Ich weiß, ist schon ein Weilchen her, daß ich einen Vortrag zum Thema Streiten und Argumentieren im Rahmen der Kölner “Skeptics in the Pub”-Reihe gehalten habe. Da das Thema aber eigentlich immer aktuell ist, hatte ich mir nach dem Vortrag die Mühe gemacht, das ganze auch noch einmal zu verschriftlichen, den Text dann aber irgendwie aus den Augen verloren.  Vor kurzem bin ich dann wieder darüber gestolpert als ich etwas ganz anderes suchte und da ergriff ich die Gelegenheit und nun gibt es ihn (leicht modifiziert) hier:

Streiten Sie noch, oder argumentieren Sie schon?

Es ist immer eine Herausforderung, öffentlich über ein Thema zu sprechen oder zu schreiben, über das die ZuhörerInnen oder LeserInnen schon sehr viel wissen. So auch hier: Sie alle und besonders, falls Sie SkeptikerInnen sind, haben sicher schon (viel) gestritten und argumentiert. Vielleicht haben Sie aber bisher noch nicht so richtig hinter die Kulissen geblickt, sozusagen auf die „Theatermechanik“, die hinter einer Argumentation stecken kann. Deshalb würde ich gerne hier mit Ihnen ’backstage’ gehen und untersuchen, wie Streiten und Argumentieren eigentlich funktioniert. Dabei stelle ich lediglich meine Sicht der Dinge dar, indem ich mich hier nicht als Experte aufspielen, sondern mich als jemand, der als aktiver und disputfreudiger Blogger inzwischen einige Erfahrung beim Streiten und Argumentieren hat,  an Sie wenden möchte.

Skeptizismus ist ja gut und schön, taugt jedoch kaum zum Selbstzweck und sollte erst recht nichts elitäres sein. Diese Vorstellung, daß der Skeptizismus am ehesten ein exklusiver Herrenclub sei und vielleicht sogar sein sollte, hält sich, davon bin ich überzeugt, mehr oder weniger sublimiert noch immer in nicht so wenigen skeptischen Köpfen und ist inzwischen zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung geworden, dergestalt, daß tatsächlich die meisten deutschen Skeptiker weiße Männer jenseits der 40 sind und auf den deutschen Skeptikerkonferenzen kaum Sprecherinnen auftreten. Daß dieser Mißstand, wie ein blinder Fleck, von der skeptischen Selbstbetrachtung ausgespart wird, zeigten einige Reaktionen auf einen kritischen Blogartikel, der genau dieses Problem anspricht, welche überaus bezeichnend, wenn nicht entlarvend waren.

Ich finde das schade, denn Skeptizismus bzw. das Mem des skeptischen  Denkens ist zu wertvoll und wichtig für unsere Gesellschaft, um es nicht weiterer Verbreitung teilhaftig werden zu lassen. Und genau darum geht es: Verbreitung skeptischen Denkens durch Dialog, durch Argumentation und ab und zu auch ‘mal durch einen anständigen Streit. Skeptiker sollten auch andere zum skeptischen Denken verlocken und sei es am Anfang nur, indem diese Anderen, wenn sie uns als Gesprächspartnern oder –gegnern gegenüberstehen, damit beginnen, Schwachstellen in unseren Argumenten zu suchen.

Der Unterschied zwischen dem Gespräch und der geschriebenen Argumentation entspricht dabei vielleicht in etwa dem zwischen Fechten und Schach: Das Ziel, den Gegner zu besiegen, ist beiden gemeinsam, doch unterscheiden sie sich erheblich in Regeln, Tempo und Timing, sowie der Zeit, die zum Nachdenken und Reagieren zur Verfügung steht. Und während man kaum zum Schachduell gezwungen werden kann, kann es durchaus passieren, wenn ich Ihnen die Metapher noch einen Augenblick zumuten darf, daß jemand plötzlich mit gezücktem Florett auf einen eindrängt und man sich zur Wehr setzen muß. Man kann also und zwar Texte schreiben, um seine Position klar zu machen und auch versuchen, darin mögliche Gegenargumente antizipativ zu parieren, doch muß diese Texte ja niemand lesen. Um wirklich und in „Echtzeit“ auf einen Menschen und seine persönlichen Ansichten eingehen zu können, bleibt nur das Gespräch oder besser: die Diskussion.

Als Autor eines Blogs, in dem es regelmäßig um kontroverse Themen wie Kritik an Religion, Pseudowissenschaften, Esoterik und ähnlich Ungustiösem geht, habe ich reichlich Gelegenheit, mit den KommentatorInnen zu diskutieren und je nachdem, mit wem man es zu tun hat, werden einem Argumente oder besser „Argumente“ von durchaus  variabler Qualität vorgetragen, zum Beispiel:

„Es war schon immer so, daß nur Mann und Frau heiraten durften.“, „Millionen Menschen können ja wohl nicht falsch liegen.“, „Nein, das kann ich mir nicht vorstellen.“, „Bei mir und meinen Kindern hat es aber funktioniert.“, „Das ist unmoralisch, sowas gibt es in der Natur auch nicht.“, „Wenn das bei denen halt so Tradition ist…“ und so weiter…

Diese Beispiele hier werden von jenen, die sie äußern meist für echte, korrekte und überzeugende Argumente gehalten (andernfalls würden sie sie kaum selbst einsetzen) und es ist gar nicht so einfach, ihren Anwendern zu verdeutlichen, daß es sich dabei um Scheinargumente, sogenannte Sophismen handelt, die nur mehr oder weniger nach einem Argument klingen, aber inhaltlich und/oder formal ungültig sind. Umso wichtiger ist es als Skeptiker, sensibel für die Argumente (oder auch Scheinargumente) anderer zu sein, damit es möglichst beim Argumentieren bleibt und möglichst selten zum Streit kommt.

Ich nehme an dieser Stelle eine Unterscheidung vor, um die Begriffe „Streit“ und „Argumentation“, so wie ich sie verstehe, voneinander abzugrenzen:

Einem Streit liegt gewöhnlich ein Interessenkonflikt zugrunde, ohne, daß es dabei jedoch ein objektiv Richtiges oder Falsches geben muß. Der Streit dient vor allem dem Rechthaben bzw. –bekommen und endet günstigenfalls in einem Kompromiss, mit dem wenigstens alle Beteiligten gleich unzufrieden sind. Typische Streitthesen wären z.B. der Beziehungsklassiker „Du machst nicht genug im Haushalt“ oder ein Meinungsstreit àla „Bach ist viel besser als Händel“ oder, deutlich ernster, „die israelische Siedlungspolitik ist schlecht“. Kennzeichnend ist, daß sich hier keine objektiv richtige Antwort finden lässt, da es keinen allgemein gültigen oder von allen akzeptierten Maßstab gibt, mit dem „genug“, „besser“ oder „schlecht“ definiert werden könnten.

Eine Argumentation befasst sich mit einem Gegenstand, einer Frage, einem Thema, wozu eine objektiv richtige Position existiert (wobei diese durchaus nicht bekannt sein muß). Die Argumentation dient daher der Wahrheitsfindung (weshalb es auch eine essentielle Bedingung gibt, um überhaupt ernsthaft an einer Argumentation teilnehmen zu können, doch dazu später) und die Überzeugung einer der Argumentierenden von der Position des/der Anderen ist ein mögliches Ende. Typische Argumentationen könnten sich mit folgenden Thesen befassen: „Die Erde ist 6000 Jahre alt“, „Astrologie funktioniert“ oder „Mehr Überwachung erhöht die Sicherheit“. Zu all diesen Thesen gibt es eine objektiv richtige Position.

Natürlich sind die Übergänge fließend; auch im Streit können Argumente verwendet werden, die dann aber eben nur eine Meinung stützen, oder die eine Tatsache belegen, auf der dann jedoch eine Meinung aufbaut. Andererseits kann auch eine Argumentation Interessenkonflikte umfassen und über das reine Streben nach Wahrheit hinaus sehr emotional werden und als Blogautor habe ich in den Kommentaren zu bestimmten Beiträgen oft mit komplexen Gemischen der beiden Auseinandersetzungsformen zu tun. Ich habe daher für mich selbst eine kleine Typologie entwickelt, nach der ich potentielle Diskutanden einteile und entscheide, ob es sinnvoll ist, sich ggf. auf eine Diskussion einzulassen:

 

Typus

„Fundamentalist“*

„Zaunsitzer“

„Philosoph“*

Ausgangsposition

– weiß (!) schon alles- hat kein Interesse an Belegen – noch unentschlossen(ggf. mit (starker) Tendenz)- ggf. offen für Belege – vertritt eine begründete / belegte Meinung (die kann auch ein informiertes „Ich weiß es nicht“ sein)- abhängig von Belegen

ist bereit / in der Lage, seine Meinung zu ändern

nein

ja

ja

verwendet/akzeptiert echte Argumente

nein

teils

ja

Reaktion auf Nachweis eines ungültigen Arguments

„mir doch egal“ bzw. „LALALA!“

„echt? War mir gar nicht bewußt!“

schämt sich

lohnt sich eine Diskussion?

nein

(ggf. vor Publikum**)

ja!

ja

 

[*Ein als „Philosoph“ getarnter Fundamentalist könnte übrigens z.B. ein Verschwörungstheoretiker sein, der vorgibt, ganz versessen auf Belege zu sein, dann aber doch nur diejenigen anerkennt, die sein ohnehin unumstößliches Weltbild stützen.)

**Einen Fundamentalisten wird man kaum mit Argumenten überzeugen können, da er selbst seine Position nicht aufgrund von Argumenten bezogen hat [1]; es kann aber lohnend sein, die Unbegründbarkeit und Unhaltbarkeit seiner Position in einer öffentlichen Debatte, in deren Publikum vielleicht Zaunsitzer sind, zu demontieren]

Die sieben freien Künste [a]

Die Austragung von Diskussionen ist eine sehr alte Kunst. Schon unter den sogenannten „sieben Freien Künsten“ der Antike fand sich das „Trivium“, der Dreiweg aus Grammatik, Rhetorik und Dialektik (bzw. Logik). Grammatik ist die Grundlage der Sprachbeherrschung und soll uns, indem wir ihre Beherrschung voraussetzen, hier nicht weiter interessieren. Die Rhetorik könnte man dann als Kunst des Sprechens bzw. des Vortrags, die Dialektik als Kunst des (dialogischen) Denkens auffassen. Um ein guter Debattierer zu werden, muß man sie alle beherrschen, doch die Grundwährung und Hauptsache in einer Debatte oder Diskussion sind die Argumente.

Unter „Argument“ verstehen wir eine Aussage, die zur Begründung oder zur Widerlegung einer Behauptung gebraucht wird. Argumente können/sollen andere Menschen von der Richtigkeit oder Falschheit einer Behauptung überzeugen. Die dialogische Verwendung von Argumenten, die Argumentation, beruht dabei auf Inhalt (Grundannahmen oder „Prämissen“) und Form (Anordnung und Verknüpfung der Prämissen, so daß die Aussage des Arguments zwingend aus den Prämissen folgt). Ein ungültiges oder schlechtes Argument kann demnach inhaltlich und/oder formal schlecht sein und daher angegriffen werden wobei eine nicht unerhebliche Schwierigkeit darin bestehen kann, ein gegnerisches Argument so zu zergliedern, daß deutlich hervortritt, was die Grundannahme(n), was die daraus abgeleitete Folgerung und welcher Art die formale Verknüpfung ist. Oftmals wird nur die Folgerung vorgetragen, also die eigentliche Aussage des Arguments, bei impliziter, also vorausgesetzter Grundannahme. In solchen Fällen ist es hilfreich, notfalls durch Befragung des Gegners, das vollständige Argument mit Prämissen und Verknüpfung zu rekonstruieren, um seine Schwachstellen aufzudecken.

Die Logik, zu deren Disziplinen man die Lehre des vernünftigen Schlussfolgerns zählen kann, befasst sich mit der formalen Analyse und ermöglicht damit die formale Kritik von Argumenten, indem sie ihre Struktur im Hinblick auf ihre Gültigkeit untersucht und zwar ganz unabhängig vom Inhalt der Aussagen. Klassisches Beispiel: wenn A = B (Prämisse 1) und B = C (Prämisse 2) ist, dann muß, zwingend weil logischerweise, A = C sein. Dieser Schluss S ist logisch gültig, also formal korrekt allerdings unabhängig davon, wofür A, B und C stehen, er kann also inhaltlich auch völlig falsch sein.

Eine anderer häufig benutzter Argumenttyp beruht auf konditionaler Logik nach dem Muster: „wenn p, dann q“ (Prämisse 1) und „p“ (Prämisse 2), daraus folgt „q“ (Schluss). Das bedeutet daß, wenn Prämisse 1 wahr ist, man immer, wenn p eintritt, auch q beobachten wird. Ein häufiger Fehler besteht darin, diesen Zusammenhang reziprok aufzufassen, denn aus „wenn p, dann q“ folgt keineswegs „wenn q, dann p“. Diesen Argumenttyp benutzte übrigens mit Vorliebe Sherlock Holmes bei seinen Deduktionskunststücken.

Mit Logik allein kommt man jedoch bei der Kritik an Argumenten nicht immer ans Ziel, denn eine Schlussfolgerung kann auch dann logisch gültig sein, wenn sie inhaltlich falsch ist. Denn ein ‚Grundgesetz’ der Logik, nämlich, daß aus wahren Prämissen kein inhaltlich falscher Schluss folgen kann, gilt nicht umgekehrt und so können auch aus falschen Prämissen, logisch gültige und sogar wahre Schlüsse gezogen werden. Ein Beispiel:

  • P1: Alle Menschen sind Künstler. (falsch)
  • P2: Beethoven war ein Mensch. (richtig)
  • S: Beethoven war ein Künstler. (richtig)

(Hier folgt S also logisch und gültig aus P1 und P2 und ist auch inhaltlich richtig, obwohl P1 inhaltlich falsch ist.)

Um in einer Diskussion sowohl überzeugend die gegnerischen Argumente angreifen, wie die eigenen verteidigen zu können, sollte man daher

  • prüfen, ob die eigenen/gegnerischen Argumente auf wahren oder zumindest plausiblen Prämissen gründen (Inhalt),
  • prüfen, ob man/der Gegner aus seinen Prämissen logisch gültige Schlussfolgerungen gezogen hat (Form) und
  • versuchen, dem Gegner Verstöße gegen „vernünftiges Denken“ nachzuweisen (z.B. falsche Gleichsetzung*, infiniter Regress*2, ‚petitio principii’…).

[*Ein Beispiel für eine falsche Gleichsetzung wäre:  “Nichts ist besser als Unsterblichkeit” (Prämisse 1) und “ein Wurstbrot ist besser als nichts” (Prämisse 2). Und dann der Schluß: “Ein Wurstbrot ist besser als Unsterblichkeit. ” Angenommen, wir einigten uns darauf, daß beide Prämissen wahr wären, müssten wir dann auch zwingend zugeben, daß ein Wurstbrot besser ist als die Unsterblichkeit? Natürlich nicht. Der Widerspruch entsteht hier durch eine falsche Gleichsetzung der beiden Bedeutungen des Wortes „nichts“.

*2 Ein infiniter Regress liegt immer dann vor, wenn die Bedingung von etwas, das zur Begründung angeführt wird, selbst wiederum ein Bedingtes ist und dies sich unbegrenzt fortsetzt. Eine ‚petitio principii’ ist ein Zirkelschluss, bei dem die zu beweisende Behauptung durch Aussagen begründet werden soll, welche die zu beweisende Behauptung schon als wahr voraussetzen [1].]

Die oben schon angekündigte Bedingung oder Grundvoraussetzung dafür, überhaupt ernsthaft an einer Argumentation teilnehmen zu können, besteht in der Bereitschaft, die eigene Position aufzugeben, wenn überzeugende Argumente und Belege vorgetragen werden! Das ist eine enorm hohe und nicht zu unterschätzende Hürde, die viele, die vorgeben, ernsthaft argumentieren zu wollen, insgeheim gar nicht überspringen und es verdient in meinen Augen höchsten und sogar deutlich mehr Respekt, als dem eigentlichen Sieger gebührt, nach einer Diskussion zuzugeben, daß man (ggf. jahrelang) falsch lag und die Überlegenheit der Argumente der Gegenseite anzuerkennen, insbesondere dann, wenn die aufgegebene Position nichts lapidares und vielleicht sogar nichts geringeres als das eigene Weltbild war.

Wenn sie sich diesen Anforderungen an eine ehrliche Diskussionsteilnahme und/oder an die Qualität der eigenen Argumente nicht gewachsen sehen, greifen manche Menschen allerdings zu Tricks und unlauteren Mitteln, um doch noch, wenn auch nur scheinbar, als Sieger aus der Diskussion hervorzugehen. Insbesondere bei Diskussionen vor Publikum gelingt ihnen dies überraschend häufig, selbst wenn sie argumentativ klar unterlegen und vor allem dann, wenn sie charismatisch und rhetorisch versiert sind. Denn oftmals, man muß es leider sagen, obsiegt in Gunst und Augen des Publikums der gute Vortrag über das gute Argument. Aus diesem Grund sollte ein guter Argumentierer auch die schon im Trivium (s.o.) geforderte Disziplin der Rhetorik nicht vernachlässigen, um nicht nur den eigenen Vortrag zu stärken, sondern auch, um einen rabulistisch vorgehenden Gegner erkennen und ihm besser begegnen zu können: in der Disziplin der Rabulistik wurde das vielen Menschen neigungsgemäße Rechthaben nämlich geradezu erhoben zur „Kunst“, unabhängig von der Richtigkeit der eigenen Position und daher nahezu um jeden Preis recht zu behalten (z.B. bei Schopenhauer [2]). Es gibt verschiedene Mittel, um dieses Ziel zu erreichen, darunter die o.g. Sophismen, also Scheinargumente und Fehlschlüsse sowie verschiedene rhetorische Tricks und Mittel, wie Ironie und Sarkasmus, wodurch die Übergänge zu Täuschung, Irreführung und Lüge bisweilen verwischt werden.

Greift der Gegner zur Rabulistik, ist dies zwar ein gutes Zeichen dafür, daß er über keine echten und gültigen Argumente (mehr) verfügt und man die Diskussion auf der Sachebene gewonnen hat. Ob ein Publikum das auch so sieht, ist allerdings eine andere Sache.

Zum Abschluß möchte ich noch ein paar (nicht nur in meiner Erfahrung) besonders häufig angetroffene Fehlschlüsse bzw. Scheinargumente und ihre Struktur skizzieren, um einerseits vorzuführen, wie sie funktionieren und andererseits vorzuschlagen, wie man ihnen begegnen kann. Zum Weiterlesen gibt es im Internet inzwischen gute Sammlungen von Fehlschlüssen und ihren Erklärungen [3].

 

Das Autoritätsargument (argumentum ad verecundiam)

Struktur

Person A (ist eine Autorität, Fachperson, Koryphäe, berühmt, beliebt etc.) sagt oder hat mal gesagt: X!

Person  B (vertritt X oder etwas, für das X die Voraussetzung ist): X ist richtig, denn Person A hat es ja auch gesagt.

Kritik

Hier wird die Autorität einer Person als Begründung oder Garantie für die Richtigkeit einer Aussage herangezogen. Daraus, daß eine Person über akademische Titel, Auszeichnungen, Ämter oder sonstige Autoritätsmerkmale verfügt, folgt jedoch nicht, daß ihre Äußerungen zu ihrem Fachgebiet oder irgendeinem anderen Thema korrekt sind. Das gilt übrigens auch umgekehrt: Daraus, daß jemand, der sich in einem Bereich nicht auskennt bzw. keine Titel trägt, die das belegen sollen, folgt nicht, daß er richtige und schlüssige Dinge dazu zu äußern außerstande ist.

Eine subversive Parade eines solchen Arguments kann darin bestehen, eine offensichtlich falsche/dumme Aussage derselben Person zu nennen, falls man eine solche kennt.

Beispiel

„Daß AIDS nicht von HIV verursacht wird, ist doch inzwischen bekannt, das hat auch der Nobelpreisträger K. Mullis gesagt.“

 

Falsches Dilemma (falsche Dichotomie)

Struktur

Person A (setzt (implizit) voraus, daß entweder X oder Y sein muß): Nicht X, also Y!

Kritik

Beim falschen Dilemma ist die Voraussetzung eben nicht gegeben: wenn X und Y sich in Wirklichkeit nämlich nicht ausschließen oder auch beide falsch sein können (und ein ungenanntes Z richtig ist), dann gibt es kein Dilemma und aus X bzw. Nicht-X kann nicht auf Nicht-Y bzw. Y geschlossen werden. Hier wäre dann aufzuzeigen, daß ein falsches Dilemma einfach vorausgesetzt wurde, aber eigentlich nicht besteht.

Beispiel

„Ihr seid entweder für uns oder gegen uns.“

 

„Post hoc, ergo propter hoc“

Struktur

Beobachtung: X passiert nach Y.

Person A:  X ist wegen Y passiert.

Kritik

Bei diesem aufgrund unserer Wahrnehmungsgewohnheiten sehr verbreiteten Fehlschluss wird fälschlicherweise aus einer tatsächlich beobachtbaren Abfolge oder Anordnung von X und Y in der Zeit auf einen kausalen Zusammenhang zwischen X und Y geschlossen. Hier kann auf die nicht belegte und aus dem zeitlichen Zusammenhang keineswegs implizite Kausalität verwiesen werden.

Beispiel

„Bei mir sind die Kopfschmerzen von den Globuli aber weggegangen!“ (das einzige, was die Person hier wissen kann, ist, daß die Kopfschmerzen nach der Einnahme verschwunden sind)

 

„Strohmann verdreschen“

Struktur

Voraussetzung: X* ist eine verzerrte Version von X; zwar ist X ≠ X* aber X* ist X (sehr) ähnlich

– Person A: X!

– Person B greift X* an und behauptet oder suggeriert, X sei damit widerlegt.

Kritik

Die Bezeichnung dieses Scheinarguments rührt von der bildlichen Vorstellung her, daß man, statt den echten Gegner demonstrativ eine ihm grob nachempfundene aber eben unechte Strohpuppe, die sich nicht wehren kann, verdrischt: Indem eine verzerrte oder verfälschte Version oder Interpretation eines gegnerischen Argumentes widerlegt wird, kann das eigentliche gegnerische Argument aber nicht widerlegt werden. Wichtig bei der Abwehr ist hier, deutlich zu machen, daß das, was der Gegner angreift, nicht das ist, was man wirklich vertritt, was kompliziert sein bzw. viel Fachwissen voraussetzen kann, wenn das angegriffene Strohmann-Argument gut gewählt wurde.

Beispiel

„Daß die Vielfalt des Lebens auf der Welt durch reinen Zufall entstanden sein soll, ist so wahrscheinlich, wie daß eine 747 bei einem Wirbelsturm auf dem Schrottplatz entsteht! Die Evolutionstheorie ist also Unsinn!“ (Die Evolutionstheorie behauptet keineswegs, daß die Vielfalt des Lebens durch reinen Zufall entstanden ist.)

 

Natürlichkeitsfehlschluss

Struktur

Voraussetzung:  Etwas, was als “nicht natürlich” angesehen wird, wird als schlecht aufgefasst.

Person A: „X ist schlecht, denn X ist nicht natürlich!”

Kritik

Es gibt keine rationale Definition von Natürlichkeit aber selbst wenn es sie gäbe, würde aus der „Natürlichkeit“/“Unnatürlichkeit“ einer Sache/Handlung nicht logisch folgen, daß die Sache/Handlung gut und richtig/falsch und schlecht ist. Hier kann man einen Gegner bisweilen schön demaskieren, wenn man ihn um seine Begründung bittet, warum X angeblich (nicht) natürlich sein soll.

(Der Natürlichkeitsfehlschluss wird manchmal verwechselt mit dem naturalistischen Fehlschluss und mit „Humes’ Guillotine“*.)

Beispiel

„Ich lehne Impfungen ab, denn sie rauben dem Körper die Möglichkeit, auf natürliche Weise immun zu werden.“

Weitere Beispiele habe ich in einem anderen Artikel diskutiert, woraus auch ersichtlich wird, wie gefährlich dieses Scheinargument sein kann.

[*  Trotz enger Verwandtschaft (aus beiden folgt die Unzulässigkeit des Schluss von Sein auf Sollen) sind der naturalistische Fehlschluss und Humes Gesetz zu unterscheiden. So ist Humes Gesetz („there is no ‚ought’ from an ‚is’: also kein Übergang von deskriptiven zu normativen Aussagen) eine These über die logische Struktur ethischer Begründungen, während der naturalistische Fehlschluss die Semantik des Adjektivs „gut“ betrifft. Dieses sei nämlich undefinierbar und somit auch nicht auf naturalistische Begriffe reduzierbar.]

 

Fehlschluss-Fehlschluss (Skeptikers Liebling)

Struktur

Person A: X! (X sei eine Aussage, die auf einem Fehlschluss beruht)

Person B: X ist falsch, weil die Herleitung von X auf einem Fehlschluss beruht. 

Kritik

Die Herleitung einer Aussage X kann fehlerhaft sein, dann ist die Form des Argumentes fehlerhaft und der Schluss folgt nicht aus den Prämissen. Doch folgt aus einer fehlerhaften Herleitung, z.B. durch Fehlschluss, nicht logisch, daß X selbst falsch ist. Skeptiker müssen also auf einen eventuellen „Beißreflex“ bei entdeckten Fehlschlüssen achten.

Beispiele

„Frisches Gemüse ist gut für die Gesundheit! Hat mein Guru gesagt.“ Skeptiker: „Sie begingen soeben einen Fehlschluss (A. ad vercundiam), also ist Ihre Aussage falsch!“

“Diskriminierung ist unnatürlich und deshalb schlecht!” Skeptiker: „Sie begingen soeben einen Natürlichkeitsfehlschluss, also ist Ihre Aussage falsch!“

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Referenzen

[1] H. Schleichert „Wie man mit Fundamentalisten diskutiert, ohne den Verstand zu verlieren“

[2] A. Schopenhauer „Die Kunst Recht zu behalten“

[3] Sammlung von Fehlschlüssen im RatioBlog  und dem Blog „Glaube ist heilbar“ ;  „The Fine Art of Baloney Detection” Aufsatz von Carl Sagan

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Bildquelle:

[a] Hortus Deliciarum, Die Philosophie mit den sieben freien Künsten; Wikimedia Commons; CC-BY-SA 3.0

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Kommentare (19)

  1. #1 rolak
    02/04/2014

    Schön – die Version zum Mitnehmen und Weitergeben…

    Fehlt nur noch der mööööööp-Clown, repräsentierend den Weg zu bovinen Exkrementen.

  2. #2 Bloody Mary
    02/04/2014

    @rolak
    Hättest mal mein dreckiges Lachen eben hören sollen – zwei Leute, ein Gedanke (das mit dem möööp-Clown).

    Right, die Version zum Mitnehmen und Weitergeben…und um mich selbst ab und an wieder an die feine skeptische Art zu erinnern…

  3. #3 Dr. Webbaer
    02/04/2014

    Es wäre vielleicht günstiger zwischen Argumention und Streit (der die Polemik einschließt) auf der einen Seite und Empörung und Herabsetzung auf der anderen zu unterscheiden.
    Die typischen bundesdeutschen politischen Auseinandersetzungen sind von der Empörung geprägt und von der Fragestellung, wer was sagen darf; konditioniert wird dann per Herabsetzung.
    Argumentation und Streit finden insofern in den o.g. Auseinandersetzungen oft nur hintergründig statt, wäre für den argumentativ Interessierten jeweils aus dem medialen Auseinandersetzungs-Wust herauszulesen oder -lösen.
    In D hat sich diesbezüglich in den letzten vier Jahrzehnten einiges zum Ungünstigen gewandelt.
    MFG
    Dr. W

  4. #4 Phil
    02/04/2014

    Bei ratioblog gibt es eine schöne Übersicht über die gängigen Fehlschlüsse (aktuell 32): https://www.ratioblog.de/archive/Fehlschl%FCsse
    Am besten bei #1 anfangen.

  5. #5 DieMutterAllerArgumenteFehlt
    03/04/2014

    Es fehlt leider das ultimative Argument: “Da gibt es aber einen Film bei youtube”…. gegen DAS Argument ist man machtlos – denn es ist doch allgemein bekannt, das bei youtube IMMER nur richtige Dinge gezeigt werden…

  6. #6 Ranthoron
    03/04/2014

    Passend dazu auch das heutige Plonquez:

  7. #7 Bloody Mary
    03/04/2014

    # 3

    Auseinandersetzungen sind von der Empörung geprägt und von der Fragestellung, wer was sagen darf; konditioniert wird dann per Herabsetzung.

    Unsere Fachkraft für homöopathisches Denken mal wieder… keinen blassen Dunst, was “Konditionierung” bedeuten könnte, und auch sonst nur Bullshit im Flintenlauf.

    Dass Ihr freiheits- und menschenfeindliches Gehetze ab und an noch auf so was wie Empörung trifft, spricht für alle meine empörten Mitmenschen, denen Freiheit und andere Menschen was wert zu sein scheinen.

    Ihr verlogenes und selbstmitleidiges Gewinsel, Sie dürften hier nicht Ihre Meinung sagen, wird seit Jahren 100%ig und immer wieder aufs Neue durch die Realität widerlegt,

    Es ist auch keine “Herabsetzung”, wenn Sie immer wieder dazu aufgefordert werden, Argumente auf den Tisch zu legen; oder Ihr jedesmal daraufhin reflexartig erfolgendes patziges und sinnentleertes Herumgepöbel mit deutlichen Worten zurück gewiesen wird.

  8. #8 Cornelius Courts
    03/04/2014

    @DieMutterAllerArgumenteFehlt ““Da gibt es aber einen Film bei youtube”…. gegen DAS Argument ist man machtlos –”

    Aber nein! Das argumentum ad youtubem läßt sich mit sich selbst kontern, denn man muß ja nur ein Video finden, daß das erste Video widerlegt 🙂

  9. #9 Dr. Webbaer
    03/04/2014

    Bei Ihrem Natürlichkeits-Fehlschluss (‘Es gibt keine rationale Definition von Natürlichkeit’) bleiben Sie?

    MFG
    Dr. W

  10. #10 Cornelius Courts
    03/04/2014

    “Bei Ihrem Natürlichkeits-Fehlschluss (‘Es gibt keine rationale Definition von Natürlichkeit’) bleiben Sie?”

    Ja und das ist auch nur die Hälfte des Fehlschlusses. Denn selbst WENN es eine begründbare Definition von Natürlichkeit GÄBE, folgte daraus keineswegs, daß das Natürliche das Gute ist (das wäre dann der naturalistische Fehlschluss).

  11. #11 Dr. Webbaer
    03/04/2014

    Loge! [1] Es gibt halt die Definition, dass natürlich ist, was in der Natur vorkommt. Ansonsten wäre man schnell beim sogenannten Naturalistischen Fehlschluss, dem der Schreiber dieser Zeilen grundsätzlich (oder -vielleicht besser- auf die Praxis bezogen: oft) als falsch zustimmt, der aber aus verschiedenen Gründen alles andere als klar ist, wenn Ethiker unterwegs sind, also nicht nur Verhalten Beschreibende.
    MFG + weiterhin viel Erfolg!
    Dr. W

    [1] im Sinne von Word!

  12. #12 Bullet
    04/04/2014

    Da auch Computer in der Natur vorkommen und gemeinhin nichts existierendes nicht in der Natur vorkommt, ist eine Definition dieser Art vollkommen sinnlos, denn es hieße, daß nur unmögliche Dinge unnatürlich sind.
    Ähm ja.

  13. #13 LasurCyan
    04/04/2014

    @Bullet
    Ähm ja. Damit wäre die Begrifflichkeit “Natürlichkeit” dann auch vom Tisch. Imho nur eine zutiefst romantische Vorstellung von etwas NICHTexistentem, das nur dazu dient, Ideologien argumentatorisch zu unterfüttern. Oft blüht der Enzian dann braun…

  14. #14 LasurCyan
    04/04/2014

    @myself
    es muss *natürlich* “…DIE nur dazu dient” heissen…

  15. #15 Dr. Webbaer
    04/04/2014

    Es gibt schon sehr brauchbare Adjektivierungen mit ‘natürlich’, werden Beispiele benötigt?
    MFG
    Dr. W

  16. #16 Bloody Mary
    04/04/2014

    # 15

    Natürlich nicht.

  17. #17 Bloody Mary
    08/04/2014

    Ausgerechnet die FAZ (:-)) beklagt reaktionäres Gedankengut, sie benennt “normal” und “natürlich” als “faule Kampfbegriffe”:
    https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/der-populismus-des-akif-pirincci-wie-sarrazin-auf-speed-12881608.html

  18. #18 Cornelius Courts
    09/04/2014

    @BM: ja, ironisch, in der Tat 🙂
    Wobei ich den Artikel selbst recht in Ordnung finde…

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    07/12/2015

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