Die “Schneelinie” ist wichtig. Und damit meine ich nicht die Gegenden, in denen man demnächst trotz Klimawandel noch im Winter Skifahren kann. Es geht um eine fundamentale Eigenschaft von Planetensystemen; um eine Grenze die bestimmt, welche Himmelskörper wo entstehen können.

Bevor irgendwo um einen Stern Planeten entstehen können, ist da nur ein junger Stern der von einer Scheibe aus Staub und Gas umgeben ist. Das Material dort ist aber nicht immer identisch. Warum sollte es das auch sein, denn immerhin sind auch die Bedingungen unterschiedlich. Nahe am heißen Feuer des Sterns ist es warm – je weiter man sich von ihm entfernt, desto kühler wird. Und irgendwo zwischen Feuer und Kälte liegt die “Schneelinie”. Auf der warmen Seite findet man hauptsächlich Staub. Dahinter aber ist es kalt genug, damit die verschiedenen Gase kondensieren können und Eis bilden.

Künstlerische Darstellung einer protoplaneteren Scheibe aus Staub und Gas die einen jungen Stern umgibt (ESO/L. Calçada)

Künstlerische Darstellung einer protoplaneteren Scheibe aus Staub und Gas die einen jungen Stern umgibt (ESO/L. Calçada)

Das hat große Auswirkungen: Hinter der Schneelinie steht den Planeten mehr Baumaterial zur Verfügung. Sie können nicht mehr nur den Staub verwenden, sondern auch die Eisbrocken. Die jungen Planetenkerne wachsen schneller und können größer werden. So groß, dass ihre Anziehungskraft ausreicht, um irgendwann auch das ganze Gas an sich zu binden. Hinter der Schneelinie können daher Gasriesen wie Jupiter oder Saturn entstehen für die es vor der Schneelinie nicht genug Material gibt. Da reicht es nur für kleine, felsige Planeten wie die Erde oder die Venus.

Die Schneelinie erklärt auch den Unterschied zwischen Kometen und Asteroiden. Beide Arten von Himmelskörpern entstanden zur gleichen Zeit auf die gleiche Art und Weise. Aber Asteroiden haben sich auf der warmen Seite der Schneelinie gebildet und enthalten daher relativ wenig gefrorenes Material. Ganz im Gegensatz zu den Kometen, die jede Menge davon haben. Wenn sich ein Asteroid der Sonne nähert, passiert nicht viel. Bei Kometen aber beginnt das ganze Eis aufzutauen, entweicht ins All und reißt dabei jede Menge Material von der Kometenoberfläche mit sich. So bildet sich die hell leuchtende Hülle aus Gas und Staub und der lange Kometenschweif.

Bei uns im Sonnensystem verläuft die Schneelinie zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter; quer durch den dort befindlichen Asteroidengürtel. Unter anderem deswegen ist auch die Mission der Sonde Dawn so interessant. Sie hat zuerst im Jahr 2011 den Asteroid Vesta besucht und geologisch analysiert. 2015 ist sie dann beim Asteroid Ceres angekommen und wird sich nun dort ausführlich umsehen. Vesta liegt auf der einen Seite der Schneelinie; Ceres auf der anderen und die unterschiedlichen Eigenschaften dieser beiden Himmelskörper werden uns viel über die Vergangenheit des Sonnensystems verraten.

Ceres aus einer Entfernung von 46.000 Kilometer (NASA/JPL-Caltech/UCLA/MPS/DLR/IDA)

Ceres aus einer Entfernung von 46.000 Kilometer (NASA/JPL-Caltech/UCLA/MPS/DLR/IDA)

Wir sind aber auch daran interessiert, was bei anderen Sternen vor sich geht. Mittlerweile hat man schon viele sogenannte “protoplanetare Scheiben” beobachtet. Also genau die Art von Scheiben, aus denen irgendwann mal Planeten entstehen. Mit entsprechenden Teleskopen kann man sogar schöne Bilder davon machen – und in Zukunft wird man sie noch genauer untersuchen können. Und dann wird man die Schneelinie sogar direkt sehen können! Das sagen zumindest Andrea Banzatti vom Space Telescope Science Institute und seine Kollegen (“Direct imaging of the water snow line at the time of planet formation using two ALMA continuum bands”). Sie haben Computersimulationen durchgeführt um herauszufinden, welche Beobachtungen vom großen ALMA-Teleskop zu erwarten ist. Das ALMA-Observatorium der europäischen Südsternwarte beobachtet Millimeter und Submillimeterwellen. Dieser Bereich des elektromagnetischen Spektrums, der Licht mit Wellenlängen umfasst, die ein wenig länger sind als die des sichtbaren und des Infrarotlichts sind besonders interessant, wenn man auf der Suche nach kosmischen Gas- und Staubwolken sind. Die kleinen Teilchen werden vom Licht des Sterns aufgeheizt und geben die Energie dann unter anderem in Form der von ALMA beobachtbaren Strahlung ab.

Wie diese Energie genau abgegeben wird, hängt unter anderem von der Größe der Teilchen ab. Man beschreibt das mit dem sogenannten Spektralindex. Diese Zahl gibt die Abhängigkeit des Strahlungsflusses von der Wellenlänge des Lichts an und verändert sich mit der Größe der Teilchen. Kleine Teilchen haben einen großen Spektralindex; große einen kleinen. Und das sollte sich besonders an der Schneelinie bemerkbar machen. Dort treffen die Staubteilchen auf die Eisteilchen und können besonders gut zu besonders großen Teilchen verschmelzen. Näher am Stern sind die Staubteilchen tendenziell kleiner, weil sie durch Kollisionen auseinanderbrechen. Und weiter entfernt hinter der Schneelinie sind sie ebenfalls kleiner, weil hier weniger Staub vorhanden ist, durch den sie größer werden können. Es sollte es direkt an der Schneelinie einen klaren Übergang von großen zu kleinen Werten des Spektralindex geben, so wie das in dieser Zeichnung schematisch angegeben ist:

Eine Zeichnung ist aber nur eine Zeichnung. Und darum haben Banzatti und seine Kollegen die Sache auch ausführlich am Computer untersucht. Sie haben berechnet, wie sich verschiedene Verteilungen von Gas und Staub im Laufe der Zeit entwickeln; wie diese unterschiedlichen Scheiben dann das Licht des Sterns reflektieren und vor allem: Was davon könnte das ALMA-Observatorium sehen?

Die Simulationen haben gezeigt, dass man in jedem Fall und bei allen Variationen der Scheibe immer eine klare Trennung genau an der Schneegrenze erkennen müsste. Dieses Bild zeigt eine der simulierten Alma-Beobachtungen. Man blickt von oben auf die Scheibe; in der Mitte ist der Stern und die Schneelinie ist in rosa eingezeichnet. Die Farbe im Bild gibt den Wert des Spektralindex an und man erkennt den Übergang sehr gut:

Bis jetzt gibt es noch nicht genug Daten, um die Simulationen zu überprüfen. Die beste ALMA-Aufnahme einer protoplanetaren Scheibe wurde Mitte des Jahres beim Stern HL Tau gemacht (ich habe damals darüber berichtet). Sie zeigt deutliche Strukturen:

Es gab schon Versuche, diese Ringe als die Grenzen verschiedener Schneelinien zu interpretieren (denn jede Eissorte hat ihre eigene Schneelinie; es gibt ja neben gefrorenem Wasser auch noch viele andere gefrorene Substanzen) – aber solange man nicht mehr Daten hat, ist es schwierig, hier eine klare Interpretation zu finden. Mit den neuen Computermodellen und den kommenden Beobachtungsdaten sollte das aber möglich sein. Und dann haben wir ein weiteres Puzzleteil beim Verständnis der fremden Welten gefunden. Dann haben wir nicht mehr nur die ganzen Daten über die Planeten anderer Sterne. Sondern auch Daten über die Sterne, bei denen Planeten gerade erst entstehen und können vor allem die unterschiedlichen Eigenschaften der verschiedenen Geburtsorte direkt beobachten und untersuchen! Und irgendwann vielleicht sogar vorhersagen welche Planetensysteme sich in solchen Scheiben in ein paar Millionen Jahren bilden werden…

Kommentare (8)

  1. #1 Till
    25. November 2015

    A blog of fire and ice 😉 Vielen Dank für den schönen Artikel!

  2. #2 mcpomm
    25. November 2015

    Zum Schluss wird ja noch mal kurz darauf eingegangen, dass es nicht nur die Schneelinie des Wassermoleküls gibt, sondern auch die von anderen Elementen und Molekülen.

    Trotzdem die Frage: ist die Schneelinie von Wasser für die Entstehung eines Planetensystems sehr viel bedeutender als die Kondensationslinien bzw. allgemein Linien der Phasenübergänge anderer Moleküle?

  3. #3 Richard
    25. November 2015

    Hallo. Sehr interessant und gut erklärt. In unserem Sonnensystem passt das ja auch zur tatsächlichen Verteilung der Planeten. Aber was ist mit den so genannten ” Hot Jupiters”, also Gasriesen, die ihren Stern sehr dicht umkreisen? Widersprechen die nicht diesen Beobachtungen? Oder sind das alles nach innen gewanderte Gasriesen?

  4. #4 Wizzy
    25. November 2015

    @Richard
    Es gibt keine andere Erklärung, als dass es nach innen gewanderte Riesen sind! Man war daher zunächst einmal über die vielen “hot Jupiters” überrascht. Mittlerweile weiß man u.a. aus Simulationen aber auch, dass das Wandern wohl doch eben nicht so unwahrscheinlich ist. Außerdem gibt es bei jungen Sternen keine “hot Jupiters”, was ja ein Hinweis auf die Wanderung ist, die etwas Zeit braucht.

  5. #5 Turi
    25. November 2015

    @mcpomm: Ich würde sagen ja. Die Linien der meisten reinen Elemente liegt entweder zu nahe an oder zu weit entfernt von der Sonne um von großer Bedeutung zu sein. Und von den Verbindungen sind vor allem Wasser und Kohlenwasserstoffe interessant und es gibt erheblich mehr Wasser als Kohlenwasserstoffe.

  6. #6 Artur57
    25. November 2015

    Das Entstehen der Schneegrenze (wie sie dort hieß) wurde in einem Spektrum-Artikel einmal mit dem Sonnenwind erklärt. Das ist nicht unplausibel, das sind Teilchen, die mit 400 bis 900 km/s unterwegs sind. Als da wären Elektronen, Protonen und einige Heliumkerne. Die haben dann ganz schön Impuls und ihre Wirkung ist natürlich abhängig von der Größe des Objekts, auf das sie treffen. Ein Planet wie die Erde ist davon wenig beeindruckt, ein Asteroid schon eher, ganz sicher aber Staub und Gas. Das Verhältnis zwischen Oberfläche und Masse ist hier entscheidend und das ist eben bei einem Gasmolekül am größten.

    Der Sonnenwind habe alles Gas hinter die Schneegrenze verblasen, also jenseits des Mars. Dort habe sich das Gas dann zu den großen Gasplaneten zusammen gefunden. Die Grenze für Staub liegt natürlich etwas weiter innen, aber da wurde er von den Planeten verschluckt inzwischen. Unser sehr dicht bevölkertes Sonnensystem ist weitgehend frei von Gas und Staub. Unter anderem daran festzustellen, dass man alle hellen Planeten mit bloßem Auge sieht. Was bei diesem jungen Stern nicht der Fall ist.

    Da können wir froh sein, wenn das so ist, denn Gas und Staub würden die Planetenbahnen stören und es käme zu einer “Migration Typ II”. Denn das ist das Schicksal dieser heißen Jupiter, die natürlich ebenfalls weiter außen entstanden sind.

  7. #7 Till
    26. November 2015

    @Arthur57: Soweit ich das verstanden habe, wird die Schneelinie nicht so sehr vom Sonnenwind, sondern mehr von der Temperatur bestimmt.
    Jenseits der Schneelinie ist es kalt genug, dass Wassermoleküle sich zu Eis verbinden können und so zusätzlich zu Staub auch festes Eis als Planetares Baumaterial zur Verfügung steht.
    Näher am Stern ist es dann (durch die Wärmestrahlung) so warm, dass das eis sublimiert und nur gasförmig vorliegt. Das Gas kann nicht so effektiv verklumpen und steht somit für leichte Planeten, deren Gravitation nicht ausreicht um das Gas festzuhalten nicht als Baumaterial zur Verfügung. Später, wenn das meiste Material aus der Scheibe verklumpt ist, kommt dann auch der Sonnenwind ins Spiel, der das Gas mitreißt und nach Außen trägt.

  8. #8 Artur57
    27. November 2015

    @Till

    Dem soll ja gar nicht widersprochen werden. Ich wollte nur die grundsätzliche Dynamik erklären, insbesondere, wie es zu diesen heißen Jupitern kommt.

    Ja, es wird schon eine Schneelinie geben, ab der das Wasser gefriert. Dann noch eine zweite, wo das CO2 gefriert. Ab da beginnt dann der Trockeneisterror, ganz ohne Science-Busters.