Wir hatten hier ja vor einer Weile schon einmal diskutiert, daß ein Drittel der US-Amerikaner die Evolutionstheorie (ET) ablehnen und an eine Schöpfung durch einen Gott glauben. Seither sind trotz aller Versuche, die wissenschaftliche Bildung der Bevölkerung zu verbessern, die Zahlen sogar noch schlimmer geworden: laut Gallup-Umfrage lehnen nun 42% die ET ab und nur 19% glauben noch, daß der Mensch ohne Beitrag durch einen Gott in der Evolution entstanden ist. Auf den ersten Blick sollte man meinen, daß das bedeutet, daß das amerikanische Bildungssystem bei knapp der Hälfte der Bevölkerung, die noch immer diesen grotesken steinzeitlichen Mythen anhängt, versagt hat.
In Wirklichkeit scheint die Erklärung für diese Erscheinung etwas komplexer zu sein und um sie zu verstehen, muß man sich mit der Wissenschaft und zugleich dem Problem der Wissenschaftskommunikationsmessung befassen, denn das Problem bei der Vermittlung und Akzeptanz wissenschaftlicher Konzepte scheint in den gemessenen Phänomenen selbst inhärent zu sein: den Überzeugungen, zu denen Individuen gelangen [2]. Vielen derer, die die ET ablehnen, ist nämlich durchaus der breite wissenschaftliche Konsens dazu bekannt und die Ablehnung ist keineswegs immer assoziiert mit wissenschaftlicher Illiteralität. Ganz ähnlich verhält es sich übrigens mit den Auffassungen zum Klimawandel [2, 3].
Die Gruppe um den Soziologen N. Friedkin hat kürzlich verschiedene Modelle für Beschreibung des sozialen Einflusses unter Individuen, die mehrere, voneinander abhängige Überzeugungen haben, entwickelt, die dieses Phänomen erklären könnten [1].
Von zentraler Bedeutung ist dabei offenbar der Zeitrahmen, in dem die Beeinflussung stattfindet, in Relation zur Dynamik des zugrundeliegenden Netzwerks, durch welches der Einfluß übertragen wird. Denn wo diese Prozesse in einem ähnlichen Zeitrahmen ablaufen, können soziale Selektionsprozesse (z.B. ob Menschen Partner wählen, die ihnen ähnlich oder verschieden von ihnen sind) mit den Beeinflussungsprozessen wechselwirken, weshalb beide gleichzeitig modelliert werden müssen [4]. Wo aber die Netzwerkdynamik langsam ist im Vergleich zum Beeinflussungsprozess, kann letzterer näherungsweise durch die Entwicklung individueller Zustände in einem fixen Netzwerk beschrieben werden. Die meisten Modelle für soziale Beeinflussung funktionieren so und man kann Friedkins [1] Modell aber auch das von Friedkin & Johnsen [5] benutzen, um die Haltungen zu und Überzeugungen von empirischen Konzepten (wie der ET) darzustellen und zu untersuchen. Sie bieten so einen flexiblen Rahmen, um Beeinflussungsprozesse zu modellieren, die sich schnell relativ zur Dynamik des zugrundeliegenden Netzwerks entwickeln.
Während andere Modelle besonders die soziale Struktur berücksichtigen, legt Friedkins Modell einen Schwerpunkt auf die kognitive Struktur. Es gibt etliche verschiedene Modelle zur Repräsentation von Überzeugungsstrukturen, die alle die Idee der Abhängigkeit von Überzeugungen voneinander (sog. Interdependenz) stützen, doch die meisten Modelle für soziale Beeinflussung betrachten nur eine einzelne Überzeugung oder behandeln mehrere Überzeugungen als kognitiv unabhängig voneinander (also eben nicht interdependent). Das schränkt diese Modelle darin ein, die Art und Weise zu erklären, wie eine Überzeugungsdynamik die Neigung, sich überzeugen zu lassen („persuadability“), formen kann.
Ein Beispiel: eine Person, die davon überzeugt ist, daß die menschliche Zivilisation zu unbedeutend ist, als daß sie globale Umweltveränderungen verursachen könnte, wird dazu neigen, unzugänglich für die Belege für anthropogene Veränderungen der CO2-Konzentration in der Atmosphäre zu sein, weil ihre ursprüngliche Überzeugung letztere unterminiert. Wenn dieselbe Person später davon überzeugt wird (womöglich sogar in einem ganz anderen Zusammenhang), daß die menschliche Zivilisation durchaus imstande ist, globale Umweltveränderungen zu bewirken, wird sie mit höherer Wahrscheinlichkeit auch die Auffassung akzeptieren, daß die atmosphärische CO2-Konzentration ganz erheblich durch menschliche Aktivität angestiegen ist.
Auf ähnliche Weise können Überzeugungsstrukturen in manchen Fällen die Auswirkungen sozialer Beeinflussung durch Führungspersonen verstärken, die von einem bestimmten Konzept überzeugt werden, die dann umgehend dazu führt, daß auch andere Konzepte, die daraus folgen, akzeptiert werden.
Friedkins Modell bezieht dieses Problem ein, indem es einen intrapersonellen (also nur auf die Überzeugungen ein- und derselben Person bezogenen) Beeinflussungsmechanismus vorsieht, bei dem die Akzeptanz eines Konzepts die Akzeptanz anderer Konzepte beeinflußt:
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