Dies ist eine Besprechung des Buches Breaking the Spell: Religion as a Natural Phenomenon/Den Bann brechen: Religion als natürliches Phänomen von Daniel Dennett. Die Einleitung und Übersicht dazu findet ihr hier.

Religion kann das Beste in einem Menschen hervorbringen, es kann Machtmenschen gelassener stimmen und durchschnittliche Menschen dazu bringen, über sich selbst hinauszuwachsen.
Aber es gibt zweifellos auch viele kluge, moralisch engagierte Atheisten. Also ist es eine Eigenheit der Religion? Eine Behauptung, Religion sei gut muss auch die Nachfrage erlauben, ob es auch Schlechtes hervorbringt. Die Frage die Dennett stellt ist: Cui bono? Wem hilft es? Was sind die Gründe, warum Menschen denken dass Religion gut ist?

Dennett weist darauf hin, dass der blinde Uhrmacher der Evolution (dieses Bild von Dawkins habe ich hier eingefügt) Mechanismen entdeckt hat (Dennett tauft sie “free-floating rationales”) die zwei Seiten helfen. Dass wir Zucker als süß empfinden, liegt daran dass Pflanzen Moleküle entwickelt haben um Träger für ihre Samen zu haben, aber die Träger werden durch Nahrung belohnt und haben daher einen Sinn der Süße entwickelt. Gemeinsam haben Pflanzen und Tiere einen Vertrag zum gegenseitigen Nutzen ausgehandelt. Beim Beispiel des Ameisen-Parasiten aber ist der Parasit alleine es, der Nutzen davonträgt, sicher nicht die gefressene Ameise.
Wie sieht dieser Vertrag für die sexuelle Reproduktion aus? Immerhin sind die Kosten beträchtlich, da nur 50% der Gene weitergegeben werden können. Aber die am weitesten verbreitete Theorie sieht darin einen Vorteil im Wettrüsten gegen Parasiten, die sich schnell mitentwickeln und plötzlich nicht mehr die “gewohnte Umgebung” vorfinden. Und aus der Besprechung weiterer Systeme (Alkohol, Geld) folgert Dennett, dass diese als intrinsischen Wert nicht mehr als eine Reaktion im Hirn haben. Aber warum existieren sie dann?

A hypothesis to consider seriously, then, is that all our “intrinsic” values started out as instrumental values, and now that their original purpose has lapsed, at least in out eyes, they remain as things we like just because we like them.

Das ist heute vom Zucker-Vertrag übrig geblieben: Wir mögen ihn einfach und er löst positive Gefühle aus. Aber ursprünglich war ein ein Instrument der gegenseitigen Erhaltung und Verbreitung von Arten.

Zurück zur Religion. Wir haben festgestellt, dass alle Systeme, die die Evolution ausgehandelt hat, Nutzen (z.B. Schutz vor Parasiten) zu Kosten (z.B. nur 50% der Gene werden weitergegeben) bringt, aber auch dass es unterschiedliche Entitäten gibt, die dafür zahlen (Gene, die Ameise, unser Zahnschmelz). So fragt Dennett jetzt konsequent: Wer trägt denn die Kosten für Religion? Und wiederum kommt er nicht umhin, zunächst klar zu stellen, dass diese Frage eine berechtigte ist:

We can’t return to the blissful ignorance of our animal past with any confidence. We’re stuck with being the knowingspecies, and that means we’ll have to use our knowledge as best we can to adapt our policies and practices to cope with out biological imperatives.

Schließlich entfernt sich Dennett, um sich der Frage: Warum existiert Religion? zu nähern. Er betrachtet die Menschen von außen, aus den Augen eines Marsianers. Dieser sieht eine Welt mit einem großen Geflecht von religiös motivierten Taten, verbunden mit Kosten (ein freier Tag für Gott?) aber offenbar ist das völlig ‘natürlich’. Er sieht Institutionen die die sozialen Aktivitäten zur Religion betreiben. Aber er sieht auch, dass Religionen unabhängig davon, also auch z.B. Volksreligionen bei Naturvölkern, starke Gemeinsamkeiten haben – vielleicht auf dem Level der Gene? Er sieht, wie unbewusste Prozesse der Weitergabe und Kopie von Ideen (Boote bauen…) die Strukturen der Ideen schleifen und formen, und an lokale Gegebenheiten anpassen – ein “free-floating rationale”? Jetzt kommt Dennett wieder auf die Meme, und nennt sie auch. Meme ähneln Genen in Selektion und Mutation, es sind also Ideenpakete die kulturell übertragen werden, ohne gerade so bewusst vom Menschen geformt zu sein. Spezifische Sprachen und Volksmusik-Arten können auf diese Art entstehen. Meme erlaubten Raum für eine Betrachtung des Nutzen von Religion als vielschichten Mischprozess.

Dennett gibt den groben Umriss von Theorien für Religion: Ist es ein evolutionärer Prozess, so wie beim Zucker? Wenn ja, was war der eigentliche Nutzen von Religion, warum hat sie sich entwickelt? Oder ist Religion ein Symbiont der auf einem anderen evolutionären Prozess mitgekommen ist, sei es zu gegenseitigem Nutzen oder als memetischer Parasit. Letzteres würde die Nutzenfrage umdrehen – nicht mehr Menschen würden Nutzen ziehen, sondern der memetische Symbiont Religion. Oder war es gar ein selbstverstärkender Prozess sexueller Selektion, wie das Rad des Pfaus, oder die Idee dass Frauen auf Kerle mit Gitarren stehen. Oder ist es ähnlich wie ein Geldsystem, ein nützlicher Trick, weil eine Gesellschaft insgesamt Nutzen daraus zieht (oder auch nur eine elitäre Gruppe auf Kosten der “niederen Kasten”). Oder ist es Gruppenselektion? Oder ist es wie eine Perle, die Schichten ansammelt, als wäre Religion ein Nebenprodukt, das keinen eigenen Nutzen bringt, aber mitgekommen ist?


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Kommentare (2)

  1. #1 Ulrich
    03/31/2010

    Das sind aber viele Möglichkeiten.
    Antwort gibt’s keine?

  2. #2 Jörg
    03/31/2010

    @Ulrich: Langsam, es kommen ja noch 8 Teile 🙂