verteilung

Die Abbildung zeigt die Verteilung der Tierexperimente über die verschiedenen Arten von Studien. modif. nach [2]

Überaus besorgniserregend ist, daß nur 60,8 % all dieser Tiere vor dem Experiment bzw. der Tötung sicher eine Betäubung erhielten und die Autoren waren überrascht über die sehr häufig fehlenden oder unzureichenden Angaben in den Studien zu Anzahl und Betäubung der Versuchstiere. Man muß also davon ausgehen, daß in vielen Fällen an unbetäubten Tieren experimentiert wurde.

 

Die Autoren wollen sogar einen Trend zu mehr statt weniger Tierexperimenten festgestellt haben (man darf allerdings bezweifeln, ob diese Einschätzung einer statistischen Prüfung standhalten würde):

trend

Ordinate: Gesamtzahl der in Experimenten eingesetzten Tiere, aus [2]

Das ethische Problem von Tierexperimenten in den forensischen Wissenschaften werde noch dadurch verschärft, so die Autoren, daß in vielen Fällen die Erkenntnisse aus den Tierexperimenten gar nicht auf den Menschen übertragbar seien, beispielsweise gebe es wesentliche Unterschiede zwischen den Knochen [5] und Hirnen [6] von Menschen und Tieren. Auch fehlten für das forensische Feld Metaanalysen und systematische Übersichtsartikel bereits durchgeführter Tierexperimente, die einen Überblick verschaffen und so verhindern könnten, daß identische Experimente von unterschiedlichen Forschern doppelt durchgeführt würden. Als Alternativen zu Tierexperimenten schlagen sie für die verschiedenen forensischen Fragestellung die Verwendung von Modellen, Simulatoren und sonstigen Substituten vor, etwa in-vitro-Zellkulturen, künstliche Schädel- und Hautmodelle etc.

Sie schließen mit dem Verweis auf die Bedeutung von Tierrechten, die sie als moralische Errungenschaft der Zivilisation ansehen und zitieren Kant:

Die Grausamkeit gegen die Tiere ist der Pflicht des Menschen gegen sich selbst entgegengesetzt.

I. Kant

Diese Auffassung gehe konform mit neuen Erkenntnissen aus Neuroethologie und Bioethik und auch der forensische Wissenschaftler möge sich in empathisches Einvernehmen mit allen Tieren setzen, so wie Darwin es schon andeutete mit seiner “Sympathie über die Grenzen der Menschheit hinaus” und jener

[…] Tugend, eine der edelsten, welche dem Menschen eigen sind, scheint als natürliche Folge des Umstands zu entstehen, daß unsere Sympathien immer zarter und weiter ausgedehnt werden, bis sie endlich auf alle fühlenden Wesen sich erstrecken. Sobald diese Tugend von einigen wenigen Menschen geehrt und ausgeübt wird, verbreitet sie sich durch Unterricht und Beispiele auf die Jugend und wird auch eventuell in der öffentlichen Meinung eingebürgert.

C. Darwin

Abschließend stelle ich mir die Frage: wie gehe ich mit der Thematik um und würde ich selbst forensisch-wissenschaftliche Exprimente an Tieren durchführen?

Ich habe schon mit Tieren experimentiert. Allerdings war das zu meiner Diplomandenzeit, als ich einen adenoviralen Impfvektor gegen Malaria testete, also an der Bekämpfung der gefährlichsten Infektionskrankheit der Welt beteiligt war (und die Mäuse, die meinen Vektor bekamen, haben es überlebt). Und ich würde es wieder tun. Für forensische Experimente würde ich jedoch nicht an Tieren experimentieren und auch nicht an entsprechenden Kooperationsprojekten teilnehmen, es sei denn, es wäre für ein Projekt von ganz erheblichem gesellschaftlichen Nutzen unerläßlich, was aber wohl nur eine theoretische Ausnahme sein dürfte. Zum Glück werde ich bei meiner miRNA-Forschung kaum in die Verlegenheit kommen und falls ich im Rahmen meines anderen Forschungsschwerpunkts je auf ein Tier schießen müßte (was dank unserer ballistischen Modelle ohnehin sehr unwahrscheinlich ist), würde ich nur bereits tote und zwar nicht für meine Versuche getötete Tiere dafür verwenden.

 

In den meisten Fällen, in denen Tierexperimente für forensisch-wissenschaftliche Fragestellungen in Frage zu kommen scheinen, müßte man bei der Abwägung der Güter Nutzen und Erkenntnisgewinn des Experiments vs. Schutz des Tiers vor Leid und Tod wohl zum Schluß kommen, daß erstere letztere nicht aufwiegen und die Experimente daher nicht durchgeführt werden sollten. Ich kann mich daher nur B. Knight sowie Cattaneo und Kollegen anschließen und dafür plädieren, daß forensische Fachjournale hohe Hürden vor der Annahme zur Publikation von Studien mit Tierexperiementen errichten und für solche zudem einen eigenen, einheitlichen ethischen Standard etablieren, der übrigens deutlich schärfer als derjenige in den jeweiligen Herkunftsländern der Autoren solcher Studien sein darf.

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Kommentare (12)

  1. #1 Fliegenschubser
    08/01/2016

    Vielen Dank für den Artikel. Er macht auf ein Problem aufmerksam, welches mir (wie den meisten Anderen wohl auch) nicht geläufig war. Im Übrigen teile ich deine Meinung zu Tierversuchen.

    Das Ausweichen auf andere Modelle, z.B. die Fruchtfliege Drosophila, kann sinnvoll sein, muss aber nicht. Vor einiger Zeit stolperte ich über ein paar Paper, welche versuchen, Drosophila als Modell für Schädel-Hirn-Traumata (engl. traumatic brain injury) zu etablieren (1). Natürlich stellt sich die Frage nach der Übertragbarkeit der Ergebnisse auf den Menschen und damit nach dem Sinn dieser Experimente, zumal die Paper auch noch erhebliche methodische Mängel aufweisen.

    (1) Links zu den angesprochenen Paper, beide frei zugänglich:
    https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3816429/
    https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4377547/

  2. #2 Ulfi
    09/01/2016

    Man kann an dieser Stelle aber nicht die Einschätzung allein den Journals überlassen. Hier muss mit den Füßen abgestimmt werden, das heißt ein Wissenschaftlicher Konsenz entstehen der so stark ist, dass unethische Experimente das Peer-Review nicht überleben. Das benötigt natürlich Reviewer mit genug A… in der Hose, da auch mal deutliche Zeichen zu setzen. Und ich weiß selbst, wie schwierig das manchmal ist.

  3. #3 Cornelius Courts
    11/01/2016

    @Ulfi: “Das benötigt natürlich Reviewer mit genug A… in der Hose, da auch mal deutliche Zeichen zu setzen. Und ich weiß selbst, wie schwierig das manchmal ist.”

    Finde ich aber einen guten Ansatz. Die Journals könnten das unterstützen, indem sie den Gutachtern den Rücken stärken und klar in die “Guidelines for Reviewers” o.ä. reinschreiben, daß auch und besonders tierethische Aspekte beachtet werden soll und daß der ethische Standard des Journals zur Bewertung von Experimenten folgender sei xyz.

  4. #4 Dr. Webbaer
    13/01/2016

    In einer anthropozentrischen, humanistischen Welt hat das Tier, ganz ähnlich auch diesem Konzept folgend, dies nur spaßeshalber angemerkt, dem Fortkommen gemeinter Primaten zu folgen.

    Wobei das Verhältnismäßigkeitsprinzip anzuwenden ist, nicht nur rein spaßeshalber dieses Bibelzitat berücksichtigend, oder anders formuliert:

    Es macht in einer Welt, in der Leben Leben verzehrt [1] keinen Sinn sich in besonderer Weise, gar in pathozentristischer, dem Tier zu widmen, außer eben es dadurch zu schützen, dass es nicht ohne besonderen Grund beizeiten belangt wird.

    MFG
    Dr. W

    [1]
    und zwar zumindest: billiardenfach, was allein die Säuger betrifft

  5. #5 Dr. Webbaer
    13/01/2016

    *
    auch diesem Konzept folgend

  6. #6 noch'n Flo
    Schoggiland
    13/01/2016

    @ CC:

    Ich finde Deine Haltung zu Tierversuchen in der Forensik sehr löblich und hoch respektabel – aber vielleicht könntest Du sie ja zumindest in Hinsicht auf die, leider heutzutage zunehmend penetrant auftretende Spezies Ursus interneticus nochmal überdenken? 😛

  7. #7 noch'n Flo
    Schoggiland
    13/01/2016

    Ui, ich bin doch tatsächlich gerade in der Mod gelandet. Wusste gar nicht, dass es hier bei CC überhaupt eine solche gibt. Sowas…

    • #8 Cornelius Courts
      13/01/2016

      gibt’s auch nicht, bis auf eine schwarze Liste, auf der Du natürlich nicht drauf bist. Vielleicht war das ein Aussetzer beim Spamfilter, denn im Moment wird heftig gegen ihn angerannt und Dein Kommentar war als Spam deklariert worden…

  8. #9 noch'n Flo
    Schoggiland
    13/01/2016

    Jau, die Plattform-Software muss im Moment tatsächlich so einiges aushalten. Besonders nervig finde ich ja die Spambots von diesen beiden Hotels in Frankfurt/Oder – wobei: könnte man da den Hotels nicht vielleicht mal eine Abmahnung schicken? Ich bezweifle doch sehr, dass dieses Spamming ohne das Wissen ihrer Betreiber stattfindet.

    (Sorry wg. OT.)

  9. #10 Dr. Webbaer
    14/01/2016

    Ischt natürlich eine problematische bis höchst problematische Aussage und Forderung:

    Ich kann mich daher nur B. Knight sowie Cattaneo und Kollegen anschließen und dafür plädieren, daß forensische Fachjournale hohe Hürden vor der Annahme zur Publikation von Studien mit Tierexperi[]menten errichten und für solche zudem einen eigenen, einheitlichen ethischen Standard etablieren, der übrigens deutlich schärfer als derjenige in den jeweiligen Herkunftsländern der Autoren solcher Studien sein darf.

    Denn sie würde für einige den Ausschluss von Publikation bedeuten und der geforderte einheitliche Standard (hier steckt etymologisch auch die Standarte drinnen) widerspricht multinationalem Tuns.

    MFG
    Dr. W (der auch die Nachrichten von “noch’n Flo” zu schätzen weiß, am meisten die substanziellen)

  10. #11 Bullet
    19/01/2016

    beispielsweise gebe es wesentliche Unterschiede zwischen den Knochen [5] und Hirnen [6] von Menschen und Tieren.

    Ich hab bei solchen Formulierungen (ja, is’ nich’ deine, ick weiß) immer heftigste Schmerzen.
    Mensch = Homo Sapiens Sapiens. Okay, verstanden.
    Tier = alles, was nicht Stein, Pflanze, Pilz, Bakterium oder ein vogonisches Gedicht ist. WTF? Dasselbe Problem träte doch auf, wenn man versucht, Experimente an, say, Hunden durchzuführen, um etwas über Wirkungen auf Kühe zu extrapolieren. Man landete unweigerlich bei der Erkenntnis, daß es “es wesentliche Unterschiede zwischen den Knochen [5] und Hirnen [6] von Kühen und Tieren” gebe. (Hier wären Menschen übrigens, da nicht Kuh, in der Gruppe der Tiere anzutreffen, wo sie definitiv hingehören.)
    Es wäre ein einziges (!) Wort, das hier zeigen könnte, daß man sich bewußt ist, eben nicht “God’s own pet”* zu sein:
    “[…] es wesentliche Unterschiede zwischen den Knochen [5] und Hirnen [6] von Menschen und anderen Tieren […]”

    .

    *und da kann wer sagen, was er/sie will: wer willkürlich eine Grenze zieht zwischen Mensch und Tier, hat einen ausgeprägten religiös unterstützten Minderwertigkeitskomplex.

  11. […] https://www.fsijournal.org/article/S0…9-5/references Tierversuche in den forensischen Wissenschaften – blooDNAcid The effects of sarin-like and soman-like organophosphorus agents …: ingentaconnect […]