Ende Februar findet jedes Jahr der Spurenworkshop der Spurenkommission der DGRM statt.

Der historische und aktuelle Hauptzweck der Spurenworkshops ist dabei immer, die Ergebnisse der beiden jährlichen GEDNAP-Ringversuche für forensisch-molekularbiologische Labore vorzustellen und zu diskutieren. Nachdem ich das jetzt schon so oft geschrieben habe, zeige ich hier jetzt auch mal den C. Hohoff, der beim SW immer den Ausrichter des Ringversuchs repräsentiert, wie er die Ergebnisse von GEDNAP 56 und 57 und einige der darin aufgetretenen Fehler demonstriert und diskutiert:

Inzwischen ist die Veranstaltung, die tatsächlich einmal als ganz kleiner Workshop ihren Anfang nahm, aber zu einer großen internationalen Tagung mit Hunderten Teilnehmern und zahlreichen Industrieausstellern geworden, auf der auch immer etliche wissenschaftliche Vorträge präsentiert werden.

Letztes Jahr waren wir in Basel, wo ich unsere inzwischen akkreditierte Methode zur mRNA-basierten Identifikation von Körperflüssigkeiten und Organgeweben beschrieb und ihre Entwicklung von den ersten Laborarbeiten bis zur Praxistauglichkeit schilderte (zum Hintergrund s. auch hier).

Dieses Jahr ging es nach Jena, wo unsere Tagung im über 100 Jahre alten Volkshaus stattfand

ganz schick, oder?

und mit den üblichen Grußworten,

darunter des Oberstaatsanwalts

eingeleitet wurde. Die Stadt Jena, wo ich zuvor noch nie war, hat mir übrigens gut gefallen. Mein Doktorand, der in Jena seinen Master gemacht hat, hatte sich als Stadtführer erboten und uns ein paar der Sehenswürdigkeiten,

Johannistor (da solle man vor einer Klausur nicht durchehen, heißt es hier)

zu denen zweifellos auch die interessanten und sehr individuellen Einkehrmöglichkeiten in der Wagnergasse zu zählen sind, gezeigt. Man könne, so wurde beteuert, im Jenaer Umland und entlang der Jena flankierenden Hügelkette auch leidlich wandern, so daß ich mir vornahm, dafür einmal mit mehr Zeit wiederzukommen.

Die Tagung hat mir auch gut gefallen, zumal wir aus Kiel mit ganzen drei Vorträgen vertreten waren, doch dazu später mehr. Zwei Schwerpunkte waren die im Moment recht „hippe“ forensische Altersbestimmung mittels Methylierungsanalyse, die im weiteren Sinne auch zur forensischen DNA-Phänotypisierung zu zählen ist, und wozu es mehrere Vorträge gab. Ein anderer Schwerpunkt war wieder einmal die Biostatistik. In einem interessanten Doppelvortrag berichteten T. Senge und L. Roewer von einem Fall, in dem die Beurteilung, ob ein Tatverdächtiger Kontakt zum Opfer hatte, anhand eines y-chromosomalen Profils gefällt werden mußte. Das Problem hierbei ist, daß bei einer Übereinstimmung nicht nur der Tatverdächtige sondern alle mit ihm in männlicher Linie verwandten Männer als Spurenleger in Frage kommen, worauf die offenbar sehr robust agierende Verteidigung auch prompt abgestellt hatte. Am Ende wurde der Tatverdächtige zwar verurteilt (mit Bestätigung des BGH nach Revision), es wurden aber von der Projektgruppe „Biostatistische DNA-Berechnungen“ und der Spurenkommission auch endlich  einheitliche Empfehlungen zur biostatistischen Bewertung von Y‑chromosomalen DNA-Befunden herausgegeben [1].

Darüber hinaus gab es aber auch mehrere Vorträge zur biostatistischen Auswertung von DNA-Mischspuren unter Einsatz probabilistischer Algorithmen mittels sogenannter „fully continous“-Softwares, die die maximal mögliche Information aus einem Elektropherogramm erheben und in die Berechnung mit einbeziehen können. Da der Rechenaufwand ungleich größer als bei den etablierten Methoden ist und die Ergebnisse zum Teil auf Abertausenden Simulationen beruhen, lassen sich die Berechnungen kaum noch händisch nachvollziehen, wodurch praktisch eine Art black box entsteht, was auch schon zu einigen Kontroversen hinsichtlich der Einführung und Akkreditierung solcher Methoden geführt hat. Erste Ringversuche, von denen auf der Tagung berichtet wurde, belegen allerdings die Verlässlichkeit der Methoden, unabhängig von den verwendeten Softwares, derer es verschiedene, sowohl freie als auch kommerzielle, gibt.

Besonders interessant fand ich auch den ersten Teil des Vortrags von W. Parson, der, als allgemein anerkannter mt-DNA-Experte, darin einen Kommentar zu einer Arbeit aus PNAS abgab,

nee, das tun die männlichen Mitochondrien wohl doch nicht, sagt W. Parson

die dort im Dezember letzten Jahres erschienen war [2] und die die ausschließlich mütterliche Vererbung der mtDNA in Frage zu stellen schien, was, wenn wirklich der Fall, nicht weniger als einen Paradigmenwechsel in der mt-Genetik des Menschen bedeuten würde. Ich hatte den Artikel auch gelesen, fand ihn gleich etwas verdächtig (trotz des sehr renommierten Journals, in dem er erschienen war) und hatte mir sogar schon vorgenommen, darüber zu bloggen (,wofür ich mir aber noch etwas mehr mt-Genetik hätte anlesen müssen), so daß ich dankbar W. Parsons „Einschreiten“ zur Kenntnis nahm: zusammen mit unserer Kollegin S. Lutz-Bonengel schrieb er einen Brief an PNAS [3], in dem sie argumentierten, daß die Befunde von Luo et al. [2], die diese als Beleg für väterliche Vererbung mitochondrialer DNA-Sequenzen, welche sie aber lediglich theoretisch abgeleitet hatten, interpretiert hatten, wohl eher auf NUMTS (nukleäre Elemente von mtDNA) zurückzuführen seien. Diese “molekularen Poltergeister” [4] müssen dann, so ihre Vermutung, koamplifiziert und mit der echten mtDNA mitsequenziert worden sein. Außerdem schlugen sie Experimente vor, die durchzuführen seien, um wirklich das von Luo et al. Behauptete zu zeigen.

Natürlich gab es auch wieder einige Vorträge zum forensischen Einsatz von NGS, darunter auch eine schöne Präsentation unserer Freunde aus der Zürcher Forensischen Genetik über NGS-basierte RNA-Sequenzierung mit der Zielsetzung der Identifikation forensisch relevanter Körperflüssigkeiten. Die Ergebnisse, die auch Details zur mikrobiellen Besiedelung diverser Körperflüssigkeiten vermittels bakterienspezifischer RNAs enthielten, waren vielversprechend und empfehlen den Einsatz von NGS auch bei der forensischen RNA-Analyse.

Die molekulare Ballistik war durch zwei Vorträge vertreten, einer von meinem Kollegen und früheren (zu Bonner Zeiten) Kooperationspartner C. Schyma (der jetzt in der Rechtsmedizin Bern arbeitet), der Empfehlungen für die Technik beim Abrieb von Läufen beschossener Waffen gab mit der Zielsetzung der Optimierung von DNA- und RNA-Analyse aus Backspatter. Den anderen Vortrag hielt sehr lebhaft und unterhaltsam mein Doktorand J. Euteneuer und präsentierte darin unsere Ergebnisse von der Erarbeitung eines neuen und anatomisch realistischen ballistischen „triple contrast“-Schädelmodells (dazu werde ich später noch ausführlicher berichten). Dazu zeigte er erste spektakuläre Hochgeschwindigkeitsvideos, die wir bei den Beschüssen im LKA SH (Danke für die Hilfe!) gemacht hatten:

9 mm, Hinterkopf, aufgesetzt = gesundheitlich nicht zu empfehlen!

Die letzten beiden Vorträge am Samstagnachmittag, die auf unserer aktuellen Arbeit aus FSI:Genetics beruhten [4],  hielten dann schließlich und vor leider bereits deutlich ausgedünntem Publikum meine Masterstudentin A. Gosch

hat sie sehr gut gemacht 🙂

und

yours truly.

Wir sprachen über das wichtige, komplexe und forensisch hochrelevante Phänomen des DNA-Transfers, also die Übertragung von DNA zwischen zwei Objekten und/oder Individuen durch Kontakt. Wir stellten fest, daß trotz der Wichtigkeit dieses Phänomens, mit dem man auch als Sachverständiger bei Gericht immer häufiger konfrontiert wird, dessen Komplexität und Schwierigkeit in der Community nicht ausreichend bewußt ist sowie daß auch ein erheblicher Teil der vorhandenen Forschung dazu unsystematisch und von durchaus variabler Qualität ist. Zudem fehlte bisher ein guter Überblick über die bis dato verfügbaren Untersuchungen. Deshalb schlugen wir Richtlinien vor, die bei der Planung, Dokumentierung aber auch gutachterlichen Bewertung von DNA-Transferstudien angewendet werden könnten (und sollten, ioho) und stellten dazu noch unsere neue „DNA-TrAC“-Datenbank vor, die alle derzeit verfügbaren und unseren Relevanzkriterien genügenden Studien zu DNA-Transfer enthält und nach deren Methoden, Ergebnissen, Teilaspekten, Einschränkungen u.v.a.m. durchsuchbar ist. Diese Datenbank wird von uns (im Moment noch) aktuell gehalten und kann künftig von Forschern aber auch und gerade von Sachverständigen bei Gericht verwendet werden, um sich schnell einen umfassenden Überblick über bereits erforschte Aspekte von DNA-Transfer, die eine gerade verhandelte Frage betreffen, zu verschaffen. Die wirklich zahlreichen Rückmeldungen nach diesen Vorträgen zeigten uns, daß es genau dafür wohl schon länger eine „Marktlücke“ gegeben hatte. Und da wir an einer Universität an einem noch nicht kaputtgesparten Institut für Rechtsmedizin arbeiten, ist diese Datenbank nun kostenlos und frei für alle verfügbar 🙂 #yourewelcome

Nach einer anstrengenden Tagung und getaner Arbeit kamen uns daher die zum Ausklang frisch für uns vor dem Volkshaus gegrillten und wirklich köstlichen Thüringer Rostbratwürste überaus gelegen:

am Ende ist eh alles Wurst!

(Am Freitagabend zum ausgezeichneten Conference Dinner, das auch im Volkshaus stattfand, hatte es u.v.a. übrigens schon eine andere regionale Spezialität, die famosen Thüringer Klöße (Trashfans klicken hier), gegeben.)

So endete eine schöne, vielseitige Tagung an einem angenehmen Tagungsort, die wie immer viel Gelegenheit bot, Neues zu lernen, Bekanntes zu vertiefen und neue Ideen zum Ausprobieren zu entwickeln. Außerdem habe ich natürlich wieder viele nette Menschen, bekannte und neue, getroffen, was mich stets besonders freut. Nächstes Jahr sind wir dann in Süddeutschland. Nein, nicht in Hamburg, sondern in München.

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Referenzen:

[1] Willuweit, S., Anslinger, K., Bäßler, G., Eckert, M., Fimmers, R., Hohoff, C., … & Razbin, S. (2018). Gemeinsame Empfehlungen der Projektgruppe „Biostatistische DNA-Berechnungen “und der Spurenkommission zur biostatistischen Bewertung von Y‑chromosomalen DNA-Befunden. Rechtsmedizin, 28(2), 138-142.

[2] Luo, S., Valencia, C. A., Zhang, J., Lee, N. C., Slone, J., Gui, B., … & Chen, S. M. (2018). Biparental inheritance of mitochondrial DNA in humans. Proceedings of the National Academy of Sciences, 115(51), 13039-13044.

[3] Lutz-Bonengel, S., & Parson, W. (2019). No further evidence for paternal leakage of mitochondrial DNA in humans yet. Proceedings of the National Academy of Sciences, 116(6), 1821-1822.

[4] Hazkani-Covo, E., Zeller, R. M., & Martin, W. (2010). Molecular poltergeists: mitochondrial DNA copies (numts) in sequenced nuclear genomes. PLoS genetics, 6(2), e1000834.

[5] Gosch, A., & Courts, C. (2019). On DNA transfer: the lack and difficulty of systematic research and how to do it better. Forensic Science International: Genetics 40:24-36.

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Kommentare (3)

  1. #1 RPGNo1
    27/02/2019

    Hm, lecker Bratwürstchen.

    Aber ein Blick auf das YouTube-Video kann einem schon schnell wieder den Appetit verderben.

  2. #2 Lercherl
    27/02/2019

    Wer oder was ist LKS SH?

  3. #3 Cornelius Courts
    27/02/2019

    @Lecherl: “Wer oder was ist LKS SH?”

    Na, ne falsche Abkürzung für das Landeskriminalamt Schleswig-Holstein, was sonst? 😉