Al-Hassan, die auf dem islamischen Auge blind oder doch jedenfalls fehlsichtig ist, scheint nicht wahrhaben zu wollen, daß die patriarchalische Kultur, der Hemmschuh für die Egalisierung der Bildungschancen für Frauen und zugleich freilich direkter Ausfluß der islamischen Religion und deren politischer Hegemonie in der arabischen Welt ist. So wie sie es in der westlichen Welt unter dem Joch des Christentums auch war. Vor gar nicht so langer Zeit übrigens.

Dazu paßt, daß al-Hassan ausgerechnet ihr eigenes Land, Jordanien, hervorhebt, indem sie scheinbar beeindruckende Entwicklungen im Bereich der Frauenbildung herausstellt. Mit gerade einmal 10 Mio. Einwohnern (ca. 2% der arabischen Welt) dürfte Jordanien daher schwerlich als repräsentativ anzusehen sein. Pikant ist hier zudem, daß al-Hassan einem Herrscherhaus angehört, unter dessen Ägide das Land eine miserable Position in der Rangliste der Pressefreiheit innehat (138 von 180). Man fragt sich also, ob es auch unabhängige Berichte aus Jordanien geben kann…

Sie schließt mit folgender Analyse:

“If we truly want to help Arab women scientists to thrive, then both Arab governments and the global science community must invest in improving career prospects in Arab countries.“

“Wenn wir wirklich den arabischen Wissenschaftlerinnen helfen wollen, zu prosperieren, dann müssen sowohl arabische Regierungen wie auch die Weltwissenschaftsgemeinschaft in die Verbesserung der Karrierechancen in den arabischen Ländern investieren.“(Ü: CC)

Aha, man muß also nur arabische Regierungen erstens davon überzeugen, daß frei und unabhängig denkende, arbeitende und in der Welt umherreisende Frauen, die zugleich Wissenschaftlerinnen sind, etwas Erstrebens- und Fördernswertes sei und zweitens, die Einmischung der „Weltwissenschaftsgemeinschaft“ in ihren Ländern zur Verbesserung der Karrierechancen von WissenschaftlerInnen, am liebsten sicher EvolutionsbiologInnen u.ä. zu gestatten. Wie das passieren soll, ohne einen kulturellen Wandel, dem in allererster Linie die in der arabischen Welt übliche (ultra)konservative Auslegung des Islam im Wege steht, bleibt wohl das Geheimnis von Frau al-Hassan. Und es bleibt das Geheimnis von Science, warum sie so ein Editorial veröffentlichen :/

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*Besonders übel aufgestoßen ist mir hier, daß al-Hassan in einer Seitenleiste unter ihrem Portraitbild untertänigst und anbiederisch als „Her Royal Highness“ (dt.: Ihre königliche Hoheit) tituliert wurde. In einer internationalen und hoch renommierten Wissenschaftszeitschrift! Dabei ist „Adel“ ein völlig absurdes, antiemanzipatorisches, antidemokratisches und inzwischen obsoletes Konzept und gerade WissenschaftlerInnen wird man mit solchen Titeln ganz sicher nicht beeindrucken.Ich finde es regelrecht unappetitlich, aus falschem Respekt vor den Gepflogenheiten ihres Herkunftslands diesen Titel zu verwenden. Man wird auch Kim Jong-Un nicht als „großen Führer“ und Peter Fitzek nicht als „König von Deutschland“ bezeichnen, nur weil das in Nordkorea so üblich und dort gerne gesehen wird bzw. weil Fitzek eben findet, er sei König. Im Falle al-Hassans wird zudem mit dieser für den Rest der Welt vollkommen unerheblichen Angabe ja nur die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Abstammungslinie indiziert, deren Mitglieder sich aus historischen Gründen als über anderen stehend wähnen, hingegen keinerlei Fachkunde oder sonstige für das Verfassen eines solchen Editorials in Science qualifizierende Eigenschaft angezeigt. Dabei hat al-Hassan ja durchaus ihre (echten) Verdienste und derlei Speichelleckerei daher gar nicht nötig.  – no gods. no kings.

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Referenzen

[1] „Ich klage an: Plädoyer für die Befreiung der moslemischen Frauen” von AyaanHirsi Ali (Piper Verlag)

[2] Cooray, Arusha and NiklasPotrafke. 2011. “Gender inequality in education: Political institutions or culture and religion?,” European Journal of Political Economy 27: 268–280.

[3] Feldmann, Horst. 2016. “Which religions still affect schooling? A study of 143 countries,” Cmparative Sociology 15: 439–484

[4] Norton, Seth W. and Annette Tomal. 2009. “Religion and female educational attainment,” Journal of Money, Credit and Banking 41(5): 961–986.

[5] Østby, Gudrun, Henrik Urdal, and Ida Rudolfsen. 2016. “What Is driving gender equality in secondary education? Evidence from 57 developing countries, 1970–2010,” Education Research International 2016. https://doi.org/10.1155/2016/4587194.

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Kommentare (11)

  1. #1 Thilo
    08/07/2020

    Wenn sie denn mit “arabisch” eigentlich “muslimisch” meint, hätte es eigentlich nahegelegen, neben Malaysia vor allem den Iran als Positivbeispiel zu bringen. Mädchenschulen im Iran haben ein sehr hohes Niveau und iranische Frauen sind in der Wissenschaft sehr erfolgreich.

  2. #2 rolak
    08/07/2020

    Determinanten

    ..vermutete ich beim Lesen als Thilos Kommentar-Anlass – fälschlicherweise. Trotzdem bleibts ein falscher Freund: ‘the strongest determinants’ sind ‘die bestimmendsten Faktoren’ oder von mir aus auch ‘die am stärksten bestimmenden Faktoren’. Zumindest scheint mir ‘Determinante’ außerhalb der Mathematik eher unüblich zu sein.
    Das Editorial zeigte sich übrigens dort hinten deutlich zugänglicher, oben die url erzeugte nur timeouts. Doch auch im vollen Kontext erschließt sich auch mir nicht die beabsichtigte Bedeutung des schwammigen ‘arab people’ – doch es klingt nach arab diaspora, insbesondere, weil ‘arab nation’ nicht gleichsortierend verwendet wird.

    Eher üblich erachte ich die überpositive Darstellung des eigenen Wirkungsbereiches unter Politiker*n; und (moin Thilo) sehr naheliegend das Unterbleiben einer positiven Erwähnung des Iran in einer USamerikanischen Publikation (ist ja ‘bloß’ das Editorial, keine wiss.Arbeit). Immerhin wird der postkoloniale (postMRPahlavi) Iran als Erzfeind und Angstfaktor auf/ausgebaut und hochgehalten.

    Geheimnis

    Aus lauter Neugier, Cornelius: wie hast Du aus den drölfzig bereits bei der editorialSuche auftauchenden Schreibweisen des AutorinnenNamens ‘Deine’ Variante ausgewürfelt?

  3. #3 Erdinger
    08/07/2020

    Das klingt nach einem sehr grossen falschen Schotten. Natürlich kann jemand sagen, das Christentum habe nichts mit patriachalen Strukturen und Dingen wie dem 30-jährigen krieg zu tun, weil so etwas dem Christentum im eigenen Verständnis nicht intrinsisch sei. Dann definiert man aber ein persönliches Christentum, welches sich von dem der jeweiligen Mitmenschen unterscheidet. Das kann man machen, wenn man INNERHALB einer Glaubensgemeinschaft über die “richtige” Auslegung streitet. Für jemanden außerhalb einer Glaubensgemeinschaft gibt es da aber natürlich keine richtige Auslegung (sonst wäre man ja Teil der Glaubensgemeinschaft).
    Es ist also unerheblich, was nach Ansicht von Frau Hassan wirklich Islamisch ist. Für Außenstehende zählt nur, ob Dinge basierend auf irgendeiner Auslegung einer Religion getan werden oder nicht. Und dass die untergeordnete Stellung der Frau (übrigens auch im Iran) religiös begründet wird, sollte unstrittig sein. Oder anders gesagt: Wenn Frau Hassan schon über “den” Islam schreibt, darf Sie als Argument nicht nur “ihren” Islam heranziehen….

  4. #4 libertador
    08/07/2020

    Akademisch habe ich mit KollegInnen aus Marocko, Tuniesien und Indonesien zusammengearbeitet und sehe da sehr große kulturelle Unterschiede zwischen diesen Ländern, die alle einen sehr großen Anteil Muslime haben.

    In allen drei Ländern sind Frauen im Bildungwesen durchaus repräsentiert, auch teilweise auf professoraler Ebene.

    In Tuniesien ist das Bildungssystem stark französisch geprägt und dementsprechend säkular aufgestellt. Auch wenn es von islamistischer Seite immer mal wieder Begehrlichkeiten gibt.

    Wenn ich mir die Situation in diesen drei Ländern anschaue, dann ist der Verweis auf die wirtschaftliche Situation allerdings durchaus angebracht. Innerhalb der Länder spielt die wirtschaftliche Situation durchaus eine Hauptrolle beim Zugang zu Bildung auch für Frauen. Innerhalb der Staaten erscheint mir die Perspektivverschiebung auf die wirtschaftliche Situation deswegen durchaus angebracht.

    Welcher Aspekt eine wichtigere Rolle einnimmt kann sich dann von Staat zu Staat und auch innerhalb eines Staates durchaus unterscheiden.

    Insbesondere die Aussichten auf eine Karriere hängen dann ja auch wieder von der jeweiligen Kultur ab. Welche Rollen werden von Frauen nach der formalen Bildung erwarten, u. a.

  5. #5 Cornelius Courts
    08/07/2020

    @rolak: “deutlich zugänglicher,”

    Check. Ist repariert, danke.

    “Zumindest scheint mir ‘Determinante’ außerhalb der Mathematik eher unüblich zu sein.”

    och nö, eigentlich nicht.
    D. ist einfach der “bestimmende Faktor” (das ist sogar die erstgenannte Bedeutung: https://www.duden.de/suchen/dudenonline/determinante ); passt hier also genau

    “Deine’ Variante ausgewürfelt”

    guckstu: https://de.wikipedia.org/wiki/Sumaya_bint_al-Hassan

  6. #6 rolak
    08/07/2020

    erstgenannte

    ‘bildungssprachlich’ – dieser Teil der SprachBildung ist offensichtlich an mir vorbeigegangen…

    guckstu:

    Daß diese Variante genutzt wird, war während der Suche bereits aufgefallen, die Neugier bezog sich auf Deine Motivation, genau jene Variante auszuwählen.

  7. #7 Detlef Schulze
    09/07/2020

    Der Iran als positives Beispiel wurde schon genannt. Aber auch in der arabischen Welt ist der Anteil von Frauen an Universitaetsabschluessen in STEM Fächern im Vergleich zur westlichen Welt extrem hoch und geht zum Teil weit über die 50% hinaus.

    https://files.eric.ed.gov/fulltext/EJ1162654.pdf

    Möglicherweise hat des mit den besseren Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu tun.

  8. #8 Erdinger
    09/07/2020

    Mit den Chancen auf dem Arbeitsmarkt ist das sone Sache. Aus der gleichen Studie:
    “Graduate women attempt to pursue career or postgraduate degrees are often excluded on bases of their gender and marginalized therefore much less apt to enter and remain in the job, few achieve leadership positions.”
    Ob man zur Uni geht ist oft eher eine Frage des Geldbeutels. Was man dann mit seiner Bildung anfangen kann ist – mehr als z.B. in Europa – eine Frage des Geschlechtes.
    Übrigens würde sich der Persische Teil meiner Familie mit Händen und Füssen und unter lautem Fluchen dagegen wehren, Araber zu sein 🙂

  9. #9 Detlef Schulze
    09/07/2020

    @Erdinger

    Wenn die Chancen auf dem Arbeitsmarkt schlecht sind, ist es noch ein größeres Mysterium, warum der Frauen-Anteil bei den STEM-Faechern so hoch ist. Bei uns gibt es unzaehlige Massnahmen die darauf abzielen mehr Frauen und Maedchen für STEM zu begeistern, die recht wenig nützen, wogegen gerade dort wo Frauen eher wenig Macht ausüben können, sie ein großes Intersse an STEM entwickeln. Ist das nur scheinbar eine Korrelation oder gibt es einen kausalen Zusammenhang?

    “Übrigens würde sich der Persische Teil meiner Familie mit Händen und Füssen und unter lautem Fluchen dagegen wehren, Araber zu sein”

    Zu Recht. Deswegen hatte ich geschrieben, dass neben dem Iran “auch in der arabischen Welt” der Frauenanteil höher ist 😉

  10. #10 Erdinger
    09/07/2020

    sehr löblich 🙂

    Ich kann da jetzt nur für den Iran (also eigentlich nur für die Mittelschicht in Teheran) sprechen. Und da ist Bildung unglaublich angesehen und ein ziemliches Statussymbol. Und nur die “harten” Fächer werden von vielen ernst genommen (sorry an alle Germanisten – ich kann nix dafür). Also Arzt oder Ingenieur – vielleicht noch Lehrer. Wenn es nach Mama geht kann Sohnemann werden was er will – Hauptsache Arzt. Also finden es auch alle Eltern ganz toll, wenn die Tochter Mathe oder Chemie studieren will. Ich habe da auch nie gehört, dass die Töchter eigentlich lieber was mit Sozialwissenschaften machen wollen. Vielleicht ein interessantes Beispiel dafür, wie solche Präferenzen anerzogen sind. In der Ehe wird dann natürlich erwartet, dass die Frau im Zweifel zurücksteckt. Ich kenne da zwar auch viele Doppelverdiener – aber sonst ist es schlimmer als hier in den 70ern – die Frau bleibt zu Hause und der Mann ist der Chef (in der Tendenz)…

  11. #11 RPGNo1
    02/09/2020

    Passend zum Prozessbeginn gegen die Attentäter auf “Charlie Hebdo”

    https://www.spiegel.de/politik/ausland/praesident-macron-verteidigt-recht-auf-blasphemie-in-frankreich-a-84e39bf4-3aa7-4f9e-9306-b5a3a70ffefc

    Die Zeitschrift wird die Mohammedkarikaturen erneut veröffentlichen. Präsident Macron verteidigt das Recht auf blasphemische Äußerungen und Darstellungen.