Wenn man die größten Physiker des 20. Jahrhunderts in einem Atemzug nennen soll, wird auch ein starker Raucher nicht drumrum kommen, Paul Dirac zu nennen. Als Mitbegründer der Quantenmechanik und “Entdecker” der Antimaterie hat der theoretische Physiker aus Bristol viele geniale Ideen in die Physik gebracht. Er wird als unnachgiebiger Kämpfer für die Schönheit der mathematischen Formulierung geschätzt und hat Generationen von berühmten Physikern inspiriert und bewegt.

Der britische Autor und Physiker Graham Farmelo hat in 5 Jahren Arbeit eine Biographie von Paul Dirac niedergeschrieben und in The Strangest Man: The Hidden Life of Paul Dirac, Quantum Genius veröffentlicht. Eine äußerst schwierige Aufgabe, denn Dirac, der vermutlich autistisch war, hat einfach nicht gerne gesprochen. Doch (siehe auch das Interview mit Graham Farmelo), er hat Briefe hinterlassen und sich gelegentlich Freunden anvertraut. Und so ist Farmelo eine wunderbare, mitfühlende, behutsam ausgearbeite Annäherung an Dirac gelungen, die man mit dem wohligen Gefühl abschließt, ein wenig mehr über diesen bemerkenswerten Mann erfahren zu haben.

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Geboren wurde Paul in Bristol, mit einem Bruder und einer Schwester ist er aufgewachsen unter einem sehr strengen Vater. Sein Vater stammte aus Genf, und war Lehrer. Er führte ein hartes Regiment und Paul musste immer mit alleine in der Küche essen und französisch sprechen. Jeder Sprachfehler wurde damit bestraft, dass Pauls nächster Wunsch abgelehnt wurde. Außerdem musste Paul immer alles aufessen, was wohl dazu führte, dass er sich wegen seines schwachen Magens regelmäßig übergeben musste.
Auch wenn Farmelo vermutet, dass Diracs Darstellung seines Vaters übertrieben grausam war, so kann man doch vermuten dass er durch diese schwere Kindheit stark geprägt und in seiner völligen Verschlossenheit bestärkt wurde. Seine Eltern führten keine glückliche Ehe, sein Bruder beging einige Jahre nach dem Studium Selbstmord. Dirac schloss zunächst höchst erfolgreich ein Ingenieursstudium ab, und zeigte vor allem mathematisches Talent, weniger handwerkliches. Als er aber aufgrund der Wirtschaftskrise keine Anstellung fand, ermöglichte man ihm ein kostenloses Mathematikstudium, das seinen Lebensweg prägen sollte. Fasziniert von der Relativitätstheorie fand er in die Physik, der er vor allem bereits in seinen jungen Jahren entscheidende Impulse gab. Seine Formulierung der Quantenmechanik wurde wegen ihrer perfekten mathematischen Schönheit gelobt und verehrt. Dirac erhielt bereits 1933 im Alter von 31 den Physik-Nobelpreis.
Die bedeutensten Arbeiten Diracs sind die Dirac-Gleichung, eine Formulierung der Gleichung der Quantenphysik für ein Elektron, die aber die Relativitätstheorie einschließt. Der unvergleichliche Erfolg der Dirac-Gleichung war einmal, dass die Eigenschaft Spin des Elektrons aus der Gleichung herauskam, aber auch dass die Gleichung die Existenz von Antimaterie vorhersagt. Getrieben und überzeugt von der Schönheit seiner Gleichung, postulierte Dirac die Existenz zunächst eines Sees von Elektronen, dessen “Löcher” die Gegenstücke zum Elektron seien. Zunächst nahm er an, dass diese Löcher Protonen seien, aber als sich herausstellte, das dies nicht sein könne, formulierte er seine Erwartung eines Positrons. Dessen Entdeckung im folgenden Jahr ist einer der unvergleichlichsten Triumphe der theoretischen Physik. Sie bildet auch die ewige Arbeitsgrundlage Diracs, der wollte, dass die mathematische Formulierung dem Experiment vorausgehen musste. Leider führte das auch dazu, dass er die letzten Jahrzehnte seines Lebens damit verbrachte, gegen die Formulierung der Quantenelektrodynamik zu opponieren, da ihm nicht gefiel auf welche Art dort Unendlichkeitsstellen weggerechnet wurden. Er konnte aber selbst keine neuen, besseren, schöneren Wege finden und schien am Ende seines Lebens sogar geglaubt zu haben, versagt zu haben. Allerdings probierte er zwischendurch, in den 50ern, eine Theorie mit 1dimensionalen Elektronen. Er war weiterhin davon überzeugt oder gar besessen, dass man zuerst schön die Interaktion zwischen Photon und Elektron beschreiben musste. Diese Theorie nannte er String-Theorie. Wer weiß, vielleicht hat Dirac auch die nächste, kommende revolutionäre Theorie der Physik erwartet.
Die zweite bekannte Leistung Diracs war die statistische Auswertung der Teilchen mit halbzahligem Spin, die er mit Fermi erarbeitete. Diese Teilchen heißen dann auch Fermionen und die Statistik dazu Fermi-Dirac-Statistik. Es gehen aber noch unzählige andere Formulierungen auf Diracs Konto, man kann nicht lange Physik studieren ohne über Dirac zu stolpern. Er hat z.B. für das Rechnen mit Wellenfunktion diese Notation erfunden: , wobei er (nach “bracket” für Klammer) die “ket”.

Dirac war verheiratet und hatte zwei Kinder. Seine Ehefrau war sein genaues Gegenteil – aber seine Ehe war anscheinend glücklich (wenn es nicht gerade Streit gab wegen Diracs Wesen) und erfolgreich. Dirac äußerte sich selten zu Politik, lehnte aber wohl in seinen jungen Jahren in einer links-radikale Richtung. Sein größter Freund war auch der berühmte russische Physiker Kapitza, der zunächst in Cambridge war, aber später nicht aus Russland heraus durfte. Stalin aber baute ihm ein großes Institut; und später sahen sich die Freunde auch wieder regelmäßig wieder.
Kurios fand ich auch noch, dass Leo Halpern, ein Freund in seinen späten Jahren, als er sich als Ehrenprofessor an einer Universität in Florida zur Ruhe gesetzt hatte, ihn mit homoöpathischen Mitteln vollpumpte, als er krank war. Sehr zum Ärger seiner Frau, die ihn dafür des Hauses verwies.

Das Buch ist eine tolle Biographie, beschreibt Dirac, aber vor allem ordnet es sein Leben und Werk auch in sein Umfeld ein. Klar, Dirac war ein ruhiger, geordneter Mensch über den es wenig Anekdoten zu erzählen gibt. Stattdessen versteht Farmelo es sehr schön, sein Umfeld mit den Menschen (wie Bohr, Born, Oppenheimer, Kapitza, Tamm oder Pauli) zu beschreiben. Er erläutert auch die Entwicklung der Physik, aber verzichtet abgesehen von einigen schönen Vergleichen fast vollständig auf eine technische Beschreibung. Daher kann ich das Buch wirklich jedem empfehlen, es ist ein guter Zugang in die Welt eines wirklich seltsamen, außergewöhnlichen und bedeutenden Mannes.

Dank der Macht von Twitter hatte ich außerdem noch die Möglichkeit, Graham Farmelo einige Fragen zu stellen. Ich werde diese zunächst auf englisch im Original kopieren und dann übersetzen:

I was astonished how well you managed to convey a picture of Dirac. I closed the book with the feeling that I know a bit more about the man, although that must have been really difficult to find out, since Dirac hardly spoke abot himself or about anything, for that matter. How hard was it for you to understand Dirac, and what was your approach to forming a book out of this?

Yes, Dirac did not speak about himself much in private. However, to my surprise, he did talk with friends about his personal life and even committed astonishingly vivid memories of his family life almost at the beginning of his interview for the Archive for the History of Quantum Physics. In addition, I was very fortunate that Dirac left a remarkably rich collection of material, now archived at Florida State University, and a wonderful collection of private letters, which his younger daughter very kindly shared with me.
As I had a lot of personal material, I was able to interweave an account of Dirac’s science with fairly rich biographical material.

Your portrait of Dirac is very sympathetic, he seems to have been a good man, though detached from the world. But is there anything about Dirac you really don’t like or can’t agree with?

He wasn’t a warm person, to most people, at least, but he could certainly be a very good friend. This explains why some people thought him terribly cold and distant, while other found him agreeable company. I doubt whether he’d have chosen to be close to me so, like many others, I expect I’d have felt rejected.
I find his attitude to the importance of mathematical beauty rather extreme, but that’s a key part of his singular approach to theoretical physics.

Dirac achieved his greatest success through his approach to seek beauty in mathematical formulations. But this also hindered him from being productive in his later years. Do you think he could have been more productive, or was this his nature and he couldn’t have done it another way. Is there a lesson in this for (theoretical) physicists?

Yes, his aesthetic views undoubtedly hindere his productivity. One might wish that he’d taken the view of the results-driven engineer and been more pragmatic about engineering, but that would be deny him his uniqueness. In the end, people like Dirac and Einstein earn their right to idiosyncrasy in their later years through the youthful productivity that was borne of their uncompromising vision.


Und die Übersetzung:

Ich war erstaunt, wie gut es Ihnen gelungen ist ein Bild von Dirac zu vermitteln. I habe das Buch geschlossen mit dem Gefühl ein wenig mehr über den Mann zu wissen, aber das muss sehr schwierig gewesen sein, weil Dirac so wenig über sich oder über irgendetwas gesprochen hat. Wie schwierig war es für Sie, Dirac zu verstehen, und wie war ihr Vorgehen um daraus ein Buch zu formen?

Ja, Dirac hat nicht viel über sich selbst gesprochen im Privaten. Aber, zu meiner Überraschung hat er mit Freunden über sein Privatleben gesprochen und erstaunlich lebhafte Erinnerungen an sein Familienleben fast zu Beginn seines Interviews mit dem “Archive for the History of Quantum Physics” hinterlassen. Außerdem hatte ich das große Glück, dass Dirac eine besonders reichhaltige Sammlung an Material hinterlassen hat, das sich jetzt in einem Archiv an der Florida State University befindet, und einer wunderbare Ssammlung an privaten Briefen, die seine jüngste Tochter mir liebenswerterweise zur Verfügung stellte.
Da ich also viel persönliches Material hatte, war ich in der Lage, die Erzählung über Diracs Wissenschaft mit ziemlich reichhaltigem biographischen Material zu verflechten.

Ihr Porträt von Dirac ist sehr verständnisvoll, er schien ein guter Mensch gewesen zu sein, obwohl er sehr vor der Welt verschlossen war. Aber gibt es etwas an Dirac dass Sie wirklich nicht mögen, oder in dem sie nicht mit ihm übereinstimmen?

Für die meisten Leute war er keine warmherzige Person, aber er konnte sicherlich ein sehr guter Freund sein. Das erklärt, warum die meisten Menschen dachten, dass er kalt und distanziert sei, während andere ihn als angenehme Begleitung empfanden. Ich bezweifele dass er bereit gewesen wäre, sich mir zu öffnen, deswegen denke ich, wie viele andere, dass ich mich zurückgewiesen gefühlt hätte.
Ich find, dass seine Haltung zur Bedeutung von mathematischer Schönheit extrem ist, aber dennoch der Schlüssel zu seinem einzigartigen Zugang zur theoretischen Physik ist.

Dirac erzielte seinen größten Erfolg, indem er Schönheit in mathematischen Formulierungen suchte. Aber dies hinderte ihn auch daran, in seinen späteren Jahren produktiv zu sein. Denken Sie, dass er produktiver hätte sein können, oder war dies seine Natur, sodass er nicht anders konnte. Gibt es dort eine Lehre für (theoretische) Physiker zu ziehen?

Ja, seine ästhetischen Ansichten haben ohne Zweifel seine Produktivität behindert. Man könnte sich wünschen, dass er mehr die Sicht des ergebnisorientierten Ingenieurs eingenommen hätte und pragmatischer zur Konstruktion von Ergebnissen gestanden hätte, aber das hätte ihn um seine Einzigartigkeit gebracht. Letztendlich ist es doch so, dass sich Menschen wie Dirac und Einstein zu Eigenarten in ihren späteren Jahren durch ihre jugendliche Produktivität verdient haben, die aus ihrer kompromisslosen Vision geboren wurde.

Ein großes Dank an Graham Farmelo, dass er so freundlich und schnell meine Fragen beantwortet hat!

Noch mehr Buchrezensionen auf ScienceBlogs:
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Kommentare (2)

  1. #1 ssssssssssss
    02/09/2010

    Dir könnte auch die Biographie von C.F. Gauß -der war ja wohl auch etwas strange-von Hubert Mania gefallen.

    https://www.amazon.de/Gau%C3%9F-Eine-Biographie-Hubert-Mania/dp/3499625318/ref=sr_1_1?ie=UTF8&s=books&qid=1265741937&sr=8-1

  2. #2 Jörg
    02/15/2010

    @ssssssssssss: Danke für den Tipp, das werd ich mir auf den langen Einkaufszettel setzen. Als nächste Biographie will ich mir aber eine von Fermi suchen, der scheint eine ähnliche Art gehabt zu haben, an Probleme heranzugehen wie ich – nur viel viel viel besser natürlich…