Drei Jahre ist es jetzt her, daß ich hier vom Knochen aus der Tiefe berichtet habe, diesem sterblichen Überrest, der 2008 vom Kampfmittelräumdienst aus dem Laacher-See geborgen wurde und sehr wahrscheinlich zu einem Besatzungsmitglied eines englischen Halifax-Kampfflugzeugs gehörte, das mitten im Zweiten Weltkrieg über der Eifel abgeschossen worden, in den See gestürzt und darin versunken war.

Wir wollten aus dem Knochen, der über 60 Jahre auf dem Grund des Sees gelegen hatte, ein DNA-Profil gewinnen, doch mußten wir erst und mit viel Mühe eine neue, für süßwasserausgesetzte Knochen optimierte Methode zur DNA-Extraktion erfinden [1], bis uns das schließlich gelang. Um den Toten dann auch zu identifizieren, sichteten wir historische Belege und konnten die Zahl der für die Knochenherkunft in Frage kommenden Besatzungsmitglieder auf zwei einschränken: ein Brite und ein Kanadier. Über das Internet konnten wir die Familie des britischen Besatzungsmitglieds namens Platt ausfindig machen und die Nichte des Verschollenen, Frau Murphy, schickte uns daraufhin eine DNA-Probe von dessen noch lebendem Bruder, die wir mit dem DNA-Profil des Knochens verglichen und schließen mußten, daß Herr Platt leider nicht der Bruder des Toten ist, dessen Schienbein wir untersucht hatten. Also blieb nur noch die Spur, die nach Kanada wies, zum Besatzungsmitglied und Bordschützen („front air gunner“) Flight Sgt. J.J. Carey und dessen Familie und dort stagnierte unsere Suche eine lange Zeit und endete damals mein Artikel. Eine kurze Zusammenfassung der Geschichte wurde seinerzeit auch im TV ausgestrahlt:

Mit unseren Möglichkeiten der Recherche in Kanada gelang es uns in den folgenden Jahren nicht, herauszufinden, ob es noch lebende Angehörige von J.J. Carey gab, geschweige denn, diese ausfindig zu machen. Wir versuchten es immer wieder, suchten im Internet, besonders in einschlägigen Foren, nach Hinweisen oder Personen, die uns weiterhelfen konnten. Ein paar Mal hatten wir auch kurz Anlass zu Hoffnung, doch alle Versuche, die wir unternahmen, verliefen letztlich im Sande. Wir schrieben auch Briefe und E-Mails, doch weder die deutschen noch die kanadischen Behörden zeigten sich besonders interessiert oder kooperationsbereit. Erst nach Jahren und nicht zuletzt mit der Hilfe von Frau Murphy aus England, die diese Geschichte ebenfalls nicht losließ und die sich ihrerseits an die kanadischen Behörden gewandt hatte, geschah etwas: im Dezemeber 2013 rief mich Frau Clegg an, eine Mitarbeiterin der kanadischen Streikräfte, und teilte mir mit, daß man die Familie, darunter noch lebende direkt Verwandte von J.J. Carey ausfindig gemacht habe. Sie vermittelte einen Kontakt zu einem kanadischen DNA-Labor, das die Probe des möglichen jüngsten Bruders des Gefallenen, Kenneth “Ken” Carey, untersucht und ein DNA-Profil erstellt hatte. Ich schickte ihnen daraufhin das STR-Profil, das wir damals mit unserer neuen Methode aus dem Knochen gewonnen hatten und… es passte: Ken Carey und der Tote waren Brüder! (Eine gemeinsame Publikation wird folgen)

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Flight Sgt. J.J. Carey

Seit Februar 2014 steht nun fest: Flight Sgt. J.J. Carey starb am 29.8.1942 beim Absturz seiner Halifax-Maschine im Maria-Laacher See, worin auch seine sterblichen Überreste versanken. Drei Monate nachdem die Identifikation gelang, starb auch Ken Carey, auf dessen Schreibtisch bis zuletzt ein Photo seines Bruders stand.

Endlich war also die Herkunft des “Laacher Knochens” aufgeklärt. Wir waren jedoch von den kanadischen Behörden gebeten, das nicht vor Ende Juni, dem Termin der offiziellen Bekanntgabe, publik zu machen. Zu diesem Zeitpunkt berichteten auch die kanadischen Medien darüber.

Vorgestern, am 7.7. hat Frau Clegg, die Mitarbeiterin der kanadischen Streitkräfte, mit der ich telefoniert hatte, den Knochen bei uns abgeholt und heute, am 9.7., wurde er schließlich bestattet. Zu dieser feierlichen Beisetzung von Flight Sgt. J.J. Carey, genannt „Onkel Jay“ auf dem Rheinberg War Cemetary war ich eingeladen:

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wenigstens auf dem Briefumschlag hatte man mir mein “i” gegönnt 🙂

 

Gedenkstein auf dem Rheinberg War Cemetary Quelle: Wikipedia

Gedenkstein auf dem Rheinberg War Cemetary

Neben höchsten militärischen Würdenträgern (darunter zwei Generäle) waren auch zwei Nichten und ein Neffe von J.J. Carey erschienen. Wir wurden einander vorgestellt und konnten noch ein paar kurze Worte wechseln, da begann auch schon – in strömendem Regen – die Zeremonie.

der Sarg, bedeckt mit der kanadischen Flagge, wird zur Grabstelle getragen

der Sarg, bedeckt mit der kanadischen Flagge, wird zur Grabstelle getragen

Was nun kam, kannte ich bisher nur aus einschlägigen US-Filmen, in denen ein Soldat oder Polizist mit militärischen Ehren bestattet wird und die ich immer für etwas übertrieben gehalten hatte. Für einen (sehr weit) Außenstehenden wie mich wirkte es zu gleichen Teilen bewegend und natürlich höchst feierlich, aber auch unwirklich und befremdlich: die Angehörigen der kanadischen Streitkräfte waren in voller Uniform aufgelaufen, behangen mit Orden, Medaillen und Epauletten, sie gingen nicht, sie marschierten im Stechschritt, drehten sich nicht, sondern machten auf der Stelle kehrt und sie salutierten zackig mit der Hand zur Stirn, voreinander und vor dem geehrten Toten. Während wir unter einem provisorischen Zeltdach saßen, das uns vor dem Regen schützte, zitierte ein Militärpfarrer aus der Bibel und ein Trompeter spielte mit einsamem Ton den “Last Post” und “Rouse“. Dann wurden die Trauergäste geheißen, sich zu erheben und zusammen Amazing Grace zu singen. Als das Lied verklungen war, donnerte es über uns und wir sahen zu, wie sich die Himmel über sechs Soldaten ergossen, die triefend und mit feierlichen, synchronen Bewegungen die kanadische Flagge vom Sarg hoben und zusammenlegten, die Orden des Toten darauf betteten und einem General übergaben, der sie mit leichter Verbeugung in die Hände des nächsten Angehörigen legte. Schließlich wurde der Sarg in das Grab herabgelassen und aus der Ferne erhob sich der klagende Klang eines Dudelsacks, gespielt von einem kanadischen Soldaten in voller Montur eines 48th Highlanders (mit Kilt!) und wir schwiegen.

Ich finde es toll und sehr befriedigend, daß unsere Geschichte mit dem “Laacher Knochen” nun einen solchen Abschluss gefunden hat und freue mich sehr, daß ich einen Teil zur Aufklärung und dem Trost der Familie beitragen konnte, indem Ken Carey noch kurz vor seinem Tod erfahren konnte, was aus seinem Bruder wurde. Und so fand heute der Knochen aus der Tiefe nach 72 Jahren endlich seine letzte Ruhestätte.

tombstone

R.53908 Flight Sgt. J.J. Carey
gestorben mit 22 Jahren

Nachtrag am 21.07.:

Heute war die Story vom Knochen aus der Tiefe im Kölner und Bonner Express. Hat uns gefreut 🙂

express, 07,2014

_________

Referenz  [1] Courts C, Madea B. Full STR profile of a 67-year-old bone found in a fresh water lake. J Forensic Sci 2011 Jan;56 Suppl 1:S172-S175.

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Kommentare (12)

  1. #1 Claudia
    09/07/2014

    Jetzt mußte ich aber ganz schön heulen.

  2. #2 rolak
    09/07/2014

    ..und wieder ein post, der mir durch einen Kommentar offenbart wird…

    Das ist schon ziemlich filmreif, ne? Prima Auftakt zu der beliebten Reihe “Cornelius’ successful investigations”. Leider ist das Kürzel schon belegt 😉

  3. #3 rolak
    09/07/2014

    (jetzt wurde er offiziell vorgestellt)

  4. #4 Cornelius Courts
    09/07/2014

    @Claudia und rolak:

    🙂

  5. #6 noch'n Flo
    Schoggiland
    10/07/2014

    @ Claudia:

    Jetzt mußte ich aber ganz schön heulen.

    Musst Dich dafür nicht schämen, ich hatte auch Pipi in den Augen. Besonders der Umstand, dass der Bruder noch so kurz vor seinem Tod erfährt, was aus seinem vermissten Familienangehörigen geworden ist – das ist ja schon bestes Hollywood-Drama.

  6. #7 Claudia
    10/07/2014

    Oh, schämen tu ich mich nicht. Ich heule gern. 😀 Das war wirklich ungemein rührend, vor allem, weil der Verstorbene jetzt noch ein Gesicht bekommen hat…

    Den Artikel aus der WAZ fand ich übrigens grottig… o.O

  7. #8 Karla
    14/07/2014

    Hey Cornelius Courts, das ist ja ganz schön gruselig, aber warum tut es Ihnen leid, dass Herr Platt nicht der Bruder des Toten ist?

  8. #9 Cornelius Courts
    14/07/2014

    @Karla: “ganz schön gruselig,”

    wieso dieses?

    “aber warum tut es Ihnen leid, dass Herr Platt nicht der Bruder des Toten ist?”

    naja, damals tat und heute tut es mir leid für Familie Platt, daß wir ihnen nicht bei der Aufklärung des Schicksals ihres verschollenen Familienmitglieds helfen konnten, zumal sie sehr großes Interesse an dem Fund und der Arbeit daran zeigten. Warum sollte ich das nicht bedauerlich finden?

    Und genauso freue ich mich und ist es kein Widerspruch, daß ich mich freue, daß nun Familie Carey von unserer Arbeit profitiert hat.

  9. #10 Cornelius Courts
    21/07/2014

    Heute erscheint die Story auch im Kölner und Bonner Express 🙂

  10. #11 rolak
    21/07/2014

    Express

    Klar: Kriegsgeschichten, Familienzusammenführung, Schätze heben – und das mit Indiana Quincy, was will die Boulevardpresse noch mehr?

  11. #12 Cornelius Courts
    21/07/2014

    “Indiana”

    Peitsch und Hut, steh’n ihm gut…