Langsam wird es ein wenig deprimierend. Das letzte Mal bin ich gemeinsam mit den Science Busters am 5. März auf der Bühne gestanden. Seitdem wären über ein Dutzend weiterer Termine unserer neuen Show “Global Warming Party” auf dem Programm gestanden (u.a. in Wildon, Wien, Passau, München, nIngolstadt, Grafenwörth, Salzburg, Leipzig, Dresden, Berlin, Wien); dazu noch die diversen Vorträge die ich ohne meine Kabarettkollegen gehalten hätte. Aber nix davon findet statt, was das Leben nicht nur langsam langweilig macht sondern sich auch finanziell niederschlägt. Was mir bleibt ist das Schreiben zuhause, weswegen ich die abgesagte Tour zumindest schriftlich weiterleben lasse und jedesmal wenn ich irgendwo nicht hinfahre einen Artikel über die Wissenschaft schreibe, die man an diesem Ort erleben hätte können (zu diesen Artikel führen auch die Links weiter oben; hätte ich vielleicht gleich dazu sagen sollen).

Heute Abend wären wir wieder einmal im großartigen Wiener Stadtsaal aufgetreten. Das ist ein wunderbares Theater; mitten in Wien und ich freu mich schon auf den Tag an dem ich dort wieder auf der Bühne stehen kann. Geht aber heute noch nicht, weswegen ich stattdessen mal geschaut habe, was Mariahilf so an Wissenschaft zu bieten hat. “Mariahilf” ist der 6. Wiener Gemeindebezirk und so wie letzte Woche, als wir nicht im 22. Bezirk aufgetreten sind, war die Wissenschaft auch hier nicht schwer zu finden. Denn in Mariahilf wurde am 23. Juni 1810 Fanny Elßler geboren. Bzw. wurde sie genaugenommen in Gumpendorf geboren; damals noch nicht Teil von Wien sondern erst seit 1850. Elßler war Tänzerin; eine der bekanntesten im 19. Jahrhundert und hatte mit Wissenschaft nicht viel zu tun. Aber es geht auch nicht um sie persönlich, sondern um das, dem sie ihren Namen geliehen hat.

Fanny Elßler (Bild: gemeinfrei)

Und zwar die berühmte Venus vom Galgenberg. Der besagte Galgenberg liegt ein Stück abseits von Wien, in Stratzing. Das ist nur eine kleine Laufrunde durch schöne Weingarten von meiner alten Heimat Krems an der Donau entfernt. Und wenn man dort so durch die Gegend läuft, trifft man auf ein paar Hinweistafeln die davon berichten, was dort im September 1988 aus der Erde gegraben wurde. Schon 1942 fand man dort Knochen und Artefakte aus der Altsteinzeit. 1985 wurden weitere Fundstücke entdeckt und die Grabung offiziell von der Wissenschaft in die Hand genommen. 1986 war Christine Neugebauer-Maresch vom Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Wien die Leiterin der Grabung. Und daher auch mit dabei, als man dort im September 1986 eine kleine Steinfigur fand.

7,2 Zentimeter groß und nur 10 Gramm schwer, hinten flach und vorne plastisch ausgestaltet. Nicht groß, aber man erkennt auf den ersten Blick dass man es mit einer menschlichen Figur zu tun hat. Menschliche Figuren aus der Steinzeit kannte man aus der Gegend schon; 1908 wurde nicht allzu weit entfernt von Stratzing die berühmte “Venus von Willendorf” aus der Erde geholt. Auch in der Plastik vom Galgenberg kann man eine Frau erkennen und zwar eine die gerade tanzt. Das inspirierte die Archäologinnen und Archäologen ihr den Spitznamen “Fanny” zu geben; eben nach Fanny Elßler aus Mariahilf. Heute wird sie “Fanny vom Galgenberg” oder meist als “Venus vom Galgenberg” bezeichnet (obwohl manche in der Figur auch einen männlichen Jäger zu erkennen glauben).

Venus vom Galgenberg (Bild: Aiwok, CC-BY-SA 3.0 AT)

Was sie tatsächlich darstellt und warum die Menschen der Steinzeit diese Figur geschnitzt haben wird vermutlich immer unbekannt bleiben. Was man aber auf jeden Fall kennt ist das Alter der Figur: 36.000 Jahre! Das macht sie zur ältesten Venusfigur der Welt und enorm faszinierend. Wer demnächst mal den Wiener Stadtsaal besuchen sollte, kann davor noch ein wenig die Mariahilferstraße hinab Richtung Ringstraße spazieren und wird dort das Naturhistorische Museum kaum verfehlen. Geht hinein, da gibt es jede Menge zu sehen und unter anderem auch die Venus vom Galgenberg (die Venus von Willendorf übrigens auch). Ich war schon oft dort und bin immer wieder beeindruckt. Irgendein ein Mensch hat diese Figur gemacht, vor 36.000 Jahren. Ein Mensch, der in einer völlig anderen Welt gelebt hat als ich es heute tue. Ein Mensch, der ein völlig anderes Leben geführt hat. Mit völlig anderen Problemen und Wünschen. Mit völlig anderen Mythen und einem völlig anderen Bild der Welt. Aber eben trotzdem immer noch genau so ein Mensch wie ich es heute bin. Mit einem Sinn für Kunst und Kultur, für Ästhetik und Gedanken die über das reine Überleben hinaus gegangen sein müssen. Das zeigt die Venus vom Galgenberg: Sie erlaubt uns einen Blick zurück; nicht nur in die Vergangenheit sondern in die Gedankenwelt Menschen die damals gelebt haben.

Archäologie ist kein Teil der Science Busters Show die heute Abend nicht in der alten Heimat von Fanny Elßler stattfinden kann. Es gibt viel zu viel coole Wissenschaft um sie in einem einzigen Theaterabend unterbringen zu können. Aber das macht nichts. Die Welt wäre ja auch langweilig, wenn sie nicht mehr Stoff als für ein paar Stunden Unterhaltung zu bieten hätte! Wer weiß, was da noch alles in der Erde liegt und unser Wissen in Zukunft erweitern wird…
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Die abgesagteste Tour des Wissenschaftskabaretts

Kommentare (4)

  1. #1 Christian Berger
    26. Mai 2020

    In Mariahilf saß ich mal neben einer Nobelpreisträgerin, hab mich aber nicht getraut sie anzusprechen weil sie gerade in einem Gespräch war.

  2. #2 Florian Freistetter
    26. Mai 2020

    @Christian: Österreichische Nobelpreisträgerinnen sind selten… Elfriede Jelinek?

  3. #3 Christian Berger
    26. Mai 2020

    Nein es war die Elisabeth Oberzaucher, die hat den Nobelpreis für ihre Arbeit über die Reproduktionsaktivitäten von Mulai Ismail erhalten.

  4. #4 Florian Freistetter
    26. Mai 2020

    @Christian: Achso – den IG-Nobelpreis 😉 Der zählt nicht 😛