auf der Germanistik noch ähnlich “Oldschool” ab wie bei uns, und ich schrieb erleichtert meine Prüfung, die nach einem Monat mit einem Einser benotet wurde. Jackpot!

Episode 3) Wer Familie hat, braucht keine Feinde mehr

Ende Jänner:
2 Tage nachdem ich meine glorreiche Germanistik-Prüfung geschrieben hatte, ereilte mich er E-Mail ein Schreiben des neuen Anwalts meines Vaters, welcher sich darüber aufregte, dass seine Tochter immer noch studierte und kein Ende (!) in Sicht sei. Er fragte, ob man ihn nicht von der nervigen Pflicht Alimente bezahlen zu müssen befreien könnte, da die Tochter doch bestimmt schon selbsterhaltungsfähig sei.
Also verschiss ich einen ganzen Tag damit, diverse Dokumente, Lohnzettel, Mietvorschreibungen und andere Dinge zu suchen, zu scannen und meinem Anwalt zu schicken, damit dieser die Vorwürfe dementieren konnte. Mal von der emotionalen Belastung abgesehen, war ein ganzer Tag des Diplomarbeit-Schreibens verloren gegangen.

Mehr dazu unter https://crownedshrew.blogspot.co.at/2015/06/7-vatertags-special.html

Episode 4) Studienabschnitts-Tetris

Anfang Februar:
Die Semesterferien hatten begonnen, aber ich konnte sowieso nicht mehr zwischen Ferien und Nicht-Ferien unterscheiden. Bevor ich mich wieder meiner Diplomarbeit widmen wollte, setzte ich mich eines schönen Montagmorgens hin und sortierte wieder einmal meinen 2. Studienabschnitt. Mit meiner letzten Note konnte ich endlich alles zusammenfassen und für das Einreichen mitsamt meiner Diplomarbeit Ende Februar vorbereiten. Also füllte ich liebevoll das Formular aus und markierte die Vorlesungen in meinem Sammelzeugnis sauber und adrett.

Plötzlich der Schock: Ich hatte mir eine meiner unzähligen Mittelwalisisch-Noten irrtümlich doppelt eingetragen! Und das obwohl der Assistenz-Professor sich alles schon durchgesehen und abgesegnet hatte! Panisch sah ich alles wieder und wieder durch und kam zu der Erkenntnis, dass mir tatsächlich noch eine Note fehlte! Aber das Semester war vorbei!
Heulend und hyperventilierend durchforstete ich das Vorlesungsverzeichnis der Keltologie nach irgendeiner Vorlesung, deren Prüfung ich schnell nachholen konnte. Ich fand schließlich “Soziolinguistik des Ulster-Scots” und beschloss, dass das ja nicht so schwer sein konnte, und die Prüfung machbar wäre. Schnell war ein E-Mail an den Vortragenden geschrieben. Dieser antwortete mir zum Glück sofort, trug mich nachträglich in die Teilnehmerliste ein, schaltete mich für das Moodle frei, wo ich alle Lernunterlagen fand und beriet mich kurz, worauf ich beim Lernen besonders achten sollte. Schließlich war es 22Uhr und ich fragte ihn, wann denn der nächste Prüfungstermin sei. Die ernüchternde Antwort war: “Mittwoch um 17Uhr.”
Okay. 1,5 Tage Zeit ein Thema zu lernen, von dem man vorher nichts gehört hatte, und dann möglichst eine positive Note auf die Prüfung schreiben. Challenge accepted!
Motiviert öffnete ich die Lernunterlagen im Moodle… und wollte verzweifeln. Gefühlte 100 pdf-Dateien mit 20-30 Seiten langen Artikeln, gepaart mit PowerPoint Präsentationen. Ich hatte plötzlich das Gefühl, noch nie in meinem Leben so viel für eine Prüfung gelernt zu haben. Wobei man das ja nicht wirklich als Lernen bezeichnen konnte. Vielmehr habe ich es gerade geschafft jeden Artikel einmal durchzulesen, Notizen zu machen und dann, am Weg zur Uni in der Straßenbahn mir diese Notizen noch einmal durchzulesen.
Mein Freund beschloss, mich zur Uni zu begleiten und während der Prüfung auf mich zu warten, weil er befürchtete ich könnte irgendwo aufgrund von Nervosität, Schlafmangel und Panik zusammenbrechen oder zum nächsten Psycho-Super-Villain werden.
Die Prüfung schrieb ich mit dem Vorsatz: “Schreib alles hin, was dir einfällt, es könnte einen Punkt wert sein!” . Angaben wie “Beschreibe in 120 Worten…” überforderten mich leider komplett. Ich schrieb gerade an einer 130 Seiten Diplomarbeit, und hatte zu solchen Mengenangaben keinen realistischen Bezug mehr. Als ich schließlich abgab, überschlug ich schnell im Kopf meine erwarteten Punkte und kam zu dem Schluss, dass ich mit ganz viel Glück positiv sein könnte.
Am nächsten Tag kam ein E-Mail des Prüfers: “Deine Prüfung wird übrigens ein Dreier, ich hoffe du bist zufrieden.”
ZUFRIEDEN? Ich wollte ihm am liebsten die Füße küssen, so glücklich war ich!
Mein Studienabschnitt war gerettet, mein Studium war gerettet!

Meine Diplomarbeit war mittlerweile schon wieder zur Korrektur bei meinem Prof, der sie diesmal schneller wieder zurückschickte, und ich musste nur noch Kleinigkeiten ändern.

Foto meiner DA ein paar bunte Diagramme müssen auch mal sein.

Foto meiner DA: ein paar bunte Diagramme müssen auch mal sein.

Episode 5) … Passierschein A 38?

Im Zuge des bürokratischen Wahnsinns mussten wir auch das Formular über die Bewilligung unserer 48h Wahlfächer einreichen, wofür wir dann einen Bescheid ausgestellt bekämen. Bei einem Individuellen Diplomstudium muss man nämlich ALLES extra beantragen und bescheinigen lassen. Nach einigen Gesprächen mit diversen KollegInnen stand fest: Formular ausfüllen, in ein Kuvert stecken, dieses beschriften und in “einen der blauen Briefkästen” vor den Inskriptionsbüros auf der Hauptuni schmeißen. Gesagt getan, mein überaus akribisch beschriftetes Kuvert landete in einem blauen Briefkasten, und ich machte mich darauf gefasst, mindestens zwei Wochen auf Antwort zu warten. Nach besagter Zeit ohne jegliche Antwort, suchte ich mir die zuständige Dame heraus und schrieb ihr ein E-Mail, ob alles angekommen sei und schon bearbeitet würde. Zur Sicherheit schickte ich an das andere Büro selbiges E-Mail noch einmal. Jeweils mit Priorität “sehr hoch”! Tagelang keine Antwort. Schließlich versuchte ich es per Telefon. Die Dame, die sich der Dringlichkeit unserer Sache völlig bewusst war, teilte uns verwundert mit, dass diese Formulare nie bei ihr angekommen waren. Aber sie würde sich auf die Suche machen. Kurz darauf folgte ihr Rückruf: unsere Formulare waren zwar im anderen Büro angekommen, aber dort am Stapel für “Unzuweisbares” abgelegt worden.
Es beruhigt mich übrigens sehr, dass es einen solchen Stapel gibt! Leute, die sich nicht auskennen, können dort alles draufschmeißen und müssen sich nie wieder drum kümmern. Ich frage mich, wie viele andere Studenten noch auf wichtige Formulare warten, nur weil irgendwelche faulen Bürokraten zu blöd waren, bei der angegeben E-Mail-Adresse des Studierenden nachzufragen. Oder ihre E-Mails zu lesen, in denen man bereits detailgenau beschrieben hatte, worum es sich handelte und was damit geschehen sollte.
Nein, das Kuvert mit meinem Namen, meiner Matrikelnummer und der Beschriftung “Formular zur Bewilligung der 48h Wahlfächer für das IDS Keltologie” sind “unzuweisbar” und werden im Büro nebenan verzweifelt erwartet/gesucht.
Danke dafür!
In weniger als einer Woche war besagtes Formular übrigens bewilligt und wir konnten unsere Bescheide auf der Uni abholen.

Episode 6) Tramp-Stamp…?

Februar 2015:
Spätestens am SA 28. Februar mussten unsere Diplomarbeiten hochgeladen werden. Spätestens eine Woche danach (SA 7. März) musste die DA in gedruckter Form abgegeben werden, inklusive allen anderen Formularen, Bescheiden und natürlich dem 2. Studienabschnitt. Es reichte übrigens nicht, monatelang eine DA zu schreiben und diese dann abzugeben. Nein, man musste auch ein Formular abgeben, um eine Benotung dieser anzusuchen. Man könnte ja zum Spaß eine DA geschrieben haben und gar keine Note dafür bekommen wollen…

Mein 2. Studienabschnitt musste vor dem Einreichen jedoch noch von der freundlichen Sekretärin überprüft und abgestempelt werden. Da ich mittlerweile auch wirklich alle Noten beisammen hatte, wollte ich das natürlich so schnell wie möglich erledigt haben. Leider hatte die Dame beschlossen, während der heißen Phase eines auslaufenden Studiums 3 Wochen in Urlaub zu gehen, und erst am Mittwoch, den 4. März zurückzukommen. Ihre Sprechstunden am DO 5. und FR 6. März waren natürlich schon zum Bersten voll. Und wir wissen ja bereits, wie sie reagierte, wenn man es wagte sie zu stören…
Das SSC, wo wir das Konglomerat an Formularen, Bescheiden, DAs und Studienabschnitten abgeben mussten, hatte prinzipiell an Freitagen, Wochenenden und Montagen geschlossen. Also musste alles am ausgebuchten DO 5. März irgendwie erledigt werden.
Also belästigten wir in der Zwischenzeit die nette Studentin, welche in der Urlaubszeit die Vertretung der Sekretärin war. Diese war zwar berechtigt unsere Abschnitte zu kontrollieren, jedoch NICHT, diese auch abzustempeln. Jeder Versuch der Vertretung, Kontakt mit der Sekretärin aufzunehmen scheiterte. Über drei Ecken erfuhren wir irgendwann, dass die Sekretärin angeblich doch schon am MI den 4. März im Büro sein würde, obwohl es für diesen Tag KEIN Doodle online gab.
Waghalsig beschlossen mein Freund und ich also, gleich am Mittwoch in der Früh unser Glück zu versuchen und bereiteten uns geistig auf psychologische Kriegsführung vor. Bewaffnet mit unseren Studienabschnitten und allerhand Argumenten und Beschimpfungen klopften wir an ihrer Türe an…
Eine vom Urlaub völlig erholte und freundliche Sekretärin öffnete uns, strahlte uns an und fragte ihre obligatorische “Sind Sie im Doodle eingetragen?” -Frage. Als wir ihr erklärten, dass es kein Doodle gab, war sie verblüfft, und erklärte lachend, dass sie das wohl vergessen hätte. Sie hatte sich schon gewundert, warum niemand kam. Aber kein Problem, wir sollten reinkommen, uns setzen, und alles würde erledigt werden. Sie stempelte alles ab, heftete Zusammengehörendes sogar für uns zusammen, lobte uns, wie schön wir alles angestrichen und ausgefüllt hätten, gratulierte und beglückwünschte uns hundert Mal für unsere abgegebenen Diplomarbeiten und schickte uns glücklich wieder weg. Völlig verwirrt standen wir schließlich im Foyer und betrachteten unser Werk. Dann brachten wir die Unterlagen zum SSC und waren erneut verwundert darüber, dass plötzlich alles so problemlos und widerstandslos funktionierte.

Episode 7) In the End…

Foto meiner DA keine Kosten und Mühen gescheut!

Foto meiner DA: keine Kosten und Mühen gescheut!

Ich wartete ungeduldig auf die Benotung meiner Diplomarbeit, denn erst nachdem diese erfolgt war, konnte man sich einen Termin für die mündliche Diplomprüfung ausmachen und sich in den Kampf um den Vorsitzenden werfen.
Als nach zwei Wochen noch immer keine Note da war, andere KollegInnen aber schon benotet waren und Termine ausmachten, fragte ich vorsichtig bei meinem armen, überarbeiteten Prof nach, der mir erklärte, er “erledigt Unliebsames lieber zuerst.” , was der Grund war, wieso ich noch warten musste. Mit dieser Begründung halbwegs zufrieden wartete ich ab, bis ich endlich meinen Einser auf die Diplomarbeit im Zeugnis stehen hatte.

Der Rest ist schnell erzählt: Nachdem drei Professoren für den Vorsitz meiner Prüfung am 14.4. abgesagt hatten, fand ich schließlich einen, der für eine andere Diplomprüfung extra aus Wales eingeflogen war. Nach einigen Wochen intensiver Recherche und Lernen (kein Ostern.), hatte ich also endlich meine Diplomprüfung und schloss mit ausgezeichnetem Erfolg mein Keltologiestudium ab.

Und das war es wert!

Shrew you!

Erzblume.
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Hinweis zur Autorin: “Ich bin Erzblume, habe dieses Jahr mein Studium der Keltologie abgeschlossen und schreibe jetzt quasi als Selbsttherapie einen Blog darüber, und über andere Themen die direkt und indirekt damit, oder mit mir zusammenhängen. Auf meinem Blog namens Crowned Shrew sudere ich also in königlicher Manier über fast 8 Jahre Orchideenstudium an der Uni Wien, und erläutere, wie “leiwand” es eigentlich ist erstens ein sogenanntes Orchideenstudium zu inskribieren, das zweitens abgeschafft wird, und drittens im Gespräch mit Anderen nur Unverständnis hervorruft.”

Kommentare (34)

  1. #1 Spritkopf
    15. September 2015

    Habsch sehr gerne gelesen und richtig mitgefiebert. Großes Kino (im positiven Sinne).

  2. #2 noch'n Flo
    Schoggiland
    15. September 2015

    Darf ich mal vorsichtig nachfragen, was Du jetzt mit diesem Diplom beruflich anfangen wirst?

  3. #3 Crazee
    15. September 2015

    You made my day!

    Ich habe mein Studium auch noch zu einer Zeit gemacht, als es noch physische “Scheine” gab. Erlebnis dazu: Ich hatte “vergessen” einen meiner Scheine abzuholen. Nach drei Semestern also ab zum Prof. In seinem Büro bog sich der Schreibtisch unter einem Berg (Berg, nicht Stapel) von Papieren. Ich trage mein Anliegen vor, er geht zu einem sich biegenden Regal, blättert kurz durch einen Stapel von ungefähr 200 Scheinen und händigt mir meinen aus. Nur das Genie beherrscht das Chaos.

  4. #4 gaius
    15. September 2015

    Fesselnd und unterhaltend – danke!

  5. #5 Artur57
    15. September 2015

    Tja, das Bemühen des Strudenten ist umgekehrt proportional zur noch verbleibenden Zeit, wie Professor Murphy richtig feststellte. Schön, dass das so geblieben ist. Man sucht ja in dieser schnellebigen Zeit gern nach Erhaltungsgrößen. Das ist eine.

    Ansonsten: Kelten und Astronomie ließen sich ja kombinieren. Ich sag mal Stonehenge.

  6. #6 Florian Freistetter
    15. September 2015

    “Plötzlich der Schock: Ich hatte mir eine meiner unzähligen Mittelwalisisch-Noten irrtümlich doppelt eingetragen! “

    Das kenn ich… Am Ende des ersten Studienabschnitts hab ich auch festgestellt, dass eine Vorlesung, die ich für 2 Wochenstunden gehalten hatte nur eine Stunde wert war. Und ich deswegen das ganze Wahlfach verwerfen und innerhalb einer Woche Zeugnisse über 4 Wochenstunden eines naturwissenschaftlichen Faches auftreiben musste. Ich hab dann eine Prüfung über die komplette Geophysik-Einführung gemacht ohne jemals in der Vorlesung gewesen zu sein (und eine 3 bekommen) – und es dann fast doch nicht geschafft, weil die Prüfung in einem Gebäude in Wien war; die Sekretärin, die das Zeugnis abstempeln musste aber in einem ganz anderen Gebäude ganz woanders in Wien sitzt und der Institutschef, der den Studienabschnitt abstempelt wieder ganz woanders sitzt (und die Behörde, wo alles abzugeben ist, auch wieder anderswo ist). Und es war Freitag Nachmittag, wo Sekretariate gerne auch mal früher Schluss machen. Habs aber gerade noch geschafft und mir so den Erhalt der Studienbeihilfe für 6 weitere Semester gesichert; ansonsten hätte ich mein Studium wohl abbrechen müssen…

  7. #7 Karl
    15. September 2015

    Was hab ich am Anfang des Textes ueberlegt, warum Florian noch ein Keltologie-Studium macht und wie er in einem Nagelstudio arbeitet. 😮

    Irgendwann hat es dann langsam klick gemacht. Ich brauche dringend n Kaffee.

  8. #8 noch'n Flo
    Schoggiland
    15. September 2015

    @ Karl:

    Aua, dank Dir habe ich jetzt ganz übles Kopfkino am Laufen… Florian als Nail-Designer… hiiiiilfääääh!!!

  9. #9 Johannes
    15. September 2015

    Super Text, vielen Dank dafür! Habe immer wieder Situationen aus meinen Studium wiedererkannt 🙂

  10. #10 JoselB
    15. September 2015

    Das mit den plötzlich fehlenden Punkten kenne ich auch. Da wurde nachträglich für einen Kurs die ECTS runtergesetzt. Hab dann in Panik noch neben meiner Bachelorarbeit und nebenher Vollzeit-Job und um neugeborenen Nachwuchs kümmern halt noch nen Avionik Kurs belegt. Zum Glück hab ich vorm Studium mal an nem Flugsimulator gebastelt, da gabs dann auch nen 1er drauf. Prüfung fertig, Note bekommen, Punkte geprüft: Hab jetzt 2 Punkte mehr als nötig, weil die ECTS-Korrektur nachträglich nochmal rückgängig korrigiert wurde. Naja, meiner Abschlussarbeit hat das natürlich nicht mehr geholfen.

  11. #11 Weizsäcker
    Wiesbaden
    15. September 2015

    Hab beim Lesen fast nen Herzkasperl bekommen. Fühlte mich 20 Jahre zurück versetzt zu meiner eigenen Diplomanten-Zeit. Darum biete ich Menschen wie Dir heute auch “Betreutes Studieren” an. Neben meiner normalen Arbeit 🙂

    Du musst aber auch die Verwaltung verstehen. Da sitzen manchmal Nicht-Akademiker, deren einziges Vergnügen ist, Studierenden einen neuen Dienstleistungsgedanken nahe zu bringen: “Ihr dürft studieren, weil es Menschen wie mich gibt!” (wer vom Lesen des Blogs noch zu verwirrt ist, korrekt wäre: “Weil Ihr studiert,darf ich einen Job haben! Danke! Danke! Danke!”)

  12. #12 mrFrank
    15. September 2015

    also ehrlich, ich bewundere Deine unglaubliche Zähigkeit !

    Bleib so 🙂

  13. #13 Nele
    15. September 2015

    Eine Schreibkraft bzw. Verwaltungsfachkraft wickelt den Publikumsverkehr über obligatorische individuelle Termine ab und raunzt die Kunden auch noch an?!

    Interessante Allüren…

  14. #14 Erzblume
    15. September 2015

    Danke für eure ganzen, netten Kommentare!
    Hatte ja echt Angst, dass mein Beitrag als uninteressant irgendwo versumpert 😛
    Freut mich, dass mein Beitrag ganz gut ankommt 😀 Im Nachhinein kann man ja drüber lachen, aber währenddessen zuckt man fast aus 😀

    Ich finde es irgendwie wichtig, den Leuten zu zeigen, was man so alles tun/ über sich ergehen lassen muss, BEVOR man überhaupt dazu kommt, Wissenschaft zu machen.

    @noch’n Flo: ich sag immer, ich hab für Herz und Hirn studiert, und nicht unbedingt für eine berufliche Karriere. Und da wir ja abgeschafft wurden, sind so Dinge wie Projekte etc. quasi nicht vorhanden – außer man geht ins Ausland, was ich mal nicht vor habe. Ich beginne nächste Woche einen Job in einem Privatkrankenhaus am Schalter für Röntgen, MR und CT und werde auch Befunde abtippen. Hat auch was, und ein “richtiges” Gehalt ist mir grade komischerweise sehr wichtig 😀

  15. #15 Withold Ch.
    15. September 2015

    Eindrücklich, wie die Autorin hier den Kampf gegen die bürokratischen Monster an der Universität “heldinnenhaft” bestanden, sich durch das Schicksal des drohenden Endes ihres Studienfachs “Keltologie”, das sie gegen alle Einwände, Verdächtigungen und Vorurteile durchzieht, nicht hat beirren lassen und gleich noch eine spannende Geschichte voller Selbstironie und witzigem Bezug zu der Saga unserer Zeit daraus macht. Das scheint vielleicht eine Folge ihres Studiums zu sein, spricht man doch den Inselkelten einen besonderen Hang zum Geschichtenerzählen zu.

    Die ökonomischen Zwänge in Europa stellen im Moment durchwegs die Berechtigung der sogenannten Orchideenfächer in Frage, wenn sie nicht schon abgeschafft worden sind.
    Ich bin überzeugt, dass sie früher oder später wieder “rehabilitiert” werden, wahrscheinlich in einem andern Zusammenhang oder unter einem andern Namen, hier zB unter “Globale Mythologie”, denn “Geschichten von früher” werden und wurden zu allen Zeiten, überall auf der Welt und immer wieder neu erzählt.

    Der Blick zurück auf die Kulturen und Menschen, die vor uns da waren, lässt uns zB nicht nur die jetzige Popkultur mit all ihren Serien, Episoden und Fiktionen auf unterhaltsame Weise besser verstehen, sondern könnte das Bewusstsein und Gefühl von Zusammengehörigkeit und Gleichwertigkeit verstärken, – im Hinblick auf die Dinge, die da kommen mögen …

  16. #16 Karla Kolumna
    15. September 2015

    Oh, wie sehr erinnert mich das an die letzten Tage meines ETechnik-Studiums.
    Da habe ich auch Blut und Wasser geschwitzt ob ich wirklich alles beisammen habe und richtig eingereicht habe.
    Es gab eine Berechnungsvorschrift wie sich die Semesterwochenstunden von Kernfächern, Pflichtfächern, Wahlfächern und Co zusammen zu setzen haben.
    Und wenn man denkt es passt alles kommt irgendwer mit einer tollen bürokratischen Hürde um die Ecke.
    So hatte der Leiter unseres studienganginternen Praktikumsamtes (also er war quasi das Amt…), als ich meinen Praktikumsbericht einreichte, die Idee eingeführt, dass alle Seiten und die tabellarische Übersicht der Praktikumstätigkeiten durch den Betreuer zu stempeln und zu unterschreiben sind!
    Dummerweise hatte ich die Abgabe des Berichtes ein kleines bisschen hinausgezögert und musste dann erstmal rausfinden ob mein Betreuer noch existiert und ihm dann den Bericht noch zukommen lassen und währenddessen hoffen, dass er den nicht noch zerreist. Kurzzeitig hatte ich in Erwägung gezogen das Ding einfach selbst zu unterschreiben und den Stempel mithilfe von Kartoffeldruck zu imitieren…

    Aber das Gefühl am Ende das Zeugnis in der Hand zu halten. Unvergleichlich!

  17. #17 bruno
    15. September 2015

    Sehr unterhaltsam!
    Die meiste Zeit muss man lachen und dann kommen einem (mir) plötzlich die Tränen, weil man einfach so mitfiebert (Ich wollte ihm am liebsten die Füße küssen, so glücklich war ich!)

    Die Frage nach dem Job… wurde mir bislang immer so beantwortet: ein akademischer Grad ist die Eintrittskarte – aber das Spiel hat meist mit dem Aufdruck rein gar nichts zu tun.

    Also warum nicht ein Diplom in Keltologie.
    Das zeigt doch jedem, dass man prinzipiell methodisch arbeiten kann. Besser als wie nix 😉
    Viel Erfolg!!

  18. #18 Moss the TeXie
    15. September 2015

    Dank auch von einem Unstudierten für diesen wunderbaren Text, der mich ein ganzes Stück weit mit den vermeintlichen Versäumnissen meines Lebens versöhnt. 😉

  19. #19 Dampier
    15. September 2015

    Spannende Lektüre, sehr schön erzählt.

    Als alter Prokrastinator weiß ich nicht, ob ich jemals ein Studium geschafft hätte. Respekt für die Leistung.

  20. #20 Hans
    15. September 2015

    Respekt! – Ich glaube, ich wäre in der Situation verzweifelt…
    Kann es aber auch nicht wirklich sagen, da ich mein Studium zum einen an der Fachhochschule angefangen habe, wo verschiedenes anders lief als an der Uni. Und zum anderen war das noch vor den Umstellungen auf Bachlor und Master, bzw. bevor das Bologna-programm überhaupt beschlossen wurde, das uns den ganzen heutigen Murks im Hochschul-Bildungswesen beschert hat.
    Und was das Fach selbst angeht: Ich denke, wenn Du nach Wales fährst und Dich mit den Leuten dort in walisischen Gälisch unterhalten kannst (sofern die das selber noch können), werden sie Dich gleich noch mehr lieben, da sie merken, dass Du viel mehr als “Standard-Touristen” über Land und Leute weist.

  21. #21 Florian Freistetter
    15. September 2015

    Ich hab ja auch ein “Orchideenfach” studiert – und kann sagen, dass Wissen niemals ein Nachteil ist. Als Keltologin kriegt man wahrscheinlich ebenso wenig Angebote aus der Wissenschaft wie als Astronom. Aber man hat etwas gelernt. Und vor allem hat man gelernt zu lernen. Und gelernt, ein schwieriges und langfristiges Projekt bis zum Ende durchzuziehen. Man hat gelernt, systematisch zu denken. Man hat gelernt, Gedanken und Wissen zu organisieren. Und so weiter. Ganz unabhängig vom Fachgebiet hat man immer etwas gelernt. Und das hilft einem auch immer irgendwie. Von den Leuten, die damals mit mir gemeinsam das Studium begonnen und abgeschlossen haben (knapp ein Dutzend) ist heute nur noch eine direkt an ner Uni als Astronomin tätig. Die anderen sind aber auch nicht arbeitslos und haben alle interessante Jobs gefunden. Jobs, für die man kein Astronom sein muss, aber auch Jobs, die sie ohne das Studium vermutlich nie gekriegt hätten.

  22. #22 RainerO
    15. September 2015

    Sehr unterhaltsam und spannend zu lesen.
    Ich habe zwar nur zwei “halbe” Studien, aber auch da genug ähnlich Situationen erlebt, als ich z.B. draufkam, dass mir noch zwei Stunden für den weiteren Bezug des Stipendiums fehlten.
    Insofern kann ich das alles sehr gut nachvollziehen und ich habe bis zum Schluss mitgezittert, wohl wissend, dass es letztendlich ein Happy End geben wird (wer schreibt schon so einen Beitrag, um zu berichten, dass es dann doch schief gegangen ist und man ohne Diplom dasteht).
    Gratulation zum erfolgreichen Abschluss!

  23. #23 rolak
    16. September 2015

    Bore da, Erzblume, und Glückwunsch (bzw Leistungsbewunderung) nachträglich! Erfrischend persönlich und tatsächlich, es gibt noch konfusere Zustände als in (m)einem 08/15 Studienfach, obgleich dies mir damals kaum vorstellbar schien…

    Ok, die Zugabe der ab+zu durchbrechenden Ostarrichiaria gefielen ebenfalls sehr gut 😉

  24. #24 Erzblume
    cronedshrew.blogspot.co.at
    16. September 2015

    Danke, ihr Lieben!

    @Hans: Wir sind eben durch die Bachelor/Master Umstellung durchs Sieb gefallen, weil nicht genügend Kontingent für alle da war. Manchmal habe ich mir auch geregeltere Umstände gewünscht, wie zB auf einer FH, aber ist es auf der anderen Seite auch sehr schön in soeinem “intimen” Umfeld zu studieren. Manchmal waren wir nur 5 Leute in einer Lehrveranstaltung und nicht selten sind wir mit unseren Dozenten nachher noch ins Pub, oder haben uns gegenseitig privat zum Essen eingeladen.
    Ein bissi klugscheißern muss ich jetzt aber ( = schwer das zu unterdrücken 😛 ) Walisisch ist nicht Gälisch 😀 aber verwandt sind sie ^^ Und ja, ich kanns kaum erwarten eine Rundreise zu starten und vllt noch mehr Sprachkurse zu belegen – bin zwar ein riiiesen Wales-Fan, war aberleider noch nie dort, unsere Uni-Exkursionen haben mich “nur” nach Irland und Cornwall gebracht (aber es ist ALLES so wundervoll!)

    @Florian: Danke, genau das finde ich auch. Es geht darum zu lernen, und seinen eigenen Horizont zu erweitern. Das kann mir keiner nehmen, und ich kann nach Möglichkeit versuchen, mein Wissen an andere Interessierte weiterzugeben. Bis jetzt als Nageldesignerin habe ich natürlich vielen Kundinnen (sofern sie wollten) davon erzählt, und gerade letzte Woche sagte eine: “Na schau, da geht man sich die Nägel machen lassen und lernt plötzlich etwas über Keltologie!”
    Und gerade in meinem Studium geht es auch um das Verständnis mehrerer aufeinandertreffender Sprachen/Kulturen/Menschengruppen, Soziolinguistik, geschichtliches Verständnis über Emigration und Immigration und welche Gesellschaft sich an die andere anpasst oder assimiliert wird – und gerade in den heutigen Zeiten sind solche Themen aktuell, und es wäre wünschenswert, dass auch die breite Masse an Menschen so etwas versteht – oder es zumindest versucht.
    Dazu hat sich auch noch ganz banal mein Musikgeschmack erweitert und mein kulinarischer Horizont 😀

    Wer gerne ein paar meiner “Einsteigerposts” lesen mag, ist herzlich eingeladen (Eigenwerbung ^^)

    Was ist Keltologie? https://crownedshrew.blogspot.co.at/2015/03/1-von-kelten-und-orchideen.html

    Warum wurde sie abgeschafft? https://crownedshrew.blogspot.co.at/2015/04/requiem.html

    LG und ich freue mich sehr über jeden einzelnen Kommentar <3
    Erzblume

  25. #25 Karl Mistelberger
    16. September 2015

    Apropos 70G: Da kommt mir sofort die Redensart in den Sinn “Ein Bild sagt mehr als tausend Worte”.

  26. #26 Victor Carpenter
    Berlin
    16. September 2015

    @ Erzblume

    Gratulation zum Diplom ! Vor diesem Beitrag wußte ich nicht einmal, daß es das Studienfach Keltologie gibt. In Deutschland kann man es in Bonn oder in Marburg studieren. Und ich verstehe nicht, warum man die Studenten derartig mit Formalismen zuschmeißt. Ich habe auf den Webseiten der Uni Wien nachgeschaut: ganz wesentlich waren Formulare, Unterschriften, Stempel….. . Eine Universität sollte doch eigentlich ein Wissenschafts- und Ausbildungsbetrieb sein und keine Behörde.

    Ich werde alt. Ein Studium war für mich immer eine Berufsausbildung. Man übt nach dem Studium den Beruf aus, den man im Studium gelernt hat. Natürlich sollten das Studium und der Beruf Spaß machen, sonst kann man nicht 40 Jahre engagiert in dem Beruf arbeiten. Ein Studium nur aus Spaß war für mich nicht vorstellbar. Und fast 8Jahre meines Lebens dafür zu opfern auch nicht. Und ich bin auch nicht der Meinung, daß die Gesellschaft so etwas finanzieren muß. Die Regelstudienzeit allerdings schon !

    Ich habe in den 70ziger Jahren mein Abitur (in 12 Jahren) gemacht und studiert. Kein Orchideenfach, sondern Physik. Und ich habe in 9 Semestern (+ 1 Monat) geschafft, mein Studium mit dem Diplom abzuschließen. Ich hatte mit 23Jahren mein Studium abgeschlossen und gearbeitet. Und uns hat man damals nicht so viele Steine (bürokratisch und finanziell) in den Weg gelegt. Ich habe damals von (nach heutigen Maßstäben) unvorstellbar wenig Geld gelebt. Es ging ! Und wir haben damals im Studentenwohnheim auch sehr wenig Miete bezahlt.

    Ich habe allerdings auch nie so viel nebenbei gearbeitet. Maximal 5 Stunden in der Woche habe ich als Hilfsassistent und als Techniker vom Studentenklub und von Sportanlagen zeitweise gearbeitet. Ich muß zugeben, ich mußte davon auch nicht leben, ich habe mit diesem Geld meine Hobbys finanziert. In den Sommerferien habe ich immer gearbeitet. Und auch immer woanders. Im Handwerk, am Fließband in der Industrie, in der Schifffahrt und auch in der Landwirtschaft. Ich wollte auf diese Weise ein wenig reale Arbeitswelt kennenlernen. Es waren aber natürlich alles ungelernte Tätigkeiten. Es ist heute mit Sicherheit sehr schwer, einen adäquaten vernünftig bezahlten Studentenjob zu ergattern. Damals war das einfacher.

    Und meine Kinder haben es auch geschafft, in der Regelstudienzeit zu studieren und zu promovieren. Allerdings ohne jede Arbeit nebenbei. Ich habe sie nie an Regelstudiezeiten erinnert. Kinder in dem Alter sind ja eigentlich junge Erwachsene. Da kann man sowieso nichts mehr sagen, sie wollen ihr eigenes Leben leben. Ich wollte das auch und meine Kinder natürlich geauso.

    Ich habe mich damals bemüht, möglichst schnell meinen Platz im Leben zu finden. Aber die heutige Jugend denkt anders. Sie werden auch von bürokratischen Hürden behindert. Da gibt es Studenten, die haben ein Diplom in der Tasche, und hängen noch 2Jahre Studium hinten dran, nur um einen Master zu machen. Sie sind der Meinung, der Master ist mehr Wert als das Diplom und ist international mehr geachtet. Da gibt es Studenten, die machen nach dem Studium erst mal ein Jahr Auszeit, um die Welt kennenzulernen und eine andere Sprache zu lernen. Dann steht man mit 30 immer noch nicht auf dem Platz im Leben, den man sich vorgestellt hat. Und da gibt es auch Studenten, bei denen zu Beginn des Studiums schon klar ist, daß ihr Fach eigentlich nicht mehr gebraucht wird.

    Entschuldigen Sie bitte, ich möchte nicht kritisieren. Aber Sie haben sich sehr viele Möglichkeiten vergeben. Das ist schade. Sie haben so viel Potential ! Ich hätte es nie gepackt, ein Semester Physikkurs in 3 Tagen nachzuholen. Ich halte das in der Physik auch für unmöglich, da man ja neben dem Faktenwissen auch die Anwendung dieses Wissens trainieren muß.

    Ein Studium ist keine Kinoveranstaltung, in der einem ein Film gezeigt wird, und man am Schluß ein Zertifikat bekommt, daß man den Film gesehen hat. Die Qualifikation des Studiums muß man sich hart erarbeiten. Ich bin überzeugt, wenn Sie ihr Studium von Anfang an mit dem Elan betrieben hätten, den Sie zum Schluß gezeigt haben, dann wären Sie auch in der Regelstudienzeit fertig geworden.

    Ich wünsche Ihnen, daß Sie den Beruf, den Platz im Leben finden, der Ihnen Spaß macht. Grüße !

  27. #27 Mike
    16. September 2015

    Herrlich – Danke für diesen Beitrag!

    Und Dank auch an Florian, dass er auch Menschen, die kein ganzes Blog betreiben (wollen), die Bühne dafür gibt.

    Bei uns war irgendwie gar keine Bürokratie. Oder ich habe die vergessen. Das Aufwändigste war am Ende noch nach Diplomarbeit und Prüfungen, bei allen Instituten und Institutionen, bei denen man mal war, eine Bescheinigung abzuholen, dass man denen nichts schuldig ist. Vorher wurde das Diplom nicht ausgehändigt.

    Als ich mit Schrecken erkannte, dass ich wegen viel zu langer Diplomarbeit eine Prüfung nicht mehr machen konnte, weil der Professor schon einige Jahre weg war und alle Möglichkeiten, wo er wegen Prüfungen noch mal kam, einschließlich aller Wiederholungs- und Wiederholwiederholungs-Termine, verstrichen waren, bin ich zu seinem Nachfolger. Der sagte mir, seine Vorlesung wäre völlig anders aufgebaut (Herz in die Hose gerutscht), aber das sei kein Problem. Er könne mir einige Kapitel aus einem Buch nennen, da müsste ich nicht mal seine Vorlesung besucht haben, um mich bei ihm prüfen zu lassen (Herz wieder an der richtigen Stelle).

    Aber weil das alles so easy ablief, habe ich wohl immer noch, selbst nach einem Vierteljahrhundert danach noch, ab und an einen Albtraum. Jemand aus der Verwaltung stellt fest, dass ich nicht ein einziges Mal in der Vorlesung war, die man besuchen sollte, aber wo es weder Prüfung noch Anwesenheitscheck gab (“XXX und Gesellschaft” oder so ähnlich), und erkennt deswegen das Diplom ab, das ich zurückschicken soll. Diese Träume sind wohl die Strafe dafür, dass ich das damals nicht so ernst genommen habe wie der Dozent dafür.

  28. #28 Uwe
    https://plus.google.com/111456037224513330152/posts
    17. September 2015

    Danke für diesen Text. Erinnert mich so sehr an meine Studentenzeit. Schee war’s <3 🙂

  29. #29 Erzblume
    crownedshrew.blogspot.co.at
    17. September 2015

    @Victor Carpenter

    Vielen Dank, für den Kommentar!
    Ich habe Argumente und Sichtweisen wie Ihre in den letzten Jahren oft gehört, und natürlich zum Teil auch gerechtfertigt. Es gibt immer solche und solche: StudentInnen, die in Mindeststudienzeit fertig werden und gleich in die Berufswelt eintauchen und StudentInnen die sich etwas mehr Zeit lassen und länger brauchen um ihren Platz zu finden, wie Sie sagen. Es gibt immer die Mitläufer der breiten Masse und die Individualisten. “Brave Leute” und “Freaks”.
    Aus ihrem Post schließe ich, dass sie mehr in meinem Blog gelesen haben, als nur diesen Beitrag hier?

    Ich möchte gerne dazu noch ein bisschen was sagen.
    Sie haben natürlich recht, dass die Zeiten sich geändert haben und die jungen Leute von heute den Luxus haben, sich mehr Zeit in ihrer Berufswahl und dem Einstieg in diesen zu lassen. Ich kenne es aus meiner Familie so, dass meinen Eltern damals nicht erlaubt wurde die Wunschausbildungen zu absolvieren, oder den Wunschberuf auszuüben. Deswegen nahmen sie sich vor, ihren Kindern diese Wahl selbst zu überlassen und deren Ausbildungen so gut es geht zu ermöglichen.

    Natürlich hätte ich schneller studieren können, da will ich auch gar keine Ausreden suchen. Aber am Ende sind meine Eltern und ich sehr stolz darauf, was ich erreicht habe, dass ich jetzt einen netten Titel vor meinem Namen angeben darf, und jetzt ordentlich Geld verdienen kann, auch wenn meine Jobs keinen keltologischen Bezug haben.

    Man darf auch nicht den Fehler begehen, mich und meine Person nur über den Aspekt des 8jährigen Keltologie-Studiums zu definieren. Natürlich gibt dieser Blogpost nicht sehr viele Einblicke in mein nicht universitäres Leben, aber ich definiere mich über ungefähr 100 andere Dinge auch noch, als nur über die Keltologie.
    Ich bin ein Tausendsasser, ich will möglichst viel können und tun, ich hasse Langeweile und Eintönigkeit. Ich bin ein Kreativling, der das “Pech” hat auch noch halbwegs intelligent zu sein und deswegen im Leben nie wusste ob er die kreative oder die intellektuelle Schiene fahren sollte.

    Deswegen habe ich neben meinem Studium, das die intellektuelle Seite in mir befriedigte, auch noch Nageldesign und Wimpernverlängerung gelernt, ich emailliere Schmuck, drehe Glasperlen, male und zeichne, bastle, graviere Glas.
    Zusätzlich gehe ich seit 5 Jahren einem recht zeitintensiven Hobby nach: dem Reenactement bzw. Living History und versuche mit meinem Verein zusammen, auf möglichst wissenschaftlicher Basis das mittelalteriche Leben um 1300 zu rekonstruieren, dazu gehören auch diverse Näh- und Handwerksarbeiten und natürlich das Ausstellen auf Mittelalterfesten.

    Man sieht also, dass es durchaus eine Menge Dinge gab, die mich zwar vermutlich auch im Studieren verlangsamt haben, aber einfach zu mir und meiner Person, zu meinem Leben gehören. Deswegen stört es mich auch nicht, wenn mein Studium “unbrauchbar” ist, denn ich habe noch viele andere Dinge die ich gerne mache. Und wenns ums Geld verdienen geht, da habe ich keine Probleme mich in jedweden Job einzuarbeiten, so wie ich es ab nächster Woche eben im Krankenhaus tun werde. Dann verdiene ich mal ein paar Jahre lang mein eigenes Geld, mit dem ich meine eigenen Entscheidungen treffen kann

    Für mich gibt es keine schlimmere Vorstellung, als einen Beruf zu erlernen/zu studieren und diesen dann 40 Jahre lang ausüben zu müssen, egal wie sehr er mir gefällt. Ich habe mich damit abgefunden, dass ich wahrscheinlich nie DEN richtigen Platz irgendwo finden werde, sondern es für mich MEHRERE richtige Plätze geben wird, je nach Situation.

    Aber ich verstehe auch, dass sich viele Leute, vor allem wenn sie ein “geregeltes” Leben und “geregelte” Ausbildungen und Jobs hinter sich haben, damit schwer tun so jemanden wie mich zu verstehen.
    Aber das ist okay so, schließlich braucht die Welt Vielfalt und Auswahl.
    😀
    vielen Dank und Liebe Grüße

  30. #30 Victor Carpenter
    Berlin
    17. September 2015

    @ Erzblume

    Danke für Ihre Antwort. Ich hatte darauf gehofft. Sie müssen sich nicht rechtfertigen, ich versuche nur zu verstehen, wie junge Menschen heute denken. In dieser Beziehung haben ich doch schon mit meinen Kindern manchmal Schwierigkeiten.

    Natürlich habe ich mehr gelesen, als dieses Blog. Das merkt man doch schon am Namen. Wie Erzblume ist das natürlich nicht der Name, der in meinem Personalausweis steht, aber er hat einen Bezug. Im Übrigen stammt das Wort carpenter vom keltischen carpentum (Fuhre, Fuhrwerk), aber dieser Bezug war hier natürlich nicht gemeint. Ich trete hier eigentlich meist unter meinem realen Vornamen auf. Da ich eine Domain und eine Homepage im Netz unter meinem realen Namen habe (dienstlich notwendig) ist es sinnlos, das zu verbergen, zumal wenn man auch auf wissenschaftliche Veröffentlichungen auf dieser Seite verweist. Da erscheint dann übrigens auch im Oktober der von Florian nicht zu diesem Wettbewerb zugelassene “privatwissenschaftliche” Beitrag zur Masse-Energie-Äquivalenz. Eine offene Internetseite mit Erreichbarkeit bedeutet leider auch, das man täglich SPAM erhält. Richtig addressierte SPAM.

    Im übrigen ist Kreativität ohne Intelligenz gar nicht möglich. Kreativität ohne Intelligenz ist Spinnerei. Seien Sie also froh, daß sie Kreativität und Intelligenz haben !

    Wenn man in einem Beruf Verantwortung übernimmt, dann bekommt man das notwendige Vertrauen nicht geschenkt. (Außer wenn man Mehdorn heißt) Dieses Vertrauen muß man sich bei den Chefs und den Kunden erarbeiten, und das braucht Zeit. Bei mir hat das in jeder Firma, in der ich gearbeitet habe, etwa 5Jahre gedauert, bis den Chefs und den Kunden bewußt war, daß ich ihre Interessen realisiere, daß ich die Verantwortung übernehmem kann und daß etwas vernünftiges dabei herauskommt. An solchen Projekten hängt auch eine Menge Geld (notwendige Investition, erwartete und für die Firma lebensnotwendige Einnahmen). Und das mit dem Vertrauen in die beruflichen Fähigkeiten trifft auf viele Berufe zu, nicht nur auf den Physiker in der Entwicklung, sondern auch z.B. auf den Editor im Verlag oder auf den Arzt. Wer so einen Beruf anstrebt, der muß eine gewisse Kontinuität, ein gewisses Stehvermögen haben. Und die Beruferfahrung, die man durch die Dauer des Beruflebens erlernt, ist auch sehr wichtig. Und nur deshalb hatte ich versucht zu zeigen, wie wichtig ein früher Berufseinstieg ist. Kreatives unkonventionelles Vorgehen allein reicht nicht aus, um in so einem Beruf Fuß zu fassen. Aber es muß natürlich Spaß machen, solch einen Beruf auszuüben !

    Ich hatte aus diesem Blog und auch aus Ihrem eigenen Blog (crowned shrew – gekrönte zänkische Frau) den Eindruck, Sie wären etwas unzufrieden mit Ihrer Situation. Und nur deswegen hatte ich den vorigen Beitrag so geschrieben. Wenn Sie nur die Hektik und Aufregung bei der Diplomarbeit meinen — die hat jeder gehabt. Nur so viel bürokratische Hindernisse nicht. Bei uns wurde man erst zum Diplom zugelassen, wenn man alle Voraussetzungen erfüllt hat. Mit einem fehlendem Fach wären wir nie zum Diplom zugelassen worden ! Und Mike, bei uns mußte man auch dach der Diplomverteidigung den Nachweis erbringen daß alles in Ordnung ist. Mit einem Laufzettel, auf dem alle möglichen Leute bestätigen mußten, das alles in Ordnung ist, auch die Wohnheim-verwaltung und die UB. Und das, was zur Diplomarbeit aufgebaut wurde, mußte auch wieder zerlegt werden, und die Einzelteile abgegeben werden. Ich fand das richtig blöd. Das Gesellenstück eines Lehrlings behält der Lehrling sein Leben lang. Ich mußte meinen diskret aufgebauten A/D-Wandler, den ich für meine Untersuchung brauchte, komplett zerlegen und die einzelnen Kondensatoren, Widerstände, Transistoren, OVs und Steckverbinder wieder abgeben. Wer baut benutzte Bauelemente in seine Schaltung ein ? Niemand ! (Bastler ausgenommen) Deshalb war das völlig sinnlos. Das, was man über 2Monate aufgebaut hat, hat man in 2Stunden wieder auseinander gerissen. Aber es war Vorschrift. Ihr seht, auch zu unserer Zeit hat es schon sinnlose Dinge gegeben.

    Damals haben wir unsere Diplomarbeiten mit Schreib-maschine geschrieben gebunden abgeben müssen. Ein Original und drei Durchschläge. Ich glaube, es war nicht ganz vorschriftsmäßig, aber das Original habe ich behalten. Aber Termindruck hatten wir auch. Hat jeder, weil man bis zum letzten Augenblick immer wieder Dinge findet, die man vielleicht besser machen kann. Leider hatte ich nicht ganz so gute Zensuren wie Sie, Erzblume. Aber danach hat in meinem Leben nie wieder jemand gefragt.

    Es ist wichtig, daß man mit dem zufrieden sein kann, was man im Leben getan hat. Und sich nicht hinterher fragt, hätte ich das nicht besser anders getan. Sowas passiert, aber es darf nicht zu häufig und nicht an entscheidenden Stellen passieren !

    So, nun ist mein Beitrag wieder viel zu lang geworden.
    Grüße aus Berlin nach Wien

  31. #31 Karla Kolumna
    18. September 2015

    Für mich gibt es keine schlimmere Vorstellung, als einen Beruf zu erlernen/zu studieren und diesen dann 40 Jahre lang ausüben zu müssen, egal wie sehr er mir gefällt. Ich habe mich damit abgefunden, dass ich wahrscheinlich nie DEN richtigen Platz irgendwo finden werde, sondern es für mich MEHRERE richtige Plätze geben wird, je nach Situation.

    Ich finde die Vorstellung einen Beruf zu erlernen und diesen dann das ganze Berufsleben über auszuüben nicht schlimm, aber kann es mir ebenfalls für mich nicht vorstellen.
    Außerdem ist dieses Konzept in meinem Augen sehr überholt, heutzutage muss das niemand mehr.
    Ja es gibt Leute die haben einen detaillierten Plan für sich und ziehen den durch ohne rechts und links zu schauen und dann gibt es Leute, die haben so vielfältige Interessen die sich nicht auf einen “Beruf” zusammenschrumpfen lassen.
    Dann benötigt man etwas Zeit um eine Richtung einzuschlagen und vielleicht biegt man dann doch nach ein paar Jahren ab.

    Ich sehe nicht dass Erzblume irgendwelche Möglichkeiten vergeben hat, bzw. kann es schon sein, aber das spiegelt sich nicht in dem obigen Text wieder.

    Ich habe für mein Studium (übrigens Elektro- und Informationstechnik) mehr als die Regelstudienzeit benötigt. Ich musste nebenbei nur wenig arbeiten, da meine Eltern mich gerne unterstützt haben und ich sie in vielen Dingen (nicht monetär aufzuwiegen) unterstützt habe.
    Aber ich habe die Zeit gebraucht um alles zu probieren was mich interessiert hat und das ist selbst in einem solch klassischem Studiengang eine ganze Menge und da wird ein Semester recht knapp.
    Ich habe danach eine Weile gesucht bis ich einen Job gefunden habe der mich fordert und mir auch noch die nächsten Jahre viel Spaß machen wird und mir die Möglichkeit gibt viel zu lernen.

    Aber wer weiß, vielleicht überlege ich mir in 10/20 Jahren dass ich doch lieber freischaffende Künstlerin sein möchte oder einen kleinen Einsiedlerhof betreiben will oder zurück an die Uni gehe und Vorlesungen halte.

    Das ist es doch was das Leben ausmacht, die Wahlfreiheit und diese sollten wir auch alle ergreifen dürfen!

  32. #32 Erzblume
    18. September 2015

    danke 🙂
    sehe ich genau so.

  33. #33 Eisentor
    18. September 2015

    Ich hatte mehrere Kollegen, Vorgesetzte, Kommilitonen die in einem Fach promoviert haben das gar nichts mit ihrer täglichen Arbeit zutun hatte. Und trotzdem sind sie beim Wechsel in eine große Firma mit Tarifvertrag direkt in eine höhere Tarifgruppe gerutscht. 🙂

  34. #34 Franz
    18. September 2015

    Genial, erinnert mich an den Bau meines Hauses. Da bekommst auch

    – unfreundliche Beamte (was ? jetzt ? eine Unterschrift ? 1 Std vor Ende des Parteinverkerhs ? schon zu spät),

    – Bescheide die sich widersprechen (1: unbedingt anmalen, 2: wehe du malst es an)

    – bürokratische Deadlocks (wir können das nicht teilen, da es nicht den gleichen Wert hat, der aber rein hypothetisch ist und wir ihn erst festlegen können wenn es geteilt ist)

    – Ausgeliefertsein an Vollpfosten (das ist um 0,1Grad zu steil genau hier oben auf diesen 2mm, da müssen sie eine Treppe mit Geländer machen)

    – Handaufhalter (E-Werk, ja, nett, 2000Euro bitte, Elektriker, ui, schön, 2000 Euro bitte, Gemeinde, ja, sehr schön 20000 Euro bitte, Wasserwerk, nein, nur Bereitstellungsgebühr 10000Euro bitte, Schornsteinfeger, nein, das war nur die Kaminfreigabe, das ist jetzt der Anschluss, 2000Euro bitte)

    – Politgünstlinge, sie brauchen ein Klo, ich auf meiner Großbaustelle nicht, ich bin ja der Baubeauftragte

    Glückwunsch und Hochachtung fürs Bestehen trotz Widrigkeiten !