James Watson: Unverdauliches Essen und ein wunderschönes Modell

Es gab einen Baustein, der Darwin fehlte und eine große Lücke in seiner Theorie darstellte: Er kannte den Mechanismus nicht, der dazu führt, dass Merkmale von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden. Heute kennen wir den Schlüssel dafür, es ist die Erbsubstanz DNA. Dieses Wissen ist noch gar nicht so alt. In den 1950er Jahren, knapp hundert Jahre nach der Entwicklung der Evolutionstheorie durch Darwin und Wallace, wussten Wissenschaftler zwar von dem außergewöhnlichen Molekül DNA. Doch wie genau es aussieht und auf welche Art der Körper es immer wieder kopiert, um neue Zellen herzustellen, darüber zerbrachen sie sich ihre Köpfe. Zwei von ihnen waren der Molekularbiologe James Watson und der Physiker und Biochemiker Francis Crick. Ihr Durchbruch war „Die Doppelhelix“ (The Double Helix), der Weg dorthin war allerdings alles andere als geradlinig, wie Watson in seinem gleichnamigen Buch beschreibt, das 1968 erstmals erschien.
Anders als „Die Entstehung der Arten“ konzentriert sich „Die Doppelhelix“ nicht auf die Darlegung der wissenschaftlichen Resultate. Es geht vielmehr darum, wie es einen jungen Amerikaner ins englische Cambridge verschlug, weil er mit einem Problem in Berührung gekommen war, mit dem er sich gar nicht beschäftigen sollte. Denn erstens wurde seine Arbeit über Gelder aus der Heimat finanziert und die waren für ein ganz anderes Projekt in Kopenhagen vorgesehen. Außerdem sollen die Forschungsfelder in England damals klar verteilt gewesen sein, laut Watson gehörte die DNA Maurice Wilkins (der mit Watson und Crick später den Nobelpreis erhielt) und Rosalind Franklin, die in London mit Röntgenbildern von kristallisierten Molekülen arbeiteten.

Buntglasfenster im Speisesaal des Caius-College in Cambridge, das zu Ehren von Francis Crick die DNA-Doppelhelix zeigt (Bild: Schutz, CC-BY-SA 2.5)

Buntglasfenster im Speisesaal des Caius-College in Cambridge, das zu Ehren von Francis Crick die DNA-Doppelhelix zeigt (Bild: Schutz, CC-BY-SA 2.5)

Im Gegensatz zu Darwins gut hergeleiteter und schlüssig formulierter Theorie zeigt Watson, wie Wissenschaft auch sein kann: Voller unerwarteter Irrungen und Wirrungen und vor allem abhängig von ganz unterschiedlichen Charakteren. Watson berichtet immer wieder über seine eigenen persönlichen Probleme, wie die winzigen, zugigen Appartements, in denen er lebte, und das englische Essen, das bei ihm furchtbare Bauchschmerzen verursachte. Gleichzeitig lernt man Personen kennen, die auf die eine oder andere Weise mit der Suche nach der DNA-Struktur befasst waren, am besten von allen natürlich Francis Crick. Obwohl manchmal regelrecht euphorisch, verliert Crick mehrmals die Lust an der DNA, nur um später mit Watson in einem Pub erneut darüber zu brüten. Eine unrühmliche Ausnahme – unrühmlich für ihn, nicht für sie – ist Watsons Beschreibung von Rosalind Franklin. Er wurde nicht nur für seine Darstellung Franklins in „Die Doppelhelix“ kritisiert (während eines Vortrags von ihr sinniert er darüber, warum sie nicht mehr aus ihrem Typ macht), sondern auch dafür, dass ihr Beitrag zur Entdeckung der DNA-Doppelhelix kaum gewürdigt wurde. Seine Haltung soll er nach ihrem frühen Tod revidiert haben, doch bereits am Ende des Buches spricht er wesentlich respektvoller von Franklin. Dann nämlich, als sie die bestechende Schönheit von Watsons und Cricks Modell sofort erfasst.

Trotz allem hat mir Watson Bericht über die entscheidenden Monate in Cambridge gefallen, weil er neben seiner eigenen Arbeit mit Crick das „Rennen“ gegen Linus Pauling schildert, dem renommierten Chemiker in den USA. Die meisten hielten Pauling für den aussichtsreichsten Kandidaten, wenn es um die Entdeckung der DNA-Struktur ging. Ironischerweise war sein Sohn Peter Student in Cambridge, so bekamen Watson und Crick einen noch unveröffentlichten Fachaufsatz des Vaters in die Hände und erkannten, dass der große Mann die falsche Fährte verfolgte. Das trieb die beiden bei ihrer Suche noch mehr voran. Die Geschichte der Doppelhelix handelt damit auch von zwei „Underdogs“, die mit Cleverness und einem gehörigen Schuss Selbstvertrauen einen Volltreffer landeten. Wie so oft erscheint die Lösung des Problems nicht aus dem Nichts, sondern wird von vielen Akteuren inspiriert, die schon den halben Weg zur richtigen Antwort zurückgelegt haben.

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Kommentare (20)

  1. #1 Captain E.
    24. September 2015

    Ich habe das übrigens mal so gehört, dass Alfred Russel Wallace von den Forschungen Charles Darwins gewusst hatte. Durch seine eigenen Forschungen darin bestärkt, dass die Evolution richtig sein müsse, hat er dann Darwin in einem Brief zur Veröffentlichung gedrängt.

  2. #2 Florian Freistetter
    24. September 2015

    @Captain: Klar haben die voneinander gewusst. Die haben auch zusammengearbeitet. Darwin hat sich auch für Wallace eingesetzt und ihn bei der Veröffentlichung seiner Arbeit unterstützt.

  3. #3 Captain E.
    24. September 2015

    Da hat Darwin wohl doch nicht 20 Jahre im stillen Kämmerlein vor sich hingeforscht, sondern sich mit mindestens einer Person ausgetauscht. Wallace und mögliche andere Gesprächspartner müssen aber ziemlich dicht gehalten haben, denn andernfalls wäre sein Buch nicht eingeschlagen wie eine Bombe.

    Worum es mir aber vor allem gegangen war, war der Einfluss von Wallace auf den Zeitpunkt der Veröffentlichung. Da kann nicht die Rede davon sein, dass er Darwin “unbeabsichtigt unter Zugzwang gesetzt” habe. Das war vermutlich schon mit voller Absicht. Es gibt da auch die Legende, Darwin hätte Wallaces Ergebnisse aus der Südsee gestohlen. Das scheint aber gerade eben nicht der Fall zu sein, und Wallace hat sich wohl in vielen hitzigen Diskussionen immer auf die Seite von Darwin geschlagen. Das hätte er als jemand, der um seine Verdienste gebracht worden ist, mit Sicherheit nicht getan.

  4. #4 Florian Freistetter
    24. September 2015

    @Captain: Wenn du noch ein bisschen wartest, kannst du in den nächsten Tagen auch noch einen Wettbewerbsbeitrag über Wallace lesen 😉

  5. #5 Captain E.
    24. September 2015

    Ja gut, das mache ich dann mal… 😉

  6. #6 bikerdet
    24. September 2015

    Das Buch von Shubin habe ich auch, erstklassig. Es ist übrigens als Mehrteiler verfilmt worden. Bin vor ein paar Tagen über den ersten Teil gestolpert ….

  7. #7 Lisa Leander
    24. September 2015

    @Captain E., vielleicht hast du recht, ich bin kein Wallace-Experte. Ich habe an anderer Stelle gelesen, dass es die Theorie gibt, dass Darwin aus Wallace Brief abgekupfert haben soll, weil Wallace eine Lösung gefunden hat, die Darwin bisher fehlte. Ich glaube, die Beziehung zwischen den beiden wurde schon viel diskutiert.
    @Florian: Das ist ja toll, da bin ich gespannt!

  8. #8 Lisa Leander
    24. September 2015

    @bikerdet: Stimmt, die hab ich auch z.T. gesehen, war nett gemacht.
    Was ich eben zu Wallace/Darwin erwähnt hab, stammt übrigens aus “Es ist, als ob man einem Mord gesteht” von Matthias Glaubrecht. Ebenfalls ein empfehlenswertes Buch.

  9. #9 JW
    24. September 2015

    Der Fisch in uns kam schon zweimal auf Arte. Die “kleinen” Sender sollte man nicht vergessen.
    Die Verfilmung hat mir fast so gut gefallen, wie das Buch.

  10. #10 Captain E.
    24. September 2015

    @Lisa Leander:

    Ja, wir waren nun damals alle nicht dabei, aber so weit ich das verstanden habe, hat Wallace sich nicht als Bestohlener gefühlt. Im Gegenteil, durch die Nennung in Darwins Werk hat er den akademischen Ritterschlag erhalten, mit dem in die Lage versetzt wurde, eigene Arbeiten zu veröffentlichen, die dann auch tatsächlich von den Experten gelesen wurden. Wer Darwins Theorien in Bausch und Bogen abgelehnt hat, konnte sich anscheinend Wallaces Aufmerksamkeit sicher sein, der gerne als ihr Verteidiger aufgetreten ist. So hat er 1870 in einem Brief an Darwin darüber geklagt, dass „keine Gegner übrig geblieben sind, die irgendwas über Naturgeschichte wissen, so dass es keine der früheren guten Diskussionen mehr gibt.“

    In Details war Wallace dann allerdings durchaus auch anderer Meinung als Darwin, und er lag damit auch nicht per se falsch. Damit konnten die beiden aber anscheinend gut umgehen.

  11. #11 Lisa Leander
    24. September 2015

    Ja, genau so habe ich das auch verstanden, Darwin war zu der damaligen Zeit einfach viel bekannter als Wallace. Deswegen war Wallace wohl auch damit einverstanden, dass er und Darwin gemeinsam wissenschaftlich veröffentlichen.

  12. #12 Captain E.
    24. September 2015

    Tatsächlich? Von gemeinsamen Veröffentlichungen habe ich jetzt nichts gefunden. Kommuniziert haben sie aber ganz sicher und sich auch gegenseitig zitiert.

  13. #13 Böx
    https://boexbooks.wordpress.com
    24. September 2015

    Die Geschichte um Wallace und Darwin wird meines Erachtens schön in “Am Ende des Archipels” aufgedröselt. Auch vom bereits erwähnten Glaubrecht. Super Buch. Soweit ich mich noch erinnere, war’s schon ein Schlag für Darwin als er Wallace Ternate-Manuskript zugeschickt bekam (Wallace bat um Darwins Meinung dazu). Manchen Interpretationen der damaligen Geschehnisse zufolge wollte Darwin hinschmeißen, weil Wallace ihm zuvor gekommen war. Er konnte aber überzeugt werden, dass Wallaces Manuskript und ein Text von Darwin in der gleichen Sitzung der Royal Society verlesen wurden, damit beide als Urheber galten. Darüber war Wallace wohl auch sehr glücklich und trat danach auch als Verfechter von Darwins Theorie auf. Eines seiner populärsten Bücher hieß meines Wissens auch “Darwinism”. Unstrittig ist wohl auch, dass Darwin deutlich früher anfing an der Idee der natürlichen Selektion zu werkeln. Aber vielleicht kommt dazu ja noch was im Beitrag über Wallace 🙂

  14. #14 Hoffmann
    24. September 2015

    @ Lisa Leander:

    Von Martin Glaubrecht gibt es übrigens eine Wallace-Biographie mit dem Titel “Am Ende des Archipels”.

    Wallace hat zwei wichtige Essays geschrieben, in denen er sich zum Thema Evolution geäußert hat. Der eine war der Sarawak-Essay von 1855, der die enge Verwandtschaft von Arten thematisiert, die sich in einem engen biogeographischen Areal befinden.

    Der andere war der Ternate-Essay von 1858, der dann den Mechanismus aufzeigte, der zur Evolution führt – nämlich die Selektion aus einem Überangebot an Varietäten.

    Ob Darwin für sein Buch aus dem Ternate-Essay einige Details abkupferte oder nicht, ist, denke ich müßig, weil er sich über das Grundprinzip bereits etwa 20 Jahre vorher nach der Lektüre von Malthus im Klaren war.

    Interessanterweise sorgte die Malthus-Lektüre auch bei Wallace für einen Erkenntnisschub, der ihm bei der Abfassung des Ternate-Essays hilfreich gewesen ist. Hier haben wir also eine gewisse Koinzidenz im wissenschaftlichen Werdegang. Aber das nur nebenbei.

    Wallace hätte – wenn er es darauf hätte anlegen wollen – durchaus nicht chancenlos auf seine Priorität bestehen können, weil Darwin zuvor nichts über seine Forschungen zur Evolution publiziert hatte. Dass er es nicht darauf anlegte, kann man zum einen auf seinen Charakter zurückführen, zum anderen aber auf die vorhanden gewesenen Standesunterschiede zwischen Darwin (Oberschicht) und Wallace (Unterschicht), die Wallace dazu bewogen haben dürften, sich opportun zu verhalten.

    Na ja, nächste Woche Dienstag wird man mehr über eine andere Facette von Wallaces wissenschaftlicher Karriere erfahren …

  15. #15 Böx
    https://boexbooks.wordpress.com
    24. September 2015

    @Lisa Leander: Sehr schöner Beitrag! Ich habe auch alle drei Bücher gelesen und habe keines davon bereut. Von Double Helix und Your inner fish jeweils die deutschen Übersetzungen (die mir nicht negativ aufgefallen wären).
    In meiner Ausgabe der Doppelhelix entschuldigt sich Watson übrigens in einem Nachwort für seine Darstellung von Franklin, die er im Nachhinein offensichtlich bereute. Wenn ich mich recht erinnere, schrieb er, dass er erst später verstand, wie schwer es für eine Frau in diesem Umfeld gewesen sein muss, und Franklin sich dagegen wehren wollte, nicht als echte Wissenschaftlerin angesehen zu werden. Und dass ihm das nicht klar war. Soweit aus dem Gedächtnis.

  16. #16 Lisa Leander
    24. September 2015

    @Böx: Danke! Meine Ausgabe der Doppelhelix ist schon älter, da ist das Vorwort nicht von ihm selbst, geht aber vom Inhalt her in die gleiche Richtung.
    @Captain E.: Mit der Veröffentlichung meinte ich die Verlesung vor der Royal Society, die Böx erwähnt hat.

  17. #17 BreitSide
    Beim Deich
    24. September 2015

    Interessante neue Einzelheiten über die zwei Evolutionäre, die auch meinen Wissensstand über sie zurechtgerückt haben.

    Dito bei Watson&Crick “vs” Rosalind Franklin.

    Von Shubin hab ich sogar erst kürzlich ein paar Folgen in ZDFinfo gesehen. Seitdem geht mir Tiktaalik ganz flott über die Zunge… 😉

  18. #18 Captain E.
    25. September 2015

    Man neigt ja dazu, Charles Darwin etwas isoliert zu betrachten, ganz nach dem Motto: “Vorher haben alle geglaubt, die Arten wären vom lieben Gott genau so erschaffen worden, und nur Darwin erkannte, dass es anders ist.”

    Es gab aber auch schon vor Charles Darwin Menschen, die sich Gedanken über dieses Thema gemacht haben, unter anderem sein eigener Großvater. Auch Charles Darwin hätte sich somit den Satz von Isaac Newton zu eigen machen können, dass er auf den Schultern von Riesen stünde. Seine persönliche Leistung soll das selbstverständlich nicht schmälern.

  19. #19 Dampier
    25. September 2015

    Sehr gute Zusammenfassungen. Den Darwin muss ich wohl mal vornehmen …

  20. #20 Nicole
    27. September 2015

    Wieder ein interessanter Artikel! Macht richtig Lust aufs Lesen der Bücher!