Das Jahr geht zu Ende, die Lektüre aber nicht! Auch 2018 habe ich es nicht geschafft, alles zu lesen, was geschrieben wurde und das ist gut so, denn dann bleibt auch noch was für 2019 übrig! Was ich gelesen habe, möchte ich euch wie immer am Monatsende vorstellen und – weitestgehend – empfehlen.

Mythen und Helden

Das, was Stephen Fry geschrieben hat, kann man sowieso immer uneingeschränkt empfehlen. Das hindert mich aber nicht daran, euch seine beiden letzten Werke ganz besonders ans Herz zu legen. Die Bücher heißen “Mythos” (auf deutsch “Mythos”) und “Heroes” (noch nicht auf deutsch erhältlich) und handeln von einem Thema, das alle kennen. Es geht um die Welt der griechischen Götter und Helden. Um Zeus, Apollo, Aphrodite; um Herkules, Jason und Ödipus. Wir haben davon in der Schule gelernt, wir haben vielleicht die klassischen Nacherzählungen gelesen – aber noch nie haben wir die Welt der griechischen Antike so präsentiert bekommen, wie Stephen Fry sie präsentiert!

In “Mythos” beginnt Fry mit der Schöpfung der Welt und arbeitet sich von der ersten Göttergeneration über die Titanen bis zu den olympischen Göttern vor. Dabei erzählt er all die Geschichten, die auch andere im Lauf der letzten Jahrtausende erzählt haben. Aber er tut es auf eine Art und Weise, die wirklich Spaß macht. Nirgendwo ist der ernste, schwerfällige Tonfall zu finden, den man bei der Nacherzählung der griechischen Mythen üblicherweise findet. Sondern der für Fry typische humorvolle Ton, voll mit Sprachwitz, und Intelligenz. Sätze wie diesen findet man überall im Buch:

“Gaia visited her daughter Mnemosyne, who was busy being unpronounceable.”

Am besten wird das Buch aber dann, wenn Fry nicht nur nacherzählt, sondern die Figuren selbst sprechen lässt. Das tun sie dann auf eine flapsigen und menschliche Weise, so wie sie es vermutlich auch getan hätten, wenn es sie denn gegeben hätte. Wenn in “Heroes” – wo Fry sich den menschlichen Helden der Antike (Herkules, Jason, etc) widmet – zum Beispiel Ödipus das berühmte Rätsel der Sphinx löst, dann klingt das beim Klassiker des Genres (“Sagen des Klassischen Altertums” von Gustav Schwab) so:

“Das Rätsel war glücklich gelöst, und aus Scham und Verzweiflung stürzte sich die Sphinx selbst vom Felsen und zu Tode.”

Auch bei Fry ist die Sphinx zuerst verwirrt, weil das Rätsel gelöst werden konnte. Aber dann hat sich Fry – wie oft im Buch – ein wenig künstlerische Freiheit genommen, um die ganze Sache ein wenig lebendiger zu machen:

“B-but … how …?”

“It’s called ‘intelligence’. Now let me try one out on you. Let me see… What has the face of a hag, the body of a sow, the wings of a pigeon and the brains of a pea? No?”

The Sphinx reared up with a screech and before she had time to open her wings, fell backwards of the cliff’s edge, claws thrashing the air, down onto the rocks below. With screams of delight, the buzzards swooped.

Wer noch ein Last-Minute-Weihnachtsgeschenk sucht, ist mit diesen Büchern auf jeden Fall gut beraten. Ich würde aber sowieso empfehlen, das man diese Bücher nicht nur verschenkt, sondern auch selbst liest. Man lernt nicht nur viel dabei, es macht auch riesengroßen Spaß-

Das kommunistisch Känguru

Endlich habe ich es geschafft, “Qualityland” von Marc-Uwe Kling zu lesen. Das werden sicherlich schon viele kennen und wenn nicht, dann wär das jetzt eine gute Gelegenheit, das zu ändern. Es handelt sich um eine humoristische Dystopie, bei der man sich nicht sicher sein kann, ob man die ganze Sache nun lustig oder tragisch finden kann. Deutschland heißt in der Zukunft nicht mehr “Deutschland” sondern “Qualityland”. Die Menschen werden nach den Berufen der Eltern benannt und deswegen ist “Peter Arbeitsloser” auch die Hauptfigur. In Qualityland wird mehr oder weniger alles durch Algorithmen bestimmt; sei es die Handlung von Kinofilmen oder die Nachrichten. “The Shop” liefert alles was man braucht, und WAS man braucht, muss man ebenfalls nicht selbst entscheiden. Das macht der Algorithmus und der stuft auch alle Menschen anhand ihres Nutzens für die Gesellschaft ein. Peter Arbeitslosers Job ist das Verschrotten von nicht mehr funktionierenden Maschinen, was er aber nicht tut und sich so ein Arsenal an mehr oder weniger absurden Robotern, Androiden und anderem Zeug ansammelt, mit denen er sich dann daran macht, das allmächtige System zu stürzen. Indirekt aber nur, denn eigentlich will er nur den bescheuerten Delfinvibrator zurück geben…

So wie alle Bücher von Kling ist auch “Qualityland” einerseits voll mit skurillen Einfällen und Figuren; andererseits trifft man dazwischen immer wieder auf sehr kluge politische und gesellschaftliche Beobachtungen über die nachzudenken es sich lohnt. Das gilt natürlich auch für seine berühmte Känguru-Trilogie die ich zusammen mit den neuen “Känguru-Apokryphen” gleich auch nochmal gelesen habe. Der Kleinkünstler Mark-Uwe Kling kriegt Besuch von einem kommunistischen Känguru und der Alltag dieser seltsamen WG reicht locker um vier intelligente und unterhaltsame Bücher zu füllen. Die Anti-Terror-Anschläge des Asozialen Netzwerks; der epische Kampf gegen die kapitalistische Pinguin-Verschwörung oder einfach nur die absurde Nerverei des Kängurus… Und dann sind da noch die wunderbaren falsch zugeordneten Zitate; fast das Beste an den ganzen Büchern (“Das Schwierigste am Diskutieren ist nicht, den eigenen Standpunkt zu verteidigen, sondern ihn zu kennen.” – Horst Seehofer).

Murmeltiertag reloaded

Neverday

Ich hab schon früher mal ein Buch von Carlton Mellick III besprochen und wusste damals nicht wirklich, was ich dazu sagen soll. Ich meine, der Typ schreibt Bücher mit Titeln wie “The Haunted Vagina”, “The Baby Jesus Butt Plug” oder “Every Time We Meet At The Dairy Queen Your Whole Fucking Face Explodes”!! Sein Buch Neverday dagegen ist erstaunlich normal. Es geht um das klassische “Murmeltiertag”-Szenario. Also einen Tag – den 17. April 2017 – der sich ständig wiederholt. Nur eben nicht wie im Film mit Bill Murray nur für eine Person. Sondern für alle. Und Mellick hat probiert, diese Welt konsequent zu Ende zu denken. Denn da sind immer mehr Menschen die “Aufwachen”, die sich also der Wiederholungen bewusst sind. Und damit muss man irgendwie umgehen. Es gibt also Selbsthilfegruppen für Leute, die zum Beispiel mit einem gewaltigen Hangover aufwachen; jeden Tag… Auch das Wirtschaftssystem muss irgendwie funktionieren, weswegen die Bankbeamten den jeweils aktuellen Kontostand per Erinnerung Tag für Tag updaten müssen. Und so weiter.

Und dann gibt es noch den “Neverday”. Der Tag “springt” erst dann zurück, wenn man Schlafen geht. Wer wach bleibt, kann durchaus den 18. April 2017 erleben. Und den 19. April. Und – mit ausreichend Drogen – auch noch ein paar Tage oder Wochen länger wach bleiben. Das sollte man aber lieber lassen… denn in diesem “Neverday” passieren seltsame Dinge. Was genau da abläuft, ist das Thema des Buches. Das mir sehr gut gefallen hat – mir aber noch besser gefallen hätte, wenn Mellick es auch zu Ende geschrieben hätte. Seine anderen Bücher sind alle eher kurz und er schreibt viele davon (mehrere pro Jahr; und jedes innerhalb weniger Tage). Das gilt auch für “Neverday” und man hat irgendwie das Gefühl, das Mellick am Ende die Lust verloren hat. Gerade als eigentlich alles richtig spannend wird; an dem Punkt, an dem ein richtiges Buch eigentlich erst los gehen würde: Da hört Mellick auf. Vielleicht hätte er sich doch ein wenig mehr Zeit nehmen sollen…

Was ich sonst noch so gelesen habe

  • “Making Sense of Science” von Cornelia Dean: Vor einiger Zeit habe ich das Buch “Am I making myself clear?” von Cornelia Dean besprochen und sehr gelobt. Es richtet sich an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und erklärt sehr gut die wichtigsten Prinzipien der Wissenschaftskommunikation. In ihrem aktuellen Werk spricht sie dagegen die Öffentlichkeit an und gibt Ratschläge, wie man Wissenschaft verstehen kann. Bzw. nicht Wissenschaft an sich, sondern die wissenschaftliche Fachliteratur und die Berichterstattung über Wissenschaft. Es ist ein nettes Buch, aber so richtig brauchbar nur, wenn man in den USA lebt. Dean konzentriert sich zu sehr auf amerikanische Medien und amerikanische Eigenheiten und die deutschsprachige Öffentlichkeit kann vermutlich nur bedingt profitieren. Am besten ist noch der Anhang, in dem sie erklärt, worauf man bei der Lektüre wissenschaftlicher Artikel achten muss.
  • “Junger Mann” von Wolf Haas: Wie üblich hat Wolf Haas auch hier wieder einen sehr guten Roman geschrieben. Es fehlt die sehr spezielle Sprache seiner Brenner-Krimis, was aber keinesfalls stört. Es ist ja auch kein Krimi, sondern eine Art Coming-of-Age-Roadtrip. In der österreichischen Provinz ist der dreizehnjährige “Junge Mann” unglücklich über sein Gewicht. Vor allem, weil er die schöne Elsa rumkriegen will und denkt, er müsse dazu abnehmen. Das ganze endet in einem etwas absurden Roadtrip quer durch Jugoslawien bis in die Türkei und einer Art von Happy End, das aber eher ein typisches Haas-Happy-End ist. Eigentlich klassische Urlaubslektüre; leicht, locker, spannend, lustig und trotzdem sprachlich anspruchsvoll geschrieben.
  • “Die letzten Tage des Patriarchats” von Margarete Stokowski: Im November habe ich schon Stokowskis Buch “Untenrum frei” sehr empfohlen und darum nun auch noch ihr aktuelles Werk gelesen. Das ist eine erweiterte, aktualisierte und kommentierte Zusammenstellung aus den Kolumnen die sie bei Spiegel-Online schreibt. Und so wie das erste Werk sehr klug, witzig und empfehlenswert.
  • “Auf eine Zigarette am Mont Blanc: Wie ich den höchsten Gipfel der Alpen bestieg, obwohl ich dort nichts zu suchen hatte” von Ludovic Escande: Hmm. Der französische Lektor Escande nach seiner Scheidung ein Abenteuer erleben und einer seiner Autoren, der erfahrener Bergsteiger ist, überredet ihn auf den Mont Blanc zu klettern. Klingt eigentlich ganz amüsant, ist aber dann eher eine Aneinanderreihung von Midlife-Crisis-Besäufnissen mit ein wenig Bergsteigerei dazwischen. War ganz ok zu lesen, aber hätt ichs nicht gelesen, wäre es auch nicht schlimm gewesen.

Das war der Dezember. Im nächste Jahr werde ich weiter lesen – und mich auch wieder mal selbst um Nachschub am Buchmarkt kümmern. Und wenn ihr mir sagen wollt, was man 2019 unbedingt gelesen haben muss, dann macht das doch sehr gerne in den Kommentaren!

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Kommentare (1)

  1. #1 Beobachter
    zwischen den Jahren und Stühlen
    30. Dezember 2018

    Danke für die interessanten Lesetipps.

    Zum Reinschnuppern in die Bücher von Marc-Uwe Kling und um einen ersten Eindruck vom Autor, seinem Humor und seiner Sicht der Dinge zu bekommen, hier Videos von seinen Lesungen

    bei “zeit online”:
    Känguru-Geschichten:

    https://www.youtube.com/watch?v=uUZPfNBm_N0&vl=de

    aus “Qualityland” auf dem CCC-Kongress:

    https://www.youtube.com/watch?v=flZZV1HTrnU

    Beides sehens- und hörenswert … 🙂