Ich hab mit großer Freude das gerade erschienene Buch “Physik für alle die mitreden wollen. Über Atomkraft, schmutzige Bomben, Weltraumforschung, Solarenergie und die globale Erwärmung” von Richard A. Muller gelesen. Muller ist Physiker in Berkeley, ein bekannter Wissenschaftler, Forscher, Professor und Regierungsberater. Er hat sich das Ziel gesetzt, ein Buch zu schreiben das weltwichtige Themen so darstellt, dass jeder ausreichend weiß, um informiert über diese Themen diskutieren zu können.

Eine starke Ansage, und im Originaltitel ist die Prämisse gar noch steiler formuliert “Physics for Future Presidents”. Aber ich will es nicht spannend machen, es gelingt Muller tatsächlich, diese Ansprüche zu erfüllen.

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Das Buch ist in 5 Themenkomplexe aufgeteilt, die ihrerseits nochmal in Kapitel und dann Sektionen unterteilt sind, sodass das Buch eine klare und sinnvolle Strukturierung hat, die auch dem Zweck gerecht wird, die vielen Facetten eines Bereiches zu besprechen.
Los geht es typisch amerikanisch – mit Terrorismus. Das ist aber viel mehr ein Einleitungsteil, der die weiteren Themengebiete alle schon mal einbindet, und den Leser darauf vorbereitet dass man Probleme a) differenziert aber b) nüchtern betrachten muss. Und dass man viel Faktenwissen haben muss. Muller geht gleich mit dem Beispiel des WTC-Angriffes in die Vollen. Er zeigt, dass man wissen muss wieviel Energie in Benzin steckt und dass man dadurch wirklich die Folge des Flugzeug-Crashes in das Hochhaus bewerten kann. Und dass die Energie, die durch das brennende Benzin freigeworden ist, eindeutig den Kollaps des Gebäudes verursacht hat. In den weiteren Sektionen befasst sich der Teil mit der Frage: Was könnte der nächste Anschlag sein? Das ist eigentlich nur eine geschickte Motivation, um Themen der nächsten Kapitel vorzubereiten, z.B. Kernkraft (Terroristen und Atombomben) oder Strahlung (schmutzige Bomben, Sicherheitskontrollen am Flughafen).
Der erste Themenbereich offenbart gleich die Qualitäten des Buches. Muller verbringt wenig Zeit mit etwas anderem, als Fakten zu zeigen, kurz die physikalischen Grundbegriffe zu erläutern, aber vor allem daraus rationale Folgerungen abzuleiten. Die besondere Qualität, die ich nur von wirklich guten Physikprofessoren kenne (gibt es sicher auch bei anderen besonders guten Professoren, aber ich kenne halt nun besonders Physikprofessoren…), ist dass er differenziert darstellt. Er nennt die Aspekte die man berücksichtigen muss, zeigt dass Themen sehr komplex sind, und widmet sich vor allem der Widerlegung von leichtfertigen, häufig anzutreffenden Annahmen. Seine eigene Meinung kann man dabei höchstens leicht zwischen den Zeilen erahnen, er beschränkt sich auf die Bewertung der Fakten. Wenn das jetzt schnarchig klingt – ist es nicht. Gerade dieser dichte Schreibstil ist fesselnd – ich hab das Buch trotz mehr als 400 Seiten in einem Wochenende durchgelesen. Und zum späteren Nachschlagen eignet es sich durch die gute Strukturierung und die Zusammenfassungen am Ende jedes Themas auch.
Im zweiten Teil geht es dann zur Energie. Man erfährt, warum Mineralöl so beliebt ist, was passiert wenn es zu Ende ist und welche Alternativen existieren.
Der nächste Teil ist besonders ausführlich dem Thema Radioaktivität gewidmet. Ausführlich erläutert Muller die besonders starke, irrationale Angst vor Radioaktivität. Er erklärt, wie Atombomben und Wasserstoffbomben funktionierten, welche Unterschiede es gibt, wie schwierig die Typen zu entwickeln waren und was man dazu braucht. Dachtet ihr, Teflon kommt aus der Weltraumforschung? Nein, es wurde zuerst als Membran eingesetzt um im Gaschromatographie-Verfahren Uran-235 zu isolieren.

Besonders auf mich gewirkt hat das Kapitel zur Kernenergie. Ich musste überrascht feststellen, dass ich nicht besonders gut infomiert war und meine Ablehnung der Kernenergie nicht auf wissenschaftlichen Fakten begründet ist. Jetzt zweifle ich wirklich, was ich denken soll. Keine sicheren Reaktoren? Doch, es existiert ein Typ, der nicht gebaut wurde, der Kugelhaufenreaktor. Dieser erschlägt durch sein Design zwei Probleme: Die Gefahr der Überhitzung des Spaltmaterials wird durch die Einschließung in kleine Kugeln verhindert. Sollte irgendeine Störung auftreten, bricht die Reaktion ab. Weiterhin wird durch diesen Einschluss sehr erschwert, an das Plutonium-239 als waffentaugliches Material zu kommen. Und ich wusste auch nicht, dass bis 1988 ein Testreaktor nach diesem Typ in Jülich lief – ein weiterer in Hamm. Weiterhin zeigt Muller – auf Amerika und deren Endlager Yucca Mountain bezogen – dass die Forderungen nach Sicherheit der Endlagerung von Atommüll irrational hoch sind. Alleine die Gefahr durch Erdbeben in Gebieten mit natürlichen Uranvorkommen sei wesentlich höher!
In Anbetracht der Dinge muss ich natürlich meine Meinung zu Kernenergie ändern – aber das geht nicht einfach schwarz oder weiß, das muss man tatsächlich ausdifferenzieren. Im Angesicht des Atomausstiegs denke ich weiterhin, dass es an der Zeit ist, voll auf Sonne und Wind zu setzen – und auf Energie sparen. Aber wahrscheinlich war es auch ein Fehler, vor 20 Jahren keinen der neuen Kraftwerktypen zu bauen. Ohne Tschernobyl sähe das wohl anders aus.
Nun, zurück zum Buch, nach einem Ausblick auf Kernfusion als Zukunftshoffnung folgt dann noch ein Teil zum Weltraum (Satelliten, Raumfahrt und Spionage aus dem All), bevor der fünfte, sehr wichtige Teil das Buch abschließt: Klimaerwärmung.
Dieser Teil ist wunderbar. Alles was man wissen muss steht drin. Alle Fakten, aber auch und besonders Antworten auf überzogene,emotionale Darstellungen z.B. im Film von Al Gore (den Muller trotzdem als fantastisch bezeichnet – so sieht eine kluge Weltsicht aus!). Dieser Teil sammelt die ruhige, ausgewogene Darstellung, die man sich wünscht und die man nur rausbekommt wenn man ein Buch liest und niemand dazwischenfunkt wie in Blogs. Es wird nichts an Unsicherheiten verschwiegen, aber es wird auch glasklar gesagt was der IPCC 2007 feststellte: dass es eine 90% Chance gibt dass die Klimaerwärmung vom Menschen verursacht ist.
Danach widmet sich das Buch noch Lösungsansätze – aufgeteilt in untaugliche (z.B. Elektroauto, Solarenergie, Kyoto) und “tief hängende Früchte”, also Lösungen die uns vor der Nase baumeln – vor allem Energie sparen! Schließlich gibt es einen hoffnungsfrohen Ausblick auf neue Technologien und was diese uns doch noch bringen können.

Eine kleine Sache habe ich zu bemängeln – manche Fakten werden einfach zu oft wiederholt, gerade in der ersten Hälfte. Es ist ja wichtig, zentrale Ideen mehrfach anzubringen, aber manche wiederholen sich 4-5 mal, und vor allem so formuliert als träten sie gerade zum ersten Mal auf. Ich befürchte, hier hat der Editor geschlafen.

Als Fazit kann ich dieses Buch jedem empfehlen, egal wieviel er von Physik weiß. Man muss keine Voraussetzungen mitbringen, und man muss nicht Mullers Meinung immer teilen, denn durch die ausgewogene Darstellung von Fakten lässt sich eine Basis finden, selbst eine Meinung zu finden und in Diskussionen einzubringen.
Wenn umfassendes Faktenwissen die Nahrung einer Diskussion ist, ist dieses Buch ein Powerriegel!

Richard A. Muller: Physik für alle die mitreden wollen, 448 Seiten, Fackelträger-Verlag, ISBN 978-3-7716-4397-3

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Kommentare (8)

  1. #1 GeMa
    03/18/2009

    Klingt interessant und kaufverdächtig. Danke für´s Vorlesen ;-).
    Teflon? Ja, dachte ich.
    AKWs entspannend, wie Du das anführst. Ideologie verhindert Fortschritt, so ist es eben. Dumm ist, dass deswegen auch noch mit weniger gut entwickelten Technologien weiter Schaden angerichtet wird.

  2. #2 Ronny
    03/19/2009

    Danke für den Tipp, kommt auf meine Liste 🙂

  3. #3 walim
    03/20/2009

    Ich hatte Gelegenheit, auch mal drin herumzulesen und bin ausgesprochen angetan davon. Vermulich werde ich es mir bei Gelegenheit mal selber zulegen, um den ganzen Rest zu lesen. Aaaaber: ich habe da bei meiner zugegebenermassen flüchtigen Lektüre eigentlich nichts finden können, was meine prinzipiellen Zweifel an der Atommüllproduktion reduziert. Angesichts der Unmengen an bereits vorhandenem Müll und dessen langfristigem Potential (Muller stellt die Zeiträume ja ganz korrekt dar) und der Tatsache, dass es ja zunächst nur darum geht, diesen existierenden irgendwo definitiv Müll zu verwahren, sehe ich in den Zahlenspielen zur Risikobewertung keine Entwarnung. Im Grunde fast ein Glück, dass die womöglich tatsächlich sicheren Kraftwerke nicht gebaut wurden, die dieses Problem ganz ungehemmt über gegenwärtige Maß hinaus zu vervielfachen geeignet sind. (Im Zusammenhang mit der Klimadebatte diskutiert Muller das Risiko überzogener politischer Haltungen bei unklarer Erkenntnislage.) Insgesamt ist das wohl tatsächlich kein technisches oder wissenschaftliches Problem und wenn es ein gesellschaftliches ist, fühle ich mich nicht so glücklich in einer Situation, in der innerhalb von Jahrzehnten Bedrohungen für Zeiträume verursacht werden, die eher in naturgeschichtlichen als historischen Dimensionen liegen. Fischer hat letztens angedeutet, ein Abbau des Mülls wäre im Rahmen aufwändiger und womöglich auch wieder störanfälliger Technik irgendwie möglich, generell aber auch unabsehbar teuer. Das ist natürlich das zentrale Problem, nicht bloss bei Atommüll: die beliebte Vertagung von Kosten.
    Aber wie gesagt, Muller ist kein Atomapostel, sondern bloss interessiert, Diskussionen zu enthysterisieren, d.h zu rationalisieren.

  4. #4 Müller
    03/20/2009
  5. #5 Ludmila Carone
    03/20/2009

    Muller ist kein Klimaskeptiker:

    But the foundation for thinking that human effects will cause warming is substantial. Even if the recent rise in temperature is natural, human caused effects have a high probability of dominating in the near future, and within our lifetimes the temperature of the Earth could go higher than has ever seen previously by Homo sapiens.

    Siehe auch Jörgs Besprechung, die Sie offensichtlich nicht gelesen haben, sonst würden Sie nicht diesen strunzdummen Beleg Ihrer selektiven Zitiererei und des Lesens posten.

    Wir hier auf den Scienceblogs lassen uns von Ihnen weder bedrohen, noch verarschen. Und jetzt gehen Sie woanders pöbeln.

  6. #6 Jörg
    03/20/2009

    Genau, Muller ist differenzierter als das jemals hier möglich sein wird mit Leuten wie Müller, aber stimmt definitiv mit der Klimawissenschaft überein und schreibt sein Buch u.a. weil Leute wie Müller zeigen, wie viel wissenschaftlicher Verstand fehlt in der Öffentlichkeit. Aber du brauchst gar nicht zu antworten auf Müller, Ludmila, der ist hier sowieso unerwünscht und würde gelöscht.

  7. #7 Jörg
    03/20/2009

    walim: Ich fühle mich auch nicht glücklich dabei, und sehe auch keinen Anlass das jetzt gesellschaftlich durchzudrücken, aber a) müssen wir uns sowieso drum kümmern, weil der Müll schon existiert, und die jetzige Lagerung definitiv gefährlicher ist als die Endlagerung und b) stellt Muller dar, dass es eben nicht ohne Risiken geht, diese aber in Zahlen ausgedrückt echt niedrig seien.

  8. #8 Alexander Knoll
    03/20/2009

    Ich habe Muller kennen gelernt, als er auf dem Quirks & Quarks Podcast interviewt wurde. Ist witzig, nachdem ich deine Besprechung gerade gelesen habe, kommt mir ein komisches Gefühl: Über die besprochenen Themen dort weiß ich nicht wirklich gut Bescheid. Mir kam Muller im Interview sehr autoritär vor, er gab eine Antwort, und so ist es dann auch. Mein Eindruck als ich es hörte: Da sind teilweise brisante Themen dabei, die auch wissenschaftlich umstritten sind, der geht aber nur auf eine, nämlich seine Meinung ein. Schade.
    Jetzt denke ich: Fühlt sich so ein Kommentator, wenn ich ihm Quatsch aus meinem Fachgebiet ausrede?