SG_LogoDas ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video.

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Sternengeschichten Folge 333: Wilhelm Herschel und die Bewohner der Sonne

“Ich halte mich für befugt aufgrund astronomischer Prinzipien die Sonne als eine bewohnte Welt zu bezeichnen”. Das hat nicht irgendein Spinner gesagt, sondern Wilhelm Herschel, einer der bedeutendsten Astronomen des 18. und 19. Jahrhundert. Herschel war derjenige, der den Planet Uranus entdeckt hat, im Jahr 1781. Das war das erste Mal, das ein Mensch ein neuen Planeten im Sonnensystem entdeckt hat und Herschel ist dadurch zu Recht berühmt geworden. Auch auf anderen Gebieten hat er wichtige astronomische Arbeit geleistet. Was die Bewohner der Sonne angeht ist er allerdings ein klein wenig daneben gelegen.

Da wohnt wer!

Eigentlich wollte Herschel etwas über die Sonnenflecken heraus finden. Damals, im 18. Jahrhundert, wusste man schon seit fast 200 Jahren definitiv, dass es diese Flecken gab. Früher hat man sie zwar auch schon beobachtet, aber aus philosophischen und religiösen Gründen ihre Existenz nicht anerkennen wollen. Darüber habe ich ja schon in Folge 80 der Sternengeschichten mehr erzählt und auch, worum es sich bei den dunklen Flecken auf der Sonnenoberfläche wirklich handelt. Es sind Bereiche, in denen die Sonne ein klein wenig kühler ist und von denen uns deswegen auch ein bisschen weniger Licht erreicht. Als Herschel 1795 aber seinen Fachartikel “Über die Natur und den Aufbau der Sonne und der Fixsterne” veröffentlichte, wusste man davon noch nichts.

Die meisten Astronomen der damaligen Zeit dachten sowieso, dass es sich bei den Flecken nicht um Phänomene auf der Sonne handelte, sondern um kleine Himmelskörper die zwischen uns und der Sonne vorüber ziehen. Herschel aber war der Meinung, es wären Berge. Denn die Sonne habe eine feste Oberfläche; sie sei eigentlich nicht sonderlich anders als die Erde. Nur halt größer. Und von einer Atmosphäre umgeben, die leuchtet. Und die Sonnenflecken seien nur Berggipfel, die ab und zu aus dieser leuchtenden Gasschicht heraus ragen beziehungsweise Lücken in der Sonnenatmosphäre durch die wir auf die dunkle Oberfläche darunter blicken können.

Das erscheint uns nach heutiger Sicht natürlich vollkommen irre. Aber ein klein wenig muss man Herschel schon in Schutz nehmen. Die Idee, dass die Sonne nicht nur ein Himmelskörper wie die Erde sein könnte sondern noch dazu bewohnt, die war aus damaliger Sicht nicht ganz so absurd wie sie heute klingt. Denn man wusste ja nicht, was Sterne WIRKLICH sind. Und in welcher Hinsicht sie sich von Planeten unterscheiden.

Ein wenig vor Herschels Zeit, im Jahr 1440 verfasste der deutsche Gelehrte Nikolaus von Kues zum Beispiel sein Buch “Die gelehrte Unwissenheit”. Darin schreibt er: “Betrachtet man nämlich den Körper der Sonne, dann besitzt er in der Mitte etwas, das der Erde gleicht und im Umkreis etwas Lichthaftes, das Feurige, und dazwischen eine Art Wasserwolke und klarere Luft; er besitzt die dieselben Elemente wie die Erde.” Oder etwas anderes ausgedrückt: Die Sonne ist wie die Erde, ist aber von einer leuchtenden Schicht umgeben. Die kann man aber nur von außen wahrnehmen, nicht von der Sonne selbst. Und nicht nur sei die Sonne wie die Erde, so Kues, die Erde sei auch wie Sonne. Würden wir von außen auf die Erde blicken, würden wir auch hier eine leuchtende Schicht sehen, die sie umgibt. Und all die Sterne am Himmel seien nichts anderes als Planeten wie die Erde! Das war für das 15. Jahrhundert eine durchaus fortschrittliche Weltsicht; immerhin ging Kues davon aus, dass die Sterne nicht irgendwas seltsam Göttliches sind oder irgendwelche Lichter an einer Kristallsphäre am Ende des Universums. Sondern reale Dinge; echte Welten wie auch die Erde eine ist. Aber er lag natürlich trotzdem völlig falsch.

So hat Herschel sich das vorgestellt: Oben leuchtende Wolken, unten kühler Boden.

Es hat bis zum 20. Jahrhundert gedauert, bis Albert Einstein seine Relativitätstheorie veröffentlicht hat, mit der berühmten Formel E=mc² mit der man erklären kann, wie aus der Fusion oder Spaltung von Atomen Energie gewonnen werden kann. Bis dahin hatte man keine wirklich gute Idee, wie die Sonne ihr Licht erzeugt. Manche dachten, sie wäre einfach nur eine große Kugel aus Kohle, die halt brennt. Phänomene wie Licht oder Wärme waren damals überhaupt noch nicht vernünftig verstanden; auch das haben wir erst im Zuge der Quantenmechanik im 20. Jahrhundert kapiert.

Herschel jedenfalls hatte kein Problem damit, auf die Ideen von Nikolaus von Kues zurück zu greifen und sie ein bisschen auszubauen. Er stellte sich eine Sonne vor, deren Atmosphäre hell leuchtet und auf der es trotzdem kühl ist. Licht muss nicht unbedingt auch heiß sein, war er überzeugt. Die Wärme würde nicht auf der Sonne entstehen, sondern erst auf der Erde und zwar durch eine spezielle Substanz in unserer Atmosphäre. Dieses “kalorische Medium” gibt es bei uns, aber nicht auf der Sonne, so Herschel, und deswegen ist es auf der Sonne auch nicht so heiß.

Und wenn die Sonne so ähnlich ist wie die Erde, dann muss da auch wer leben! Auch diese Ansicht war damals keineswegs absurd. Heute haben wir die Planeten des Sonnensystems mit Raumsonden aus der Nähe erforscht. Am Mond sind wir sogar selbst gewesen. Wir haben gesehen, dass es sich um leblose und lebensfeindliche Welten handelt. Wir wissen, dass der Mars eine Eiswüste und die Venus eine Gluthölle ist. Wir wissen, das Planeten wie Jupiter und Saturn nur gewaltige Gaskugel ohne feste Oberfläche sind. Wir wissen, dass wir Menschen auf der Erde im Sonnensystem die einzigen höher entwickelten Lebewesen sind und wir wissen, dass es anderswo im Universum zwar auch Planeten gibt, die andere Sterne umkreisen – aber wir wissen auch, wie unwahrscheinlich es ist, dort irgendwo intelligente Wesen zu finden.

Zu Herschels Zeit haben die Menschen noch anders auf die Welt geblickt. Die Wissenschaft war noch viel stärker von religiösen Ansichten durchsetzt. Die Vorstellung, das Universum und all die Sterne und Planeten könnten “einfach so” entstanden sein, ohne Schöpfer und vor allem ohne irgendeinen speziellen Zweck: DAS war für die Menschen damals absurd. Wenn da eine Welt ist, so wie die Erde, auf der Menschen leben, dann muss dort auch irgendwer leben. “Gott” würde ja nicht einfach so einen Himmelskörper ins Universum schmeißen ohne sich was dabei gedacht zu haben.

Herschel war bei weitem nicht der einzige, der so gedacht hat. Johannes Kepler etwa, der die Astronomie zu Beginn des 17. Jahrhunderts revolutioniert hat, schrieb in seinem berühmten Buch “Astronomia Nova” nicht nur über die Bewegung der Planeten und dass sie sich nicht um die Erde sondern um die Sonne drehten. Sondern auch, was er von der Entdeckung seines Kollegen Galileo Galilei hielt. Der hatte kurz zuvor die Monde des Jupiter entdeckt. Ein Beweis dafür, so Kepler, dass auch auf dem Jupiter Leute leben.

Jupiter – alles voll mit Astrologen! (Bild: NASA/JPL/Uni Arizona)

Denn unser eigener Mond spiele ja eine große Rolle in der Astrologie. Kein Horoskop kommt ohne Mond aus und wenn man vernünftig Astrologie treiben will, meinte Kepler, braucht man ausreichend Himmelskörper dafür. Sieht man mal davon ab, dass es sowieso unmöglich ist, eine Pseudowissenschaft wie Astrologie “vernünftig” zu betreiben, dann ist Keplers Argument in gewisser Hinsicht logisch. Die potentiellen Bewohner des Jupiters sind so weit von Venus, Merkur oder der Erde, dass sie diese Planeten von dort aus vermutlich gar nicht beobachten können. Und als Ausgleich und damit sie auch am Jupiter Horoskope erstellen können, gibt es eben die Jupitermonde.

Diese Argumentation ist aus heutige Sicht natürlich ebenfalls extrem absurd. Aber sie illustriert sehr gut, dass man sich damals eben nicht vorstellen konnte, dass Himmelskörper einfach so existieren. Sie müssen immer einen Zweck haben und der beste Zweck ist es natürlich, von Leuten bewohnt zu werden. Deswegen war es aus damaliger Sicht nur natürlich davon auszugehen, dass alle Himmelskörper die man sehen konnte, auch bewohnt sind. Der Mond ebenso wie die Sonne und die anderen Planeten.

Über die Bewohner von Mond oder Sonne zu spekulieren war damals auch in wissenschaftlichen Kreisen nichts Anrüchiges. Der englische Geistliche Tobias Swinden ging im Jahr 1714 sogar so weit zu behaupten, dass die Sonne der reale Ort im Universum ist, an dem sich die christliche Hölle befindet. Heute wissen wir, dass die Sonne ein Stern ist, der aus einer gigantischen Menge an heißem Gas besteht. Der in seinem Inneren über 10 Millionen Grad und an seiner Oberfläche immer noch 5000 Grad heiß ist. Ein Himmelskörper, der definitiv nicht geeignet für Lebewesen ist. Die Episode von Wilhelm Herschel und den Bewohnern der Sonne ist aber trotzdem nicht nur eine amüsante Anekdote. Sie erinnert uns auch daran, dass wir uns nie allzu sicher sein sollten, wenn wir denken, wir hätten verstanden wie die Welt funktioniert. Wer weiß, was die Menschen der Zukunft von all dem halten, was wir heute treiben und behaupten. Und auch wenn wir uns das heute noch absolut nicht vorstellen können: Wer weiß, ob Leben in irgendeiner seltsamen Form in oder auf einem Stern nicht doch möglich sein kann…

Kommentare (4)

  1. #1 Heino Wedig
    Eckernförde
    12. April 2019

    Ein schönes Beispiel dafür, dass auch Wissenschaft sich immer in einem historischen und gesellschaftlichen Kontext befindet. Wer weiss, welche Spekulationen von uns in 200 Jahren als Beispiel für absurde Fehlinterpretationen dienen. Vielen Dank für den interessanten Artikel.

  2. #2 Christian Berger
    12. April 2019

    Es ist schon immer faszinierend zu sehen wie viel von unserem heutigen Wissen gerade mal 100 Jahre alt ist.

    Übrigens um noch ein Stück mehr Absurdität rein zu bringen, hier ein Ausschnitt aus einer Britischen Fernsehastronomieshow über Herschel in der der Moderator erst mal über ihn erzählt und dann ein Stück von ihm spielt:

  3. #3 werner
    13. April 2019

    “Wer weiß, ob Leben in irgendeiner seltsamen Form in oder auf einem Stern nicht doch möglich sein kann…”
    Da fällt mir spontan “Dragons Egg” von Robert L. Forward ein. Who knows…

  4. #4 rolak
    13. April 2019

    Wer weiß, ob?

    Kevin! Der verfasste eine 7bändige Doku über ua die Faeros.