Ich bin ja ein großer RNA-Fan.  RNA-Biologie ist unglaublich spannend und vielseitig und das Feld wird von Tag zu Tag interessanter aber auch komplizierter (wer an der Geschichte der RNA-Entdeckung und -Forschung interessiert ist, dem/der empfehle ich wärmstens das Buch „RNA – Life’s indespensable molecule“ von J. Darnell). Man weiß ja nicht erst seit vor kurzem die neuesten ENCODE -Erkenntnisse publiziert wurden, daß in der nicht proteinkodierenden DNA die Informationen für eine zuvor ungeahnte Vielfalt an RNA-Typen und -Funktionen enthalten ist, weit mehr als den meisten noch aus der Schule in Gestalt der drei „Klassiker“ mRNA, tRNA und rRNA bekannt sein dürfte. Ich selber forsche an/mit micro-RNA, die es mir seit meiner Zeit in der Krebsforschung angetan und mich seitdem nicht mehr losgelassen hat. Es gibt aber noch viele weitere kurze (z.B. siRNA, snoRNA, snRNA, piRNA, rasiRNA und tasiRNA) und auch längere (lncRNA) RNAs, die erst seit kurzem bekannt sind, sehr unterschiedliche Funktionen besitzen und unsere Vorstellung von der Regulation zellulärer Vorgänge stark erweitert und verkompliziert haben.

Micro-RNA (miRNA) wurde beispielsweise erst in den 90er Jahren entdeckt und davor war die sehr wichtige regulierende Funktion dieser Moleküle, die bei fast allen zentralen biologischen Prozessen eine Rolle spielt, völlig unbekannt. Inzwischen ist micro-RNA-Regulation aus der biomedizinischen Forschung, z.B. an Krebs oder neurodegenerativen Erkrankungen, nicht mehr wegzudenken und es gibt sogar bereits erste therapeutische Konzepzte . Wie miRNA funktioniert, habe ich bereits in einem Basics-Artikel beschrieben:

miRNAs regulieren die Genexpression, d.h. sie steuern, wieviel eines bestimmten Genproduktes, z.B. eines Enzyms oder Hormons, gebildet und in der Zelle wirksam wird. Sie beeinflussen zu diesem Zweck jedoch nicht die Transkription oder das Splicing sondern sie wirken posttranskriptional, also nach der Herstellung der Zwischenprodukte der Genexpression, den mRNAs, indem sie verhindern, daß reife mRNAs, die schon aus dem Zellkern ins Cytoplasma transportiert worden sind, an den Ribosomen als Vorlage für die Herstellung von Proteinen (Translation) und anderen Genprodukten dienen.

 Und als wäre diese posttranskriptionale regulatorische Instanz nicht kompliziert genug, erschienen gerade in Nature zwei Arbeiten (s.u.), die die Funktion der „zirkulären RNA“ beschreiben, über deren Entdeckung und durchaus häufiges Vorkommen im vergangenen Jahr in PlosONE berichtet worden waren. Zirkuläre RNA ist offenbar nicht nur nicht selten, sondern sie ist u.a. in der Lage, miRNAs zu regulieren, also eine Regulation der Regulation zu bewirken. Vermutlich hat sie aber noch andere Funktionen, sie seien wie „ein verstecktes Paralleluniversum“ sagt Nikolaus Rajewsky, einer der Forscher (bei dessen Vater ich noch Genetikvorlesungen gehört habe – man wird alt). So konnten sie zeigen, daß die Expression einer bestimmten zirkulären RNA in Zebrafischen deren Hirnentwicklung beeinflusste. Eine weitere Möglichkeit für die Funktion zirkulärer RNA bestehe darin, so Rajewsky, daß sie wie ein Ausputzschwamm wirke, indem sie schädliche miRNAs, z.B. von Viren, binde und somit deaktiviere.

Warum man sie nicht schon vorher entdeckt bzw. man in Fällen, da zirkuläre RNA-Moleküle gefunden worden waren, sie für „Unfälle“ oder experimentelle Artefakte gehalten habe, sei, so Erik Sontheimer, ein Molekularbiologie aus Illionis, vielleicht dadurch zu erklären, daß die typischen RNA-Analysemethoden sich auf Moleküle konzentrierten, die ein bestimmtes Endstück aufweisen, das es bei zirkulären RNAs natürlich nicht gibt. Das eigentliche Artefakt bestand also wohl eher in der Annahme, daß lineare RNAs vorherrschend seien. Sontheimer kommentiert das, in Anspielung auf die miRNA-Entdeckung, so: „Das ist noch so ein abgefahrenes Beispiel für eine wichtige RNA, die bisher unter dem Radar geblieben ist. Man fragt sich, wann diese Überraschungen aufhören.“

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Referenzen:

Memczak, S., Jens, M., Elefsinioti, A., Torti, F., Krueger, J., Rybak, A., Maier, L., Mackowiak, S., Gregersen, L., Munschauer, M., Loewer, A., Ziebold, U., Landthaler, M., Kocks, C., le Noble, F., & Rajewsky, N. (2013). Circular RNAs are a large class of animal RNAs with regulatory potency Nature DOI: 10.1038/nature11928

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Kommentare (5)

  1. #1 Fliegenschubser
    07/03/2013

    Oha. Zirkuläre RNAs. Die kannte ich noch nicht. Klingt aber ziemlich cool, eine weitere Ebene oder Möglichkeit der Regulation. Danke für diesen Artikel. Den letzten Satz kann ich nur unterschreiben. Es ist in der Tat abgefahren, was in den Zellen so los ist. Und wahnsinnig faszinierend!!

  2. #2 Rokeby
    08/03/2013

    Super Artikel.
    Die Vielfalt der RNAs kannte ich vorher nicht und es ist mir nun klarer geworden.

  3. #3 Martin
    10/03/2013

    Spannend!
    Nachdem man in Tumoren mittlerweile DNA 4-fach Stränge nachgewiesen hat, sollte einen eigentlich nichts mehr verwundern, aber das ist neu 🙂

  4. #4 Piepmatz
    10/04/2013

    Wie abgefahren ist das denn? Nicht nur die neuer entdeckten regulativen RNA-Arten, sondern insbesondere auch die DNA 4-fach Stränge. Es gibt für mich nichts spannenderes als Naturwissenschaft.

  5. #5 MolekulareTherapie
    Berlin
    11/04/2013

    Ja, RNAs sind ein interessantes Thema. Die Regulation durch nicht-codierende miRNAs könnte sogar noch vielfältiger sein als nur post-transkriptional und neben dem RNA silencing sind weitere Regulative denkbar. In der Komplementärmedizin ist das Thema nicht neu, denn mit RNA wird schon seit Jahrzehnten behandelt. Die Tatsache, dass auch die miRNAs reguliert werden, macht deutlich, dass es schwierig wird, therapeutisch mit einzelnen RNAs zu behandeln, vor allem, weil die Kausalzusammenhänge schwierig zu analysieren sind. Die Moleküle in der Zelle handeln ja nicht intelligent im landläufigen Sinne sondern es gibt so etwas wie eine Schwarmintelligenz. Am ehesten wird es noch in der Behandlung von Infektionserkrankungen möglich sein, mit einzelnen siRNAs erfolgreich zu sein. Degenerative Erkrankungen sind eher mit einem organspezifischen Mix genregulierender RNAs zu behandeln, denn diese unterliegen ebenfalls den sich akkumulierenden DNS-Schäden, die im Laufe der Jahre so entstehen. Und davon sind so viele RNAs betroffen, dass man sie wahrscheinlich niemals zählen geschweige denn analysieren kann.