Manchmal hat ein überraschendes Ergebnis eine lange Vorgeschichte mit viel Frust. Vermutlich jedenfalls, denn 12 Jahre haben die Forscher versucht Wasserstoff und Myonen einzusetzen um den Radius des Protons genauer bestimmen zu können. Lange Jahre haben sie gedacht, ihre Apparatur sei nicht gut genug, und haben neue Versuche gestartet. Doch erst jetzt haben sie es geschafft. Und es hat sich herausgestellt: Nicht die Apparatur war Schuld, man hätte “nur” sehr weit weg vom erwarteten Wert suchen müssen. Fast 5% neben dem bisherigen Wert für den Protonenradius liegt der neue Wert – und könnte, wenn er sich bestätigt, die Lehrbücher neu schreiben.

ResearchBlogging.orgRandolf Pohl und eine Reihe Mitautoren und Mitforscher berichten in Nature die Ergebnisse der erfolgreichen Messung.
Und der Ausflug in den Mikrokosmos eines Wasserstoffatoms erinnert mich an die Suche nach Exoplaneten. Der Umlauf eines Planeten um die Sonne erzeugt kleine wandernde Verformungen der Sonne die man detektieren kann (die andere, jetzt wichtigere Methode des Transits muss ich für meine Analogie unterschlagen). Und da ein weit entfernter leichter Planet wie die Erde deutlich weniger Auswirkungen hat, finden wir bis jetzt in unserer noch frühen Suche nach Exoplaneten vor allem sehr schwere Mega-Jupiter die sehr nahe an ihrer Sonne kreisen.

Elektronen schieben

Im Mikrokosmos geben die Gesetze der Quantenphysik die Bahnen vor. Aber auch hier ist es eine Art der Interaktion zwischen Elektron und Kern, die wir zur Detektion und zur Messung neuer Physik einsetzen können. Eine feinfühliger Unterschied zwischen zwei Bahnen, der ohne die Quantenelektrodynamik nicht da wäre, hat die entscheidenden Motivationen zum Durchbruch dieser Feldtheorie geliefert. Der Lamb-Shift wurde 1947 entdeckt. Wir befinden uns im Wasserstoff im zweittiefsten Energieniveau. Hier können Elektronen sich mit unterschiedlicher magnetischer Ausrichtung (Bahndrehimpuls) einfinden. Daher bezeichnet man die beiden Möglichkeiten als 2S und 2P. Eigentlich sollten sie die gleiche Energie aufweisen – wenn denn das Vakuum leer wäre. Dadurch treten ständig Paare von Teilchen und Antiteilchen auf die die elektromagnetische Wechselwirkung leicht beeinflussen. Außerdem unterscheiden sich die Wellenfunktionen für 2P und 2S. Und da eine der beiden Aufenthaltswahrscheinlichkeiten für das Elektron ergibt, die sich mit der Position der Proton überschneidet, entsteht als Summe der Effekte ein leichter Energieunterschied zwischen 2S und 2P, eben die Lamb-Verschiebung. Und wenn es schon einen Zusammenhang mit dem Radius des Protons gibt, dann sollte man eben umgekehrt auch aus der Vermessung des Lamb-Shift auf den radius schließen können.

So, und jetzt müssen wir aber mal über den Radius des Protons reden. Warum brauchen wir den? Nun, einerseits haben wir da eine Theorie der elektromagnetischen Wechselwirkung, die Quantenelektrodynamik (QED). Diese macht hervorragend genaue Aussagen, braucht aber für die Verknüpfung mit dem Experiment einige Stellschrauben, einige Parameter für den Übertrag. Der nicht genau bekannte Radius des Protons ist dabei ein limitierender Faktor, die beobachtete Abweichung könnte z.B. bedeuten dass wir die Rydberg-Konstante neu definieren müssen, die immerhin die Energieniveaus im Atom bestimmt.

So, sagt ihr, du erzählst doch immer dass die Struktur des Protons schlecht verstanden ist. Dass es eine Suppe aus Quarks und Gluonen ist, die noch genauer untersucht wird und nicht von der QED, sondern der ungleich schwierigeren Quantenchromodynamik gesteuert wird. Und wie kann jetzt so ein Ladungsbrei einen Radius haben? Nun, tatsächlich ist das Proton keine Kugel, daher ist der Radius, von dem man hier spricht, der mittlere Radius der Ladungswolke Proton.

Jetzt kommen Myonen

Die eingesetzte Methode zur genaueren Bestimmung des Radius basiert auf dem Ersetzen des Elektrons im Wasserstoff durch seinen großen Bruder, das Myon. Man ballert einfach mit einem Teilchenbeschleuniger auf Wasserstoff (bzw. H2-Gas) und hofft, dass einige Wasserstoff-Atome ein Myon aufnehmen statt ihrem Elektron. Die meisten zerfallen gleich wieder, aber einige schaffen es in einen langlebigen 2S-Zustand. Der große Vorteil, wegen dessen man Myonen einsetzt, ist ihre 200fach höhere Masse. Diese bedeutet auch eine 200fach engere Bahn des Myons um den Kern, und in Konsequenz eine anderen Lamb-Shift, bei dem der Protonradius einen sehr viel höheren Einfluss hat und daher genauer messbar wird.

Hier sind jetzt die Werte für den Radius: 0.877 fm war der Wert. 10mal genauer ist die neue Messung und sie liefert 0.84184 fm – genauer und deutlich kleiner. Sehr signifikant kleiner, nur sehr sehr unwahrscheinlich im Rahmen der Messgenauigkeit.
Was ist, wenn sich dieses Ergebnis bestätigt? Gibt es noch Fehler in der QED? Übersehene oder vernachlässigte Terme die einen Einfluss haben? Jetzt müssen wir weitere Messungen und neue theoretische Untersuchungen abwarten, um zu sehen wieviel dran ist.


Pohl, R., Antognini, A., Nez, F., Amaro, F., Biraben, F., Cardoso, J., Covita, D., Dax, A., Dhawan, S., Fernandes, L., Giesen, A., Graf, T., Hänsch, T., Indelicato, P., Julien, L., Kao, C., Knowles, P., Le Bigot, E., Liu, Y., Lopes, J., Ludhova, L., Monteiro, C., Mulhauser, F., Nebel, T., Rabinowitz, P., dos Santos, J., Schaller, L., Schuhmann, K., Schwob, C., Taqqu, D., Veloso, J., & Kottmann, F. (2010). The size of the proton Nature, 466 (7303), 213-216 DOI: 10.1038/nature09250


Kommentare (12)

  1. #1 Frank Wappler
    07/09/2010

    Jörg schrieb (im Artikel):

    > Und wie kann jetzt so ein Ladungsbrei einen Radius haben? Nun, tatsächlich ist das Proton keine Kugel, daher ist der Radius, von dem man hier spricht, der mittlere Radius der Ladungswolke Proton. […]

    Richtig; und ebenso kann und sollte man ggf. von einem “mittleren Zentrum (oder Ladungsschwerpunkt) der Ladungswolke Proton” sprechen.

    > Außerdem unterscheiden sich die Wellenfunktionen für 2P und 2S.

    … insbesondere hinsichtlich der räumlichen Verteilung Aufenthaltswahrscheinlichkeiten für das Elektron (bzw. Myon), und folglich bzgl. der “mittleren Form der Ladungswolke Elektron (bzw. Myon)” (also der mittleren Ladungsverteilung) …

    > Und da eine der beiden Aufenthaltswahrscheinlichkeiten für das Elektron ergibt, die sich mit der Position der Proton überschneidet […]

    Es stimmt sicherlich, dass sich Form und Anteil der Überschneidung von “Ladungswolke Elektron (bzw. Myon)” und “Ladungswolke Proton” zwischen den beiden Elektronen-Wellenfunktionen für 2P und 2S unterscheiden.

    Aber stimmt es z.B. überhaupt, dass für eine dieser Wellenfunktionen die Aufenthaltswahrscheinlichkeitsdichte am “mittleren Zentrum der Ladungswolke Proton” genau Null ist?

    Sind die Aufenthaltswahrscheinlichkeiten und/oder entsprechenden mittleren Ladungsverteilungen des Elektron (bzw. Myons) und des Protons überhaupt genau sphärisch symmetrisch? …

  2. #2 Frank Wappler
    07/09/2010

    p.s.
    Um meine letzte Frage von oben besser zu formulieren (da die mittlere Ladungsverteilung für die 2P Wellenfunktion ja ganz deutlich nicht sphärisch symmetrisch ist):

    Ist die Aufenthaltswahrscheinlichkeit und/oder die entsprechende mittlere Ladungsverteilungen eines Protons (insbeondere im gebundenen Zustand mit einem Elektron bzw. Myon) überhaupt genau sphärisch symmetrisch?
    Sind die mittleren Zentren der jeweiligen Ladungsverteilungen überhaupt genau koinzident?

  3. #3 Physiker
    07/09/2010

    @ Frank Wappler:
    Der Ladungsschwerpunkt ist in der Mitte – per Definition.
    Wenn beide Ladungsschwerpunkte nicht genau am selben Ort wären, würde man ein el. Dipolmoment messen.

  4. #4 NX
    07/09/2010

    32 Leute für 3 Seiten? muahaha….

  5. #5 Frank Wappler
    07/09/2010

    Physiker schrieb (09.07.10 · 12:08 Uhr):
    > Wenn beide Ladungsschwerpunkte nicht genau am selben Ort wären, würde man ein el. Dipolmoment messen.

    Und — hat man ein el. Dipolmoment gemessen, insbesondere für ein Proton-Myon-System im Zustand “2P” ?

    Oder wenigstens: innerhalb welcher Genauigkeit könnte man denn z.B. ein el. Dipolmoment ausschließen, für ein Proton-Elektron-System in einem Zustand entsprechend einer bestimmten endlichen Temperatur ?

    (Und was soll dabei “Ort” heißen? Es geht lediglich um Verteilungen bzw. deren Schwerpunkte in Bezug aufeinander, nicht auf irgendwelche anderen Systeme.)

    > Der Ladungsschwerpunkt ist in der Mitte – per Definition.

    Für geeignete Definitionen von “Mitte” und von “Schwerpunkt” — gewiss.
    Deshalb ja die erste, separate Frage; hier nochmals möglichst ergebnisoffen formuliert:

    Genau welche Symmetrien besitzen die diskutierten mittleren Ladungsverteilungen? (einzeln, bzgl. ihrer jeweiligen Schwerpunkte; und abgesehen von derjenigen Symmetrie, die sich selbstverständlich aus der Definition von “Schwerpunkt einer Verteilung” sowie aus “Mittelung” im Sinne der genannten Wellenfunktionen “2S”, “2P” usw. ergibt)

    Spielt es z.B. eine Rolle, dass beide wechselwirkenden Teilchen magnetische Momente haben?

  6. #6 kommentarabo
    07/09/2010

  7. #7 caesar
    07/12/2010

    Ich bin gespannt, wann der erste kommt und sagt, dass deswegen die H. funktioniert…

  8. #8 Moss
    07/13/2010

    @NX:
    In meiner Zeit als Setzer des «European Physical Journal C» (EPJ-C) hatten wir auch schon mal >100 Autoren für vier oder fünf Seiten (wobei da dann schon auf den Artikelkopf ein bis zwei Seiten kamen). Sowas kommt immer dann vor, wenn eine «Collaboration» was veröffentlicht, also z.B. ein Team eines Beschleunigerexperiments.

    Bei den Tagungsbänden der Partikelphysiker sind 3-Seiter mit einigen -zig Autoren und mehrere tausend Autoren pro Band keine Seltenheit …

  9. #9 roel
    07/21/2010

    @Joerg “Fast 5% neben dem bisherigen Wert für den Protonenradius liegt der neue Wert”. “Hier sind jetzt die Werte für den Radius: 0.897 fm war der Wert. 10mal genauer ist die neue Messung und sie liefert 0.84184 fm – genauer und deutlich kleiner. Sehr signifikant kleiner, nur sehr sehr unwahrscheinlich im Rahmen der Messgenauigkeit.”

    Wie ermitteln sich die “fast 5%”?

    Es ist schon erstaunlich, dass man 12 Jahre benötigt um auf die Idee zu kommen mal neben den erwarteten Werten nachzuschauen. Mein erster Gedanke wäre gewesen, dass die Apparatur zu ungenau ist. Und gleich der 2te Gedanke hinterher, dass der bisher angenommene Wert nicht stimmt. Diese beiden Möglichkeiten gibt es, und diese beiden Möglichkeiten gilt es zu überprüfen.

  10. #10 roel
    07/26/2010

    @Jörg Wie ermitteln sich die “fast 5%”?

  11. #11 Jörg
    07/26/2010

    Sorry, ich hatte einen Schreibfehler bei der Zahl. Der alte Wert beträgt 0.877 fm, nicht 0.89.

  12. #12 ralfkannenberg
    08/17/2010

    Hallo Jörg,

    erst jetzt stosse ich auf diese Frage:

    Du schreibst im Text, dass der (Protonen-)Radius, von dem man hier spricht, der mittlere Radius der Ladungswolke Proton sei.

    Wie ist denn das beim Neutron ? Dieses ist ja auch “ausgedehnt”. Wie ist das da (sowie bei anderen ausgedehnten neutralen Elementarteilchen) definiert ?

    Freundliche Grüsse, Ralf