Alle reden über die elektromobile Zukunft. Auch das Verkehrszentrumsteam tut das und plant für das Jahr 2012 eine Sonderausstellung über Elektromobilität, die zur besseren Einordnung einen kleinen historischen Vorspann erhalten wird.

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Die Neuerwerbung: ein Hansa-Lloyd Elektroschlepper der Hansa Lloyd AG Bremen, Baujahr 1924

Denn Elektrofahrzeuge sind bekanntlich keine neue Erfindung. Die ersten Versuchsfahrzeuge bauten schon 1881/82 die Briten Ayrton und Perry und die Franzosen Trouvé und Jeantaud. 1888 versuchte sich auch ein deutscher Geschäftsmann im Bau eines Elektrowagens, Andreas Flocken. Fotos von ihm und seiner Elektromotor-Kutsche finden sich im Archiv des Deutschen Museums. Um 1900 gab es, vor allem in den USA, dann einen kleinen Boom an Elektrowagen. Doch setzten sich im PKW-Sektor noch vor dem Ersten Weltkrieg die sportlicheren Benziner gegen die Konkurrenz durch. Seither hatten es Elektrofahrzeuge schwer, wenngleich es im 20. Jahrhundert immer wieder Anläufe gab, die leise und örtlich abgasfreie Antriebstechnik zu nutzen. Sie scheiterten regelmäßig, was zum einen an der Technik – insbesondere der unbefriedigenden Batterietechnik – zum anderen an einer Automobilkultur lag, deren Leitbild bis in die Gegenwart durch schnelle, komfortable Reise- und Allroundfahrzeuge geprägt ist.
Eine zeitweilig fast vergessene Nische fanden Elektrofahrzeuge immerhin im Nutzfahrzeugbereich. Zum Beispiel unterhielt die Reichspost in den 1920/30er Jahren eine größere Flotte von elektrisch betriebenen Paketlieferwagen. Und nutzbringend waren Elektrofahrzeuge seit jeher auch im Hallenbetrieb oder dort, wo Lebensmittel gelagert werden.
So ein elektromobiles Arbeitstier, ein Elektroschlepper der Bremer Hansa Lloyd AG (Baujahr 1924), gehört seit wenigen Wochen zum Bestand des Deutschen Museums. Wir haben ihn in Belgien bei einem Oldtimerhändler gefunden, wo er nach einer langen Geschichte als Arbeitswagen als Tauschobjekt einging. Über Jahrzehnte war das Fahrzeug als Wagen Nr. 3 für die Bremerhavener Eiswerk GmbH im Hafengebiet unterwegs und versorgte mit einem halben Dutzend anderer Elektroschlepper den Bremerhavener Fischereihafen, die Auktionshallen, die Fangflotten, aber auch Passagierschiffe mit Eis zur Kühlung von Lebensmitteln. Der letzte Eisschlepper dieser Art wurde nach Auskunft der Firmenleitung erst 2003 außer Betrieb gestellt.

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Abfüllung von Eis in waggonähnliche Hänger bei den Geestemünder Eiswerken, um 1923. Der „Eiszug” wird von einem Hansa Lloyd Elektroschlepper gezogen. (Foto: Slg. Ulrich Kubisch)

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Batterie-Ladestation für Hansa Lloyd-Wagen um 1925: Die Akkusätze waren in Holzkisten untergebracht, die zum Laden einfach ausgetauscht wurden, so dass die Ladezeiten die Fahrzeiten nicht beeinträchtigten. (Foto: Slg. Ulrich Kubisch)

Das 4,5 t schwere Fahrzeug wurde von einem Elektromotor auf einer Vorlegewelle vor der Hinterachse angetrieben. Der Strom kam aus austauschbaren Batteriepacks mit bis zu 40 Blei-Akku-Sätzen, die in einer zentralen Ladestation geladen wurden und die noch einmal bis zu 1 t Gewicht als Zuladung erbrachten. Dafür konnte der Schlepper gleich mehrere Anhänger mit Eis auf einmal ziehen. Dabei ging es bedächtig zu, im Normalfall war er mit höchstens 12-20 km/h unterwegs.
Die einfache Konstruktion war robust und langlebig. – Das Museumsobjekt fährt z.B. noch auf seinen alten Vollgummireifen. – Dementsprechend warb die Firma Hansa Lloyd unter anderem mit der hohen „Amortisationsquote” für Elektromobile, und wies darauf hin, dass Batterie und Bereifung „einer Qualitätsminderung überhaupt nicht unterliegen, da sie periodisch vollkommen erneuert werden, und dass ferner das Elektromobilchassis (…) so unterhalten werden kann, dass es qualitativ auf einem gewissen normalen Zustande bleibt”.
Mindestens für die robusten Elektroschlepper traf das wohl wirklich zu. Es haben mehrere Exemplare überlebt. Und für ein über 80 Jahre altes Fahrzeug befindet sich der Neuzugang unserer Sammlung in einem überraschend guten Zustand. Die Spuren der Zeit sind gleichwohl nicht an ihm vorbeigegangen. Sie machen sich insbesondere in verschiedenen Farbschichten bemerkbar, die beibehalten werden sollen. In den nächsten Monaten wird dieser Elefant unter den Elektromobilen zunächst gereinigt werden und dann ab Sommer 2012 in der Ausstellung zu sehen sein, als Repräsentant einer nützlichen, zuverlässigen und umweltfreundlichen Spezies von Elektromobilen des 20. Jahrhunderts.

Bettina Gundler – Kuratorin für Straßenverkehr im Deutschen Museum

(Weiterführende Literatur: Gijs Mom, The Electric Vehicle: Technology and Expectations in the Automobile Age. Baltimore, London 2004; Ulrich Kubisch, Borgward war nicht der Anfang: Hansa Lloyd Automobilbau. Bremen 1986).

Kommentare (2)

  1. #1 rolak
    Dezember 26, 2011

    Die Kraft des Zurechtlesens scheint zumindest bei mir ungemein hoch zu sein. Eine kleine Suche fand ‘Vorlegewelle’ nicht im wiki, also google, was wieder auf wiki verwies. Hä? Dann fiel langsam der Groschen. Schöne Grüße aus Richtung Vorbirge 😉

    Ungewöhnliche Antriebe haben mich immer schon fasziniert, aus dem Bereich der Bahn z.B. die Triebwagen (Hybrid mit einem kleinen Diesel) oder die diversen Gepäckkarren (deren Anhänger auch noch so brav der Fahrstrecke folgen).

  2. #2 BreitSide
    Dezember 26, 2011

    Ja, die mit der großen Trittplatte und den zwei mysteriösen Hebeln (einer zum Gasgeben, einer zum Lenken?).

    Das mit den exakt folgenden Anhängern hab ich rein mechanisch auch nie wirklich begriffen…;-)