Als mein 50tägiger Blog-Countdown zum Mondlandungsjubiläum die 32 angezeigt hat, habe ich schon einmal ein wenig über Lyrik mit lunarer Thematik geschrieben. Ein schönes Gedicht möchte ich aber gerne noch einmal extra besprechen – vor allem weil es auch viel interessante Wissenschaft enthält. Es stammt von Christian Morgenstern und beschreibt das Leben des “Mondberg-Uhus”:

“Der Mondberg-Uhu hat ein Bein,
sein linkes Bein, im Sonnenschein.
Das rechte Bein jedoch des Vogels
bewohnt das Schattenreich des Kogels.

Bis hundertfunfzig Grad im Licht
gibt Herschel ihm (zwar Langley nicht),
im Dustern andrerseits desgleichen
dasselbe mit dem Minuszeichen.

Sein Wohl befiehlt ihm (man versteht),
daß er sich stetig ruckweis dreht.
Er funktioniert wie eine Uhr
und ist doch bloß ein Uhu nur.”

Irgendwo da treibt sich der Mondberg-Uhu rum (Buld: NASA, gemeinfrei)

Der Vogel treibt sich also anscheinend auf dem Mond herum; auf einem Berg. Und zwar so, dass er immer genau zur Hälfte von der Sonne beleuchtet wird. Es muss sich, und das erklärt auch Morgenstern in seinem Gedicht, um einen sehr temperaturbeständigen Uhu handeln. Im Sonnenlicht ist er einer Temperatur von 150 Grad Celsius ausgesetzt; im Schatten sind es -150 Grad Celsius. Morgenstern hat das Gedicht im Jahr 1905 im Band “Galgenlieder” veröffentlicht. Lag aber schon damals mit den Temperaturangaben ziemlich richtig. Heute wissen wir, dass die Höchstemperatur im direkten Sonnenlicht auf dem Mond bei etwa 130 Grad Celsius liegt, die tiefsten Temperaturen in der Mondnacht liegen bei -160 Grad Celsius. Der Mond besitzt keine Atmosphäre die Wärme speichern und verteilen könnte. Es ist entweder verdammt kalt oder verdammt heiß.

Dass Morgenstern mit den Temperaturen nicht enorm falsch lag liegt auch daran, dass er sich offensichtlich vorab in der wissenschaftlichen Literatur informiert hat. Er zitiert zwei Wissenschaftler: John Herschel und Samuel Pierpont Langley (der neben der Astronomie noch enorm viele andere coole Sachen gemacht hat); der erste – laut Morgenstern – ein Verfechter von hohen Temperaturen am Mond; der zweite hält “hundertfunfzig Grad im Licht” nicht für möglich.

Und tatsächlich haben die beiden – und andere – sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts durchaus sehr mit dem Problem der Mondtemperatur beschäftigt. Es ist ja nicht gerade einfach die Temperatur eines so weit entfernten Himmelskörpers zu messen. Es war ja noch nicht so lange her, dass Wilhelm Herschel (Johns Vater) im Jahr 1801 die Existenz der Infrarotstrahlung entdeckte. Aber wie soll man das messen? Lange Zeit konnte man nur spekulieren.

Im 1. Jahrhundert stellte Plutarch fest, dass das Mondlicht keine Temperatur zu haben scheint. Johannes Kepler, der in seinem “Science-Fiction”-Roman “Somnium” eine mystische Reise zum Mond beschreibt, erzählt dort aber von extremer Hitze und Kälte. Aber man will nicht spekulieren, sondern messen. Hier hatte der Italiener Macedonio Melloni in der Mitte des 19. Jahrhunderts die ersten konkreten Schritte gemacht. Der Physiker erfand 1846 eine verbesserte Thermosäule, also ein Gerät mit dem sich Wärme in elektrische Energie umwandeln lässt. Das schleppte er nachts auf den Vesuv und stellte fest: Das Mondlicht enthält ein wenig Wärme.

Echte Uhus sitzen auf Bäumen! (Bild: J.F. Naumann, gemeinfrei)

Aber genaue Messungen blieben schwierig. Man musste das Mondlicht quasi isolieren, und nicht nur das Mondlicht, sondern das infrarote Licht des Mondes. Nur wenn man das ausreichend genau beobachten konnte, könnte man daraus die Temperatur des Mondgesteins abschätzen. Herschel gelangte aus solchen Schätzungen zu dem Schluss dass es auf dem Mond in der Sonne enorm heiß sein muss:

“The surface of the full moon exposed to us must necessarily be very much heated, possibly to a degree much exceeding that of boiling water.”

Samuel Pierpont Langley dagegen kam zu einem anderen Schluss. Sein Versuchsaufbau war wirklich sehr ausgeklügelt (Wer möchte, kann in seiner Arbeit “The temperature of the moon. From studies at the allegheny observatory” – leider nicht frei verfügbar, aber es gibt ja Mittel und Wege – nachlesen). Aber auch er hatte damit zu kämpfen das es enorm schwierig ist, Infrarotstrahlung aus dem All korrekt zu messen. Die Erde selbst gibt auch jede Menge Wärme ab; die Atmosphäre absorbiert einen großen Teil der Infrarotstrahlung aus dem All – es ist also kein Wunder dass Langley am Ende zu diesem – falschen – Ergebnis kam:

“The mean temperature of the sunlit lunar soil is much lower than has been supposed, and is most probably not greatly above zero Centigrade”

Das sind auch genau die beiden Positionen, die Morgenstern in seinem Gedicht erwähnt. Wirklich gut konnten wir die Temperatur des Mondes erst in den 1960er Jahren messen, als die Infrarotdetektoren ausreichend genau waren. Die ersten guten Messungen machte Bruce Gary mit einem Radioteleskop von der Erde aus (“Results of a Radiometric Moon-Mapping Investigation at 3 Millimeters Wavelength”) und schon wenige Jahre später waren wir selbst vor Ort und konnten genau messen, wie warm oder kalt es dort ist. Ein “Mondberg-Uhu” ist aber bis heute bei keiner Mission zum Mond gefunden worden…

P.S. Wer mehr über die astronomische Temperaturmessung und ihre Geschichte erfahren will, kann diesen frei verfügbaren Fachartikel lesen: “The concept and evaluation of temperature in the history of astronomy” von D.W. Hughes.

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Kommentare (2)

  1. #1 Braunschweiger (DE)
    6. Juli 2019

    Der Mondberg-Uhu hat auch noch einen Kommentar verdient!

    Für mich ist dieser Uhu der gesamte Mond selbst. Bei ungefähr Halb- oder Viertelmond sieht man mal den linken Flügel beleuchtet mal den rechten; beide Flügel zusammen ergeben einen passablen runden Uhu. Der Kopf ist irgendwo in der oberen Polregion, die Mondberge wachsen überall auf ihm. Da man ihn immer nur etwa einen halben Tag lang sehen kann, scheinen die Beleuchtungsverhältnisse ruckhaft zu wechseln.

    Mich erinnern der Mond und sein Uhu an ein Schüttelreimgedicht, dass dem Ingenieur Heinrich Seidel zugeschrieben wird. Von ihm stammt das “Einem Ingenieur ist nichts zu schwör” aus dem Ingenieurlied, und der Mann war einer ganz nach meinem Geschmack.

    Auf den Rabenklippen // bleichen Knabenrippen
    und der Mond verkriecht sich duster ins Gewölk,
    rings im Kringel schnattern // schwarze Ringelnattern,
    und der Uhu naht sich mit Gebölk!

  2. #2 Braunschweiger (DE)
    6. Juli 2019

    Physikalisch ist Temperaturmessung –vor allem weiter weg, wie auf dem Mond– eine ziemliche Ansage.

    Es nicht schon schwierig, durch thermischen Kontakt eine Temperatur über einen weiteren Wertebereich zu messen, indem man nämlich ein passendes Material findet, dass einen seiner Parameter bei Erwärmung möglichst linear ändert (Längenausdehnung, ohmscher Widerstand…).

    Bei Fernmessung ist man offenbar auf Strahlung angewiesen, und dabei je nach Skalenabschnitt bzw. Temperaturbereich auf infrarote und sichtbare Strahlung, Radiowellen und härtere. Wie das genau funktionieren kann, ist mir noch nicht ganz klar, aber es scheint wohl etwas mit der Emissionsfähigkeit des erwärmten Materials zu tun zu haben (zB. Schwarzer Strahler).