Dieser Basics-Artikel, der auch eine hilfreiche Lektüre für die neue Krebs-Serie in blooD’N’Acid sein kann, erklärt das Phänomen des „porgrammierten Zelltods”.


Eine kalte Roboterstimme sagt: „Selbstzerstörung in 10 Sekunden. 10 – 9 – 8 – 7 – 6 –…” eine Tür fliegt auf, ein meist arg ramponierter, schwitzender Mann stürzt herein, öffnet hektisch eine Klappe in einer Konsole, starrt in ein Gewirr von Kabeln und Schaltkreisen und reißt schließlich das blaue heraus… „2 – 1 – …. Abbruch der Selbstzerstörungssequenz”. Puh… gerade noch geschafft. Aber wozu gibt es diese Selbstzerstörungsmechanismen (also außer, um die Enden von Actionfilmen spannender zu machen)? Meist, um das zu zerstörende Objekt vor Zugriff oder Übernahme von Feinden, Unbefugten o.ä. zu schützen, selbst wenn dazu seine vollständige Vernichtung in Kauf genommen werden muß.

Und genau so ein Mechanismus findet sich auch in unseren Zellen, man bezeichnet ihn als „Apoptose“.
Der Begriff Apoptose (altgr. ἀπόπτωσις apoptosis, von ἀποπίπτειν apopiptein ‚abfallen’) kommt aus dem Griechischen und ist auf den fast schon romantischen Vergleich mit dem herbstlichen Abfallen der Blätter zurückzuführen. Körperzellen, die nicht länger benötigt werden, „fallen” ab, werden also auf sanfte Weise entfernt. Man kann das wirklich so sagen, denn durch Apoptose läßt sich eine Zelle auf eine für den Körper völlig unschädliche, physiologische Weise entfernen – im Gegensatz zur pathologischen Nerkrose bei der die Zellen platzen und all ihre ungustiösen Inhalte in der Umgebung verstreuen, wodurch es u.a. zu Entzündungen kommt. Man könnte sagen, die Apoptose verhält sich zur Nekrose, wie eine kontrollierte Sprengung in einer Nachbarschaft, die genau ein Gebäude harmlos zum Einsturz bringt, zu einem Terrorangriff mit Sprengstoff, bei dem umstürzende Gebäude und umherfliegende Trümmer einen ganzes Viertel zerstören. Und weil sie nach einem exakten Programm und unter strenger Regulation abläuft, bezeichnet man sie auch als „programmierten Zelltod”.
Bevor ich aber erkläre, wie die Apoptose in der Zelle verwirklicht wird, sehen wir uns an, wann es überhaupt zur Apoptose kommt: Die Apoptose ist wie ein „Not-Aus”-Knopf, ein Mechanismus, der Zellen, die aus verschiedenen Gründen nicht mehr zu retten, zu reparieren oder zu gebrauchen sind, schonend aus dem Organismus entfernt. So etwas ist nötig, wenn z.B. das Erbgut einer Zelle irreparabel beschädigt oder die Zelle von einem Virus infiziert ist. Im ersten Fall läuft die Zelle Gefahr, zu entarten und zur Gründerzelle eines Tumors zu werden, im zweiten Fall würde sie bald zu einer Produktionsstätte neuer Viren – beides ist für den Organismus sehr kritisch und so hat es sich als äußerst vorteilhaft erwiesen, solche Zellen rechtzeitig zerstören zu können.

Neben solchen „Not-Aus”-Situationen wird die Apoptose aber auch „gestalterisch” eingesetzt, um z.B. beim Menschen die Interdigitalhäute (Häute zwischen Fingern und Zehen) zu entfernen, die beim Embryo ursprünglich noch angelegt werden, um Gewebe zu verjüngen (Riechepithel), um die Lichtdurchlässigkeit der Augenlinse zu gewährleisten, indem störende Zellen eliminiert werden, um eine korrekte Verschaltung von Hirnstrukturen herzustellen (sozusagen zur Vermeidung von Kurzschlüssen) und Plastizität im zentralen Nervensystem zu ermöglichen und allgemein zur Aufrechterhaltung der Homöostase, indem die Zellzahl und damit die Größe von Geweben apoptotisch kontrolliert wird.
Eine ganz besonders wichtige Funktion übt die Apoptose auch beim Immunsystem aus. Ein sehr hoher Anteil aller neu gebildeten B- und T-Immunzellen ist, nachdem sie ihre DNA modifiziert haben, um sich für die Abwehr ganz spezieller äußerer Gefahren, wie Bakterien oder Viren zu perfektionieren, unbrauchbar oder sogar gefährlich für den Körper (wenn sie z.B. statt Krankheitserreger körpereigene Moleküle erkennen). Sie durchlaufen daher zwei sehr strenge Selektionsprozesse, bevor sie „freigegeben” werden und das Immunsystem verstärken können. Sollten sie diese Tests nicht bestehen, wird bei ihnen die Apoptose eingeleitet, was neben ihrer schonenden Eliminierung den weiteren Vorteil hat, daß die Zellbestandteile „recycelt”, also von anderen Zellen aufgenommen und wiederverwertet werden können.
Man sieht also: die Apoptose ist eine äußert wichtige und sehr zentrale Funktion von Zellen, die besonders bei Krebszellen sehr „gefürchtet” ist, denn eigentlich müsste das Chaos, das diese Zellen in sich anrichten, ziemlich bald für die Auslösung ihrer Selbstzerstörung sorgen. Es wundert also nicht, daß einer der ersten Tricks, den viele Krebszellen lernen, die Umgehung der Apoptose ist. Dazu aber später mehr, im Rahmen der Serie über Krebs.

Aber wie funktioniert Apoptose? Wie zerstören sich die Zellen selbst? Das ganze ist, wie so vieles in der molekularen Zellbiologie, sehr kompliziert und keineswegs vollständig erforscht. Ich bescheide mich daher damit, hier zwei Hauptarten vorzustellen ohne allzusehr ins Detail zu gehen: die extrinsische, von außen ausgelöste und die intrinsische, von der Zelle selbst ausgelöste Apoptose.

Die extrinsische Apoptose ist für den Körper die Möglichkeit, nicht mehr benötigte oder gar gefährliche (z.B. infizierte) Zellen zu entfernen. Im Immunsystem zum Beispiel gibt es cytotoxische T-Zellen, die mit einem Virus infizierte Zellen von außen erkennen können und dann Botenstoffe (=Liganden) abgeben, die an ein Empfängermolekül das alle Zellen auf ihren Oberflächen tragen (=Rezeptor) binden und damit in der Zelle eine Kaskade von Prozessen in Gang setzt, an deren Ende die Apoptose steht.

Vorschaubild für extrinsisch.jpg

Im Bild sieht man, wie der Todesrezeptor einer Zelle ein Signal von außen erhält, es durch die Zellmembran nach innen weiterleitet und so die Apoptosekaskade initiiert. Ganz wichtig für die Ausführung der Apoptose sind dabei die sogenannten Caspasen, Enzyme, die gezielt andere Proteine an bestimmten Stellen zertrennen und damit zerstören können. Caspasen sind also gefährlich für die Zellen und müssen daher gut kontrolliert und gesichert sein: sie funktionieren erst, wenn sie „angeschaltet” werden.
Genau das geschieht durch die extrinische Apoptoseeinleitung. Hierbei wird immer die Caspase 8 aktiviert. Diese wiederum aktiviert dann die Caspasen 3, 6 und 7 – das sind die sogenannten Effektorcaspasen, die dann in der Zelle sozusagen die Abrissarbeiten übernehmen, indem sie das zelluläre Inventar darunter auch die DNA zerlegen.

Bei der intrinsischen Apoptose ist das ganze noch deutlich komplizierter.

Vorschaubild für intrinsisch.jpg

Hier löst ein zellinterner Stimulus die Apoptose aus. Dieser Stimulus kann vieles sein, z.B. ein unphysiologischer pH-Wert, ein Mangel an Glucose oder irreparabel beschädigte DNA (z.B. durch UV-Licht oder Chemikalien). Bestimmte Proteine, die die Beschädigung registrieren können, z.B. das „berühmte” p53 signalisieren dann: „hat keinen Zweck mehr. Abschalten!”. Ob letztlich tatsächlich die Apoptose eingeleitet wird, ist dann noch abhängig von einer Vielzahl von Einflussgrößen (, deren detaillierte Beschreibung den angestrebten Rahmen dieses Artikels pulverisieren würde). Im Bild sieht man eine Reihe von Proteinen, die diesen zellulären Signalweg modifizieren (Noxa, Puma, Bak, Bax) und einige andere, z.B. BCL-2, die die Apoptose hemmen können (was unter bestimmten Umständen ebenfalls sinnvoll sein kann). Erst wenn nach Integration aller zellulären pro- und antiapoptotischen Signale der proapoptotische Stimulus überwiegt (das ist nicht ganz unähnlich dem „Entscheidungsprozess” in Nervenzellen, darüber ob ein Aktionspotential ausgelöst wird oder nicht, indem Signale aus hemmenden und erregenden Nervenzellen zusammengefasst werden), wird das Mitochondrium zur Freisetzung von „Cytochrom c” veranlasst.
Danach gibt es dann kein Zurück mehr: zusammen mit dem Protein Apaf 1 bildet sich ein Komplex, das sogenannte „Apoptosom”, welches die Caspase 9 aktivieren kann. Die so scharf geschaltete Caspase 9 aktiviert ihrerseits die Effektorcaspasen, die wir oben schon kennengelernt haben und wir wissen ja jetzt, was diese anrichten: die Zelle stirbt.

So wie auf diesem Bild sehen apoptotische Zelle aus. Sie schrumpfen und runden sich ab und man erkennt noch das „membrane blebbing” (sieht ein bißchen so aus, als würde die Zellmembran Blasen werfen), die Kondensation des Chromatins, die Fragmentierung des Zellkerns und einen Verlust der Adhäsion. Es bilden sich die typischen “apoptotischen Körperchen”, die sich Makrophagen und/oder benachbarten Zellen einverleiben (= phagozytieren). Im Inneren der Zelle, nicht mikroskopisch beobachtbar aber biochemisch nachweisbar, werden die DNA und intrazelluläre Proteine und Strukturen in Stücke zerlegt. Was also von der Zelle übrig bleibt ist, ist sehr überschaubar, recyclebar und – das ist wichtig – unschädlich für die Umgebung der Zelle.

Die sehr schematische Darstellung dieser beiden Wege der Apoptoseeinleitung sollte übrigens nicht dazu verleiten, sie sich als völlig isoliert voneinander vorstellen, denn es gibt durchaus Schnittstellen und Wechselwirkungen zwischen ihnen, die – wie so oft in der Biologie – alles noch viel komplizierter machen. Hinzu kommt, daß es mit der sogenannten „Nekroptose” ohnehin ein Phänomen gibt, das insofern eine Schnittmenge von Apoptose und Nekrose darstellt, als es Charakteristika von beiden aufweist. Darüber hinaus kennt man noch die Prozesse der Autophagie, bei der die Zelle Teile von sich selbst verdaut, und der Seneszenz, ein “Alterseffekt” bei Zellen, der u.a. verhindert, daß sie sich weiter teilen, die ebenfalls Mechanismen sind, die zur Optimierung der Resourcenverwaltung aber auch zum Schutz vor Infektionen und Entartung dienen und deren Abläufe und Regulation dicht in das zelluläre Kommunikationsnetz eingeflochten und auch von der Apoptosesteuerung nicht scharf zu trennen sind.
Wir stellen also fest, daß Funktionalität und “Konformität” der Zelle einer strengen und straffen Kontrolle sowohl von innen als auch von außen unterliegen und daß die reinigende, formende, schützende und nachhaltige Funktion der evolutiv stark konservierten programmierten Selbstzerstörung der Zellen untrennbar mit Gesundheit und Überleben des gesamten Organismus verbunden ist.
Wir werden später noch sehen, daß das, was unser Actionheld am Anfang dieses Beitrages tut, nämlich den Selbstzerstörungsmechanismus zu stoppen, in einer Zelle einen der Grundsteine der Krebsentstehung legen würde…

flattr this!

Kommentare (3)

  1. #1 rolak
    03/09/2012

    achick, schick – werde ich allerdings erst nach der WP-Umstellung genau lesen können…

  2. #2 Fliegenschubser
    03/09/2012

    Sehr schöner Artikel, kurz und knapp ein unheimlich spannendes und kompliziertes Thema zusammengefasst. Interessanterweise gibt es Apoptose nicht nur in Tieren, wo CC ja sehr schön erklärt hat, was dort der Sinn des ganzen ist, sondern auch in der einzelligen Hefe. Leider hab ich gerade keine aktuellen Fachartikel dazu parat, sonst könnte ich vielleicht auch noch sagen, wozu Apoptose bei Einzellern gut ist…

  3. #3 Fiber
    22/04/2013

    Sehr gut zusammengefasst und eine super Hilfe für mein Matura Spezialgebiet… =) Vielen Dank!