Jedes Jahr kann man Mitte Dezember den Sternschnuppenschauer der Geminiden beobachten. Dieser Meteorstrom (wie das Phänomen wissenschaftlich korrekt bezeichnet wird) ist insofern besonders, als das sein Ursprung nicht wie normalerweise der von Kometen abgesonderte Staub ist. Die Geminiden stammen vom Asteroid Phaethon; über den ich hier schon ausführlich berichtet habe. Phaethon ist einer von den Asteroiden, die immer wieder mal in der Nähe der Erde vorbei kommen. Solche “erdnahen Asteroiden” kann es aber eigentlich gar nicht geben. Beziehungsweise gibt es natürlich doch, denn sonst wären sie ja nicht da. Aber es handelt sich um Asteroiden, die sich nicht auf dauerhaft stabilen Umlaufbahnen befinden. Im Laufe von einigen zehntausend bis hunderttausend Jahren kollidieren sie irgendwann mit den Planeten des inneren Sonnensystems, der Sonne selbst oder werden aus dem Sonnensystem geworfen. Die Tatsache, dass es heute, 4,5 Milliarden Jahren nach der Entstehung des Sonnensystems, immer noch jede Menge erdnahe Asteroiden gibt, ist also ein Zeichen dafür, dass immer wieder neue Himmelskörper in diese Region nachgeliefert werden.

Die Geminiden-Sternschnuppen kommen von Phaethon. Vermutlich. (Bild: NASA)

Die Geminiden-Sternschnuppen kommen von Phaethon. Vermutlich. (Bild: NASA)

Die große Lagerhalle für erdnahe Asteroiden ist der Asteroiden-Hauptgürtel zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter. Die Felsbrocken, die dort herumfliegen, sind dort schon seit der Entstehung des Sonnensystems. Sie haben stabile Umlaufbahnen und bleiben dort, wo sie sind. Meistens jedenfalls, denn ab und zu werden ein paar von ihnen aus ihrer angestammten Umgebung in die Region der inneren Planeten transportiert. Und zwar so: Asteroiden können miteinander kollidieren und die Bruchstücke dann in sogenannten resonanten Positionen landen. Dort ist der gravitative Einfluss von Jupiter besonders stark, weswegen die Asteroiden(bruchstücke) ihre Umlaufbahn langsam verändern, bis sie irgendwann nicht mehr Teil des Hauptgürtels sondern zu erdnahen Asteroiden geworden sind.

Das ist aber nur eine recht allgemeine Beschreibung. Und Wissenschaftler wären keine Wissenschaftler, wenn sie es nicht genau wissen wollen würden. Wo also kommt Phaethon wirklich her und wie genau ist er dort gelandet, wo er sich heute herum treibt?
Das wollte Nataša Todorović vom Observatorium in Belgrad wissen und hat die Antwort kürzlich in einem Fachartikel gegeben (“The dynamical connection between Phaethon and Pallas”). Die Bahn von Phaethon und das, was man aus den bisherigen Beobachtungen über seine Zusammensetzung weiß, hat die Astronomen schon früher vermuten lassen, dass er Teil der Pallas-Familie war. Dabei handelt es sich um eine Gruppe von Asteroiden im Hauptgürtel, die alle ähnliche dynamische Eigenschaften haben und die vermutlich alle Überbleibsel der selben Kollision in der Vergangenheit waren. In diesem speziellen Fall scheint es sich um Objekte zu handeln, die durch Einschläge vom jetzt circa 550 Kilometer großen Asteroid Pallas abgebrochen sind (ich habe hier hier mehr über solche Asteroidenfamilien erzählt).

Aber wie genau ist Phaethon aus dem Hauptgürtel entkommen? Dafür sind Resonanzen verantwortlich: Wenn die Umlaufzeit eines Asteroids und des Jupiters in einem ganzzahligen Verhältnis zueinander stehen, dann nehmen die beiden Himmelskörper in periodischen Abständen immer wieder die gleiche relative Position zueinander ein (ich habe das Phänomen hier sehr ausführlich beschrieben. Dann können sich die gravitativen Störungen des Jupiters aufschaukeln und so den Asteroid aus so einer resonanten Position hinaus und anderswohin im Sonnensystem schubsen. Im Falle von Phaethon sind die 8:3 und die 5:2 Resonanz die Hauptverdächtigen. Also die Positionen im Sonnensystem, in denen ein Asteroid acht (bzw. fünf) Runden um die Sonne schafft, während der Jupiter in der gleichen Zeit drei (bzw. zwei) Umläufe absolviert.

Phaethon - schwer zu sehen das Ding! (Bild: NASA)

Phaethon – schwer zu sehen das Ding! (Bild: NASA)

Das Problem: Bisherige Analysen haben gezeigt, dass aus diesen Positionen heraus Asteroiden kaum bzw. nur sehr ineffektiv in Richtung inneres Sonnensystem transportiert werden. Nataša Todorović hat nun aber das gemacht, was man in der Wissenschaft eigentlich immer machen sollte: Trotzdem nochmal nachgesehen und probiert, die bisherigen Ergebnisse zu bestätigen bzw. zu widerlegen. Bei den früheren Analysen hat man – sehr vereinfacht gesagt – einen Haufen fiktiver Asteroiden in die Gegend der Resonanzen geworfen und ihre Bahn dann am Computer simuliert und geschaut, wie viele davon sich in Richtung inneres Sonnensystem bewegen.

Nataša Todorović hat eine etwas exaktere Methode benutzt. Sie hat die Struktur der Resonanzen zuerst einmal mit einem Chaosindikator untersucht. So nennt man numerische Methoden, mit denen man herausfinden kann, wie instabil bzw. stabil bestimmte Umlaufbahnen tatsächlich sind. Die Methode ihrer Wahl waren die sogenannten “Fast Lyapunov Indicators (FLIs)” und es wäre schön, diese Dinger wirklich detailliert vorstellen zu können. Dazu braucht es aber ein wenig komplexe Mathematik und mehr Platz, als dieser Blogartikel sinnvollerweise haben kann (aber vielleicht mach ich mal eine eigene Serie über Chaosindikatoren). Kurz gesagt: Man nimmt eine bestimmte Umlaufbahn (oder eigentlich: eine bestimmte Position im Phasenraum, aber das würde schon wieder zu weit führen – wer mehr wissen will, kann ja mal hier anfangen), steckt die in einen Algorithmus und der liefert eine Zahl, die einem sagt ob diese Umlaufbahn chaotisch ist oder nicht.

Normalerweise muss man die Bewegung von Himmelskörpern lange verfolgen um herauszufinden, ob sie chaotisch ist oder nicht. Der FLI hat aber nicht nur das “Fast” schon im Namen, es ist oft auch angebracht, nur kurze Zeiträume zu betrachten. Denn wenn man eine chaotische Region trifft, dann hat es das Chaos nun mal eben so an sich, dass es ein Objekt im Laufe der Zeit mehr oder weniger überall hin bringt, wohin es sich physikalisch sinnvoll bewegen kann. Es ist ein wenig so wie in der Fotografie: Wenn man zb eine Fußgängerzone sehr lange belichtet, sieht man vielleicht die stillstehenden Gebäude sehr gut, die sich bewegenden Menschen aber gar nicht sondern nur als verschwommene Schlieren. Mit kurzer Belichtungszeit dagegen kann man sie klar erkennen. Nataša Todorović hat nun quasi “kurz belichtete” Aufnahmen der Resonanzen mit den FLIs gemacht um zu sehen, wo nun genau die chaotischen Wege sind, entlang derer sich ein Asteroid aus der Resonanz hinaus bewegen kann. Das sieht dann im Fall der 5:2 Resonanz so aus:

Das Bild ist kein echtes Bild des echten Raums. Man sieht einen “Phasenraum”, der von den potentiellen Werten der großen Halbachse der Asteroidenbahn (also dem mittleren Abstand zwischen Asteroid und Sonne) und der Exzentrizität der Bahn (der Abweichung von der Kreisbahn) aufgespannt wird. Jeder Punkt in diesem Diagramm entspricht einer bestimmten Kombination von Halbachse und Exzentrizität und die Farbe des Punktes wird vom FLI bestimmt. Gelb zeigt chaotische Gegenden an, während rot und blau die stabilen Bereiche einfärbt.

Hier ist noch einmal eine Vergrößerung des zentralen Bereichs:


Wenn man ein wenig Ahnung von Chaostheorie hat, dann erkennt man hier schön die verschlungenen Strukturen die von der “Seperatrix” gebildet werden; die Komplexität der sogenannten “seltsamen Attraktoren”, und so weiter. Wenn man keine Ahnung von Chaostheorie hat, dann sieht man aber trotzdem, dass es nicht so einfach ist, stabile von instabilen Regionen zu trennen. Beide sind ineinander verschachtelt und verschlungen und alles sieht sehr konfus und komplex aus. Chaos eben… 😉 Vor allem aber sieht man, dass man die chaotischen Regionen leicht verpassen kann, wenn man “einfach” nur ein paar hypothetische Asteroiden in die Gegend schmeißt und dann am Computer simuliert, wie sie sich bewegen.

Jetzt jedenfalls war nun viel besser klar als vorher, wo genau Bruchstücke von Pallas den Störungen des Jupiters ausgesetzt sind und wo nicht. Und wenn man das berücksichtigt, kann man auch viel besser als zuvor am Computer simulieren, wie viele Objekte tatsächlich aus dem Hauptgürtel in den Bereich des inneren Sonnensystems transportiert werden. Nataša Todorović kommt zu dem Ergebnis, dass die 5:2 und die 8:3 Resonanz bei weitem nicht so ineffektiv sind, wie man bisher dachte. In beiden Fällen werden knapp 45% aller Objekte in diesen Regionen in Richtung des inneren Sonnensystems transportiert.

Phaethon kann also wirklich sehr gut aus der Pallas-Familie stammen. Um den Ursprung einwandfrei zu identifizieren müsste man aber natürlich sowohl Gesteinsproben von Phaethon als auch welche von Pallas sammeln und sie im Labor untersuchen. Aber auch so ist die Herkunft des Asteroiden nun deutlich besser verstanden vorher. Und damit auch der Ursprung der Geminiden. Den jährlichen Sternschnuppenschauer haben wir dem Chaos zu verdanken!

Kommentare (4)

  1. #1 Reinhard Kober
    Wieso ...
    30. Januar 2018

    … lese ich diesen Blog so gerne und versteh so wenig davon?

    Meine ganz große Hochachtung vor den gescheiten Astronomiemenschen!

  2. #2 pane
    30. Januar 2018

    Hmm, die interessantesten Gebiete des Phasenraums sind natürlich mal wieder nicht abgebildet. Zum einen wäre es interessant, wie die Gebiete mit einer Exzentrizität größer 1 aussehen und aus einem merkwürdigen Grund interessiert mich besonders was sich bei 1AU und einer Exzentrizität von 0,017 tut.

  3. #3 Florian Freistetter
    30. Januar 2018

    @pane: “Hmm, die interessantesten Gebiete des Phasenraums sind natürlich mal wieder nicht abgebildet. “

    Ähm, doch. Es geht darum, herauszufinden wie die Resonanz funktioniert. Und die ist halt nicht überall, sondern nur bei einem ganz exakten Wert der großen Halbachse (bzw. verbreitert sich ein wenig für größere Werte von e). Bei 1 AU gibt es keine Resonanz mit Jupiter. Da sind auch keine Hauptgürtelasteroiden. Und bei e größer als 1 gibt es keine geschlossenen Umlaufbahnen. Es ging darum herauszufinden, was die Hauptgürtel-Asteroiden in der Nähe der 5:2 und 8:3 Resonanz tun. Und das sieht man nur, wenn man sich auch genau diese Regionen ansieht.

    Man kann zweifellos interessante Dinge erfahren, wenn man sich andere Gegenden anschaut. Aber halt nicht über Phaethon und die Pallas-Familie. Das ist in etwa so, als würde ich hier über ein paper schreiben, das die große Magellansche Wolke betrachtet und jemand einwenden, dass da auf den Bildern aber nicht der Orionnebel abgebildet ist. Das ist zwar richtig – aber ein klein wenig am Thema vorbei 😉

  4. […] Sternschnuppen aus dem Chaos: Der Ursprung des Asteroid Phaethon […]