Den hohen Männeranteil unter den Harakiristen (?) fand man auch in [2] und das, obwohl Frauen sonst häufiger Suizid versuchen, als Männer. Wahrscheinlich erklärt sich diese Abweichung durch den traditionellen Hintergrund der Praxis. Auch die historisch herleitbare Motivation, Harakiri zur Tilgung einer Schuld bzw. zur Wiederherstellung der mit der Schuld verlorenen Ehre zu begehen, um somit seine Verantwortlichkeit zu zeigen, bildet sich im Kollektiv der „modernen“ Harakiriker (?) ab, da unter ihnen häufig Schuldgefühle vorhanden waren. Es spricht hingegen nichts dafür, daß Harakiri aus einem manischen Schub heraus begangen wurde.

Daß Patienten nach einem Harakiri-Versuch häufig, selbst wenn dieser, wie hier, nicht tödlich verlief, sehr schwer und im Schnitt schwerer verletzt sind, als durch andere Suizidmethoden, wodurch fast immer chirurgische Eingriffe erforderlich werden, sieht man an der signifikant höheren Aufenthaltsdauer im Krankenhaus und an einer vergleichsweise höheren Mortalitätsrate.

Daß Menschen, die sich mit dem Gedanken tragen, Harakiri zu begehen, selten Hilfe suchen, eine psychiatrische Vorgeschichte haben, mit Freunden und Bekannten über ihre Pläne sprechen oder eine auslösende Situation erleben, spricht dafür, daß die Verhinderung oder Vorbeugung für diese Form des Suizids stark erschwert ist. Diese Menschen tragen sich  lange Zeit mit einer (von ihnen wahrgenommenen) Schuld und begehen dann einen Akt, mit dem sie in ihren Augen vor dem Hintergrund ihrer kulturellen Überlieferungen Verantwortung dafür übernehmen.

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Referenzen

[1] Kato, K., Kimoto, K., Kimoto, K., Takahashi, Y., Sato, R., & Matsumoto, H.  Frequency and Clinical Features of Patients who Attempted Suicide by Hara‐Kiri in Japan. Journal of forensic sciences 2014 59(5), 1303-1306.

[2] Takai M, Yamamoto K, Iwamitsu Y, Miyaji S, Yamamoto H, Tatematsu S, et al. Exploration of factors related to hara-kiri as a method of suicide and suicidal behavior. Eur Psychiatry 2010;25:409–13.

Musiktip

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Bildquellen:

[1] By signed Kunikazu Utagawa (歌川 国員), pupil of Kunisada – scan of photograph of ukiyoe woodblock print now in my possession, original work by artist kunikazu utagawa, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4299341

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Kommentare (11)

  1. #1 rolak
    14/05/2016

    wie es eigentlich heißt

    Na ja, es sind doch nur zwei Schreib/Lesarten ein und desselben Begriffes. Analog, wenn auch nicht äquivalent wäre im Deutschen zB “außerdem oder fürderhin, wie es eigentlich heißt”.
    Früher™ haben sie mir sogar beigebracht, daß H. eine Fehlübersetzung ignoranter Westler sei.

    außergewöhnlich hohe Suizidrate

    Zwar bei weitem nicht die höchste, aber -zur Einordnung- doppelt so hoch wie hierzuland.

    Frauen sonst häufiger

    Wo? In der eben verlinkten Tabelle fiel nur die VR China auf.

  2. #2 Dr. Webbaer
    14/05/2016

    Seppuku war eine Männer-Veranstaltung, es ging darum eine mögliche Entehrung des Samurai, wie immer diese auch zustande gekommen mag, aus heutiger zivilisatorischer Sicht kann dies nicht nachvollzogen werden, d.h. es muss in das (ehemalige) Großreich Japan sozusagen gedanklich eingedrungen werden, um hier folgen zu können, ga-anz andere Kulturalität meinend, als die heutzutage im “Westen” gewohnte, durch Suizid zu widerlegen oder auszubessern.

    Der Samurai hatte dem Herrscher zu folgen, Bushido hier sein Kodex.

    Ronin sind Samurai, denen ihr Herrscher verlustig ging, und die insofern zumindest nicht rechtzeitig Schuld oder Verantwortung auf sich nehmen konnten, durch Seppuku.

    “47 Ronin” sind insofern ein Mythos in Japan und vglw. lustig, irgendwie auch ein: Gründungs-Mythos.
    Weil sie sozusagen nachbissen.

    Eine Kollektiv-Psychose könnte heutzutage festgestellt werden, aber es ginge auch außer-pathologisierend sparsamer:
    Es war Kultur (und ist es heutzutage hoffentlich nicht mehr).

    Hirohito war insofern auch ein vglw. “cooler Typ”, der nach sogenannten Harakiri-Aktionen seiner Krieger i.p. Vernunft zeitnah aufsteifen konnte, legendär bspw. diese Photographie:
    -> https://en.wikipedia.org/wiki/Hirohito#/media/File:Macarthur_hirohito.jpg (Hirohito steht da also gedemütigt herum und wahrt seine Würde)

    MFG
    Dr. Webbaer

  3. #3 xdiz
    14/05/2016

    hm, was heisst denn 24,4 Suizide pro 100 000 Einwohner? pro Jahr?

  4. #4 Cornelius Courts
    14/05/2016

    @rolak: “Wo? In der eben verlinkten Tabelle fiel nur die VR China auf.”

    Gemeint war “versuchen” statt “begehen”. Ist korrigiert, danke

    @xdiz: “pro Jahr?”

    ja.

  5. #5 Joseph Kuhn
    https://scienceblogs.de/gesundheits-check/
    14/05/2016

    @ xdiz: “pro Jahr?”

    Die 24,4 je 100.000 beziehen sich wohl auf das Jahr 2009, rolaks link folgend. Seit einigen Jahren nimmt die Suizidrate in Japan ab, 2013 lag sie lt. WHO bei 21,4 je 100.000: https://www.who.int/mental_health/suicide-prevention/japan_story/en/

  6. #6 Jens
    Leipzig
    14/05/2016

    Geht der Schnitt wirklich nach links? Die Darstellung des Schnittes zeigt jedenfalls nach rechts… was für die meisten Menschen (als Rechtshänder) Sinn macht… 😉

  7. #7 Luk
    14/05/2016

    @Cornelius
    So viel ich weiss versuchen Frauen zwar häufiger einen Suizid, wählen dafür aber weniger blutige Methoden (also weniger Erschiessen, mehr Gift). Daher überrascht es mich nicht, dass die Männer beim Harakiri übervertreten sind.

  8. #8 Joseph Kuhn
    https://scienceblogs.de/gesundheits-check/
    15/05/2016

    @ Luk:

    Im Prinzip stimmt das. In Deutschland entfielen 2014 bei den Männern 52 % der Suizide auf Erhängen/Strangulieren, bei den Frauen waren es 34 %. An zweiter Stelle folgten die Vergiftungen (Männer: 14 %, Frauen 32 %). 8 % der Suizide bei Männern und 13 % der Suizide bei Frauen waren Stürze in die Tiefe. Schusswaffen oder Explovstoffe: 9 % der Männer, bei 1 % der Frauen. Scharfe Gegenstände waren bei Männern und Frauen etwa gleich häufig (4 % bzw. 3 %).

  9. #9 michanya
    10/11/2016

    … kenne noch aus Lateinunterricht – AVE CESAR MORTIBUS TE SALUTANT – Sei gegrüßt Cesar die Todgeweihten Grüßen Dich – hier galt es also auch schon in der Antike sein Leben fur GOTT und Kaiser zu geben. Opferung – ist ein EHRENTOD auch in der katholischen Kirche und führt zur Seligsprechung.
    Suicid – ist vielfach Verzweiflung weil es in der akuten Situation kein Ausweg gibt.
    Und Harakiri gibts auch in der Moderne – weil ein Japaner den Geheimen Bauplan fur ein neues Produkt verloren hatte – musste er als EHRBEZEUGUNG dann Harakiri machen.
    Verlorene Ehre – Missachtung – dann lieber den Tod als diese Schande in der Familie – es sind Alte Sitten.

    Neue Werte braucht der Mensch – biotec4u

  10. #10 Gabriel
    06/02/2017

    Das war gruselig, meiner Meinung nach. Aber die Japaner sind eine merkwürdige Bevölkerung und ich respektiere alle ihrer Sitten und Einstellungen. Durch diese Ehre haben sie vielle erreicht.
    LG
    Gabriel
    https://www.######## (Werbelink entfernt, Anm. CC)

  11. #11 noch'n Flo
    Schoggiland
    06/02/2017

    @ Gabriel:

    Wenn in einer Gesellschaft der Ehrbegriff überhöht wird, endet das praktisch immer im Desaster.

    Nebenbei: was soll der Linkspam?