Ich bin zurück aus Seoul, wo vom 28.8.-2.9. der 27. Weltkongress der ISFG stattfand. Wie ich Korea und Seoul im Speziellen fand, habe ich ja schon erzählt, jetzt fehlt noch ein Bericht von der eigentlichen Tagung, die die weltweit wichtigste und größte Fachkonferenz für das Feld der forensischen Genetik darstellt.

Die Tagung fand statt im  COEX, einem kolossalen, riesenhaften Kongreß- und Veranstaltungszentrum mitten in Gangnam

coex

das COEX

und war phantastisch organisiert. Überall gab es (tatsächlich funktionierendes, schnelles) freies W-LAN und sogar eine eigene App, die das gesamte Kongressprogramm, einen Lageplan und sogar eine Funktion zur Erstellung eines eigenen Stundenplans enthielt, war verfügbar. Eine besonders coole Funktion dieser App war, in der laufenden Vortragssitzung live Fragen stellen zu können, die dann den Vorsitzenden direkt auf deren Bildschirm übermittelt wurden. So ließ sich das bei internationalen Kongressen häufig auftretende Problem umgehen, daß die Sprecher das gesprochene Englisch eines fragenstellenden Zuhörers nicht verstehen und die Frage falsch oder gar nicht beantworten.

Die Vorträge fanden im Audimax statt, wo man auf sehr bequemen Ledersesseln mit genug Beinfreiheit saß und der Präsentation auf einer riesigen Leinwand folgen konnte,

audimax

während Nahaufnahmen des Sprechers von einem eigenen Kamerateam gefilmt und an seitliche Projektionsflächen geworfen wurden.

Die ersten beiden Tage waren, wie üblich, für die insgesamt 11 Workshops vorbehalten, bei denen man sich, angeleitet von führenden Experten, in einer bestimmten Disziplin der forensischen Genetik weiterbilden konnte. So gab es diesmal etwa Workshops zu probabilitischem Genotyping mittels Open Source Software, zum Einsatz von Y-chromosomalen STRs und der Untersuchung mitochondrialer DNA, ethischen und sozialen Aspekten der forensischen Genetik, zur Vorhersage äußerlicher Merkmale aus der DNA u.v.a.m. Ich selber habe den Workshop zu “ancient DNA: Mass Disaster and Forensic Anthropology” besucht, um noch ein wenig mehr über die Bergung von und den Umgang mit Knochen zu lernen, das kann nie schaden, auch wenn man schon ein bißchen Erfahrung damit hat 😉

Am Dienstagabend war dann die große Eröffnungszeremonie, im Rahmen derer u.a. nicht nur der koreanische Justizminister eine kurze Rede hielt (auf Koreanisch, aber es gab sogar Simultanverdolmetschung für die Delegierten),

justizminister

Park Sang-ki

sondern auch, wie schon zuvor in Melbourne, typische landeskulturell-traditionelle Darbietungen aufgeführt wurden:

DSC_0159

Demonstration von Hanbok-Kostümen

Am nächsten Tag begannen dann die eigentlichen Vortragssitzungen, unterteilt in die Überbegriffe “Massive Parallel Sequencing (MPS)“, “Populationsgenetik”, “Nichtmenschliche DNA und Mikrobiomik”, das für mich besonders relevante und interessante “Körperflüssigkeiten, Touch-DNA und forensische Biologie”, “Prädiktive forensische Marker und Biostatistik”, “Ethisches/Rechtliches, DNA-Datenbanken und DVI” und “Neue Technologien”. Insgesamt gab es zu diesen Rubriken über 50 Vorträge und knapp 500 Poster, ein stattliches Programm also!

Etwas wirklich bahnbrechend Neues war diesmal nicht dabei, dafür viele Beispiele für Diversifikation der Methoden, für neue Anwendungsbereiche und abermals verschobene Grenzen der Nachweisbarkeit. Besonders interessant in der MPS-Sitzung und, wie ich meine, wegweisend für den Einsatz dieser Methode in der forensischen Routine war der Vortrag von S. Willuweit, der mit “NOMAUT” ein datenbankbasiertes Konzept für die sequenzbasierte Nomenklatur von STR-Allelen vorgestellt hat: wenn man mittels MPS STR-Allele nicht mehr, wie bisher mittels Kapillarelektrophorese, nur der Größe nach sortiert und definiert, sondern sequenziert und daher eine große Zahl zusätzlicher, nicht die Größe sondern nur die Sequenz betreffender Varianten unterscheiden kann, entsteht die Notwendigkeit, diese zusätzlichen Varianten auch eindeutig zu benennen. Die Frage ist: Wie? Denn die Allelbezeichnungen müssen für die praktische Handhabbarkeit zwar undbedingt kurz und übersichtlich sein, aber auch ausreichend für die exakte Angabe der bezeichneten Variante. Und die Bezeichnung muß kompatibel mit den ja bereits weltweit bestehenden und Millionen Einträge umfassenden kriminalistischen STR-Datenbanken, z.B. der DAD, sein. Willuweits Vorschlag eines zentralen, online ansteuerbaren Registers mit offiziellen Kurzbezeichnungen für die neuen Varianten wäre eine Lösung, die die Nutzung bestehender Softwares und Datenbanken gestatten würde, ohne daß man auf das enorme Potential von MPS verzichten müßte. Ich hoffe, sein Vorschlag findet breite Akzeptanz.

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Kommentare (9)

  1. #1 RPGNo1
    11/09/2017

    Ein interessanter Erfahrungsbericht. Vielen Dank auch für einige Klarstellungen, z.B. die Suche der forensischen Genetik nach der Wahrheit, nicht der Schuld oder der Einsatz zur Aufklärung bei “Wildlife crimes”.

    PS: Gibt es eigentlich eine gute deutsche Übersetzung für “wildlife crime”? Wildtierkriminalität passt nicht ganz, da auch Pflanzen eingeschlossen sind.

  2. #2 Cornelius Courts
    12/09/2017

    @RPGNo1: “Gibt es eigentlich eine gute deutsche Übersetzung für “wildlife crime”? ”

    Leider nicht, ich suche auch schon länger danach. Wenn jemandem was Gutes einfällt, bitte gerne hier nennen.

  3. #3 Uhland
    13/09/2017

    Ach, Washington ist aber ganz nett. Fahren Sie da ruhig einmal hin und sehen Sie sich unbedingt den National Zoo an, der ist toll.

  4. #4 RPGNo1
    13/09/2017

    Für Washington kann ich wärmstens diesen Erfahrungsbericht von Bettina empfehlen. 🙂
    https://scienceblogs.de/meertext/2016/12/06/washington-smithsonian-meeresgetueme-und-die-echte-uss-enterprise/

  5. #5 zimtspinne
    16/09/2017

    @ Cornelius

    Das gute alte Wort “Wilderei” passt doch noch immer für solch einen Frevel, finde ich!

    Übrigens erzählte meine Mom gestern, durch ihr Dorf seien völlig panisch mehrere Frischlinge gelaufen, die waren weder einzufangen noch zu verfolgen.
    Sie haben dort ringsherum viele Wälder, inzwischen soll es auch wieder Wildkatzen und Wölfe geben.

    Jäger halten sich kaum mehr an Schonzeiten und haben auch keinerlei Sanktionen zu befürchten. Der Bürgermeister hat andere Probleme und kümmert sich darum nicht. Anwohner beschweren sich mal lautstark öffentlich, das wars aber auch schon.

    Auch ne Form von Wilderei!

  6. #6 RPGNo1
    16/09/2017

    @zimtspinne
    “Wildlife crime” umfasst sowohl Pflanzen als auch Tiere umfasst, wie CC in seinem Artikel geschrieben hat. Daher passt der Begriff Wilderei meiner Meinung nach nicht, denn der umfasst “nur” Tiere

  7. #7 zimtspinne
    16/09/2017

    uff, ja, das habe ich tatsächlich übersehen.

    Theoretisch müsste darunter sogar fallen Müll in den Wald kippen, Zigarettenstummel überall fallen lassen, in einer Höhle Tropfsteine abnehmen, Vogelnester aus Gaudi zerstören etc!

    Die Raserei der heimischen Autofahrer nicht zu versäumen….

  8. #8 Janini
    19/09/2017

    Danke für diese tolle Kongress-Zusammenfassung Cornelius!
    Jetzt habe ich das Gefühl irgendwie doch dabei gewesen zu sein 🙂

  9. #9 Cornelius Courts
    19/09/2017

    @Janini: “Danke”

    Gerne, vielleicht schaffst Du es ja nächstes Mal nach Prag 🙂