Dank einer der größten medizinischen Errungenschaften aller Zeiten, der Impfung, ist der Menschheit der ungeheure Erfolg gelungen, eine besonders gefährliche, grausige Krankheit, die Pocken, vollständig auszurotten. Und „dank“ einer der größten menschlichen Dummheiten aller Zeiten, dem Impfleugnertum, ist uns das bei Kinderlähmung und Masern immer noch nicht gelungen.

Aber die Pocken sind weg, Jenner sei dank kann niemand mehr daran erkranken und niemand braucht mehr dagegen geimpft zu werden aber trotzdem interessieren sich Forscher noch für diese Krankheit und ihren Ursprung, den man bis vor Kurzem tausende Jahre in der Vergangenheit wähnte: man hatte Anzeichen von Pocken an ägyptischen Mumien gefunden und bereits in antiken chinesischen Texten wurden pockenartige Hautausschläge erwähnt.

Kürzlich hat nun jedoch eine Forschergruppe mehr oder weniger zufällig den Erreger der Pocken, das Variolavirus, in der DNA einer litauischen Mumie aus dem 17. Jahrhundert gefunden (so sieht so eine Mumie aus und in dieser Krypta lag sie), die sie zuvor mittels NGS analysiert hatten [1]. Nachdem sie das angebliche Alter der Mumie bestätigt hatten, rekonstruierten sie die virale DNA und verglichen ihr Degradationsmuster mit demjenigen eines rezenteren Stamms (sogenannte „molecular clock“, s. auch hier). Die Muster ähnelten einander auffällig, was für ein ähnliches Alter der Stämme spricht.

Ein Medizinhistoriker im Forscherteam half dabei, anhand historischer Quellen herauszuarbeiten, daß die Pocken im Europa vor dem 16./17. Jahrhundert weder so virulent noch so epidemisch verbreitet waren, wie zu späteren Zeiten. Anhand der Degradationsmuster errechneten die Forscher, daß sich die Abspaltung der virulenten von den weniger virulenten Stämmen erst im späten 18. Jahrhundert ereignete, also kurz bevor Jenners Impfstoff in Erscheinung trat.

Es kann also zwar durchaus sein, daß die zu Mumien gewordenen Ägypter tatsächlich schon an den Pocken erkrankt waren, doch die Stämme des 20. Jahrhunderts haben einen rezenten gemeinsamen Vorfahren mit dem Stamm, dem das Virus aus der litauischen Mumie zuzuordnen ist und deren Vorläuferstamm entstand lange nach dem Zeitalter der ägyptischen Mumien. Die Pockennarben auf den älteren Mumien könnten daher auch von Masern oder Windpocken herrühren.

Hier sind nun die Ergebnisse weiterer Forschung abzuwarten, aber mit NGS steht ja jetzt eine Methode zur Verfügung, um auch aus sehr alter und degradierter DNA, wie sie in Mumien gewöhnlich vorliegt, noch sehr viel interessante Information zu erhalten.

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Referenz:

[1] Duggan, AT et al. 17th Century Variola Virus Reveals the Recent History of Smallpox. 2016. Current Biology 26: 1-6.

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Kommentare (5)

  1. #1 Alisier
    08/02/2017

    Intreressantes Thema.
    Ich erinnere mich gerade an eine Diskussion mit einem Impf”kritiker”, während der er mir zu erklären versuchte, die Pocken wären eh verschwunden, hätte Jenner nicht dieses Teufelszeug entwickelt…..und der Mann war Lehrer, und nicht an einer Waldorfschule.
    Manchmal fällt es schon schwer, den Schreikrampf zu unterdrücken.

  2. #2 wereatheist
    09/02/2017

    Wenn die Pocken vor dem 17. Jahrhundert quasi harmlos waren, warum gab es dann die ‘Inokulation’, d.h. die ‘Impfung’ mit infektiösem Material von Pockenkranken unter die Haut geritzt, die Jenner letztlich ‘bloß’ verbessert hat?

  3. #3 Boombox
    10/02/2017

    @wereatheist: Was auf Wikipedia dazu zu finden ist, verstehe ich so, dass die ersten Pockenimpfungen erst im 18. Jahrhundert stattfanden, als vermutlich schon die virulentere Version verbreitet war.

  4. #4 gedankenknick
    10/02/2017

    War es nicht so, dass man auch schon in Alaska Körper exhumiert hat, um zu schauen, ob man darin (Reste von) Influenzavieren der Pandemie 1918-1920 finden könne?

    Mir deucht, ich hätte vor Jahren mal man eine Filmdoku dazu gesehen, aber in der hieß es am Ende gemäß meiner Erinnerung, dass der Untermehmung nur begrenzter Erfolg beschieden war.

  5. #5 anderer Michael
    10/02/2017

    Gedankenknick
    Richtig , nicht nur dort, in Spitzbergen ebenfalls. So richtig überzeugend waren die Ergebnisse nicht.
    Eine gewisse Gina Kolata hat ein populärwissenschaftliches Buch dazu und dem Komplex der Viruspandemie von 1917/18 geschrieben ” Influenza, Die Jagd nach dem Virus”