SG_LogoDas ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video.

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Sternengeschichten Folge 345: Mary Adela Blagg und die Benennung des Mondes

Als die ersten Menschen die Oberfläche des Mondes betreten haben, haben sie das an einem Ort getan den wir “Mare Tranquillitatis” nennen, das “Meer der Ruhe”. Aber natürlich haben wir schon lange vorher begonnen, die geografischen Formationen auf dem Mond zu benennen. Nur dass es hier eben nicht um GEOgrafie geht, weil es ja nicht auf der Erde stattfindet. Die “Geografie” des Mondes wird offiziell “Selenografie” genannt, nach dem griechischen Wort für Mond: “Selene”.

Der Mond ist der einzige Himmelskörper auf dem wir Menschen auch ohne irgendwelche optischen Hilfsmittel Details erkennen können. Wir sehen die dunklen Flächen, die früher (und heute immer noch) “Mondmeere” genannt wurden aber natürlich keine echten Meere sind sondern große Ebenen die von dunkler, erstarrter Lava bedeckt sind. Diese dunklen Flecken haben wir als Menschenfigur interpretiert, als den “Mann im Mond” oder auch als Hase, Drache oder Baum. Leonardo da Vinci zeichnete Skizzen der Mondoberfläche und der englische Arzt und Physiker William Gilbert zeichnete im späten 16. Jahrhundert eine Art Karte des Mondes auf der er den dunklen Flecken auch Namen gab. Er sah “Meere”, die er “Mare” nannte, aber auch Inseln, Halbinseln, Buchten, etc. Die ernsthafte Kartierung des Mondes begann aber erst als man unseren Nachbarn im All auch im Teleskop sehen konnte.

Mondkarte von Hevelius, 1647 (Bild: gemeinfrei)

Galileo Galilei war der erste, der entsprechende Skizzen malte, genau so wie sein Zeitgenosse Thomas Harriot und viele andere die das damals zu Beginn des 17. Jahrhundert neu erfundene Teleskop auf den Mond richteten. Der erste, der das produzierte was man eine echte “Karte” nennen kann, war aber der niederländische Astronom Michel Florent van Langren. Auf seiner Karte sind die dunklen Flecken nach Ozeanen benannt, man findet aber auch viele Krater die einen Namen bekommen haben. Vor allem die Namen von europäischen Herrschern, Forschern und Wissenschaftler – aber auch jede Menge religiöse Bezeichnungen. Einen Krater benannte er auch nach selbst und dieser Name “Langrenus” hat sogar bis heute überlebt. Sehr viele seiner anderen Namen aber nicht, denn Langren bezog sich dabei oft prominente Katholiken, was seine protestantischen Kollegen nicht so gut fanden.

Überhaupt war die Benennung der Strukturen auf dem Mond ziemlich konfus. Jeder neue Forscher ignorierte einen Großteil dessen was seine Vorgänger getan hatten und gab den Dingen die durchs Teleskop zu sehen waren, eigene Namen. Es würde den Rahmen einer Podcastfolge absolut sprengen, alle wichtigen Mondkarten der Geschichte und ihre Ersteller zu besprechen. Von Skizzen über Karten war man im 18. Jahrhundert bei ganzen Mondatlanten angelangt und 1837 veröffentlichten die deutschen Astronomen Wilhelm Beer und Johann Heinrich Mädler den ersten Mondatlas, der die gesamte von der Erde aus sichtbare Hälfte des Mondes beschrieben hat. Im 19. Jahrhundert veröffentlichte der deutsche Astronom Johann Friedrich Julius Schmidt eine Karte auf der der Mond einen Durchmesser von 1,95 Meter hatte und auf der man 33.000 Krater sehen konnte. Zu dieser Zeit begann sich auch die Fotografie in der Astronomie durchzusetzen, was eine noch genauere Kartierung des Mondes möglich machte.

Teil des Mondatlas von Johann Friedrich Julius Schmidt von 1878 (Bild: gemeinfrei)

Trotzdem existierten zum Ende des 19. Jahrhunderts jede Menge Karten und Atlanten mit unterschiedlichen Bezeichnungen für die Strukturen auf dem Mond. Es war ein großes Chaos und in der immer internationaler werdenden Astronomie des 20. Jahrhunderts war das nicht mehr akzeptabel. Damals wurde auch die “Internationale Astromische Union” gegründet, wie ich in Folge 301 der Sternengeschichten schon ausführlich erklärt habe. Und irgendwer musste sich nun endlich auch darum kümmern, dass auf dem Mond wieder Ordnung herrscht.

Dieser Jemand war die englische Astronomin Mary Adela Blagg. Sie wurde am 17. Mai 1858 geboren, als ältestes von neun Kindern. Sie besuchte ein Internat in London, hat sich ansonsten aber im Wesentlich selbst ausgebildet. Mathematik brachte sie sich mit den Büchern ihres Bruders bei; eine Universität hat sie nie besucht. Während des ersten Weltkriegs kümmerte sie sich um Kinder die ihre Eltern verloren hatten. Ihr Interesse an Astronomie erwachte erst sehr spät, durch einen Besuch eines Vortrags des Astronomen Joseph Alfred Hardcastle, ein Enkel übrigens des berühmten John Herschel. Hardcastle konnte sie davon überzeugen, auch selbst astronomisch zu arbeiten und da er auf dem Gebiet der Selenografie arbeitete, begann auch Blagg sich dafür zu interessieren.

Mary Adela Blagg (Bild: gemeinfrei)

1907 fand in Wien ein Treffen der “Internationalen Assoziation der Akademien” statt, eine Konferenz verschiedener wissenschaftlicher Einrichtungen aus Europa. Dort wurde ein Komitee gegründet, dass endlich die Namensgebung der Strukturen auf dem Mond vereinheitlichten sollte. Die Situation war mittlerweile wirklich nicht mehr tragbar, die wichtigsten Mondkarten der damaligen Zeit wiesen unterschiedliche Namen für die gleichen Objekte auf; oder gaben unterschiedliche Koordinaten an. Dinge die auf der einen Karte verzeichnet waren fehlten auf der anderen. Und so weiter. Damals leitete dieses Komitee der österreich-französische Astronom Maurice Loewy, nach seinem Tod übernahm der Brite Samuel Saunder die Leitung. Saunder war Mathematiklehrer und Amateur-Mondkartograf, der aber schon 1905 grundlegende Arbeit leistete bei der er Positionen auf dem Mond sehr genau vermaß. Dabei stellte er auch fest, wie groß die Probleme und Unterschiede bei den damals gängigen Mondkarten waren. Ein Beispiel: Es gibt einen Krater, den der vorhin erwähnte Schmid nach dem ebenfalls erwähnten Beer benannt hat. Andere Astronomen nannten das gleiche Ding aber wahlweise “Fracatorius E” oder “Rosse”. Die gaben den Namen “Beer” wiederum einem Krater, den Schmidt “Hamilton” nannte. Auf anderen Karten fand man dann aber auch die Angabe “Rosse” allerdings nicht für einen Krater, sondern eine Ebene irgendwo ganz anders auf dem Mond.

Saunder schrieb der britischen Royal Astronomical Society dass das so nicht weiter gehen könne. Das Result war das Komitee und als Saunder dessen Leitung übernahm, holte er zur Unterstützung auch Mary Blagg dazu. Deren Rolle wurde immer wichtiger, da viele der anderen Mitglieder starben. An ihr blieb jedenfalls die meiste Arbeit hängen; bzw. erledigte sie sie freiwillig und sehr effektiv. Sie ging sämtliche wichtige Karten durch, verglich die Angaben und Koordinaten. Sie versuchte herauzufinden, welche Krater bzw. andere Strukturen der einen Karte den passenden Strukturen der anderen Karten entsprechen. Und machte sich daran, dass alles zu vereinheitlichen. 1913 veröffentlichte sie die “Collated List of Lunar Formations”, mit 4789 Einträgen die aus über 14.000 Vergleichen zwischen den Karten bestanden und von noch viel, viel mehr Referenzen auf Fachartikel und Fotografien der Mondoberfläche begleitet wurden.

Mondkarte, 18. Jahrhundert (Bild: gemeinfrei)

1919 wurde dann die Internationale Astronomische Union gegründet, um in Zukunft weltweit als offizielle Vertretung der gesamten Astronomie arbeiten zu können. Zu den von ihr gegründeten Kommissionen gehörte auch die “Kommission 17” die sich mit der Benennung der Strukturen auf dem Mond beschäftigen sollte. Das, was in dieser Kommission beschlossen wurde, sollte von da an verbindlich für die gesamte Astronomie sein. Mary Blagg wurde Mitglied dieser Komission und eines ihrer engagiertesten Mitglieder. Das war auch nötig, denn mittlerweile hatten jede Menge neue Forscher neue Karten mit – natürlich! – wieder neuen uneinheitlichen Namen produziert.

Mary Blagg musste sich also ein weiteres Mal daran machen, alle verfügbaren Daten zu prüfen, zusammenzuführen und zu vereinheitlichen. Das tat sie gemeinsam mit dem Tschechen Karl Müller, ebenfalls kein professioneller Astronom, sondern eigentlich Beamter der nur in seiner Freizeit den Himmel beobachtete und damals eigentlich schon im Ruhestand war. Sieben Jahre lang arbeiteten die beiden, bevor dann 1935 das Werk “Named Lunar Formations” veröffentlicht werden konnte. Dieses aus einem Katalog und einem Atlas bestehende Werk blieb für Jahrzehnte das absolute Standardwerk in der Selenografie. Erst 1967 wurde es durch das “System of Lunar Craters” ersetzt. Dieses Projekt wurde vom “Lunar and Planetary Laboratory” der Universität Arizona durchgeführt, mit dem Ziel, jeden Mondkrater der größer als 3,5 Kilometer ist zu erfassen. Natürlich orientierte sich man dabei an der Arbeit von Blagg und Müller und achtete darauf nicht wieder alles komplett neu und anders zu benennen.

Mittlerweile haben wir den Mond natürlich schon mit Satelliten aus der Nähe kartografiert. Der Lunar Reconnaissance Orbiter hat seit 2009 den gesamten Mond hochaufgelöst fotografiert und kartografiert; so genau dass man nun Bilder mit einer Auflösung von 50 Zentimetern pro Pixel hat. Mary Blagg hat das natürlich und leider nicht mehr miterlebt, auch nicht die Landung der ersten Menschen im Mare Tranquillitatis. Sie starb am 14. April 1944. Ihr Name aber zumindest wird weiter leben. Auf jeder Mondkarte ist im “Sinus Medii”, der “Bucht der Mitte” ein 5 Kilometer große Einschlagskrater verzeichnet, der den Namen “Blagg” trägt.

Kommentare (1)

  1. #1 B8l
    Köln
    5. Juli 2019

    Schöner Artikel. Vielen Dank dafür!

    Wann bist mal in Köln wollte ich grad fragen
    Aber ist ja am 16.10.