Aus Haushaltshelfern wird Abfall wird Kunst: Ende August 2005 hinterließ der Hurrikan Katrina enorme Zerstörungen im Südosten der USA. Die Bilder demolierter Kühlschränke wurden zu Symbolen für den Einbruch der Naturgewalt in den Alltag der Menschen.

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Brechende Dämme, Flutwellen, Evakuierungsmaßnahmen, der überfüllte New Orleans Superdome – das waren die Bilder, die in den unmittelbaren Tagen nach dem Hurrikan Katrina um die Welt gingen und einen Eindruck jener Katastrophe vermittelten, die weite Teile der amerikanischen Golfküste und von New Orleans im August 2005 in beispielloser Weise verwüstete. Für die Bewohner, für die in den Wochen und Monaten danach die mühseligen Aufräumarbeiten begannen, wurde allerdings bald ein anderes Bild allgegenwärtig und Ausdruck dessen, was geschehen war: In der ganzen Stadt säumten unzählige Kühlschränke die Ränder der Straßen und Vorgärten.

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Aus der Ferne erinnerte das Bild an die für die Südstaaten charakteristischen Friedhöfe mit ihren schiefen, weißen Grabsteinen. Aus der Nähe wurde etwas anderes sichtbar: Die weißen Kühlschränke, ihrer ursprünglichen Funktion entzogen, waren zum Schwarzen Brett geworden, zu Flächen für Zeichnungen, Graffiti und emotionale Botschaften. Ein Kühlschrank trägt ein eindringliches “Do not open!” (Nicht öffnen!), in dicker schwarzer Graffiti-Schrift quer über Tür und Eisfach. Ein anderer verkündet: »Bush, you’re fired« (Bush, du bist gefeuert). Ein dritter äußert in einer Sprechblase den wehmütigen Wunsch “I want to evacuate too” (Ich will auch evakuiert werden). Drei unter Tausenden im New Orleans der Post-Katrina-Ära. Was war passiert?

Mit Katrina waren nicht nur die Überschwemmungen, sondern auch der Zusammenbruch des Energienetzes gekommen. Nur wenige Bewohner hatten die Chance gehabt, vor der Evakuierung ihre Kühlschränke zu leeren, und so blieben die oft bis zum Rand gefüllten Haushaltshelfer ihrem Schicksal überlassen. Diejenigen, die nicht von den Überschwemmungen des Sturms mitgerissen wurden, erlagen bald anderen Naturprozessen: Ohne die Kühlfunktion verdarb das Essen innerhalb kürzester Zeit. Fleisch, Milchprodukte, Obst und Gemüse, ganze Mikrowellenmahlzeiten, die in den ausladenden und auf Vorratshaltung ausgelegten amerikanischen Modellen in rauen Mengen Platz finden, erlagen Schimmel und Maden. Wer in sein Heim zurückkehrte und das ehemalige Herzstück der Küche öffnete, erhielt nicht selten den Eindruck, die Büchse der Pandora aufgemacht zu haben: “Parfum New Orleans après Katrina” (Der Duft von New Orleans nach Katrina) bewarb ein Kühlschrank seinen Inhalt – eine sarkastische Beschreibung des üblen Geruchs, den die verrotteten Waren im Inneren verströmten. Hinter dem unmittelbaren Schock beim Öffnen der Geräte verbarg sich eine akute Gefahr für die Gesundheit von Mensch und Natur im Katastrophengebiet. War die Menge an Schutt und Müll durch zerstörte Gebäude, Straßen und Bäume schon groß genug, so stellten die “white-goods”, elektrische Haushaltsgeräte, die Aufräummaßnahmen vor eine zusätzliche Herausforderung: Sie bargen toxische Stoffe – generiert zum einen durch die verweste Nahrung, zum anderen aber auch aufgrund von Stoffen in den Bauteilen der Geräte selbst. Die Beraterin für Umweltfragen, Linda Luther, erläuterte in ihrem Kongressreport aus dem Jahr 2008 die Entsorgungsproblematik von Haushaltsgroßgeräten nach Katrina: Zu den Problemstoffen gehört beispielsweise Freon, ein Halogenkohlenwasserstoff, der unter enormem logistischen und zeitlichen Aufwand aus den Geräten entfernt werden muss. Der Prozess selbst ist Standard bei der Entsorgung von “white goods”. Aber die Notwendigkeit einer Entsorgung Tausender solcher Geräte gleichzeitig bedeutete den Ausnahmezustand – und führte auf einen Schlag vor Augen, welche Mengen an potenziell schädlichem Sondermüll unseren Alltag begleiten.

Der erste Schritt der Entsorgung wurde meist von den Besitzern selbst vorgenommen. Sie verfrachteten ihre Kühlschränke auf die Gehsteige, wo sie auf ihre Abholung warteten, die jedoch wegen fehlender Kapazitäten für eine fachgerechte Entsorgung oft erst nach Monaten erfolgte.

Der Anblick dieser Geräte, die bislang Nahrung im Überfluss gekühlt und gesichert hatten und nun deplatziert vor den Häusern standen, versinnbildlichte vielen, wie tief die Natur in den Alltag der Menschen eingedrungen war. Weder die modrigen Sofas, die auf Abholung warteten, noch die Mengen an dreckigem Schlamm, der aus den Häusern auf die Straßen geschaufelt werden musste, vermittelten das, was der Anblick der Kühlschränke signalisierte: den Verlust von Normalität und Sicherheit.

Die besondere symbolische Wirkung der Kühlschränke auf den Straßen wird verständlich, wenn man einen Blick auf die Geschichte dieser Haushaltshelfer wirft. Insbesondere Kühlschränke waren das haushaltstechnische Wunder des frühen 20. Jahrhunderts. Die Möglichkeit, Essen zu konservieren, erweiterte nicht nur die Auswahl an zugänglichen Lebensmitteln, sondern bedeutete auch Versorgungssicherheit und Unabhängigkeit.

In den USA der Nachkriegsjahre wurden Kühlschränke wie kein anderes Gerät zum Symbol kapitalistischen Wohlstands und Überflusses. Im neuen Jahrtausend ist mindestens einer der weißen Riesen die Norm in jedem amerikanischen Haushalt und eine absolute Selbstverständlichkeit. Unsichtbar und unaufhörlich gespeist von Elektrizität, ermöglichen sie dem Menschen, seinen eigenen kleinen klimatischen Mikrokosmos zu steuern, oder, wie die Geografin Helen Watkins es nennt, ein »Klima-aus-der-Kiste«. Sie schaffen einen Komfort, der so alltäglich und natürlich für uns ist, dass er erst in unser Bewusstsein rückt, wenn eine Klimakatastrophe wie Katrina ihn zum Stillstand bringt.

Doch für die Katrina-Kühlschränke blieb es nicht bei einer bloßen Klassifizierung als toxischer Müll. Auf der Straße erfuhren die einstigen Haushaltshelfer einen vergleichslosen Rollenwechsel. Unter den Nachwehen von Katrina wurden ihre steril-weißen Oberflächen, einst Versprechen von Modernität und Hygiene, zur Leinwand für spontane Zeichnungen, politische Parolen und persönliche Nachrichten. Waren sie ehemals neutrale Produkte der Massenfertigung, wurden sie auf einmal individuelle Sprachrohre der Bewohner von New Orleans und trugen statt ihrem beruhigenden Surren in der Küchenecke nun Gedichte, wütende Parolen, Suchanzeigen und schwarzen Humor auf die Straßen von New Orleans.

Was die ausrangierten Kühlschränke bereits durch ihre deplatzierte Anwesenheit symbolisierten, wurde von ihren Besitzern auf ihrer Oberfläche weitergeführt, so dass die ehemaligen Haushaltsgeräte nicht bloß zu Müll, sondern letztlich zu einer Form politisch-populärer Kunst wurden. Bereits sechs Wochen nach dem Unglück zählte das U. S. Army
Corps of Engineers (USACE) auf einer Halde in den Außenbezirken von New Orleans, die als Sammelstelle für die Kühlschränke genutzt wurde, 5500 Stück, eine Zahl die noch auf 250 000 steigen sollte.

Wer heute, sieben Jahre später, auf der amerikanischen Seite von Google die Begriffe “Katrina” und “Kühlschrank” eingibt, stößt auf Angebote für kleine Magneten mit Bildern der Katrina-Kühlschränke. Die kann man sich dann wiederum auf seinen neuen Kühlschrank kleben. Eine Erinnerung vor allem an die Katastrophe, die überstanden ist. Eine kleine Erinnerung aber vielleicht auch an die Rolle der elektrischen Haushaltshelfer, die nun wieder wie selbstverständlich den Alltag begleiten.

Weitere Kühlschrankbilder findet man hier.

Von Simone Stirner
Simone Stirner (B.A.) ist Master-Studentin der Literatur- und Politikwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Research Scholar an der University of California, Berkeley. Seit Herbst 2010 arbeitet sie als Hilfskraft am Projekt “Objekte des
Energiekonsums
” im Deutschen Museum. Zu diesem Projekt wird heute die Ausstellung “Kabelsalat – Energiekonsum im Haushalt” eröffnet.

Mehr zu den Kühlschränken von New Orleans:
Katheryn Krotzer Laborde, Do Not Open:
The Discarded Refrigerators of Post-Katrina New Orleans, Jefferson 2010.

Kommentare (2)

  1. #1 Spaceman_Spiff
    Januar 13, 2012

    Zu “I want to evacuate too” sollte man evtl. noch sagen dass mit “evacuate” auch die entleerung des Darms gemeint sein kann.

  2. #2 Die Amis :)
    Januar 14, 2012

    Hatte auchmal das nette Vergnügen nach 3 Wochen Urlaub festzustellen, dass doch jemand den Stecker gezogen hatte. Ein nettes Kühlfach voller nichtmehr gefrorener Hähnchen erwartete mich freudig, ganz abgesehen vom Rest des Kühlschranks, der doch noch recht prall gefüllt war.

    Hat zwar 3 Tage gedauert, aber mit essig, mehreren Kleidungsstücken als Maske und viel Ekel wurde der Kühlschrank gerettet und verrichtet jetzt wieder Tadellos seinen Dienst, sah sogar aus wie ein neuer danach.

    Allerdings in guter Amerikanischer Manier, wurde sicher jeder Kühlschrank weggeworfen, egal ob beschädigt oder nicht, da man ja einfach einen neuen kaufen kann.

    Daher ist hier ein bisschen die Frage ob es wirklich so schlimm war, oder die Amerikaner sich vielerorts einfach zu fein waren, ihren treuen Freund zu säubern.