Warnung: in dieser Reihe wird es immer wieder zu Begegnungen mit und Blicken in die tiefsten menschlichen Abgründe kommen und obgleich ich mich stets bemühen werde, nicht ins Sensationalistische abzugleiten, mag bisweilen die unausgeschmückte Realität bereits mehr sein, als manche(r) erträgt.

Diesmal: Ein Fallbericht über die Identifikation einer Verstorbenen aus dem Inhalt von Fliegenmaden.

Die forensische Entomologie ist schon spannend und gar nicht so selten lieferte sie die einzigen Hinweise, durch die ein Mordfall noch gelöst werden konnte. Bis vor einiger Zeit hatten wir auch noch eine forensische Entomologin bei uns am Institut, doch das verheerende und das berechtigte Interesse der Bevölkerung an einer wirksamen Strafverfolgung mißachtende Kaputtsparen der Rechtsmedizin führte dazu, daß unter anderem ihre Stelle nicht verlängert wurde.

Auch im vorliegenden Artikel, der beschreibt, wie zum ersten Mal die Methode der DNA-Extraktion aus den Inhalten einer Fliegenmade bei einem echten Fall zum Einsatz kam, ermöglichte nur die enge Zusammenarbeit von Entomologie und forensischer Genetik die Identifikation einer völlig verkohlten Leiche:

Der Fall

Eine stark verbrannte Leiche wird in einem Waldstück nahe einer Landstrasse in Mexico gefunden. Der Leiche fehlen Hände und Füße und sie zeigt die für Brandopfer typische Fechterstellung, zudem sind Gesicht und Hals dicht mit Maden besetzt. Die verstorbene Person ist durch die Verbrennungen so stark entstellt, daß weder die Bestimmung des Geschlechts noch des ungefähren Alters gelingt, von der Identifikation der Gesichtszüge ganz zu schweigen. Der Boden unter der Leiche ist ebenfalls verbrannt und als einziges Asservat findet sich ein Ring, der die Zugehörigkeit zu einer Schule andeutet.

Die nachfolgend durchgeführte Obduktion erbrachte Hinweise auf eine Kopfverletzung. Die inneren Organe waren jedoch durch die Brandschäden bis auf einen kleinen Rest Lebergewebe, nicht mehr beurteilbar. Von der Leiche wurden drei Maden gesammelt und asserviert, die durch morphologische Begutachtung als Larven der Fliegenarten Calliphoridae und Sarcophagidae (s. Abbildung) bestimmt wurden.

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Ermittlungen hatten inzwischen ergeben, daß ein Mann zehn Tage zuvor seine Tochter als vermißt gemeldet hatte: sie sei entführt worden. Obwohl der daraufhin herbeigeholte Mann den am Leichenfundort asservierten Schulring als einen solchen erkannte, wie ihn seine Tochter trug, konnte er die Leiche selbst nicht als selbige identifizieren, da sie zu stark verbrannt war. Aber auch der Versuch einer Identifikation durch DNA-Profiling scheiterte, denn die Gewebszerstörung war soweit fortgeschritten, daß selbst die robusten Methoden der forensischen Genetik keinen Erfolg mehr brachten.

Dann kam jemand auf die Idee, daß sich vielleicht in den von der Leiche gesicherten Maden, also im Gastrointestinaltrakt der Larven, von diesen verzehrte Gewebsstücke finden, die noch für die Erstellung eines DNA-Profils taugen könnten. So machte man sich an die Arbeit, der man Erkenntnisse voriger Studien über forensisches DNA-Profiling aus Inhalten anderer Fliegenlarventypen zugrundelegte. Zunächst wurden allen Maden gewaschen und ihnen dann der „Kropf“ entnommen (eine Art Ausstülpung am Kopfende des Darms). Aus dem Inhalt des Kropfes wurde dann die DNA extrahiert. Die hierfür eingesetzte Methode der mexikanischen Kollegen (organische Extraktion) ist zwar nicht gerade zeitgemäß, doch sie reichte aus. Die DNA des möglichen Vaters der Verstorbenen wurde aus einer Speichelprobe mit forensischen Standardmethoden extrahiert.

Danach wurden aus den Proben mittels STR-Multiplex-PCR und Kapillarelektrophorese DNA-Profile erstellt:

Das Bild zeigt, daß das Opfer weiblich (XX) war und daß die PCR bis auf drei STR-Systeme erfolgreich verlaufen ist. Die DNA aus dem Madendarm war also offenbar in deutlich besserem Zustand als die DNA aus den verbrannten Geweberesten.

Das Profil des möglichen Vaters ist erstens vollständig und erfüllt zweitens alle Voraussetzungen, die ein biologischer Erzeuger des Opfers nach formalgenetischen Regeln erfüllen müßte: er weist in jedem STR-System mindestens ein Allel auf, welches auch das Opfer besitzt. Das allein macht ihn noch nicht zum Vater, er kann jedoch nicht als solcher ausgeschlossen werden. Daher wurde im Folgenden biostatistisch die Wahrscheinlichkeit berechnet, mit der irgendein Mann aus der mexikanischen Bevölkerung zufällig die für einen möglichen biologischen Erzeuger des Opfers notwendige Merkmalskombination aufweisen kann. Das Ergebnis: mit weniger als 0,5% Wahrscheinlichkeit. Damit galt für die Ermittler als praktisch erwiesen, daß die Verstorbene tatsächlich die vermisste Tochter und der Mann tatsächlich ihr Vater war und die weiterreichenden Ermittlungen zum Tathergang konnten beginnen.  Das erste DNA-Ergebnis wurde deutlich später noch durch ein DNA-Profil aus einem Knochen der Verstorbenen, was erst nach mehreren Versuchen gelang, bestätigt.

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Kommentare (6)

  1. #1 BreitSide
    05/10/2012

    …und seziert die kleine fade Made ohne Gnade. Schade…

    Aber was ist schon eine Made gegen ein Mädchen!

  2. #2 Cornelius Courts
    05/10/2012

    @BreitSide:
    🙂

  3. #3 Laura
    06/10/2012

    Ich finde es einfach äußerst interessant wozu die Wissenschaft fähig ist. Solche Methoden können echt nützlich sein!
    Die WTF Forensik Beiträge bringen mich immer zum Lächeln (das mag vielleicht etwas seltsam scheinen 😀 )

  4. #4 Heino
    06/10/2012

    Unter eines Baumes Rinde fraß die Made von dem Kinde …

    Jetzt ist Heinz Erhard genug strapaziert.

  5. #5 Cornelius Courts
    07/10/2012

    @Alle: sorry für die Verzögerungen. Aus irgend einem Grund wurden heute eine Menge ganz normale Kommentare auf “zu moderieren” gestellt… jetzt sind sie da 🙂

  6. #6 A.P.
    13/10/2012

    Gerade bei der “Konkurrenz” darüber gestolpert:

    “Insektenlarven verraten sehr viel mehr über Leichen als bislang bekannt. Ein Mordfall aus Mexiko illustriert ihr enormes Potential, mehr über verbrannte oder verschwundene Opfer zu erfahren.”

    https://www.new-scientist.de/inhalt/maden-helfen-forensikern-bei-der-identifizierung-von-leichen-a-859726.html