Im Mittelalter war nix los, es gab keine vernünftige Wissenschaft und alle waren dumm? Wer das denkt, hat noch nichts von Robert Grosseteste und seiner Kosmologie der Kristallsphären gehört! Da gibt es sogar ein Multiversum! Und (fast) so etwas wie einen Urknall!

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Transkription

Sternengeschichten Folge 153: Robert Grosseteste und das mittelalterliche Multiversum

Im Mittelalter gab es keine Wissenschaft, keinen Fortschritt sondern nur Kriege, Folter, Hungersnöte und andere schreckliche Dinge. Darum heißt es ja auch das “dunkle Mittelalter”. So lautet zumindest das Vorurteil. Und es stimmt ja vielleicht auch ein bisschen. Nach den großen Errungenschaften der Antike war es während des Mittelalters eher die islamische Welt, in der die Wissenschaft ein goldenes Zeitalter erlebte während in Europa eher wenig vorwärts ging. Aber dass damals überhaupt nichts passiert und sich die Menschen gar keine Gedanken gemacht haben, stimmt so auch nicht. Es gab auch im Mittelalter originelle Denker – zum Beispiel Robert Grosseteste und seine kosmologischen Theorien.

Robert Grosseteste (Bild: Public Domain)

Robert Grosseteste (Bild: Public Domain)

Robert Grosseteste wurde im Jahr 1175 geboren; im englischen Suffolk. Über seine Jugend und seine Ausbildung weiß man kaum etwas, aber er muss auf jeden Fall eine bekommen haben, denn Um das Jahr 1225 begann er an der Universität Oxford, Theologie zu unterrichten. Vielleicht war er sogar Kanzler der Universität; auch das weiß man nicht genau. Was man aber definitiv weiß, ist, dass Grosseteste im Februar des Jahres 1235 Bischof von Lincoln wurde. Das Leben von Grosseteste war unzweifelhaft interessant, aber es soll hier ja um Astronomie gehen und nicht um das Leben eines Bischofs im englischen Mittelalter. In diesem Fall ist aber beides eng miteinander verbunden!

Denn Grosseteste war nicht einfach nur irgendein Bischof, sondern einer der originellsten Denker seiner Zeit. Er verfasste eine Menge an Texte zu astronomischen, mathematischen und physikalischen Themen und zwar auf eine Weise, die man durchaus “wissenschaftlich” nennen kann. Im Sinne von Aristoteles wollte Grosseteste nicht nur aus spezifisichen Beobachtungen der Natur allgemeine Prinzipien ableiten, sondern diese Prinzipien dann wieder zur Vorhersage beobachtbarer Phänomene nutzen. Und er stellte dabei Fragen, die man sich zu seiner Zeit normalerweise nicht stellte. Aus heutiger Sicht sind besonders seine Schriften “De Colore”, “De Iride” und “De Luce” von Bedeutung. Während er sich in “De Colore” mit einer Farbenlehre und in “De Iride” mit einer Erklärung des Regenbogens noch mit recht speziellen Themen auseinandersetze, war “De Luce”, seine Schrift über das Licht wesentlich universaler.

In “De Luce” beginnt Grosseteste mit Gedanken über Atome. Die kannte man ja schon aus der griechischen Antike und den Lehren von Demokrit und Leukipp. Grosseteste fragte sich, wie es möglich sein kann, das zwar alle Materie aus punktförmigen Atomen besteht, das Material aber dann trotzdem ein konkretes Volumen ausfüllt. Diese Frage ist auch heute noch nicht völlig trivial. Die moderne Atomphysik sagt uns, das ein Atom zum überwiegenden Teil aus Nichts besteht. In der Mitte sitzt ein kompakter Astomkern und außen befindet sich eine Hülle aus Atomen. Dazwischen ist nichts – und trotzdem die gesamte Materie aus diesem “Nichts” aufgebaut ist, kommt sie uns solide und fest vor. Heute erklärt sich das durch die Wechselwirkung von Feldern; wenn wir “spüren” das zum Beispiel ein Stück Holz fest und undurchdringlich ist, dann spüren wir im Prinzip nur wie die elektromagnetischen Felder in den Atomen unserer Hand mit dem elektromagnetischen Feldern der Atome im Holz wechselwirken.

Das wusste Grosseteste natürlich noch nicht. Aber es war schon eine nicht unerhebliche intellektuelle Leistung, überhaupt diese Frage stellen zu können. Wieso ist Materie ausgedehnt, stabil und fest wo sie doch nur aus punktförmigen Atomen besteht? Für Grosseteste lag die Antwort im Licht. Licht erfüllt seiner Vorstellung nach den gesamten Raum und dieses Licht erzeugt im Zusammenspiel mit den Atomen das, was wir als Materie erfahren.

“Licht” ist für Grosseteste aber viel mehr als das, was wir heute darunter verstehen und viel mehr als das, was man auch damals schon im Alltag darunter versteht. Grossteste unterscheidet verschiedene Arten von Licht und nutzt sie, um nicht weniger als die Entstehung und den Aufbau des kompletten Universums zu erklären. Natürlich ist das Universum das er erklären wollte eines das von der damaligen Zeit geprägt war. Nach dem von der Antike und der Kirche geprägten Weltbild stand für Grosseteste die Erde im Zentrum des Kosmos. Um sie herum erstreckten sich ineinander geschachtelte Kristallsphären, an denen Sonne, Mond, die Planeten und die Sterne quasi montiert waren und sich daran um die Erde drehten.

Die Sache mit den Kristallsphären war damals gängige Lehrmeinung – aber vor Grosseteste hatte sich noch niemand Gedanken gemacht, wie so ein Universum entstehen könnte. Und hier zeigt sich nun seine gedankliche Originalität am besten. Er ging von einem Anfang aus, in dem eine spezielle Form von ursprünglichen Licht, das er “lux” nannte, von einem Punkt aus in alle Richtungen explodierte. Das Licht hat das Universum und die in ihm enthaltene Materie immer weiter aufgebläht und immer weiter vergrößert. Grosseteste erkannte, dass die Materie dann aber auch immer dünner verteilt sein muss.

Hier kommt nun ein zweiter wichtiger Faktor im Weltbild der Antike bzw. des Mittelalters ins Spiel: Es durfte kein Vakuum geben. Die Vorstellung eines komplett leeren Raums erschien absurd. Das Licht konnte die Materie des Universums bei seiner Ausdehnung also nicht beliebig weit verdünnen, da sonst irgendwann ein Vakuum entstehen würde. Es konnte sich nur bis zu einer gewissen Grenze ausdehnen und wenn diese minimal mögliche Verdünnung der Materie erreicht ist, dann nimmt sie laut Grosseteste einen kristallinen Zustand ein. Aus dem lux entsteht also eine Kristallschale, die die äußerste Grenze des Kosmos darstellt. Dort, im Zustand der minimal möglichen Dichte ist die Materie perfekt und diese perfekte Kristallsphäre strahlt nun ihrerseits wieder Licht aus und zwar zurück zu ihrem Ursprung ins Zentrum des Universums. Dieses Licht nenn Grosseteste “lumen” und während das lumen zurück in die Mitte des Kosmos strahlt, schiebt es die restliche, noch nicht kristallierte Materie vor sich her. Hinter dem lumen wird die Materie verdünnt, davor wird sie verdichtet. Dabei entstehen weitere Kristallschalen und Grosseteste gab sogar mathematische Regeln an, die diesen Prozess beschreiben. Je näher die Materie ans Zentrum geschoben wird, desto dichter wird sie und gleichzeitig schwächt sich das lumen immer weiter ab. Es reicht nicht mehr aus, um die Materie im Mittelpunkt des Kosmos ebenfalls kristallieren zu lassen so dass sich dort eine Kugel aus nicht perfekter Materie bildet: Unsere Erde, die deswegen nicht so vollkommen ist wie die himmlischen Körper auf ihren Kristallsphären.

Man ist fast versucht, Grossetestes Weltbild mit modernen wissenschaftlichen Begriffen zu beschreiben. Die Auswirkungen des lumen auf die Materie ähneln Stoßwellen in interstellaren Gaswolken und das lumen selbst dem Strahlungsdruck des Lichts von Sternen. Die mathematischen Regeln der Sphärenbildung könnten Quantifizierungsvorschriften der Atomphysik sein und die Kristallisation wirkt wie ein Phasenübergang. Und bei der Explosion des lux selbst mit der folgenden Expansion des Kosmos kann man kaum anders als an den modernen Begriff des Urknalls zu denken!

Aber natürlich wäre es völlig falsch unsere moderne Wissenschaft auf Grossetests mittelalterliches Weltbild anzuwenden. Die Erde ist nicht das Zentrum des Universums; es gibt keine Kristallsphären und anstatt von Licht ist der Kosmos vom Vakuum erfüllt. Genau so wenig wäre es aber angebracht, die Kosmologie von Grosseteste als theologische Spinnerei abzutun. In “De Luce” hat Grosseteste etwas sehr außergewöhnliches getan: Er hat die Beobachtungen und Regeln, die er für das Verhalten von Licht im kleinen Maßstab abgeleitet hat dazu benutzt, um eine Theorie zu entwerfen, mit der sich das gesamte Universum beschreiben lässt!

Das war zur damaligen Zeit nicht selbstverständlich und diese Universalität bei der Beschreibung der Natur sollte erst im 17. Jahrhunder mit Isaac Newton ihren eigentlich Durchbruch erleben. Newton zeigte, dass die gleichen Kräfte, die einen Apfel vom Baum zu Boden fallen lassen, auch die Bewegung der Himmelskörper im Universum bestimmen und hat so eine umfassende universale Beschreibung der Natur geschaffen. So wie Grosseteste es in seiner Arbeit über das Licht und die Entstehung der kristallenen Sphären getan hat.

Die Kristallsphären von Grosseteste  in der Simulation (Bild: Bower et al, 2014)

Die Kristallsphären von Grosseteste in der Simulation (Bild: Bower et al, 2014)

Und dass es sich dabei nicht nur verworrene Gedanken sondern eine in sich konsistente Theorie gehandelt hat, lässt sich sogar zeigen. Ein Team aus Historiker, Geisteswissenschaftlern, Mathematikern und Astronomen hat die Arbeit von Grosseteste ganz genau analysiert und soweit es möglich war, in eine moderne wissenschaftliche Sprache übersetzt. Was der Bischof aus Lincoln in mittelalterlichen Latein über die Ausbreitung von Licht und die Wechselwirkung mit der Materie aufgeschrieben hatte, konnte so in mathematischen Formeln ausgedrückt werden. Und die Entstehung des Kosmos mit seinen Kristallsphären konnte man so am Computer simulieren und beobachten.

Dabei zeigte sich, dass es extrem auf die Anfangsbedingungen ankommt. Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, wie man lux und lumen ein Universum bilden lassen kann und die meisten davon führen nicht zum gewünschten Resultat. Da gibt es dann viel zu wenig oder viel zu viele Kristallsphären oder Sphären, die sich gegenseitig durchdringen. Nur in wenigen, speziellen Fällen entsteht tatsächlich das Universum das sich Grosseteste vorgestellt hatte und das dem damaligen Weltbild entsprach. Dass die Computersimulationen einer Theorie aus einem mittelalterlichen Text dieses Ergebnis liefern, ist schon beeindruckend genug und zeigt, wie ausgearbeitet die Vorstellungen von Grosseteste waren. Noch faszinierender aber ist, dass sich mit seinem Modell von lux und lumen nicht nur ein einziges Universum beschreiben lässt, sondern viele verschiedene. Auch damit ähnelt es der modernen Kosmologie: Auch hier kommt es darauf an, welche Anfangsbedingungen man wählt. Die grundlegenden Konstanten in unserem Universum müssen ganz bestimmte Werte haben, ansonsten entsteht ein Kosmos, der nichts mit dem unseren zu tun hat. Und genau wie bei Grosseteste lassen sich auch mit den modernen kosmologischen Theorien viele Universen beschreiben und nicht nur ein einziges.

Wie gesagt: Man darf nicht den Fehler machen und glauben, der Theologe aus dem Mittelalter hätte damals schon die Gedanken der Gegenwart vorweg genommen. Robert Grosseteste hat weder den Urknall, noch die Expansion des Alls und auch nicht eine Multiversums-Theorie vorhergesagt. Seine Thesen waren voll und ganz in der damaligen Zeit verhaftet. Aber er hat gezeigt, dass es möglich ist, eine Theorie zu schaffen, mit der sich die Enstehung des Universums beschreiben lässt. Eine Theorie, die in sich konsistent ist und keine mythologische inspirierte Fantasie. Eine Theorie, die viele grundlegenden Prinzipien der späteren wissenschaftlichen Methodik andeutet und vorweg nimmt. Grosseteste hat sich bemüht, die Welt um ihn herum physikalisch zu erklären und nicht theologisch – und gezeigt, dass das Mittelalter nicht ganz so dunkel war, wie man vielleicht glauben möchte…

Kommentare (17)

  1. #1 robert th.
    Wedel
    30. Oktober 2015

    Wenn es erlaubt ist hier ein Info zu geben! Am Mi. 4 nov. (nächste woche), zw. ca. 18-19 Uhr machen wir hier in Wedel (westlich von Hamburg) ein Wissenschaftsabend in Rahmen der 100 jährigen ART von Einstein, am Stadteilzentrum-Mittendrin (Friedrich-Eggers-Str. 77-79); das ist ca. 100 meter weit von Bus-Haltestelle: Pulverstr., Bus 189. Die alte ungebrauchte ART wird mit Ehre ins Grab geführt. Falls es jemand gibt, der die ART noch am Leben halten will, soll es eilen und zu dieser Wissenschaftsabend (herzlich will)kommen. Ich werde es presentieren -trotz dass es so dumm es klingt- eine ganz einfache Erklärung über unsere Natur, wie sie es funktioniert, aufgrund ihre Spuren, die sie gelassen hat und die wir mit ein einfachen empyrischen Beobachtung leicht deuten können. Mein deutsch ist nicht perfekt, aber -hoffentlich- genügend um zu verstehen.

  2. #2 Lercherl
    30. Oktober 2015

    „und außen befindet sich eine Hülle aus Atomen“

    Sollte wohl Elektronen heißen!

  3. #3 emreee
    30. Oktober 2015

    Florian, wann bist du wieder bei Wrint zu hören ? Ich habe schon alles von dir durch, warte auf neuen Stoff 😀

  4. #4 Hero
    30. Oktober 2015

    — Zitat —
    Robert Grosseteste hat weder den Urknall, noch die Expansion des Alls und auch nicht eine Multiversums-Theorie vorhergesagt.
    — Zitat Ende —

    Was kann man sich eigentlich unter einem Multiversum vorstellen ?

    Heisst dies:
    – das vor dem Urknall eine Vielzahl von Universen existiert hat und daraus sich dann das eine – sprich unser – Universum durch den Urknall herausentwickelt hat ?
    – oder dass jede gegenwärtige (d.h. augenblickliche) Manifestation eines messbaren Ereignisses in der Quantenwelt aus einer Vielzahl von Universen heraus entsteht ?

  5. #5 Florian Freistetter
    30. Oktober 2015

    Bald. Aber durch die Tour mit den Science Busters komme ich momentan zu kaum was…

  6. #6 Artur57
    30. Oktober 2015

    @Hero

    Nun, es heißt eher, dass jeden Augenblick Mayriaden von Universen entstehen, die sich gegenseitig nicht beobachten können. Wichtigster Vertreter war Hugh Everett mit seiner “Viele-Welten-Interpretation”.

    Erstaunlicherweise habe ich ja ein Abitur, aber demnach kann es auch Paralleluniversen geben, in denen ich keins habe. Der Materialaufwand wäre aber beträchtlich, wenn nun ein neues Universum entstünde, nur weil ich mein Abitur geschafft habe. Ích lese aber derzeit Lisa Randall, die eine einfachere Lösung parat hat. Das Paralleluniversum beginnt auf meinem Küchentisch und es ist nicht sichtbar, weil es sich entlang aufgerollter Dimensionen entfaltet. Dort also könnte eine abiturfreie und eingerollte Zweitausgabe von mir existieren.

    Die Resonanz auf Everett und Randall ist aber doch eher bescheiden, würde ich sagen. Das ist bislang nur Hypothese.

  7. #7 meregalli
    31. Oktober 2015

    Auf italienisch heißt er Roberto Grossatesta.
    Sollte dem Namen des Bischofs eine anatomische Besonderheit zu Grunde liegen: es ist der Kopf gemeint,- und nichts anderes!

  8. #8 Alderamin
    31. Oktober 2015

    @Florian

    Interessante Person, hatte ich noch nie von gehört.

    Aber spricht sich “De Luce” nicht eher wie “De Luze” aus? Unser Deutsch- und Reli-Lehrer hatte damals mal jemanden verbessert, der einen lateinischen Text mit “c’s” wie im Italienischen las. Und der Lateinlehrer meinte, es gäbe eine Diskussion, ob es “Zizero und Zäsar” oder “Kikero und Käsar” ausgesprochen wurde (wobei sich “Zar” und “Kaiser” beide von “Cäsar” ableiten). Na ja, heute wird Latein in der Aussprache ja gerne an die eigene Sprache angelehnt, was nirgendwo deutlicher wird als im Englischen. Wie die alten Lateiner wirklich sprachen, weiß eh nur der Geier.

  9. #9 IO
    31. Oktober 2015

    @Alderamin

    “Wie die alten Lateiner wirklich sprachen, weiß eh nur der Geier.”

    Was der Geier jedoch wissen kann, findet man in der deutschen und englischen Wikipedia in den Einträgen “Lateinische Aussprache” respective “Latin spelling and pronunciation”.

    Daraus die zwei folgenden Zitate:
    “c entsprach in klassischer Zeit stets einem unaspirierten deutschen k, also lateinisch cinis „Asche“ = [ˈkɪnɪs].”
    und
    “⟨C⟩ and ⟨K⟩ both represent the velar stop /k/; […] In Classical Latin, ⟨K⟩ only appeared in a few words, such as ⟨KALENDAE⟩.”

    Das, was unsere Lateinlehrer vermittelt haben, ist “Schulaussprache des Lateinischen”. Dazu gibt es auch den entsprechenden Wikipedia-Eintrag.
    Das ist in Hinsicht auf die Aussprache des Lateins in klassischer Zeit halt nicht maßgebend, auch wenn es allerdings deckungsgleich ist in diesem Fall der Aussprache des Buchstabens C (gesprochen /k/).

    Ist ja auch beim Englischen nicht viel anders, denn Schülern lehrt man wohl kaum die sehr andere Aussprache des Shakespeare-Englisch, obwohl das bei so manchem Reimpaar und anderem offensichtlich wird.
    Hier ein Beispiel, wo es um das Wort “hour” geht, das zu Shakespeares Zeit ein Homophon hatte, das zu etwas äh drastischen Deutung führte, die sich heutigen Zuhörern nicht ohne Kenntnis der historischen Aussprache erschließt: https://virtuallinguist.typepad.com/the_virtual_linguist/2009/06/english-in-shakespeares-time.html

    “Luce” müsste also doch –> /luke/ gesprochen worden sein.

    Und zwar nach obigem nicht aspiriert, was etwa so klingt wie das /k/ eines Kölners.
    Exkurs: In allen germanischen Sprachen finden sich meines Wissens unaspirierte Verschlusslaute im Anlaut und zwischen Vokalen nur im Niederländischen und dazu benachbart in den Ripuarischen Dialekten, d. h. entlang des Rheins, mindestens bis runter in den weiteren Raum um Bonn.

  10. #10 IO
    31. Oktober 2015

    Ach, zum Shakespeare-English hier noch die schöne Präsentation der beiden Crystals. Besonders ab ca. 2.55 der direkte Vergleich zw. modernem Shakespeare-English und Shakespeare-Shakespeare-Englisch (soweit rekonstruierbar und allen caveats der Interpretation der historischen Information).

    Viel Spass damit!

    Shakespeare: Original pronunciation

  11. #11 Alderamin
    31. Oktober 2015

    @IO

    Danke für den Exkurs in die lateinische Aussprache. Mir ist übrigens noch gar nicht aufgefallen, dass die Ripuarier, zu denen ich ja auch noch gehöre, ein anderes “k” als im Hochdeutschen haben. Aber wo Du’s sagst: beim ripuarischen “k” wird offenbar nicht so viel Luft zwischen Zunge und Gaumen gedrückt wie beim hochdeutschen, wenn es das ist, was “(nicht) aspiriert” meint. Einfach Luft anhalten und “Kölle” sagen, beim L die Zunge so schwer und breit wie nach übermäßigem Alkoholgenuss werden lassen, dann klingt das schon recht überzeugend 😉

  12. #12 IO
    31. Oktober 2015

    @Alderamin

    Jo, doch Deine Ripuarität, d. h. die unaspirierte (wenn auch inspirierte) Sprache, ist mir noch sehr gut erinnerlich, auch wenn das schon drei Jahre her ist seit dem wieder mal nicht stattgefunden habenden Weltuntergang! 🙂

    Da hängt dann gleich noch in der Moderation ein Beitrag zur historischen Phonetik des Englischen, der sich lohnt… Dort wird die obige Passage auch gelesen.

    Herzliche Grüße ins Ripuarische!

  13. #13 Alderamin
    31. Oktober 2015

    @IO

    Da bin ich ja mal gespannt auf die Phonetik des Englischen.

    Tja, und immer wieder verblüffend, wie perfekt man als Kleinkind die Aussprache der Eltern kopiert. Und diese Fähigkeit bis zum Erwerb der ersten Fremdsprache leider wieder verliert.

    Schönen Gruß ins wundervolle Stockholm (hach, lange nicht mehr da gewesen, wird mal wieder Zeit).

  14. #14 IO
    31. Oktober 2015

    @ Alderamin

    “nicht aspiriert” wird auch als “nicht behaucht” bezeichnet.

    Halte ich mir zum Beispiel nach
    den stimmlosen Verschlusslauten /p/, /k/, /t/ bzw.
    den stimmhaften Entsprechungen /b/, /d/, /g/
    die Hand unmittelbar vor den Mund , spüre ich den Luftstrom recht kräftig. Man kann das auch schön mit einer Kerzen- oder Feuerzeugflamme demonstrieren – mit entsprechender Vorsicht!

    Die Aspirierung klingt auch, wenn man darauf achtet, recht deutlich nach einem mitklingenden “H”, weil der Luftstrom aus der Lunge dahintersteht.

    Bei nicht aspirierten Lauten wird dagegen nur der geringere Druck der im Mund- und Rachenraum kurz gestauten Luft gelöst. Dadurch ergibt sich ein kaum hörbarer Luftstrom von geringer Stärke.

  15. #15 IO
    31. Oktober 2015

    @ Alderamin

    Aspiration und Nicht-Aspiration gut erklärt.
    Besonders schön bei ca. 3:54

  16. #16 Alderamin
    1. November 2015

    @IO

    Danke für die Videos. Dass sich (wie im OP-Englisch) manche Wörter reimen, die sich heute nicht mehr reimen, kennt man ja auch im Ripuarischen, z.B. bei Wolfgang Niedecken in “Verdammp lang her”:

    “Et is lang her, dat ich vür su jet ratlos stund (hdt. stand)
    un vür Enttäuschung fast nit mie kunt (hdt. konnte)”

    Da Du Dich offenbar gut mit der Sprachgeschichte auskennst: kennst Du ein gescheites Buch über die Entstehung des Deutschen und seiner Dialekte? Ich wüsste zu gern, wie z.B. das Kölsche entstanden ist. Karl der Große war ja auch Rheinfranke, der sprach, nachdem was ich in der Wikipedia fand, wohl auch eine Art Ripuarisch (eben Rheinfränkisch), das aber vermutlich mit dem heutigen Kölschen weit weniger zu tun hat, als das OP-Englisch Shakespears mit dem modernen Englisch.

    Bleibt noch die Frage, warum man ein “K” denn überhaupt aspirieren sollte 😉

  17. #17 IO
    1. November 2015

    @Alderamin

    Ist nur so ein Hobby von mir…

    Zu Deiner Frage werde ich einen Freund befragen, der Spezialist in diesen Sachen ist. Coming back to you soon… (morgen abend wohl).

    Herzliche Grüße