SG_LogoDas ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video.

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Sternengeschichten Folge 350: Pale Blue Dot

Mit “Pale Blue Dot”, also auf deutsch “blassblauer Punkt” wird ein Foto der Erde bezeichnet. Aber nicht irgendein Bild unseres Planeten. Fotografien der Erde gibt es zuhauf. Jedes Selfie; jeder Schnappschuss und jedes Urlaubsbild ist ja genau genommen ein Foto der Erde. Wir haben aber auch jede Menge Bilder die die Erde als Planet zeigen; also Bilder die aus dem Weltraum aufgenommen worden sind. Es gibt all die Satellitenbilder, die wir uns im Wetterbericht ansehen können oder auf den Online-Kartendiensten im Internet. Wenn man die Erde in ihrer Gesamtheit aufnehmen will, muss man sich aber ein wenig weiter von ihr entfernen, als es die typischen Satelliten tun. Es reicht auch nicht, nur die 300 bis 400 Kilometer zur Internationalen Raumstation zurück zu legen. Dafür braucht es Bilder von Raumsonden oder Raumschiffen, die hinaus ins Sonnensystem fliegen und im Laufe der Zeit haben wir so einige sehr schöne Bilder unseres Planeten bekommen.

Das Bild des “Pale Blue Dot” ist allerdings auf den ersten Blick alles andere als schön. Man sieht die Erde darauf nicht einmal vernünftig! Man sieht einen schwarz-grauen grisseligen Hintergrund über den sich von oben nach unten einige blass rot-grünliche Streifen ziehen. Nur wenn man ganz genau hinsieht, dann findet man in einem dieser Streifen einen winzigen, hellblauen Punkt. Das ist der “Pale Blue Dot”; das ist die Erde.

Pale Blue Dot (Bild: NASA, JPL, gemeinfrei)

Wieso aber interessiere ich mich in dieser Podcast-Folge für ein extrem schlechtes Bild unseres Planeten? Weil es eben vielleicht rein optisch betrachtet “schlecht” ist. In allen anderen Dingen aber extrem außergewöhnlich. Die Geschichte des Pale Blue Dot kann man am 5. September 1977 beginnen lassen. Da startete die Raumsonde “Voyager 1” ins All. Über diese Mission der NASA habe ich ja schon in Folge 152 ein wenig genauer gesprochen. Zusammen mit “Voyager 2” sollte sie die äußeren Planeten des Sonnensystems im Detail untersuchen. Während Voyager 2 Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun besuchen sollte, flog Voyager 1 “nur” an Jupiter und Saturn vorbei und widmete sich dann der Erforschung des großen Saturnmondes Titan. Dafür musste sie auf einer Bahn fliegen, die einen Weiterflug zu den anderen Planeten nicht mehr möglich machte. Gegen Ende des Jahres 1980 war der Vorbeiflug an Saturn und seinen Monden und damit auch die Hauptmission von Voyager 1 abgeschlossen. Sie würde sich noch immer weiter von der Sonne entfernen, ohne an irgendwelchen größeren Himmelskörpern vorbei zu kommen.

Eigentlich war sie auch nur darauf ausgelegt, bis zum Saturn zu funktionieren. Dass sie auch danach noch einsatzfähig war, war ein glücklicher Umstand. Den der amerikanische Astronom Carl Sagan mit einem ganz besonderen Vorschlag ausnutzen wollte. Über Carl Sagan und seine Arbeit könnte und müsste man vermutlich ein paar eigene Sternengeschichten-Folgen machen; in Folge 235 habe ich ja auch schon ein wenig von ihm erzählt. Heute kann ich nur kurz auf sein Schaffen eingehen. Sagan hat sich in seiner wissenschaftlichen Arbeit vor allem mit der Erforschung der Planeten beschäftigt. Er sagte in den 1960er Jahren voraus, dass die Venus ein extrem heißer Himmelskörper ist, was erst später bestätigt werden konnte, als dort die ersten Raumsonden landeten. Er hatte darüber spekuliert, dass es auf dem Jupitermond Europa einen unterirdischen Wasserozean geben könnte, was sich ebenfalls als korrekt heraus gestellt hat. Er hat die Jahreszeiten und Staubstürme auf dem Mars erforscht, sich mit der Suche nach außerirdischem Leben beschäftigt und die Disziplin der Astrobiologie mitbegründet. Und er war an den großen Planeten-Forschungsmissionen der NASA beteiligt, unter anderem beim Voyager-Programm.

Den allermeisten Menschen ist Sagan aber vor allem für seine Arbeit als Wissenschaftsvermittler bekannt. Er schrieb und präsentierte die berühmte Fernsehserie “Cosmos”; er schrieb einige populärwissenschaftliche Bücher und sein Roman “Contact”, der vom Empfang einer außerirdischen Botschaft berichtet, wurde 1997 erfolgreich fürs Kino verfilmt. Sein ganzes Leben lang hat Sagan sich bemüht, möglichst vielen Menschen die Faszination des Universums zu vermitteln und das war auch der Grund, warum er vorschlug, ein ganz besonderes Bild der Erde zu machen.

Warum nicht, so Sagan, die Raumsonde umdrehen und sie zurück in Richtung Sonne und Erde blicken lassen. Man könnte ein Bild unseres Planeten machen aus einer so großer Entfernung wie er noch nie beobachtet worden war. Und wenn man daraus auch vermutlich nicht viel für die Wissenschaft lernen konnte, war Sagan doch überzeugt, dass so ein Bild großen Wert hätte um über den Platz der Menschen im Universum nachzudenken.

So eine Aufnahme konnte aber nur gemacht werden, nachdem die eigentlichen Aufgaben von Voyager 1 erledigt waren. Die Sonde war nicht dafür ausgelegt, in Richtung Sonne zu schauen und man hatte Angst, dabei die Kamerasysteme zu beschädigen. Erst lange nach Beendigung der wissenschaftlichen Mission entschied die NASA daher, das Risiko einzugehen. Am 14. Februar 1990 blickte die Sonde nun aus einer Entfernung von mehr als 6 Milliarden Kilometer zurück zur Erde um ein letztes Bild unseres Planeten zu machen. Und nicht nur von der Erde; man machte ein ganzes “Familienfoto” auf dem neben der Erde auch noch die Sonne, Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun und die Venus zu sehen waren. Merkur und Pluto waren zu klein um abgebildet zu werden und Mars befand sich damals zu nahe an der Sonne und wurde von ihrem Licht überstrahlt. Insgesamt wurden 39 Weitwinkel- und 21 Teleaufnahmen gemacht aus denen man ein Mosaik der Planeten des Sonnensystems zusammensetzte.

Eine der Aufnahmen ist das von mir anfangs beschriebene Bild mit dem hellblauen Punkt und den farbigen Streifen. Die entstanden übrigens durch Sonnenlicht das von Teilen der Kamera reflektiert wurde, die, wie gesagt, nicht für den Blick in Richtung Sonne ausgelegt war. Die Erde, die sich mitten in einem dieser Reflexe befindet, ist tatsächlich kaum zu sehen. Das ganze Bild hat 640.000 Pixel; die Erde nimmt nur 12 Prozent eines einzigen Pixels ein! Das endgültige Bild entstand aus drei Einzelaufnahmen die mit einem blauen, grünen und violetten Farbfilter gemacht und dann überlagert worden sind.

Die blass-hellblaue Farbe der winzigen Erde auf diesem Bild ist ein wenig ungewohnt; wir kennen unseren Planeten als tiefblauen Himmelskörper auf dem weiße Wolken oder braun/grüne Landmassen zu sehen sind. Aus der gewaltigen Entfernung von Voyager 1 sieht man aber nur eine Mischung des blauen Lichts (das von der Atmosphäre der Erde stärker gestreut wird als der rote Anteil des Sonnenlichts) und des weißen Lichts das von den Wolken reflektiert wird.

Voyager, fliegt übrigens immer noch (Bild: NASA)

Nach der Aufnahme dauerte es noch bis zum Mai 1990 bevor das Bild zurück zur Erde geschickt werden konnte. Der Öffentlichkeit präsentiert hat es Sagan erst 1994, als er auch ein Buch mit dem Titel “Pale Blue Dot: A Vision of the Human Future in Space”* veröffentlichte (das auf deutsch unter “Blauer Punkt im All: Unsere Zukunft im Kosmos”* erschienen ist). Der Titel deutet schon an, wie Sagan das Bild der Erde interpretierte. Es geht um den extrem ungewohnten Blickwinkel den uns die Beobachtung unserer eigenen Heimat aus der großen Entfernung liefert. Wir sind daran gewöhnt die Erde von unserer Warte als Bewohner dieses Planeten aus zu betrachten. Wir leben AUF dem Planeten und im Vergleich zu uns selbst ist er so groß, dass wir gar nicht wahrnehmen, dass wir uns auf einem Himmelskörper befinden, der nur einer von vielen mitten im leeren All ist. Ein Himmelskörper, der – damals wie heute – der einzige bekannte Himmelskörper ist, auf dem wir leben können. Den wir daher auch entsprechend behandeln sollten. Der blassblaue Punkt im All zeigt uns auch, wie verletzlich wir potentiell sind; wie wichtig es vielleicht wäre, uns nicht nur eine einzige Heimat sonderen mehrere im All zu suchen.

Aber all das was es über den Pale Blue Dot zu sagen gibt, hat Carl Sagan viel besser gesagt als ich es könnte. Ich zitiere daher jetzt zum Abschluss aus dem Vortrag, den er am 13. Oktober 1994 an der Cornell-Universität über diese Aufnahmen gehalten hat:

“Es ist uns gelungen, dieses Bild [aus dem tiefen Weltraum] aufzunehmen, und wenn man es betrachtet, sieht man einen Punkt. [Dieser Punkt] ist hier. Er ist unser Zuhause. Wir sind das. Darauf hat jeder, von dem ihr je gehört habt, jeder Mensch, der je gelebt hat, sein Leben gelebt. Die Gesamtheit aller unserer Freuden und Leiden, Tausender von sich selbst überzeugten Religionen, Ideologien und ökonomischer Doktrinen, jeder Jäger und Sammler, jeder Held und Feigling, jeder Schöpfer und Zerstörer von Zivilisationen, jeder König und Bauer, jedes verliebte junge Paar, jedes hoffnungsvolle Kind, jede Mutter, jeder Vater, jeder Erfinder und Entdecker, jeder Lehrer der Moral, jeder korrupte Politiker, jeder Superstar, jeder oberste Führer, jeder Heilige und Sünder in der Geschichte unserer Spezies lebte dort auf einem Staubkorn in einem Sonnenstrahl.

Die Erde ist eine sehr kleine Bühne in einer riesigen kosmischen Arena. Denken Sie an die Ströme des von all diesen Generälen und Kaisern vergeudeten Blutes, auf dass sie in Herrlichkeit und Triumph für einen Moment Meister eines Bruchteils dieses Punktes würden. Denken Sie an die endlosen Grausamkeiten, die von den Bewohnern einer Ecke des Punktes an kaum unterscheidbaren Bewohnern einer anderen Ecke des Punktes begangen wurden. Wie häufig ihre Missverständnisse sind, wie eifrig sie darin sind, einander zu töten, wie glühend ihr Hass ist. Unser [stolzes] Posieren, unsere eingebildete Wichtigkeit, unser Irrtum einer privilegierten Position im Universum wird von diesem blassen blauen Punkt hellen Lichts in Frage gestellt.

Unser Planet ist eine einsame Flocke in der großen umhüllenden kosmischen Dunkelheit. In unserer Dunkelheit – in all dieser Weite – gibt es keinen Hinweis, dass Hilfe von anderswo kommen wird, um uns vor uns selbst zu retten. Man sagte, dass Astronomie eine bescheiden machende, und ich könnte hinzufügen, eine charakterbildende Erfahrung ist. Meiner Meinung nach gibt es vielleicht keine bessere Demonstration der Dummheit der menschlichen Einbildungen als dieses ferne Bild von unserer kleinen Welt. Mir unterstreicht sie unsere Verantwortung, freundschaftlicher und mitleidsvoller miteinander umzugehen und diesen blassblauen Punkt, das einzige Zuhause, das wir je gekannt haben, zu bewahren und zu pflegen.”

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Kommentare (3)

  1. #1 Ernst der Lage
    Blasser blauer Punkt
    9. August 2019

    Oh Mann, ich hab echt gerade Pipi in den Augen. Sehr ergreifend. Danke schön!

  2. #2 rauskucker
    9. August 2019

    Es gibt diesen wunderschönen Text von Sagan auch als Vortrag, von ihm selbst vorgelesen, in diversen Videos verfügbar. Hier eins mit deutschen Untertiteln. (Die Übersetzung stammt bescheidenerweise von mir.)

  3. #3 Joachim Uhrlaß
    Altenburg
    10. August 2019

    Vielen Dank für diese wunderbare Reminesenz. Im wahrsten Sinne auf den Punkt gebracht. Sagans Worte geb ich morgen einem Hochzeitspaar mit. Danke Danke für diesen schönen Podcast Beitrag!