Warnung: in dieser Reihe stelle ich schräge, drastische, extreme oder auf andere Weise merkwürdige Studien und Fallberichte vor, die die Forensischen Wissenschaften in ihrer ganzen Breite und Vielseitigkeit portraitieren sollen, die aber in ihrer Thematik und/oder den beigefügten Abbildungen nicht für alle LeserInnen geeignet sind und obgleich ich mich stets bemühen werde, nicht ins Sensationalistische abzugleiten, mag bisweilen die unausgeschmückte/bebilderte Realität bereits mehr sein, als manche(r) erträgt.
Verzeihung, aber der Aufsatz, von dem ich heute berichte, heißt wirklich so: “A body, a dog, and a fistful of scats” und publiziert wurde er in Forensic Science International [1].
Ich habe ja schon mehrfach von Tierfraßspuren an Leichen berichtet und dargestellt, welche Bedeutung die forensisch-genetische und/oder – anthropolgische Analyse solcher post-mortalen Veränderungen und Artefakte (Leichenfraß) bei der Aufklärung der zum Tode führenden Geschehnisse haben kann. Häufige forensisch-anthropologische Fragestellungen betreffen hierbei vor allem die Verteilung und Verstreuung von Überresten zur Einschränkung des Suchbereichs, bei der Beurteilung knöcherner Verletzung die Abgrenzung post-mortaler (z.B. Leichenfraß) von traumatischen und möglicherweise tödlichen Einwirkungen, sowie die Einschätzung des post-mortem-Intervalls (PMI). Neben der Untersuchung von Bißmarken kann hierbei auch die Einbeziehung von Ausscheidungen (Fäzes) der Assfresser entscheidende Hinweise liefern. Letzteres ist aber in der forensischen Literatur bisher kaum beschrieben [2].
Der Fall:
Einige Hausbesetzer nehmen Unterschlupf in einem scheinbar leerstehenden Haus. Sie beginnen damit, einige Möbel, die noch darin standen, fortzuschaffen. Dabei stoßen sie im Flur auch auf den Kadaver eines Hundes, ein Beagle, den sie ebenfalls nach draußen bringen. Als sie in einem Schlafzimmer die übel zugerichtete Leiche eines Menschen finden, alarmieren sie die Polizei.
Die mumifizierte Leiche lag auf dem Boden des Zimmers halb unter dem Bett und teilweise bedeckt mit einer angefressen aussehenden Matratze. Der Kopf, der rechte Arm und der rechte Fuß fehlten und Brustkorb und unterer Thorax wiesen erhebliche Verletzungen auf. Am Fundort waren zudem zahlreiche Kleidungsfetzen und Stücke von Schaumstoff verteilt, außerdem fanden sich im ganzen Haus reichlich Schmutz und Haufen von Hundekot. Im angrenzenden Raum wurde ein Segment des rechten Oberschenkelknochens zusammen mit mehreren Stücken verrottenden Weichgewebes unter einem Schrank sichergestellt. Trotz ausführlicher polizeilicher Suche im Inneren und außerhalb des Hauses konnten nicht alle fehlenden Skelettelemente wiedergefunden werden.
Die Tote konnte identifiziert werden: sie war eine 90-jährige Frau, die zusammen mit ihrem Hund aber ansonsten allein in dem Haus gelebt hatte und zuletzt im August lebend gesehen worden war. Medizinischen Aufzeichnungen war zu entnehmen, daß sie an Arthritis und einsetzender Demenz gelitten und zuvor mehrere Stürze mit Verletzungen erlitten hatte.
Eine forensisch-anthropologische Untersuchung ergab entsprechend, daß die knöchernen Überreste zu einer ca. 155 cm großen und mehr als 60 Jahre alten Kaukasierin gehörten. Es wurden darüber hinaus Anzeichen einer schweren Osteoarthritis, v.a. im Bereich der Wirbelsäule gefunden sowie verheilte Brüche, die mit den berichteten Sturzereignissen korrespondierten. Ein „frischer“ Bruch des rechten Oberschenkelhalses, der sich höchstwahrscheinlich zum Todeszeitpunkt als Folge eines Sturzes ereignet hatte, wurde festgestellt und die wahrscheinliche Todesursache als Folge dieses Sturzes angesehen. Histologisch konnte diese Hypothese wegen des stark fortgeschrittenen Verwesungszustands nicht mehr bestätigt werden.
Bei der gründlichen Untersuchung des Leichnams fiel auf, daß Haut und Muskelgewebe von den Extremitäten, dem Thorax und dem Hals entfernt worden waren und daß die gesamten Halsorgane fehlten. An den Rändern dieser Defekte fanden sich V-förmige Einstiche: Hinweise auf die Fangzähne eines Raubtiers/Karnivoren. Auch die Untersuchung der Knochen erbrachte Hinweise auf Leichenfraß durch einen Karnivoren z.B. in Form zerquetschter oder abgesplitterter Knochenränder und weiterer typischer Fraßspuren.
Nach Haynes und Binford [3,4] werden vier Formen von Zahnmarkern durch Karnivoren unterschieden: Punktionen, Einkerbungen, Furchen und Riefen. Punktionen und Einkerbungen sind Eindrückungen in den Knochen durch die Zahnspitzen, wenn das Tier zubeißt. Von Punktion spricht man, wenn der Zahn den Knochen durchbohrt, von Einkerbung, wenn der Beißdruck dafür nicht ausreichend war und eine entsprechende Marke zurückbleibt. Im vorliegenden Fall wiesen die oberen und unteren Extremitäten der Verstorbenen Punktionen und Einkerbungen auf.
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